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ADB:Bechstein, Ludwig

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Artikel „Bechstein, Ludwig“ von Reinhold Bechstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 206–208, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bechstein,_Ludwig&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 02:52 Uhr UTC)
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Bechstein: Ludwig B., Dichter, Novellist und Alterthumsforscher, geb. 24. Novbr. 1801 zu Weimar, † 14. Mai 1860 zu Meiningen. Früh verwaist, wurde B. von seinem Oheim Johann Matthäus B. an Kindesstatt angenommen und erzogen. Von Dreißigacker aus besuchte B. bis zu seinem 18. Jahre das Lyceum im benachbarten Meiningen und widmete sich dann zu Arnstadt der Pharmacie, wurde nach vollbrachter Lehrlingszeit in derselben Apothekergehülfe und conditionirte in gleicher Eigenschaft zu Meiningen und Salzungen. Früh schon regte sich sein dichterisches Talent, verschiedene Zeitschriften nahmen seine Poesien und Erzählungen auf; seine erste selbständig erscheinende Schrift, „Thüringische Volksmährchen“, 1823, in welcher sich Musäus’ Einfluß zeigte, ließ er auf Wunsch seiner Angehörigen unter verändertem Namen „C. Bechstein“ herausgeben. Eine dem Mittelalter, den Sagen und Märchen aus dem Volksleben, insbesondere seiner thüringischen Heimath zugewandte romantische Richtung, verbunden mit einer schwärmerisch-religiösen Liebe zur Natur, namentlich zur Pflanzenwelt, kennzeichnet seine ersten Versuche in dieser Richtung, wenn auch im Laufe der Zeit mannigfach schattiert, offenbarte sich in allen seinen folgenden Schriften. Herzog Bernhard zu Sachsen-Meiningen, von Bechstein’s Talent angesprochen, ermöglichte ihm 1828 ein dreijähriges akademisches Studium zu Leipzig und München, welches vorzugsweise der Philosophie, Geschichte, Litteratur und Kunst gewidmet war. 1831 zum Cabinets-Bibliothekar und zum zweiten Bibliothekar an der herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Meiningen ernannt, welche Stellung ihm zu schriftstellerischer Wirksamkeit hinreichende Muße ließ, gründete B. am 14. November 1832 den Hennebergischen alterthumsforschenden Verein, dessen Director und zuletzt Ehrenpräsident er bis zu seinem Tode blieb. 1833 erster und alleiniger Bibliothekar an der öffentlichen Bibliothek, im J. 1840 zum Hofrath ernannt, war er seit 1844 auch bei der Ordnung des hennebergischen Gesammt-Archivs beschäftigt und wurde 1848 von den vier Theilhabern (Meiningen, Preußen, Weimar und Coburg) als gemeinschaftlicher Archivar angestellt. Zwei größere Reisen hat B. in besonderen Schriften beschrieben, die erste, im J. 1835 mit Eduard Duller und O. L. B. Wolf unternommen nach Brüssel und Paris in seinen „Reisetagen“ (2 Theile, 1836), die zweite 1855 nach Oberitalien in „Villa Carlotta“ (1857). – Seine zahlreichen, lyrischen und lyrisch-epischen Schöpfungen, die in Zeitschriften, Almanachen, Taschenbüchern u. s. w. zerstreut sind und von denen nicht wenige für die Liedercomposition benutzt wurden, sammelte B. nur einmal selbst in seinen „Gedichten“, 1836. Einige sonst nicht gedruckte brachte er in seinem Sammelwerke „Deutsches Dichterbuch“, o. J. (1846, 2. Aufl. 1854). Sein aus einzelnen lyrischen Stücken bestehendes [207] Lehrgedicht „Neue Naturgeschichte der Stubenvögel“, auf dessen Titel er sich mit Beziehung auf seines Oheims berühmtes Buch „Bechstein der Jüngere“ nannte, ist wenig beachtet und verstanden worden. Eine besondere Vorliebe besaß B. für das Sonett; die erste größere Veröffentlichung „Sonettenkränze“ (1828) ließ Bechstein’s Formtalent schon deutlich erkennen. Seine größeren epischen Dichtungen tragen vorzugsweise lyrischen Charakter wie „Die Heimons-Kinder“ (1830); „Der Todtentanz“ (1831); „Faustus“ (mit Conturen von Moritz von Schwind, 1833); „Luther“ (1834). Sein letztes, erst nach seinem Tode herausgegebenes Epos „Thüringens Königshaus“ ist wol seine bedeutendste Leistung auf diesem Gebiete. Am productivsten erwies sich B. als Erzähler. Seine zahlreichen Novellen sind meist in Sammlungen vereinigt: „Erzählungen und Phantasiestücke“, 4 Bände, 1831; „Novellen und Phantasiegemälde“, 2 Bände, 1832; „Aus Heimath und Fremde“, 2 Bde., 1839; „Hainsterne“, 4 Bde., 1853, u. a., einzelne seiner Novellen sind auch besonders erschienen, wie z. B. „Grimmenthal“, 1833; „Hallup der Schwimmer“, 1839; „Sophienlust“, 1840; „Philidor“, 1842. Von seinen Romanen behandelten die früheren meist Gestalten und Begebenheiten des Mittelalters oder der Reformationszeit: „Die Weissagung der Libussa“, 2 Bde. 1829; „Das tolle Jahr“, 3 Bde. 1833; „Der Fürstentag“, 2 Bde., 1834; „Grumbach“, 3 Bde. 1839. In neuerer Zeit spielen: „Fahrten eines Musikanten“, 3 Bde. 1837; (2. Auflage in 2 Bden. mit einem 4. Theil versehen, 1854), welcher Roman sich wol den meisten Beifall errang; ferner das Sittenstück „Clarinette“, 3 Bde., 1840; die Volkserzählung „Ein dunkles Loos“, 3 Bde. 1850; „Berthold der Student, oder Deutschlands erste Burschenschaft“, 2 Bde. 1850; „Der Dunkelgraf“, 3 Theile, 1854; „Die Geheimnisse eines Wundermannes“, 3 Bde. 1856.

Einen besonderen Zweig dieser erzählenden Production, welcher zugleich aus einem wissenschaftlichen Drange erwuchs, bilden Bechstein’s Märchen- und Sagen-Sammlungen: „Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringer Landes“, 4 Theile, 1835–1838; „Volkssagen, Märchen und Sagen des Kaiserstaates Oesterreich“ (nur einige Hefte erschienen, 1841); „Der Sagenschatz des Frankenlandes“ (nur ein Theil ersch., 1842); „Deutsches Märchenbuch“ (zuerst 1845 ersch., in mehreren, auch illustrirten Ausgaben und in wiederholten Auflagen verbreitet); „Deutsches Sagenbuch“, 1853; „Neues deutsches Märchenbuch“, zuerst 1856, in zahlreichen Auflagen erschienen; „Thüringisches Sagenbuch“, 1857. Auch einzelne Märchenerzählungen lieferte B., aber mehr in novellistischer Weise. Eine abhandelnde Schrift auf gleichem Gebiete ist „Mythe, Sage, Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes“, 3 Bde., 1855.

Sein Interesse am Drama und Theater bekundete B. durch eine kleine anonym erschienene Schrift: „Die Darstellung der Tragödie Faust von Goethe auf der Bühne“, 1831; dagegen war Bechstein’s Wirken als Dramatiker untergeordnet. Frühere Versuche veröffentlichte er nicht, nur ein Trauerspiel: „Des Hasses und der Liebe Kämpfe“, erschien im Druck 1835. Seine Texte zu Opern von Nohr, Dorn und Elster seien hier nur erwähnt.

Neben seiner dichterischen Thätigkeit, aber nicht in Verbindung mit ihr, und aus ihr erwachsen, war es die Erforschung des Alterthums, in Geschichte, Poesie, Cultur und Kunst, welcher B. sich mit Eifer zuwandte. Seine hier einschlagenden Leistungen, wenn auch nicht höheren Anforderungen strenger Kritik und Gelehrsamkeit entsprechend, waren verdienstlich namentlich um der Anregungen willen, welche sie boten und erweckten. Im Interesse des Hennebergischen alterthumsforschenden Vereins betheiligte er sich an der Herausgabe der „Chronik der Stadt Meiningen von 1676–1834“, (1835) und von Theil II des „Hennebergischen Urkundenbuchs“ (1847), gab mit Georg Brückner das „Historisch-statistische [208] Taschenbuch für Thüringen und Franken“ (2 Jahrgänge, 1844. 1845) heraus und schrieb mehrere Einladungs- und Denkschriften des Vereins; auch lieferte er Beiträge zu den periodischen Schriften desselben. In einem Sammelwerke „Deutsches Museum für Geschichte, Litteratur, Kunst und Alterthumsforschung“ (2 Bde., 1842) gab er Seltenheiten, meist seinen eigenen Sammlungen entnommen, heraus. Ein ausschließlich der alten Kunst gewidmetes Unternehmen „Kunstdenkmäler in Franken und Thüringen“ kam über den Anfang nicht hinaus (I. Heft 1844). Bechstein’s Hauptleistung auf dem Gebiete der Alterthumsforschung ist das Prachtwerk: „Geschichte und Gedichte des Minnesängers Otto v. Botenlauben“, mit einem Urkundenbuch und Abbildungen (1845). Altdeutsche Dichtungen edirte B. noch zwei: Heinrich Wittenweiler’s „Ring“ (Publication des litterarischen Vereins in Stuttgart 1851) und das Spiel von den zehn Jungfrauen (Wartburg-Bibliothek I. „Das große thüringische Mysterium“, 1855). Von Bechstein’s Vorliebe für Thüringen, welche er nach den verschiedensten Richtungen hin in seinen Schriften zum Ausdruck brachte, geben namentlich seine „Wanderungen durch Thüringen“ (Leipzig, 1838, Theil des „Malerischen und romantischen Deutschland“) und seine Schrift: „Thüringen in der Gegenwart“ (1843) Zeugniß. Ein Denkmal dankbarer Pietät ist Bechstein’s Biographie seines Oheims und Pflegevaters: „Dr. Johann Matthäus Bechstein und die Forstakademie Dreißigacker“, 1855. Schließlich sei noch einer kleinen Monographie Bechstein’s gedacht: „Der Heerwurm. Sein Erscheinen, seine Naturgeschichte und seine Poesie“.