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ADB:Becker, Karl Ferdinand (Musikschriftsteller)

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Artikel „Becker, Karl Ferdinand“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 322–324, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Becker,_Karl_Ferdinand_(Musikschriftsteller)&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 07:43 Uhr UTC)
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Becker: Karl Ferdinand B., ein um die Musikgeschichtsforschung verdienter Schriftsteller, geboren am 17. Juli 1804 zu Leipzig (nach eigener Aussage), † am 26. October 1877 zu Plagwitz bei Leipzig. Schüler und Alumnus der Thomasschule in Leipzig unter Schicht und später von Schneider, bildete er sich zum Musiker aus und erhielt 1825 die Organistenstelle an der Petrikirche daselbst und 1837 die an der Nicolaikirche nach dem Tode Heinrich Müller’s. Er zeichnete sich als fertiger Orgelspieler aus und genoß eines gewissen Rufes in dem Fache, so daß man ihm im J. 1848 nach Gründung des Leipziger Conservatoriums für Musik unter Mendelssohn’s Leitung den Unterricht fürs Orgelspiel übertrug. Im Besitze einer umfangreichen und sehr werthvollen Musikbibliothek, die schon sein Vater gesammelt hatte und die er eifrig zu vermehren suchte, pflegte er diesen Schatz nicht nur als Sammler, sondern auch als Studirender. Sein erstes Werk in diesem Fache betraf eine neue, umgearbeitete Ausgabe von Nikol. Forkel’s Allgemeiner Litteratur der Musik vom Jahre 1792, die er im Jahre 1835 vollendete und 1836 in Leipzig bei Friese in 4° von 571 Spalten unter dem Titel: „Systematisch-chronologische Darstellung der musikalischen Literatur von der frühesten bis auf die neueste Zeit“ herausgab. Obgleich er Forkel’s Werk genau copirte und auch dessen Einrichtung der Musiklitteratur in Fächer beibehielt, so fand er doch Gelegenheit manche Verbesserungen und viele Zusätze einzufügen, wozu ihm die eigene Bibliothek die sicherste Handhabe bot. Bedeutend vermehrt und verbessert wurde [323] das Verzeichniß aber erst durch Anton Schmid’s Beihülfe, des Bibliothekars der Musikabtheilung an der Hofbibliothek in Wien. Dieser bewog B. einen Nachtrag zu bringen, der nicht nur zahlreiche Zusätze, sondern auch werthvolle Verbesserungen enthielt, die Schmid nach dem Bestande der Wiener Hofbibliothek verfaßte. Derselbe erschien 1839 im gleichen Verlage, 184 Spalten stark und in gleicher Weise wie das Hauptwerk eingerichtet. Von Spalte 155 ab fügte B. ein Verzeichniß von Choralsammlungen, resp. hymnologischen Drucken vom Jahre 1502 bis 1799 bei, die sich theils in der Stadtbibliothek Leipzig, theils in seiner eigenen Bibliothek befanden. Dies letztere Verzeichniß veröffentlichte er vermehrt und verbessert im J. 1845 in Leipzig bei Fleischer in einer besonderen Ausgabe in 8° von 220 Seiten und zum Theil abermals in seinen „Tonwerken des 16. und 17. Jahrhunderts“, Leipzig 1847 und in der 2. Titelausgabe 1855, Seite 139 ff. Ueber den Besitzstand an litterarischen Musikabhandlungen seiner eigenen Bibliothek, der bereits in seiner Litteratur von 1836 Aufnahme gefunden hatte, gab er im J. 1846 bei Breitkopf & Härtel ein Verzeichniß von 25 Seiten in 8° in so kurz gefaßten Titeln heraus, daß man oft in Zweifel ist, welches Werk er wol damit meint. Der Mangel, der seinen bibliographischen Werken anhängt, und der mehr oder weniger allen damals bis zur Neuzeit erschienenen bibliographischen Verzeichnissen anhaftet, beruht in dem Verschweigen des Fundortes, oder in der Unkunde darüber, ob das Werk überhaupt je vorgelegen hat. Erst Philipp Wackernagel in seiner Bibliographie der Geschichte des deutschen Kirchenliedes im 16. Jahrhundert, in Frankfurt a. M. 1855 erschienen, schaffte darin Wandel zum Besseren und allein Richtigen, wenn er auch darin zu weit ging, daß er selbst die alte Schriftsorte nachzuahmen suchte. Andere sind ihm in verständiger Weise gefolgt und so ist auch die Musikbibliographie zu höchst werthvollen Werken gelangt, die Becker’s einst so geschätzten Verzeichnisse in Vergessenheit bringen. Als Rob. Schumann im Jahre 1834 die Neue Zeitschrift für Musik gründete, betheiligte sich B. als fleißiger Mitarbeiter, der ganz besonders das musikhistorische Feld pflegte und eine Reihe Artikel über die verschiedensten Fächer der Musikgeschichte schrieb, deren wichtigste er dann in seinem Buche „Die Hausmusik in Deutschland im 16., 17. und 18. Jahrhundert“ neu herausgab. In jener Zeit war er fast der Einzige, der sich mit Eifer unter Benützung der Originalquellen mit Musikgeschichte beschäftigte, das Publicum mit den Leistungen früherer Zeiten bekannt machte und den Späteren manche Anregung zur weiteren Forschung bot. Ich nenne nur Einiges: „Die Applicatur auf Tasteninstrumenten im 16. Jahrhundert“. „Beiträge zur Geschichte der Choralmelodien“, „Die Klaviersonate in Deutschland“, „Leipzigs musikalische Vorzeit“, „Die erste Notendruckerei in Deutschland im Jahre 1512“ u. A. Doch auch mit praktischen Beispielen aus älterer Zeit wirkte er zur Verbreitung der Kenntniß über ältere Musik und gab zum Behufe dessen heraus: Ausgewählte Tonstücke fürs Pianoforte von berühmten Meistern des 17. und 18. Jahrhunderts, mehrstimmige Gesänge aus dem 16. Jahrhundert, Lieder und Weisen vergangener Jahrhunderte u. A. Als Componist trat er nur mit Orgelsachen auf, die seiner Zeit sich eines gewissen Ansehens erfreuten. Auch Sammelwerke für Orgel gab er heraus, wo er Altes und Neues mit eigenen Compositionen vereinte, z. B. das „Orgel-Archiv“ (in Gemeinschaft mit A. G. Ritter), ferner die „Cäcilia“, Tonstücke für Orgel, 3 Bde., Beiträge zum Orgel-Museum. Im Fache des mehrstimmigen Choralgesanges gab er Joh. Seb. Bach’s vierstimmige Choräle neu heraus auf Grund der ersten Ausgabe von Philipp Emanuel Bach, ferner ein evangelisches Choralbuch mit 138 vierstimmigen Chorälen. Sein letztes litterarisches Werk besteht aus einer Art Kalender, worin er nach fortlaufenden Daten des Jahres die wichtigsten Ereignisse [324] im Fache der Musik mittheilt; ein Nachschlagebuch, das noch heute seinen Werth hat, wenn man das Lückenhafte auch oft schmerzlich empfindet. B. war ein ungemein fleißiger Sammler, ein Notizenkrämer von einer beharrlichen Ausdauer, der man eine gewisse Achtung nicht versagen kann. Begab er sich aber an die Ausarbeitung, so schuf er nur Halbes, da sein Wissen lückenhaft war, er seine Studien nicht auf ein Fach beschränkte, sondern überall herumkostete und deshalb in keiner Sache eine logische Entwicklung verfolgte. Er fand deshalb in späterer Zeit besonders durch S. W. Dehn manche herbe Zurückweisung, die ihn schließlich so verstimmte, daß er alles aufgab, seine Bibliothek gegen eine Jahresrente der Stadtbibliothek in Leipzig verkaufte, Leipzig und der Musikgeschichte den Rücken wandte und sich in Plagwitz 1856 ein ländliches Asyl mit Pflege des Gartens schuf. Für die Welt war er verschollen, und als im J. 1877 die Zeitungen seinen Tod anzeigten, glaubte man ihn schon lange nicht mehr unter den Lebenden zu wissen.

Alfred Dörffel in B. Senff’s Führer durch die musikalische Welt (Leipzigs) bringt die sichersten Daten seines Lebens.