ADB:Bernstorff, Andreas Graf von
Hartwig Ernst (s. d.). Letzterer erkannte früh die Talente seines Neffen und hatte einen bedeutenden Einfluß auf seine Erziehung. Durch häuslichen Unterricht sorgfältig vorbereitet, bezog er Ostern 1752 zugleich mit seinem älteren Bruder Joachim Bechtold die Universität Leipzig, wo Gellert ihm ein väterlicher Freund war. Außerdem hörte er die Vorlesungen von Mascow und Böhme. Dann studirte er in Göttingen Staatswissenschaften, vorzugsweise unter der Anleitung von Achenwall und Pütter. Zur Beendigung seiner Studien ging er Michaelis 1754 nach Genf, wo er mit Beaumont und Necker verkehrte. Die folgenden Jahre wurden den üblichen Reisen durch Europa gewidmet, welche der junge B. mit Erfolg auch dazu benutzte, die berühmtesten Staatsmänner und Gelehrten seiner Zeit kennen zu lernen und durch eigene Anschauung sich ein Bild von der Verfassung und den öffentlichen Zuständen der bedeutenderen europäischen Länder zu verschaffen. Er besuchte zunächst Italien; im J. 1756 war er in Wien, München, Dresden und an anderen deutschen Höfen. Im folgenden Jahre ging er nach Paris und machte Reisen durch England, wo er sich besonders mit den Fortschritten der Landwirthschaft und den agrarischen Zuständen vertraut zu machen suchte, und durch Holland. Nach seiner Rückkehr 1758 verlebte er einige glückliche Monate bei seinen Eltern auf dem Gute Gartow.
Bernstorff: Graf Andreas Petrus B., geb. 28. Aug. 1735 zu Hannover, † 21. Juni 1797 zu Kopenhagen. Sein Vater Andreas Gottlieb war der ältere Bruder des GrafenDer ältere Bernstorff, der seit 1751 an der Spitze der dänischen Regierung stand, hatte längst gewünscht, den reichbegabten Neffen in dänische Dienste zu ziehen. Im J. 1759 ging dieser Wunsch in Erfüllung. Andreas Petrus trat als Mitglied in die deutsche Kanzlei, welche unter der Leitung seines Oheims stand. Seine vorzügliche Neigung war damals auf das Finanzfach gerichtet. Er ward deshalb schon 1760 zugleich Deputirter im General-Landesökonomie- und Commerzcollegium. Hier war ihm freilich die unerfreuliche Aufgabe gestellt, den Lieblingsgedanken seines Oheims zu verwirklichen, welcher durch Schutzzölle und Einfuhrverbote eine unnatürliche einheimische Industrie künstlich hervorrufen wollte. Die im J. 1762 drohende kriegerische Verwicklung mit Rußland gab Anlaß, daß B. mit einer wichtigen diplomatischen Mission nach Paris beauftragt wurde, welche freilich durch den im Juli 1762 in Petersburg eingetretenen plötzlichen Thronwechesl gegenstandslos wurde. Nach seiner Rückkehr aus Paris wurde er zugleich Deputirter in der Staatskammer, endlich im Jahre 1768 erster Deputirter in der reorganisierten General-Zollkammer. In allen diesen verschiedenen Geschäften und Administrationszweigen entwickelte er eine unermüdliche Thätigkeit; seine Kräfte schienen mit der Arbeit zu wachsen. Während dieses ersten bis 1770 reichenden Abschnittes seiner staatsmännischen Thätigkeit war er noch nicht der leitende Minister; aber seine hervorragende Bedeutung zeigte sich schon in der kräftigen Initiative, in dem energischen Anstoß zu heilsamen Reformen auf allen den Gebieten, auf denen er successive thätig war. Vor allen Dingen aber ist hervorzuheben, daß er schon jetzt mit der ganzen Energie seines Geistes den Gedanken ergriff, dessen glückliche Durchführung den Ruhm [489] seines Lebens begründen sollte: wir meinen die Befreiung des Bauernstandes von den persönlichen und wirthschaftlichen Fesseln der Leibeigenschaft. Durch eine vortreffliche Schrift hatte Oeder angeregt, wie man dem Bauernstande Freiheit und Eigenthum verschaffen könne. Die beiden B., Graf Christian Stolberg und andere faßten den Gedanken, die Reform in praktische Bahnen zu lenken. Da ward 1770 diese organisatorische Thätigkeit plötzlich durch die Struensee’sche Episode unterbrochen. Im September erhielt der ältere B. seine Entlassung; der jüngere, welcher Struensee nicht im Wege stand, hätte im Amte bleiben können. Allein er verschmähte es, sich Struensee unterzuordnen, und wollte sein Schicksal von dem seines Oheims nicht trennen. Zugleich mit letzterem verließ er Dänemark und zog sich auf zwei Jahre ins Privatleben zurück.
Nach dem Sturze Struensee’s folgte in Dänemark die sogenannte Guldberg’sche Periode. Der schwachsinnige König Christian VII. stand während dieser Zeit fast ganz unter dem Einfluß seiner Stiefmutter, der verwittweten Königin Juliane Marie, und seines Stiefbruders, des Erbprinzen Friedrich. Ihr vertrautester Rathgeber war Ove Guldberg, der früher Erzieher des Erbprinzen, dann Professor in Sorö gewesen war, und er gewann mehr und mehr den entscheidenden Einfluß. Diese herrschende Coterie wünschte nur solche Männer, auf deren unbedingte Folgsamkeit sie rechnen konnten, in den Staatsrath zu ziehen, und zu diesen gehörte der jüngere B. gewiß nicht. Allein die öffentliche Meinung forderte ihn so laut und einstimmig zurück, daß, als er im Sommer 1772 einen Besuch in Kopenhagen machte, eine Aufforderung an ihn erging, wieder in dänische Dienste zu treten. Er nahm den Ruf an, und bereits gegen Ende des Jahres war er wieder erster Deputirter im Finanzcollegium. Aber nur kurze Zeit blieb er in dieser Stellung. Schon im April 1773 übernahm er das Ministerium der auswärtigen Angelegeneheiten und zugleich das Präsidium der deutschen Kanzlei. In gewissem Sinne trat er hiermit die Erbschaft seines Oheims an. Auch war sein erstes Geschäft der definitive und formelle Abschluß und die Vollziehung des von dem Oheim zu Stande gebrachten Abkommens mit dem gottorfischen Hause. Der Tractat von 1767 war wegen der Minderjährigkeit des Großfürsten Paul nur provisorisch gewesen. Inzwischen war der Großfürst 1772 volljährig geworden und hatte die Regierung des gottorfischen Antheils von Holstein übernommen. Jetzt betrieb B. mit dem größten Eifer die rasche Erledigung der großen Angelegenheit. Schon am 21. Mai (1. Juni n. St.) 1773 ward zu Zarsko-Selo der Definitiv-Tractat abgeschlossen, durch welchen der Großfürst im wesentlichen Alles genehmigte, was 1767 mit seiner Mutter als Vormünderin verabredet war. Es folgte darauf alsbald die wirkliche Uebertragung der ausgetauschten Gebiete. Am 16. Nov. 1773 ward zu Kiel der großfürstliche Antheil von Holstein dem königlichen Commissarius übergeben; am 10. Dec. erfolgte zu Oldenburg die Uebergabe von Oldenburg und Delmenhorst an den großfürstlichen Commissarius. Somit war der langjährige Streit, der für Dänemark mehrmals verhängißvoll zu werden drohte, endgültig und günstig erledigt.
In den nächsten Jahren kamen allerlei Reibungen mit England vor. Ohnehin war in Folge der Behandlung der Königin Karoline Mathilde das Verhältniß zu England ziemlich gespannt. Nun kam es zu Streitigkeiten über den Fischfang an den Küsten von Island und Grönland. In diesen Küstengewässern, soweit sie nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen unter dänischer Hoheit standen, nahm Dänemark das ausschließliche Recht des Fischfangs in Anspruch. Englische Schiffe handelten dem häufig zuwider und trieben zugleich einen verbotenen Schleichhandel mit den Einwohnern von Island und Grönland. Es kam soweit, daß 1776 ein englisches Schiff an der Küste von Grönland [490] durch einen dänischen Kreuzer aufgebracht, nach Kopenhagen geschickt und hier durch das Admiralitätsgericht condemnirt wurde. Als hiergegen der englische Gesandte energisch remonstrirte, vermittelte B., daß zwar das Schiff zurückgegeben, aber eine zugleich verlangte Entschädigung verweigert wurde. Eine andere Streitigkeit entstand über die Berechnung des Sundzolls. In Folge einer Veränderung des dänischen Münzsystems mußte eine Umrechnung des Tarifs stattfinden. Der englische Gesandte protestirte 1777 lebhaft gegen den neuen Tarif, in welchem er eine unberechtigte Erhöhung des Zolls erblickte, und der holländische und preußische Gesandte schlossen sich ihm an. B., der wol sehen mochte, daß er hier eine schwache Sache zu vertheidigen hatte, gab in der Hauptsache nach, und so wurde auch dieser Streitpunkt beigelegt.
Weit schwieriger und gereizter wurden die Verhältnisse in Folge der Verwickelungen, welche aus der Unabhängigkeitserklärung der nordamerikanischen Colonien entstanden, zumal seitdem 1778 Frankreich, dann auch Spanien und die Niederlande sich an dem Kriege gegen England betheiligten. B. war von vornherein fest entschlossen, für Dänemark die strengste Neutralität zu bewahren; jedoch eben so sehr war er bemüht, der dänischen Flagge alle Vortheile der Neutralität in Kriegszeiten zu sichern. Die Rechte der Neutralität aber wurden von den Kriegführenden, namentlich von England, nicht in dem Umfang anerkannt, wie sie von den Neutralen in Anspruch genommen wurden. Es handelt sich dabei um eine alte und auch jetzt noch nicht zu Ende geführte Streitfrage des Völkerrechts. England, dessen Weltstellung auf seinem Uebergewicht zur See beruht, hat ein Interesse daran, die Rechte der Neutralen möglichst einzuschränken. Je schroffer es sein Uebergewicht den kleineren Seemächten fühlbar machte, desto nothwendiger mußte eine Reaction eintreten. Es handelte sich hauptsächlich um die Frage, ob die neutrale Flagge auch das feindliche Gut, abgesehen von Kriegscontrebande, decke und wie weit der Begriff der Kriegscontrebande zu fassen sei, ferner um die Grenzen der Ausübung des Blokaderechts, wann eine Blokade effectiv sei und wann eine effective Blokade als von den Neutralen verletzt gelten müsse. B. vertheidigte mit Nachdrucke die Freiheit des Verkehrs der Neutralen, insofern dieselben sich nur jeder positiven Begünstigung eines kriegführenden Theiles enthielten. England dagegen befolgte den im Mittelalter allgemein herrschenden Grundsatz, daß feindliches Gut, wenn die Gegenpartei es entdeckt, auch auf neutralen Schiffen weggenommen und confiscirt werden darf. Diesem Grundsatze gemäß erließ es seine Kaperinstructionen und handhabte auch das Durchsuchungsrecht mit großer Schroffheit. Auch Frankreich und Spanien verletzten die Rechte der Neutralen, und zahlreiche neutrale Schiffe wurden aufgebracht und condemnirt. Im Anfang setzte B. diesen Gewaltthätigkeiten die ernstlichsten Vorstellungen entgegen. Die dänischen Gesandten in London, Paris und Madrid erhielten Befehl, die Beschwerden ihres Hofes mit Nachdruck und Wärme vorzutragen und insonderheit zu zeigen, wie sehr die kriegführenden Mächte durch ihr Verfahren ihrem eigenen Interesse zuwider handelten. Als aber dies erfolglos blieb und namentlich England immer rücksichtsloser verfuhr, faßte B. den Plan einer Vereinigung der nordischen Mächte zur gemeinsamen kräftigen Beschützung ihrer Schifffahrt. Dies ist der Ursprung der sogenannten bewaffneten Neutralität. Anfangs schienen Rußland und Schweden wenig geneigt, auf die Vorschläge Bernstorff’s einzugehen, und gaben ausweichende Antworten. Eine Zeitlang schien sogar Rußland sich mehr der englischen Auffassung anzuschließen, bis es 1780 dem Grafen Panin gelang, die Kaiserin Katharina für den Plan der bewaffneten Neutralität zu gewinnen. Am 28. Febr. 1780 erschien die merkwürdige Erklärung der Kaiserin über die Rechte der Neutralen, welche ganz den ursprünglichen Bernstorff’schen Ideen entsprach. Am 9. Juli [491] 1780 wurde zu Kopenhagen die zwischen Rußland und Dänemark abgeschlossene Convention wegen der bewaffneten Neutralität unterzeichnet. Bald trat auch Schweden derselben bei. Die Convention beruht auf dem Grundsatz, daß die neutrale Flagge auch die feindliche Ladung decke, sie beschränkt den Begriff Contrebande auf bestimmte Grenzen und erkennt nur dann eine Blokade als effectiv an, wenn kein Schiff in den Hafen einlaufen kann, ohne sich einer evidenten Gefahr von Seiten der blokirenden Schiffe auszusetzen. Zur Aufrechterhaltung dieser Grundsätze verpflichteten sich die drei Mächte, sich gegenseitig zu unterstützen. Die heilsamen Folgen dieser Convention zeigten sich bald. Namentlich England befolgte von da an in der Behandlung der Neutralen eine weit weniger schroffe Praxis.
Dieser große Erfolg der „bewaffneten Neutralität“ bildet zugleich den Abschluß der zweiten Periode in der staatsmännischen Thätigkeit Bernstorff’s. Er mochte sich nicht auf die auswärtigen Angelegenheiten beschränken. Als Präsident der deutschen Kanzlei und als Mitglied des Staatsraths nahm er auch einen leitenden Einfluß auf den Gang der inneren Verwaltung in Anspruch. Hier aber stieß er auf hartnäckigen Widerstand Guldberg’s, der bei der Königin Juliane Marie den größten Einfluß hatte. Während B. die Aufhebung der Leibeigenschaft als die Aufgabe seines Lebens betrachtete, stellte sich Guldberg entschieden feindselig gegen diese Reform. Endlich konnte B. es nicht mehr verhindern, daß die von ihm betriebene Befreiung des Bauernstandes sogar Rückschritte machte. Auch nach einer andern, vielleicht noch bedeutenderen Seite hin entwickelte sich zwischen ihm und Guldberg ein immer mehr sich verschärfender Gegensatz. B. bezeichnete es als Princip seiner Politik, daß die Monarchie nur so lange Glück und Frieden genießen werde, als ihre drei Bestandtheile, Dänemark, Norwegen und die deutschen Herzogthümer, von einander ferngehalten, und jeder Theil seiner Eigenthümlichkeit nach regiert werde. In dem Guldberg’schen Ministerium dagegen zeigten sich die ersten Spuren der später für den Bestand der dänischen Monarchie so verderblich gewordenen Tendenz, die rechtlichen Grundlagen der Selbständigkeit der Herzogthümer zu untergraben und zugleich diesen deutschen Landen dänische Sprache und Bildung aufzudrängen. Als B. solche Tendenzen nicht mehr erfolgreich zurückweisen konnte, so gebot ihm die Selbstachtung, nicht länger auf seinem Posten zu bleiben; im Nov. 1780 nahm er seinen Abschied und zog sich nach Mecklenburg ins Privatleben zurück.
Beinahe vier Jahre lang hatte er keinen Antheil an der Leitung der Staatsgeschäfte. Im J. 1784 wurde des Königs Sohn, der 1768 geborne Kronprinz Friedrich, nachmals König Friedrich VI., volljährig und trat in den Staatsrath ein. Nach einem sorgfältig vorbereiteten, auch von B. gebilligten Plan brachte der Kronprinz an demselben Tage, an welchem er zum ersten Male im Staatsrath erschien, eine vollständige Staatsumwälzung hervor. Das Guldberg’sche Ministerium wurde gesprengt, der Einfluß der alten Königin Juliane Marie auf den geistesschwachen König ward beseitigt, und der Kronprinz war als Regent von nun an der Inhaber der vollen königlichen Machtvollkommenheit. Sein erstes Geschäft war, B. zurückzurufen, und am 4. Mai übernahm dieser wieder das Ministerium des Auswärtigen und das Präsidium der deutschen Kanzlei, eine Stellung, in welcher er jetzt ununterbrochen bis an seinen Tod blieb. Diese letzte Periode ist zugleich die glänzendste und erfolgreichste seiner Wirksamkeit. Jetzt war er unbestritten der angesehenste Staatsmann in Dänemark, er genoß die allgemeine Hochachtung und Verehrung und, was die Hauptsache war, der Kronprinz schenkte ihm ein nie erschüttertes fast kindliches Vertrauen.
Jetzt kontne er auch seine Kraft den lange von ihm erstrebten inneren Reformen [492] zuwenden. Vor allen Dingen betrieb er mit Nachdruck die so oft vertagte Emancipation des Bauernstandes. Der Kronprinz interessierte sich persönlich dafür, außerdem waren die thätigsten Beförderer der Reform der damalige Präsident der Rentekammer Graf Christian Reventlow und der Generalprocurator Colbjörnsen. Im Sommer 1786 ward eine aus sechzehn Mitgliedern, theils Beamten, theils Gutsbesitzern bestehende Commission ernannt, welche untersuchen und Vorschläge machen sollte, wie die Lage der Frohnbauern sich verbessern lasse, ohne die Rechte der Gutsbesitzer zu kränken. Die erste Frucht dieser Commissionsverhandlungen war eine Verordnung vom 8. Juni 1787, durch welche die beim An- und Abtritt einer Festehufe für den Bauer und den Gutsherren geltenden Gerechtsamen und Pflichten besser und genauer regulirt wurden. Es folgten Verordnungen, durch welche der Korn- und Viehhandel freigegeben wurde, während bis dahin die Korneinfuhr in Dänemark verboten und die Ochsenmast nur den Gutsbesitzern, nicht den Bauern erlaubt war. Schon am 20. Juni 1788 erschien die wichtige Verordnung, durch welche das Schollband der Frohnbauern, die glebae adscriptio, aufgehoben wurde. Die Verordnung bestimmte, daß alle bisher an die Gutsscholle gebundenden Frohnbauern, welche über 36 Jahre oder unter 14 Jahre alt seien, sogleich frei sein sollten; diejenigen, welche zwischen 14 und 36 Jahre alt waren, sollten am 1. Jan 1800 frei werden. Hiermit war der entscheidende Schritt gethan und der Grund gelegt, auf welchem in Dänemark ein gesunder Bauernstand sich entwickeln konnte. Zum Andenken an diese Gesetzgebung wurde das Monument errichtet, welches in Kopenhagen unmittelbar vor dem Westerthor steht.
Etwas langsamer ging es mit der Aufhebung der Leibeigenschaft in Schleswig-Holstein. Die Ritterschaft setzte hier dem reformatorischen Streben einen zähen Widerstand entgegen. Indeß B. benutzte seine Reisen nach Holstein und seinen Aufenthalt auf dortigen Gütern beim Besuch von Standesgenossen, um die Sache in Anregung zu bringen. Er besaß in hohem Grade die Gabe der persönlichen Ueberredung; dazu kam das Gewicht seiner Stellung. Er betrieb übrigens nur die allgemeine Ertheilung der persönlichen Freiheit an die Gutsuntergehörigen, weil er voraussah, daß die Frage wegen allgemeiner Ertheilung von Eigenthumsrechten an den bäuerlichen Ländereien, wenn damals aufgeworfen, jeden Versuch zu einer gütlichen Vereinbarung abgeschnitten haben würde. Nach längeren Vorverhandlungen in den Jahren 1794 und 1795 kam es endlich dahin, daß im Januar 1796 eine ritterschaftliche Commission mit Zuziehung von Vertretern der nichtritterschaftlichen Gutsbesitzer zur Bearbeitung der Angelegenheit eingesetzt wurde. Nach ausführlicher Erörterung der Gründe, die für und gegen die Sache sprachen, erklärte die Commission sich mit großer Majorität für Aufhebung der Leibeigenschaft. Die Gutsbesitzer der Herzogthümer traten fast ohne Ausnahme den Vorschlägen der Commission bei, und am 11. März 1797 reichte die Commission eine für die Emancipation des Bauernstandes sprechende Vorstellung als das Ergebniß ihrer Berathungen bei dem König ein. B. hatte noch die Freude, dieses Resultat seiner langjährigen Bemühungen zu erleben. Thatsächlich war damit die Aufhebung der Leibeigenschaft auch für Schleswig-Holstein gesichert; die gesetzliche Sanction derselben erfolgte erst nach seinem Tode durch die Verordnung vom 19. Dec. 1804.
Auch nach zahlreichen anderen Seiten hin machte sich seine reformatorische Thätigkeit geltend. Er war ein entschiedener Freund der Preßfreiheit und führte den thatsächlichen Beweis, daß die Aufhebung der Censur mit einem geordneten Staatsleben wohl verträglich ist. Freilich hielt er zugleich strenge darauf, daß von der Preßfreiheit nur ein sehr bescheidener Gebrauch gemacht werden. Als 1793 der Professor Cramer in Kiel einen Aufsatz drucken ließ, in dem von dem [493] menschenfreundlichen Geiste des Girondisten Petion die Rede war, wurde er durch königliche Resolution aus seinem Lehramte entlassen. - Die finanziellen Maßnahmen Bernstorff’s waren vielleicht weniger glücklich. Es scheint, daß er sich hier zu sehr von dem Finanzminister Graf Schimmelmann leiten ließ. - Ein schöner Beweis seiner humanen Gesinnungen war das 1792 erschienene Verbot des afrikanischen Sklavenhandels, ein Schritt, mit welchem Dänemark allen anderen europäischen Nationen, selbst England, vorausging.
In der auswärtigen Politik hielt B. auch während der Stürme, die in der letzten Zeit seines Lebens die Ruhe Europa’s erschütterten, an dem Streben fest, für Dänemark die Segnungen des Friedens zu erhalten. Auf kurze Zeit wurde freilich im J. 1788 das friedliche Verhältniß zu Schweden gestört. König Gustav III. glaubte diesen Zeitpunkt, da eben zwischen Rußland und der Türkei ein Krieg ausgebrochen war, als eine günstige Gelegenheit zu einem Angriff auf Rußland benutzen zu sollen. In einem solchen Falle war Dänemark in Folge seiner mit Rußland 1756 und 1773 geschlossenen Defensiv-Allianz verpflichtet, die tractatmäßige Hülfe zu leisten. Vergeblich hatte B. Alles versucht, den König von Schweden zu einer friedlicheren Politik zu bewegen, vergeblich hatte er die Vermittelung Dänemarks angeboten. Als von schwedischer Seite die Feindseligkeiten gegen Rußland eröffnet wurden, war B. nicht zweifelhaft, daß Dänemark seine Verpflichtungen gegen Rußland erfüllen müsse. Ein dänisches Armeecorps unter Prinz Karl von Hessen rückte im September 1788 von Norwegen aus in Schweden ein; schon Anfangs October stand es vor Gothenburg und drohte diesen wichtigen Platz zu nehmen. In diesem Augenblicke boten England und Preußen ihre Vermittelung an, sie drohten sogar mit einem Angriff auf Holstein, falls Dänemark ihre Vorschläge und den Abschluß eines Waffenstillstandes ablehnen sollte. B. war nun in die schwierige Alternative gestellt, entweder seine Verpflichtungen gegen Rußland nicht zu erfüllen, oder Dänemark in einen Krieg mit England und Preußen zu verwickeln. Er nahm zunächst den Waffenstillstand mit Schweden an, inzwischen gelang es ihm, die Kaiserin Katharina davon zu überzeugen, daß für Rußland die dänische Hülfe unter diesen Umständen nicht einmal wünschenswerth sei, weil sie die feindliche Einmischung Englands und Preußens zur Folge haben mußte. Rußland willigte also selbst ein, daß Dänemark während des Krieges mit Schweden neutral bleibe.
Auch während des allgemeinen Krieges, der von 1792 an gegen das revolutionäre Frankreich geführt wurde, suchte B. für Dänemark den Frieden und alle Vortheile einer neutralen Stellung zu bewahren. Wie schwierig auch die Verhältnisse zuweilen waren, so gelang es ihm doch vollkommen. Schon früh ward Dänemark von den coalirten Mächten zu Verbindungen gegen Frankreich eingeladen. Aber B. erklärte von Anfang an, Dänemark wolle auf keine Weise die Unruhen anderer Reiche zu seinem Vortheile benutzen, und er werde nur dann sich auf ein Bündniß einlassen, wenn die Verbündeten zur Grundlage desselben das gegenseitige heilige Versprechen machen würden, sich nur zu gemeinsamer Sicherheit und zur Herstellung der Ruhe des erschütterten Europa, keineswegs aber zur Erreichung geheimer eigennütziger Absichten zu vereinigen. Zu gleicher Zeit freilich erklärte er sich bereit, für Holstein die Verpflichtungen zu erfüllen, welche die Reichsverfassung ihm auferlegte. So wurde er in die kaum haltbare Stellung gedrängt, daß sein Souverain als Herzog von Holstein am Kriege gegen Frankreich Theil nahm, während er zugleich als König von Dänemark die Stellung eines Neutralen beanspruchte. Als 1793 auch England sich activ an dem Krieg gegen Frankreich betheiligte, brach der alte Streit über die Rechte der neutralen Flagge mit erneuter Heftigkeit aus. England gab seinen Kapern [494] Instructionen, welche den Grundsätzen des Völkerrechts und selbst seinen ausdrücklichen Verträgen mit Dänemark zuwiderliefen. B. begegnete den englischen Anmaßungen mit einer Würde und Entschlossenheit, welche selbst in England Eindruck machte und Anerkennung fand. Namentlich hat eine an das englische Ministerium gerichtete Denkschrift vom 28. Juli 1793 eine weit über den damaligen Streit hinausreichende Bedeutung und wird stets als eine meisterhafte Entwickelung der Rechte der Neutralität anerkannt werden. Dänemark blieb neutral; am 27. März 1794 erneuerte es den Vertrag mit Schweden wegen der bewaffneten Neutralität, und während ganz Europa von Kriegsstürmen erschüttert war, erfreute Dänemark sich einer außerordentlichen Blüthe der Schifffahrt und des Handels. Kein Wunder, daß B. in den letzten Jahrens seines Lebens die allgemeinste Hochachtung und Verehrung genoß. - Im J. 1795 wurde Dänemark vom österreichischen Hofe aufgefordert, den Versuch einer Vermittelung mit der französischen Republik zu machen. B. entsprach diesem Verlangen, aber erfolglos. Der französische Wohlfahrtsausschuß lehnte die Vorschläge ab, wie vorsichtig sie auch gefaßt waren. Kurze Zeit vor seinem Tode erhielt B. die Nachricht vom Abschluß der Präliminarien von Leoben. Er hoffte, daß nunmehr der Friede gesichert, die Gefahr für Dänemark beseitigt sei. Die Enttäuschung sollte er nicht mehr erleben. Im Mai 1797 ward er von der Krankheit befallen, die am 21. Juni mit seinem Tode endigte. Er starb tief bedauert sowol in den deutschen wie in den dänischen Theilen der Monarchie. Als seine Leiche beigesetzt wurde, folgte der Kronprinz dem Sarg zu Fuß mit zwei Gräfinnen Stolberg, Schwestern der in der deutschen Litteratur bekannten Grafen Christian und Friedrich Leopold Stolberg. Er hinterließ sieben Söhne und drei Töchter. Er ist der Stifter der noch jetzt in zahlreichen Gliedern blühenden jüngeren oder Wotersen’schen Hauptlinie des Bernstorff’schen Hauses, während die ältere oder Gartow’sche Hauptlinie von seinem älteren Bruder Joachim Bechtold stammt.
- Egger’s Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Grafen A. P. Bernstorff. Kopenhagen 1800. - Nyerup, Bernstorffs Eftermaele. Kjöbenhaven 1799. 2 Thle. - Nyerup, A. P. Bernstorff’s Levnetsbeskrivelse. Kjöbenh. 1812. - Giessing, Kong Frederik den Sjettes Regjeringshistorie. Förste Bind. Kjöbenh. 1850 - Hanssen, Die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Umgestaltung der gutsherrlich-bäuerlihen Verhältnisse in Schleswig und Holstein. Petersburg 1861.