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ADB:Bruns, Karl Georg

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Artikel „Bruns, Karl Georg“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 306–312, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bruns,_Karl_Georg&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:13 Uhr UTC)
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Bruns: Karl Georg B., Jurist, namentlich hervorragender Rechtshistoriker und Civilist, ist geboren am 24. Februar 1816 zu Helmstedt, wo der Großvater Paul Jakob als Orientalist Universitätsprofessor gewesen war, während die Familie ursprünglich aus Holstein stammt. Der Vater, Dr. Johann Georg Theodor B., war praktischer Jurist von anerkannter Tüchtigkeit, die er ebenso wie Begabung und Begeisterung für die Kunst und nachdrückliche häusliche Pflege der Musik auf diesen Sohn vererbt hat. Letzterer, in glücklichstem und erzieherisch wohlthätigem Familienleben aufgewachsen, überwand mit spielender Leichtigkeit die Aufgaben der Schule und des Gymnasiums, wobei er sich bereits gründliche Elemente der römischen wie namentlich der griechischen Bildung aneignete, die er später stets mit Vorliebe gepflegt hat. Er wurde in diesen Fortschritten auch nicht gestört durch den mehrfachen Wechsel des Wohnorts, obschon er mit dem Vater in dessen richterlicher Laufbahn nach Wolfenbüttel und von dort wieder nach Braunschweig verzog. Vielmehr ergab sich aus der Versetzung in letztere Stadt die Gelegenheit, nach absolvirtem Gymnasium noch (Ostern 1834–35) die dortige Akademie zu beziehen, und da mancherlei allgemein förderliche Kenntnisse, namentlich neuere Sprachen, sich anzueignen, bevor B. zum Beginn seiner juristischen Studien die Universität Göttingen aufsuchte. In diesem seinem ersten Studienjahre bereits hatte er (1835) den Verlust des Vaters zu beklagen, während ihm die Mutter, Friedrike geb. Köppen, noch weit früher, schon 1822, durch den Tod geraubt war; doch war an Stelle dieser, voll und in jeder Beziehung, des Vaters zweite Frau Sophie geb. Hencke getreten und namentlich mit deren Bruder, also seinem Stiefoheim, dem bekannten Marburger Kirchenhistoriker E. L. Th. Henke verband dann B. zeitlebens innigste Freundschaft.

In Göttingen fand der junge Student der Rechte, den Hugo’s greisenhaftes Wesen stark abgestoßen zu haben scheint, Gefallen nur an den Lehrvorträgen von Mühlenbruch. Ebensowenig scheint es ihm in Heidelberg behagt zu haben, wohin er 1836 sich begab; erst in Tübingen, wo ihm verwandtschaftliche Beziehungen mit H. E. Schrader zu statten kamen, fand er den Boden, auf dem er festen Fuß fassen und der weiteren Entwicklung entgegenreifen sollte. Nachdem er dort drei Semester, Herbst 1836 bis Ostern 1838 studirt, auch schon durch seine gelehrte Studie „Ueber den Nutzen der sog. Vatikanischen Fragmente für die Wissenschaft des Römischen Rechts“ (lateinisch in den [307] Buchhandel gegeben erst 1842) einen akademischen Preis davongetragen hatte, promovirte er ebendort am 10. Mai 1838. – Zwar schien es nun zunächst, als könne er seiner bereits ebenso deutlich empfundenen wie als berechtigt erwiesenen Neigung zur Theorie nicht folgen. Er begab sich nach Braunschweig zurück und bestand dort im Frühjahr 1839 aufs glänzendste die Advocatenprüfung. Dann aber überwog doch der Drang des inneren Berufes, zu dem sich fördernd Henke’s wohlerwogener Rath gesellte. B. wandte sich zunächst, noch im Herbst desselben Jahres, nach Berlin, um sich dort tiefer in die Hegel’sche Philosophie zu versenken, in deren Bannkreis er damals vollständig stand. Dann, zu Beginn des Wintersemesters 1839/40, kehrte er nach Tübingen zurück, wo er Ostern 1840 als Privatdocent mit der Vorlesung über Institutionen anfing. Seine Erfolge in der so betretenen Laufbahn sind dann, entsprechend seiner glänzenden Wirksamkeit als Lehrer wie als Schriftsteller, die bedeutendsten und raschesten gewesen. Er wurde in Tübingen selbst 1844 zum außerordentlichen Professor befördert, 1849 als ordentlicher Professor nach Rostock berufen, von dort 1851 nach Halle gezogen, 1859 aber für Tübingen wiedergewonnen. Indessen war dieses Mal seines Bleibens da nur für zwei Jahre. Denn 1861 kam dann der entscheidende Ruf nach Berlin, wo nun B. die dauernde Stätte seiner Wirksamkeit gefunden hat, bis zu dem ihn jäh und unerwartet, in voller, rüstiger Frische hinwegraffenden, von allen Seiten als herber Verlust für die deutsche Rechtswissenschaft beklagten Tode, der am 10. December 1880 eintrat.

Zu einer solchen Berliner Thätigkeit war B. besonders geeignet infolge der central vermittelnden und nach allen Seiten hin anregenden Stellung, welche er als Gelehrter wie als Mensch einnahm. Tiefer Kenner der Rechtsgeschichte und zugleich mit Verständniß für das praktische Rechtsleben ausgerüstet, im Besitze gründlichster civilistischer Schulung und einer humanistischen Bildung, welche ihm die Aneignung streng philologischen Rüstzeuges erleichterte, zugleich Freund der schönen Künste, der Natur und der Menschen, gewandt sich süddeutschem Wesen zu nähern und doch Norddeutscher von Geburt und Natur, gern gesehen in Italien, wohin es ihn alljährlich zu Ferien- und Studienreisen unwiderstehlich zog – so führen die Schilderungen seiner Freunde und Verwandten ihn uns vor als einen Mann von unendlich gewinnendem, harmonisch in sich gereiftem Wesen, der seiner lauteren Gesinnung bei stillen, schlichten Formen gar wohlthuenden Ausdruck zu geben vermochte, sei es nun im Kreise der Familie (begründet bereits 1841 durch Heirath mit Charlotte Gmelin zu Tübingen), sei es in dem der Freunde (namentlich in der Gesellschaft ‚Graeca‘, der er mit Vorliebe sich anschloß), sei es schließlich auch in den vielfach wechselnden Berührungen mit Schülern und Collegen. So hat er in dem großen Jahre 1870/71 das Rectorat der Berliner Universität bekleidet und ist dieser großen Aufgabe namentlich auch durch mehrere akademische Reden würdig, ohne Ueberschwang gerecht geworden. So war er ferner besonders geeignet, die Redaction einer fachwissenschaftlichen Zeitschrift zu führen, der „Zeitschrift für Rechtsgeschichte“, die er 1861 (mit Rudorff, Roth, Merkel und Böhlau, Hugo), gewissermaßen als Fortsetzung der 1850 eingegangenen Savigny’schen „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“ gründete und eben noch (1880) zur „Zeitschrift der Savigny-Stiftung“ umgewandelt, aber dadurch wol auch dauernd, gegenüber der Ungunst der Zeit und den daraus sich ergebenden buchhändlerischen Schwierigkeiten, gesichert sehen durfte. Besonders aber traten diese seine Eigenschaften in helles Licht, seitdem er, seit 1875 nämlich, der Berliner Akademie der Wissenschaften angehörte und dadurch zur Anregung und Förderung größerer Unternehmungen [308] sich berufen sah. In diesem Zusammenhang entstand nicht allein das Syrisch-römische Rechtsbuch, auf welches zurückzukommen sein wird, sondern auch die mächtige Veröffentlichung der Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, welche freilich erst Berlin 1887, besorgt von dem Deutschen Ernst Friedlaender und dem Italiener Carlo Malagola, mit Unterstützung der Savigny-Stiftung zur Jubelfeier Bolognas erschienen ist, in die Wege aber bereits Ende 1880 geleitet wurde unter wesentlicher Mitwirkung von B.; dessen letzte Bemühungen, noch am Vorabende seines Todes, haben diesem Unternehmen gegolten.

Bruns’ Schriften lassen sich, im wesentlichen, in drei Gruppen zerlegen.

Zunächst diejenigen Arbeiten, welche auf dogmenhistorischem Wege, durch die dunklen Wirren der mittelalterlichen und neuzeitlichen Praxis hindurch, schwierigen Materien beizukommen wissen. Hierher gehören wol die nach Methode wie nach Ergebnissen bedeutendsten Werke unseres Autors, vor allem sein erstes größeres Buch, das wol auch sein bestes geblieben ist, „Das Recht des Besitzes im Mittelalter und in der Gegenwart“ (Tübingen 1848). Es geht natürlich aus vom Römischen Recht, wobei es die von Savigny recht stiefmütterlich behandelte Lehre von dem Schutze des Besitzes durch Condictionen zu ihrem Rechte bringt. Es liefert sodann das, was wol mit Recht als „zweiter Band zu Savigny’s Besitz“ bezeichnet worden ist, eine eingehende, alle Unklarheiten entwirrende, alle Mißverständnisse in ihrem Ursprung aufklärende und in ihrer geschichtlichen Bedeutung würdigende Betrachtung über die Geschicke des Besitzes im kanonischen Rechte, in der mittelalterlich-italienischen und in der gemeinrechtlich-deutschen Praxis und Theorie, abschließend mit der Erörterung dessen, was die neueren Gesetzbücher für diese Materie geleistet haben. Diese rechts- und dogmengeschichtlichen Abschnitte bilden entschieden, wie den weitaus umfassendsten, so den verdienstlichsten Theil des Werkes, namentlich durch den Zusammenhang und die Klarheit der Entwicklung. Endlich läuft dann das Ganze aus in eine „Philosophie des Besitzrechts“, der man heute freilich nur geringen Geschmack wird abgewinnen können, namentlich in ihrer philosophirenden Einkleidung von Betrachtungen, die sich hier als ganz unabhängig von allen vorhergehenden geschichtlichen Ergebnissen darstellen; erst wenn man erkennt, daß jene thatsächlich denn doch vielfach auf der Verwerthung dieser beruhen, wird man zu einer gewissen Würdigung dieses Capitels gelangen. Weiter hat B. seine Anschauungen über das Recht des Besitzes später noch zwei Male entwickelt, mit weniger Philosophie und mehr Klarheit, im Grunde aber stets auf demselben Standpunkte verharrend, hauptsächlich zur Abwehr, um zwei Versuche zur vollständigen Umdeutung des römischen Begriffes vom Besitze zurückzuweisen: gegen Delbrück und dessen germanistische Betonung des älteren Besitzes in der Abhandlung von 1860 „Der ältere Besitz und das possessorium ordinarium“ (Bekker und Muther, Jahrbücher des gem. D. Rechts 4, 1 fg.); gegen Ihering und dessen Herleitung des Besitzschutzes aus dem Eigenthumsschutze in der Schrift über „Die Besitzklagen des römischen und heutigen Rechtes“ (Weimar 1874). Zu diesen Entgegnungen war B. besonders dadurch in glücklicher Lage, daß er darauf hinweisen konnte, wie er selbst in seinem ersten Besitz-Werke die berechtigten Keime zu den übertreibenden Entwicklungen seiner Gegner dogmenhistorisch dargethan hatte.

Eine andere Materie, welche B. nach derselben dogmenhistorischen Methode behandelt hat, ist „Die Verschollenheit“ (Aufsatz in Bekker und Muther’s genanntem Jahrbuche 1, 90 fg., von 1857). Da diese Lehre im gemeinen Rechte gar nicht auf gesetzlicher, sondern wesentlich nur auf gewohnheitsrechtlicher [309] Grundlage beruht, da hier ferner B. nicht mehr philosophirt, sondern sein geschichtliches Verfahren rein durchführt, so hat sich diese Arbeit als besonders förderliche und erfreuliche Leistung bewährt. Insofern übertrifft sie selbst die besitzrechtlichen Studien, welchen freilich das überwiegende civilistische Interesse und das weit höhere Maaß der zu überwindenden Schwierigkeiten den ersten Rang trotzdem sichert.

Als zweite Gruppe der Schriften von B. betrachten wir die rein dogmatischen. – Zunächst an Monographien den grundlegenden, Bähr’sche Uebertreibungen zurückweisenden Artikel über das constitutum debiti (i. d. Zeitschr. f. Rechtsgeschichte 1, 28 fg., von 1861); und die eingehende, durch einen praktischen Fall veranlaßte Untersuchung des Begriffes der bona fide („Das Wesen der bona fides bei der Ersitzung“, Berlin 1872, vgl. auch die Abhandlung „Zur Lehre von der bona fides bei der Verjährung“ im Archiv f. d. civilistische Praxis 57, 275 fg.). Wenn in dieser Untersuchung B. sich hauptsächlich bemüht, gegen Wächter’s rein subjective Auffassung ein etwas objectiv-positiveres Element für den Begriff des „guten Glaubens“ zu gewinnen, so ist er auf diesem Wege sicherlich, abgesehen von der zweifelhafteren Berechtigung im gegebenen Falle und gegenüber den gemeinrechtlichen Quellen, der neuesten Gesetzgebung in der Erkenntniß der für die Sicherheit des Verkehrs wünschenswerthen Ausgestaltung entgegengekommen. – Sodann aber gehört hierher die umfassende Darstellung, in welcher B. in v. Holtzendorff’s Encyklopädie der Rechtswissenschaft (1870, 3. Aufl. 1877) „Das heutige Römische Recht“ behandelt. Die Kürze und Klarheit, die elegante Form und der gediegene Inhalt dieses Ueberblicks über das Pandektenrecht sind von vornherein allgemein anerkannt worden und so erfreut sich dieses Werk auch heute noch vielfacher Bewunderung. Des Verfassers besondere Gabe für künstlerisch abgerundete und übersichtliche, gemeinfaßliche Gestaltung eines reichen von ihm meisterhaft beherrschten Stoffes kommt ihm da besonders zu statten. Es gelingt ihm, bei aller Knappheit die theoretischen Grundzüge im Zusammenhange unter sich und mit der praktischen Wirkung vorzuführen. Leider ist ein „Lehrbuch des Pandektenrechts“, welches B. nicht lange vor seinem Tode in Angriff genommen hatte, als dieser eintrat so wenig gefördert gewesen, daß aus des Verfassers Nachlaß nur zwei ganz kleine Stücke davon (in der Sammlung seiner „Kleineren Schriften“, Weimar 1882, 2, 452 fg.) veröffentlicht werden konnten.

Zur dritten Gruppe endlich schließen sich zusammen die Beiträge von B. zur antiken Rechtsgeschichte; mit einem solchen Beitrage beginnt ja schon die Reihe seiner Schriften in der bereits angeführten Tübinger Preisarbeit; die Neigung dazu tritt aber weit stärker hervor, seitdem B. die Berliner Professur bekleidet; und besonders handelt es sich von da ab bei den Werken dieser Gruppe um immer schärfere Ausprägung der streng philologischen Methode, obschon er sich diese dazu selbst erst neu, in bereits vorgeschrittenem Alter, aneignen mußte. Den Uebergang vermitteln gewissermaßen die stetig einander folgenden Ausgaben seiner „Fontes juris Romani antiqui“ (zuerst 1860, 4. Aufl. 1879), indem da nämlich diese zunächst nur geschickt zur Bequemlichkeit für den akademischen Gebrauch zusammengestellte, diesem Umstande wol auch ihre allgemeine akademische Benutzung verdankende Sammlung von Auflage zu Auflage strenger philologische Gestalt annimmt, sodaß nach des Verfassers Tode die 5. Auflage (1887) von Mommsen, wennschon unter abermals und dieses Mal weit energischer eingreifender Umgestaltung nach der angegebenen Seite hin, besorgt werden konnte. – Die Aufsätze von B., welche dieser Richtung angehören, sind im wesentlichen folgende: „Die Römischen Popularklagen“, [310] in d. Zeitschr. f. Rechtsgeschichte 3, 341 fg., von 1864; „Zur Geschichte der Cession“, in Symbola für Bethmann-Hollweg, 1868; „Die Unterschriften in den Römischen Rechtsurkunden“, Festschrift, und „Die Erztafeln von Osuna“, in d. Zeitschr. f. Rechtsgeschichte 12, 82 fg. 172 fg., beide von 1876; „Die sieben Zeugen des Römischen Rechts“ (Commentationes in honorem Theodori Mommseni) 1877; und „Die Testamente der griechischen Philosophen“, in d. Zeitschr. d. Savigny-Stiftung, Romanistische Abtheilung, 1, 1 fg., von 1880. – Außerdem ist hierher zu stellen der Abschnitt „Geschichte und Quellen des Römischen Rechts“ in v. Holtzendorff’s genannter Encyklopädie; und des Verfassers letztes großes Werk, seine Mitarbeit an der Ausgabe des „Syrisch-römischen Rechtsbuches aus dem fünften Jahrhundert“, Berlin 1880, deren Abschluß zu erleben ihm eben noch gegönnt war.

Dieses Rechtsbuch zu veröffentlichen hatten sich schon früher, unter der Aegide der Berliner Akademie, Gelehrte verschiedener Fächer verbunden, der Jurist Rudorff mit den Orientalisten Rödiger und Petermann; alle drei waren im Laufe der Jahre 1873–1876 durch den Tod abberufen worden. Nun fand das Werk seine Erledigung, indem B. sich dazu den Orientalisten Sachau gesellte und indem es den vereinten Kräften dieser beiden gelang, verhältnißmäßig rasch zu Ende zu kommen. Namentlich haben sie beide, in fortwährendem Zusammenwirken hier untrennbar verbunden, die deutsche Uebersetzung geliefert; außerdem rührt von B. allein her – während natürlich Textfeststellung und philologische Betrachtungen ausschließlich Sachau’s Arbeit sind – eine juristische Bearbeitung in zwei Abschnitten „Erklärung der einzelnen Paragraphen des Rechtsbuches“ und „Allgemeine juristische Beurtheilung des Rechtsbuches“, letztere handelnd über Quellen, Entstehung und wissenschaftliche Bedeutung. Diese in ihrer ganzen Tragweite ergibt sich jedoch bereits aus dem Commentar zu den einzelnen Paragraphen; ist doch in diesem B. mit größter Sicherheit und Klarheit der Aufgabe gerecht geworden, welche er sich selbst dafür gesetzt hatte und die er dahin kennzeichnet, daß es ihm hauptsächlich darauf ankam, „bei jedem Paragraphen genau festzustellen, ob und woher sein Inhalt uns bereits bekannt sei, oder ob und in welchem Umfange neue Aufschlüsse aus ihm gewonnen werden könnten“. Thatsächlich hat sich da mancherlei Gewinn von unmittelbarer Verwerthbarkeit ergeben; daß der mittelbare Gewinn für unsere gesammten Vorstellungen von Recht und Rechtsleben in den Römischen Provinzen des Kaiserreichs ein noch weit höherer ist, kann hier nur eben angedeutet werden; ein Werk wie das von Mitteis über Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des Römischen Reichs (Leipzig 1891) wäre ohne diese wissenschaftliche Großthat von B. und Sachau einfach unmöglich gewesen.

Außerhalb dieser drei Gruppen steht nur Eine Schrift von B., sein Gutachten von 1878 über die Frage: „ob und inwieweit die Testirfreiheit mit Rücksicht auf die Pflichttheilsberechtigung eingeschränkt werden soll?“ (Verhandlungen des XIV. Deutschen Juristentages 1, 72 fg. und etwas verändert in der Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 2, 161 fg.). Wenn B. dieses Gutachten nicht nur mit Gründlichkeit, sondern auch mit besonderer Liebe zur Sache und mit besonderem Verständnisse für den Beruf der Gesetzgebung erstattet hat, so erklärt sich dies aus derselben Gesinnung, welche als die seinige er schon zu Beginn seiner Laufbahn oft und laut verkündet hat. In einem besonderen Aufsatze („Ueber Gegenwart und Zukunft unseres Privatrechts“, Jahrbücher der Gegenwart, 1843, Nr. 33–36) wie zu Beginn der Vorrede in seinem „Recht des Besitzes“ bekennt er sich als entschlossener [311] Anhänger der Codification und hat deshalb den Anfängen des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches freudige Zuneigung entgegengebracht.

Wir gelangen damit zur Kennzeichnung von Bruns’ allgemeiner Stellungnahme in den juristischen Zeit- und Streitfragen seiner Tage. Er hat da nie einer bestimmten Richtung oder einer geschlossenen Schule angehört; über die verschiedenen Einflüsse aber, die sich bei ihm geltend gemacht haben, bemerkt er gelegentlich selbst in treffender Weise, Schrader habe ihm die Neigung zu genaueren historischen Forschungen eingeflößt, Wächter habe seinem Streben eine praktische Richtung gegeben, Hegel dagegen ihm die Nothwendigkeit einer philosophischen Begründung des Ganzen zum Bewußtsein gebracht. – Von diesen verschiedenen Factoren ist offenbar die Wirkung Hegel’s am raschesten, soweit sie sich in formaler Gebundenheit an die Philosophie dieses Denkers äußerte, überwunden worden. Diese Gebundenheit verunziert das „Recht des Besitzes“ in seinem philosophischen Schlußcapitel; sie soll in Bruns’ ersten Pandektenvorlesungen so stark geherrscht haben, daß sein eigener Schwager zu Heidelberg die gesprächsweise an ihn gerichtete Frage Vangerow’s, ob es wahr sei, daß sie in Tübingen einen Privatdocenten hätten, der die Pandekten nach Hegel lese, nur bejahen konnte; – dann aber hat sie sich allmählich gelöst und geblieben ist nur eine, wol auch in des Mannes ganzer Anlage ohnehin begründete Neigung zu gelegentlichen rechtsphilosophischen Betrachtungen nebst Anklängen an die Hegel’sche Terminologie – Dinge, die sich selbst noch in den posthumen Pandektenfragmenten bemerklich machen. – Weit stärker tritt die praktische Seite der Begabung, die durch Wächter Nahrung erhalten hat, bei B. hervor; sie ist es, die ihn bestimmt hat, sich auf die Seite der „Codifikanten“, wie er es heißt, zu schlagen, sie kommt namentlich seinen dogmatisch-civilistischen Schriften zu statten, auch da, wo er gegen Wächter selbst auftritt, sie durchzieht überhaupt als stets wahrnehmbare und stets förderliche Ader seine ganze Lebensthätigkeit. – Und doch: Vorherrschend darin ist das historische Element, der Sinn für Rechtsgeschichte und Rechtsentwicklung, mag es sich nun handeln um die dogmenhistorischen Forschungen des früheren Lebensalters oder um die mehr philologische Richtung der Berliner Epoche, für welche persönlich der Einfluß von und der Anschluß an Mommsen wesentlich mitwirksam gewesen sein soll. Dieser historische Sinn ist dann durch die philosophische wie durch die praktische Seite in B. nur näher bestimmt und orientirt worden, er hat dadurch namentlich seine ursprüngliche Richtung gegen die Verkehrtheiten und Einseitigkeiten der „historischen Schule“ im engeren Sinne des Wortes erhalten. Während diese die Rechtsentwicklung nur soweit als berechtigt anerkennt, wie sie abgeschlossen ihr vorliegt, erscheint B. auch die Weiterentwicklung über das Recht der Gegenwart hinaus, namentlich auch durch umfassenden Eingriff des Gesetzgebers, als durchaus angezeigt, wo ein Bedürfniß dafür aus der bisherigen Rechtsgeschichte sich ergibt, wie dies namentlich in Deutschland, für das Privatrecht thatsächlich der Fall ist. Daß dann eine solche Gesetzgebung nicht, wie jene Historiker fürchten, zu einem Bruch mit dem Rechte der Vergangenheit führen muß, erkennt B. deutlich gerade aus historischen Gründen, indem er hervorhebt, der Gesetzgeber sei selbständig nur formal und inbezug auf die Sanction, über den Rechtsstoff, den er als den geschichtlich gegebenen vorfinde, könne er ebensowenig hinweg, wie irgend ein Mensch sonst über die materiellen Bedingungen seines Daseins und Denkens. Und um eben dem Gesetzgeber diesen seinen Stoff vorzubereiten, wandte sich B. in den vierziger Jahren zu denjenigen Partien der Rechtsgeschichte, welche seitens der historischen Schule in unglaublicher, ihren eigenen Principien widersprechender Weise vernachlässigt worden waren, der Weiterentwicklung [312] nämlich des gemeinen Rechts seit Justinian bis auf die Gegenwart in der Theorie und in der Praxis seiner Anwendung. Aus alledem erklärt es sich, daß B., während er doch durchaus auf den richtig und weit verstandenen wissenschaftlich-geschichtlichen Anschauungen des Meisters der historischen Schule, Savigny’s, fußt, in seinen früheren Schriften sich bisweilen zu recht herber Kritik gegen denselben bestimmen läßt. Es erklärt sich aber aus denselben Umständen, daß B. später, als die Richtung der Zeit sich von der historischen Forschung überhaupt mehr abwandte, sich nun mit steigendem Nachdruck auf eben diese Forschung warf und zwar nach genau derselben vorherrschend classisch-antiken Seite hin, welche von der historischen Schule bevorzugt worden war. Und so war er denn nun auch, ohne Widerspruch zu sich selbst, im Stande, Savigny am 21. Februar 1879 die Gedächtnißrede zu halten und darin die grundlegenden methodologischen Verdienste des Gepriesenen mit besonderer Klarheit und Kraft der Ueberzeugung hervorzuheben.

Will man B. durchaus irgend einer Schulrichtung zugesellen, so wird man nach alledem ihn nicht etwa der Reihe wissenschaftlicher Praktiker einordnen dürfen, welche der geschichtlichen Methode entgegengetreten sind. Ebensowenig gehört er, trotz seiner Hegel’schen Anfänge, zur speculativen Jurisprudenz. Man wird ihn vielmehr zu denjenigen zu rechnen haben, die gegen die erste, engere historische Schule den Kampf auf dem geschichtlichen, auch geschichtsphilosophischen Boden selbst geführt haben, um zu vollerer, allseitiger, namentlich auch gesetzgeberisch productiver, die praktische Aufgabe des Rechts und der Rechtswissenschaft würdigender Entfaltung der historischen Methode zu drängen. Will man in diesem Zusammenhang von einer zweiten oder jüngeren historischen Schule reden, so ist B. als ein Hauptvertreter derselben zu kennzeichnen.

Nachrufe und Biographien von: Goldschmidt, in seiner Zeitschrift für Handelsrecht, gelegentlich der Anzeige von Bd. 1 der Zeitschr. d. Savigny-Stiftung, 26, 337 fg. – Stintzing, i. d. Revue internationale de l’enseignement 1, 3, 276 fg. – Degenkolb, sehr eingehend, mit genauem Schriftenverzeichniß, i. d. Archiv f. d. civilist. Praxis 64, 432 fg. – Ivo Bruns (Sohn unseres Karl Georg B.), vor der gesammelten Ausgabe von dessen „Kleineren Schriften“, 2 Bände, Weimar 1882; in dieser musterhaften Sammlung aller nicht buchmäßig erschienenen Schriften von K. G. Bruns auch Unveröffentlichtes aus dem Nachlaß, Reden, Recensionen u. dgl. m. mit bequemen Registern.