Zum Inhalt springen

ADB:Carstens, Asmus Jakob

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Carstens, Asmus Jakob“ von Alfred Woltmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 29–35, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Carstens,_Asmus_Jakob&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 13:07 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Carro, Jean de
Nächster>>>
Carthäuserin
Band 4 (1876), S. 29–35 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Asmus Carstens in der Wikipedia
Asmus Carstens in Wikidata
GND-Nummer 118519298
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|4|29|35|Carstens, Asmus Jakob|Alfred Woltmann|ADB:Carstens, Asmus Jakob}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118519298}}    

Carstens: Asmus Jakob C., Maler, geb. 10. Mai 1754, † 25. Mai 1798, ist derjenige Meister, welcher gegen Ende des vorigen Jahrhunderts den Bruch mit der bisherigen akademischen Richtung vollendet und an der Spitze der modernen deutschen Kunstentwicklung steht. Er war in dem Dorfe Sanct Jürgen bei Schleswig geboren. Sein Vater war Müller, seine Mutter, die Tochter eines Advocaten Paap in Schleswig, hatte eine bessere Erziehung genossen und weckte früh die Neigung zum Edleren in den Kindern. Aber auch die Gebrechlichkeit des Körpers, die Anlage zum Brustleiden hatte Asmus von ihr geerbt. Neun Jahre alt verlor er den Vater. Nachdem er bisher in der Dorfschule unterrichtet worden, schickte die Mutter ihn jetzt in die Stadtschule nach Schleswig. Mittags konnte er nicht heimgehen, die Mahlzeit in einem verwandten Hause behagte ihm nicht, weil ihm das laute Beten am Tische zuwider war, er zog vor, sich einen Imbiß mitzunehmen und den in der offenen Domkirche zu verzehren, wo Kunsteindrücke seine Andacht wurden; namentlich fesselten ihn die Bilder von J. Ovens, einem Maler des 17. Jahrhunderts. Er begann daheim zu zeichnen und zu coloriren, kam aber in der Schule schlecht fort. Als er sie im Alter von 16 Jahren verließ, wollte die Mutter in sein Begehren, Maler zu werden, willigen, aber die Gelegenheit zu dem damals berühmten J. H. Tischbein dem Aelteren in Cassel in die Lehre zu kommen, ward versäumt, weil der junge Mensch die Bedingung, als Bedienter auf dem Kutschenbock zu stehen, nicht erfüllen wollte. Ein Jahr später starb die Mutter, die Vormünder nahmen auf seine Neigung keine Rücksicht, er ward bei einem Weinhändler in Eckernförde in die Lehre gethan. Nach fünfjähriger Lehrzeit kaufte er sich von seinem Lehrherrn, dem er jetzt noch zwei Jahre als Küfer dienen sollte, los und ging, nun schon 22 Jahre alt, nach Kopenhagen, brachte sich gänzlich als Autodidakt weiter und lebte vom Porträtzeichnen, als sein kleines Vermögen aufgezehrt war. Er benutzte die Hülfsmittel der Akademie, die ihm ihre Räume nicht verschloß, aber mochte sich zum eigentlichen Studium auf derselben nicht bequemen, weil die dort herrschende Richtung seinem Begriff von Kunst nicht entsprach und er hier nur mechanische Abrichtung fand. Aber angesehene Künstler wurden allmählich auf ihn aufmerksam, der Hofbildhauer Stanley, der Maler Nicolaus Abilgaard, dessen Gunst er freilich wieder verscherzte, dann auch vornehme Kunstfreunde, selbst der Erbprinz Friedrich, Protector der Akademie. Auf dessen Wunsch trat er endlich doch in diese Anstalt ein, aber ohne sich zu einem regelrechten Studiengang zu verstehen, zu dem er auch schon zu alt war. Es würde ein Verkennen von Carstens’ großen Anlagen sein, wenn man annehmen wollte, er hätte nicht noch Besseres leisten, noch vollkommener sich ausbilden können, wenn seine Bahn eine ebenere gewesen wäre. Aber der Weg, den er ging, gab ihm doch auch Vortheile eigener Art. Gerade weil sein Kunstgefühl sich ohne Leitung, selbst [30] im Trotz gegen die herrschenden Kunstanschauungen entwickelte, stand er um so selbständiger da. Als er zuerst Kopenhagen betrat, standen ihm plötzlich im Museum die Abgüsse nach den schönsten Antiken vor Augen. „Alles, was ich bisher von Kunst gesehen hatte“, berichtet er selbst, „war mir nur als Menschenwerk erschienen, aber diese Gestalten erschienen mir als höhere Wesen von einer übermenschlichen Kunst gebildet, und es fiel mir nicht ein, zu glauben, daß ich oder ein anderer Mensch je dergleichen hervorzubringen vermöchte. Ein heiliges Gefühl der Anbetung, das mich fast zu Thränen rührte, durchdrang mich, es war mir als ob das höchste Wesen, zu dem ich als Knabe im Dom zu Schleswig oft so innig gebetet hatte, mir hier wirklich erschienen.“ Das war es, was die Kunst seiner Zeit vor allem bedurfte: die Vorbilder echter Natürlichkeit und lauterer Formenschönheit traten unverhüllt und unmittelbar vor ein Auge, das durch keine Gewöhnung und Abrichtung getrübt, durch keine Vorurtheile eingenommen war; die Saat der Kunst fiel in eine jungfräuliche Seele. Fast täglich, halbe Tage lang ließ sich C. bei den Abgüssen einschließen, aber niemals zeichnete er nach ihnen, wie er auch später in Rom niemals Rafael oder Michelangelo copirte. „Ich glaubte das Nachzeichnen würde mir zu nichts helfen, und wenn ich es versuchte, so war mir, als ob mein Gefühl dabei erkaltete.“ Er betrachtete die Schöpfungen der Vorzeit, aber prägte sich so fest ihre Formen ein, daß er sie aus dem Gedächtniß aufzuzeichnen vermochte, nicht mechanisch, sondern mit dem innersten Bewußtsein hatte er sich mit ihnen vertraut gemacht, und ein geistiges Verständniß der antiken Kunst, wie kein Künstler der Zeit es besaß, ging ihm dabei auf. So verschmähte er auch jetzt wie in der Folge alle damals üblichen Componir- und Drapir-Apparate, ja er vermied sogar das Studium nach dem lebenden Modell zum Zweck seiner selbständigen Schöpfungen. Dem Vortrag des Anatomieprofessors folgte er anfangs, da er noch kein Dänisch verstand, nur mit den Augen. Wol bedarf der Künstler nichts so sehr wie die Schule, die ihm das, was sich lernen läßt, überträgt; aber in einer Zeit, deren Aeußerlichkeit der Kunstempfindung das Erlernbare für das Wesen der Kunst hielt, war die Methode die richtige, mit der er, wie sein Biograph Fernow sagt, „nicht den gewöhnlichen Weg der zur eigenen Erfindung allmählich fortschreitenden Nachahmung ging, sondern sogleich mit dem Erfinden begann“. In der Farbe konnte er das Versäumte nicht mehr nachholen, er kam auch allmählich dazu, fast auf sie zu verzichten, und begnügte sich mit der Zeichnung, in der er immer größere Fortschritte machte. Einzelne Incorrectheiten werden reichlich aufgewogen durch die richtige Gesammtanschauung, in der bald eine ungeahnte Lauterkeit und Größe des Formgefühls zu Tage trat. Schon hatten manche selbständige Compositionen, zu denen ihn wesentlich Dichtungen inspirirt, einen gewissen Eindruck gemacht: Adam und Eva, nach Milton, Balder’s Tod und die Wehklage der Götter, Aeolus und Odysseus. Die herrschende Richtung stieß den Neuerer keineswegs zurück. Aber die trotzige Strenge seiner Anschauung verdarb seine äußere Stellung; er hatte bei einer Preisvertheilung eine Medaille zurückgewiesen, weil er einen Genossen zu Gunsten eines Bevorzugten übergangen glaubte, und mußte nun von der Akademie ausgeschlossen werden. Dennoch wollte sie ihm bald wieder die Hand reichen und lud ihn zu einer Concurrenz, welche die Aussicht auf eine Reise nach Italien bot, ein. Sein Bescheid war, er hoffe auch ohne die Akademie nach Italien zu kommen. Die Ausführung stellte er sich zu leicht vor, mit einer kleinen Summe, die sein eiserner Fleiß erspart hatte, trat er in Begleitung seines Bruders Friedrich, der sich ebenfalls, doch ohne sonderliches Talent, der Kunst gewidmet, die Reise an (1783). Bis Verona und Mantua kamen sie, in den Fresken des Giulio Romano glaubte hier C. zum erstenmale wahre Malerei zu sehen, aber da die [31] Barschaft zusammenschmolz, mußten sie statt weiter wieder rückwärts gehen. In Mailand sah C. noch Leonardo’s Abendmahl. In Zürich nahmen sich Geßner und Lavater ihrer an, zu Fuß kamen sie dann bis Lübeck, wo C., dessen Bruder sich nun von ihm trennte, fünf Jahre blieb. Es war eine Zeit mühseliger Arbeit durch Porträtiren für das liebe Brot, fruchtlos für das höhere künstlerische Streben, voll Kampf mit dem Siechthum. Während dieser Jahre wurde er aber auch mit K. L. Fernow bekannt, der ihm später durch seine wahrhaft classische Biographie ein Denkmal gesetzt hat. Dem Philosophen eröffnete das Streben des Malers einen höheren Begriff von der Kunst, der Maler fand zuerst bei diesem Freunde ein tiefes geistiges Verständniß, sah durch ihn zugleich seinen Gesichtskreis erweitert. Nach früher vernachlässigter Bildung wurde er jetzt in die Welt alter und neuer Dichtung, in das classische Alterthum, selbst in die Philosophie eingeführt. Durch edle Kunstfreunde, den Dichter Overbeck und den Senator Rodde, wurden ihm endlich die Mittel gereicht, sich dieser Existenz zu entziehen und nach Berlin zu gehen. Ein Oelbild, die vier Elemente, das er im Mai 1788 an den Curator der Akademie, den Minister v. Heinitz, voraussandte, fand verbindliche Aufnahme, er selbst folgte bald nach. Er zeichnete Illustrationen zu Ramler’s Mythologie, zu der Götterlehre von Moritz, führte aber ein unbeachtetes und kümmerliches Dasein, aus dem ihn dann erst der hochgebildete Architekt Christ. Heinr. Genelli emporriß. Eine große, figurenreiche Zeichnung, der Sturz der Engel, machte 1789 auf der Berliner Kunstausstellung Eindruck, und war der nächste Anlaß zu seiner Anstellung als Professor an der Akademie (21. Mai 1790). Daß er aber nicht unter dieser Körperschaft, sondern direct unter dem Curator zu stehen verlangte, störte die Harmonie mit den Collegen; als Lehrer war er dagegen mit Erfolg thätig. Im Auftrage von Genelli, der Räume des königlichen Schlosses einzurichten hatte, malte C. in einem Zimmer desselben, grau in grau als Reliefs, Deckenbilder in Leimfarbe auf den Stuckbewurf: Orpheus in der Unterwelt, den Parnaß, die vier Jahreszeiten, die vier Lebensalter etc. Ebenso zog ihn Genelli zur Ausmalung eines Gesellschaftssaales in der Wohnung des Ministers v. Heinitz im Dorville’schen Hause (am Pariser Platz) heran. Diese in Leimfarbe auf Papier mit Leinwandunterlage ausgeführten Gemälde sind erst in den sechziger Jahren bei neuer Tapezierung aus bloßer Unwissenheit vernichtet worden. Sie stellten in oberen Lünetten die Musen, Mnemosyne und Apollo, in Feldern unter diesen den Tanz des Komus, als Sinnbild von dem fröhlichen Gange des Lebens, dar. Unter denjenigen Compositionen dieser Zeit, welche seinen künstlerischen Charakter am deutlichsten erkennen lassen, sind namentlich hervorzuheben: Oedipus, von den Furien gequält, das Gastmahl des Platon, Sokrates im Korbe, mit Strepsiades philosophirend, nach den Wolken des Aristophanes, der Besuch der Argonauten in der Höhle des Centauren Chiron. Manche andere Erfindungen, die erst später zu Rom definitive Gestalt erhielten, tauchten schon jetzt in Skizzen auf. Dabei entstand aber auch eine Zeichnung der Schlacht bei Roßbach, und als die Berliner Künstler sich mit Entwürfen zu dem Denkmal Friedrichs des Großen beschäftigten, das damals in Aussicht genommen wurde, trat auch C. auf einer akademischen Ausstellung mit einem großen Gypsmodell auf, denn das Modelliren hatte er schon in Kopenhagen gelegentlich betrieben. Endlich gelangte er an das Ziel seiner Sehnsucht, der Minister hatte ihm einen zweijährigen Urlaub und eine königliche Unterstützung zu einer Reise nach Italien verschafft. Im Juni 1792 begab er sich mit dem Architekten Friedrich Weinbrenner aus Karlsruhe und dem Maler Cabot aus Kopenhagen auf die Reise. In Florenz, wo zunächst Krankheit ihn festgehalten, standen ihm dann die Werke der alten Florentiner und Michelangelo’s Medicäergräber gegenüber, hier verfertigte er die [32] große Zeichnung: Kampf der Centauren mit den Lapithen, und im September 1792 traf er in Rom ein, wo Michelangelo’s Decke der Sistina und Rafael’s Fresken im Vatican eine Wirkung auf ihn übten, gegen die alle seine Vorstellungen auf Grund von Kupferstichen nichts waren. Sie wurden seine Lehrmeister, während er auf anderem Wege auch noch manche Lücken seiner Vorbildung auszufüllen suchte, namentlich unter Weinbrenner’s Anweisung in der Perspective Fortschritte machte. Nur in der Farbe blieb er noch immer zurück, und er empfand dies selbst um so mehr, als der Anblick der Sixtinischen Capelle ihm gezeigt, daß Michelangelo die Farbe keineswegs vernachlässigt habe. Die alte Unabhängigkeit den Erscheinungen des Tages gegenüber hielt er jetzt ebenso fest wie bisher. Hatte ihm auf der Reise, in Dresden, schon der gerühmte Rafael Mengs keinen Eindruck gemacht, so sprach er sich jetzt in Rom ebenso unumwunden über die modernen Franzosen aus. In dem ersten Briefe an den Minister nach Berlin heißt es: „Gedankenlosere Malereien sind mir noch nicht vorgekommen. Es scheint diesen Künstlern nie eingefallen zu sein, daß die Kunst eine Sprache der Empfindung ist, die da anhebt, wo der Ausdruck mit Worten aufhört. … Alles Mechanische der Kunst verstehen diese Männer sehr gut, und es scheint, als stünden sie in der Meinung, daß die Kunst darinnen bestehe. Alle Nebensachen sind oft sehr schön, die Hauptsache aber schlecht. Ein hingeworfener Helm, Pantoffel, ein Fetzen Gewand, das über einen Stuhl hängt, ist oft so schön, ja zum Angreifen natürlich, daß man wünschen sollte, der Künstler möchte nie etwas anderes machen.“ Auch im deutschen Künstlerkreise war er eine auffallende Erscheinung. „Sein schlichtes unansehnliches Aeußere, das aber seinen besonderen Schnitt hatte,“ sagt Fernow, „seine natürliche Geradheit, die immer sprach, wie sie dachte, seine durchaus eigenen Ansichten der Kunst, seine freimüthigen, und wo es ein herrschendes Vorurtheil zu bekämpfen galt, oft sehr derben und schneidenden Urtheile, seine sarkastische Verspottung alles akademischen Kunstschlendrians, dabei seine Unbekanntschaft mit allem, was in der Gesellschaft als herkömmlich und angemessen gilt, und die Contraste einer für das Leben völlig vernachlässigten, und blos auf die Kunst gerichteten Bildung waren in dieser Vereinigung eine zu sonderbare Erscheinung, als daß man so bald mit ihr hätte fertig werden können.“ Aber schon seine erste Arbeit, eine neue Redaction des bereits in Berlin behandelten Motivs: die Argonauten in der Höhle des Centauren Chiron, diesmal noch geschlossener in der Composition und plastischer in der Durchbildung der einzelnen Gestalten, imponirte. „Man gafft und staunt und weiß nicht, wie ich den großen Stil aus Deutschland mit nach Rom bringe, ja wie ich dazu gekommen. Ebensosehr wie ich mich wundere, wie alle hiesigen Künstler auch keine Spur davon in ihren Arbeiten haben.“ Sein Urlaub und seine preußische Pension wurden ihm noch für ein drittes Jahr gewährt. Im Sommer 1794 machte er eine Fußreise nach Neapel, er sah Pompeji und kehrte später noch einmal, als der große Ausbruch des Vesuvs erfolgte, nach Neapel zurück. Im September wurde er in Rom mit seinem Freunde Fernow wieder vereinigt. Schon längere Zeit hatte er sich mit dem Gedanken getragen, das, was er in Rom gelernt, durch eine Ausstellung seiner Arbeiten zu bekunden, die dann im April 1795 zu Stande kam. Es waren, da er seine Grenzen kannte, keine Oelbilder, nur Zeichnungen, Aquarelle und Temperamalereien. Außer den Argonauten, dem Sokrates im Korbe und dem Gastmahl des Platon, bei welchem Alcibiades den Sokrates krönt: die Ueberfahrt des Megapenthes, nach Lucian, bei welcher der Schuster Mycill auf den Rücken des jungen Wollüstlings gesetzt ist, während Charon den Nachen in Bewegung setzt und Klotho die Todtenliste überliest, der echte Beleg für seine neu begründete Herrschaft über die Formen; die drei Parzen, das Schicksal der Sterblichen singend; die Allegorien von [33] Raum und Zeit; der Parnaß; die Helden vor Troja im Zelte des Achilles, seine Hilfe beim Kampf erbittend, voll dramatischen Lebens bei scheinbarer Gemessenheit; die Geburt des Lichtes, in den Formen eine seiner großartigsten Schöpfungen; Ganymed als Sinnbild eines vom Tode hingerafften Jünglings. Während der Ausstellung wurde noch die herrliche Composition der Nacht mit ihren Kindern Schlaf und Tod beendet. In diesen Werken trat sein ganzes Streben klar zu Tage. Dem, was die Menge anlockte, hatte C. keine Concession gemacht. Den Reiz durch äußere Virtuosität wies er von sich, die einfachsten Mittel genügten ihm. Gegner sahen in ihm einen bloßen Skizzirer, aber die Einfachheit seiner Darstellungen war trotzdem keine Dürftigkeit, sondern wahre Größe. Erhaben und inhaltreich, gewinnen sie gerade durch ihre Schlichtheit. Jede Zuthat wäre überflüssig, könnte nur jene Lauterkeit trüben, die uns tief erquickt. Vielleicht war seine Begabung zur Plastik, für die es sich nicht weiter hatte ausbilden können, noch größer, wie das kleine Modell der Atropos aus der Composition der Parzen zeigt. Unabhängig wie im Stil war er auch in der Wahl des Stoffes, aus eigenem Triebe, ohne äußere Rücksicht, ergriff er ihn. Er stellte keine biblischen Gegenstände dar, auch das Volksthümliche war nicht seine Sache, die römische Geschichte, welche den modernen Franzosen, J. L. David an der Spitze, vorzugsweise behagte, blieb ihm fern. Kein Pomp, kein Theaterpathos, kein wohlfeiles Predigen von republikanischem Heldengeist, kein außerhalb der Kunst liegendes Ziel war das, was er erstrebte. Wie durch den Vorgang der Litteratur die moderne Kunst in eine neue Richtung geführt worden war, so fuhr auch die Dichtung fort, ihm die Gegenstände darzubieten. Aber er war kein bloßer Illustrator, die Motive, die er den Dichtern entnahm, waren meist neue und ungewohnte, und da, wo die Ausdrucksfähigkeit der Poesie endigte, fing seine Darstellung an. Während er die Schriftsteller las, Homer und Hesiod, Sophokles, Lucian, Shakspeare, Ossian, Dante, Goethe, entstanden die Bilder ungesucht in seiner Phantasie. Er gehörte nicht zu den Künstlern, denen der Inhalt gleichgültig, die Form das Wesentlichste ist, aber ebenso frei war er von dem entgegengesetzten Fehler, durch das Stoffliche wirken zu wollen. Nie bleibt ein Ueberschuß des Gedankens, der sich nicht völlig in diese Form fassen ließe, zurück, wie später bei Cornelius, alles Dargestellte ist zu reiner bildlicher Erscheinung ausgeprägt. Nie ergreift uns vor seinen Bildern, wie so oft vor modernen Historienmalereien, die Verlegenheit, was denn eigentlich dargestellt sei. Ob wir auch die betreffenden Dichterstellen nicht gegenwärtig haben, das Wesentliche verstehen wir sofort. Die Linienschönheit ist keine schablonenhafte, die Formen in ihrem Adel, ihrer Größe sind nicht Selbstzweck, sondern geben sich unbefangen, aber vom Geist des Ganzen erfüllt. Genelli schrieb mit Recht über seine Gestalten: „Jede ist so unbekümmert über sich, so ganz einig mit sich, daß man fühlt, dies sind wahre Menschen.“ Die reine Harmonie von Inhalt und Form, wie in der Kunst der Alten, stellte C. in seinen Werken wieder her, und wenn er neue Formen schuf, die den Griechen verwandt waren, so war dies keine Nachahmung, so hüllte er seine Gedanken in kein fremdes und geborgtes Kleid, sondern ließ sie erscheinen, wie es ihnen selbst, ihrem eigensten Wesen nach, entsprach.

Das Urtheil der Kunstverständigen bei Gelegenheit der Ausstellung war ein höchst ehrendes, von Seiten der italienischen und englischen Künstler war die Anerkennung am lebhaftesten; Mißgunst trat namentlich unter den Deutschen hervor, aber der begabteste unter ihnen, Wächter aus Stuttgart, wurde in die Richtung von C. hineingezogen, später auch J. A. Koch. Der Heimath wurde von dieser Ausstellung durch einen Aufsatz von Fernow im deutschen Mercur Kunde gegeben. Später (1797) schrieb der Maler Müller, als Vertreter der älteren Richtung, [34] einen hämischen Gegenartikel, der in den Horen, unter den Augen von Schiller und Goethe, erschien. Nicht mehr C., wol aber Fernow erlebte in der Folge die Genugthuung, daß Goethe durch die Anschauung zu einem ganz anderen Urtheil geführt wurde, und sogar von ihm den ganzen Nachlaß des Meisters für Weimar erwarb, in dessen Museum man heut noch C. am besten kennen lernen kann. Der Erfolg in Rom wirkte auch auf Berlin, wo man bereits kühl gegen C. geworden war. Er wurde eingeladen, einige Compositionen auf die Ausstellung der Akademie zu schicken. Bald aber kam es zu einer Katastrophe. Der Termin, an welchem seine Rückkehr erwartet wurde, war abgelaufen. Damit er sich zum Lehrer für die Akademie weiter ausbilde, waren ihm die Mittel zur Existenz in Rom gewährt worden, aber C. wollte nichts mehr von der Rückkehr wissen; man drohte, man legte, um die Transportkosten zu decken, Beschlag auf die eingesandten Stücke: es waren die Helden im Zelt des Achill, Priamos, den Leichnam Hectors von Achill erflehend, und die Zurückholung des entflohenen Megapenthes, der Moment vor der früher genannten Ueberfahrt, ein größeres Temperabild (alle drei noch jetzt im Besitz der Akademie). Der Minister erklärte dem Maler, er, als Staatshaushalter der ihm von dem Könige blos zum Wohl des Staates anvertrauten Gelder, könne es nicht verantworten, Summen ganz umsonst und noch dazu an einen Ausländer wegzuschenken. Aber bei C. wurde das Gefühl der Verbindlichkeit durch das Bewußtsein des künstlerischen Berufes und dessen Anforderungen zurückgedrängt. Ohne einen Vorwurf nach der anderen Seite hin richten zu dürfen, muß man durch die Worte seines Absagebriefes ergriffen werden: „Uebrigens muß ich Euer Excellenz sagen, daß ich nicht der Berliner Akademie, sondern der Menschheit angehöre, und nie ist mir in den Sinn gekommen, auch habe ich nie versprochen, mich für eine Pension, die man mir auf einige Jahre zur Ausbildung meines Talents schenkte, auf Zeitlebens zum Leibeigenen einer Akademie zu verdingen. Ich kann mich nur hier, unter den besten Kunstwerken, die in der Welt sind, ausbilden, und werde nach meinen besten Kräften fortfahren, mich mit meinen Arbeiten vor der Welt zu rechtfertigen. Lasse ich doch alle dortigen Vortheile fahren, und ziehe ihnen die Armuth, eine ungewisse Zukunft und vielleicht ein kränkliches, hülfloses Alter bei meinem schon jetzt schwächlichen Körper vor, um meine Pflicht und meinen Beruf zur Kunst zu erfüllen. Mir sind meine Fähigkeiten von Gott anvertraut; ich muß darüber ein gewissenhafter Haushalter sein, damit, wenn es heißt: Thue Rechnung von deinem Haushalten! ich nicht sagen darf: Herr, ich habe das Pfund, so du mir anvertrauet, in Berlin vergraben.“

In den J. 1795 und 1796 entstanden namentlich noch folgende Compositionen: das Orakel des Amphiarous, nach Philostrat, mit den Pforten der wahren und der täuschenden Träume; Bacchus, welcher den Amor tränkt; Jupiters Kampf mit den Titanen; die Lapithen oder das Gastmahl, nach Lucian; Helena zu den Alten auf dem Skäischen Thore tretend; Fingal’s Kampf mit dem Geiste von Loda; Perseus und Andromeda unter den Aethiopen; Francesca von Rimini, aus Dante’s Inferno; Oedipus auf Kolonos; die Hexenküche aus Goethe’s Faust; Jasons Ankunft in Jolkos, und vor allem die einfach großartige, in allen Theilen durchgearbeitete Composition des Homer, der vor dem Volke singt. Das J. 1796 war das letzte einigermaßen gesunde Jahr für C. Doch auch 1797 entstanden noch Arbeiten, wie Eteokles, in den Kampf stürmend; Oedipus sein Verhängniß entdeckend; vierundzwanzig Zeichnungen zum Argonautenzug etc. Aber eine schmerzhafte Operation hatte ihn geschwächt, ein schleichendes Fieber befiel ihn, die Schwindsucht zehrte ihn auf. Seine geistige Kraft blieb ungebrochen. „Auch im leidenden Zustand“, sagt Fernow, „war sein Sinn immer heiter und sein Geist schwebte kummerfrei in den höheren Regionen der Kunst, [35] wo das Bedürfniß ihn nicht erreichte.“ Unmittelbar vor seinem Tode hatte er noch eine Composition, die unvollendet zurückblieb, geschaffen: das goldene Zeitalter, mit Motiven des Nackten, welche wahrhaft an Michelangelo anklingen, mit einer Ausbildung der Landschaft, die neu bei C. war. Inmitten schwerster Leiden entstand dies Bild ungetrübter Glückseligkeit. Thorheit war es, wenn die Wissenschaft die Lehre von dem reinen Naturzustande als dem Ideal menschlicher Existenz ausgesprochen, wenn dessen praktische Verwirklichung die Sehnsucht des Revolutionszeitalters war. Aber der Künstler hatte das Recht, sich durch die Phantasie in jene ideale Welt zu versetzen, in welcher der Mensch im freien sich selbst Genügen, nur bestimmt durch den inneren, ursprünglichen Trieb, das Maß aller Dinge ist. Seine Lebensaufgabe war gewesen, inmitten der Convention und der Unnatur die reine Menschennatur wiederzuentdecken. Die schöne Zeit, die so wenig war, wie sie ist, wußte er sich zu gestalten, wiederzuerwecken, er strebte

„Die goldne Zeit, die ihm von außen fehlt,
In seinem Innern wieder herzustellen.“

Die künstlerische Richtung, die Winckelmann geistig vorbereitete, fand in ihm praktisch ihren ersten Vertreter; Wächter, Koch, Schick gingen auf diesem Wege fort, Thorwaldsen konnte ernten, was C. gesäet hatte, und war ihm doch kaum an charaktervoller Eigenthümlichkeit gleich. Zu dem Streben eines Cornelius und seiner Genossen bildet das von C. die Voraussetzung, in Bonaventura Genelli, der unter seinen Traditionen aufgewachsen, brach ein Funke seines Geiste wieder durch. Seine in der Kunst radicale Richtung, die mit aller Ueberlieferung brach, überall nur auf das Wesentliche ausging, bedurfte einer Ergänzung durch andere Richtungen, welche auch das Handwerk der Kunst betonten und den Zusammenhang mit der Tradition da, wo er hingehörte, festhielten, wie das zu seiner Zeit am nachdrücklichsten Gottfried Schadow gethan. Aber den wichtigsten Schritt zur Befreiung der Kunst hatte C. vollbracht; während sein französischer Zeitgenosse David, vom Conventionellen sich lossagend, wieder in das Conventionelle zurücksank, während dessen Anschluß an das Classische ein rein äußerlicher war, hatte C. Geist und Wesen des Alterthums auf sich wirken lassen. Und um eine entscheidende Wendung herbeizuführen, war ein so radicales Vorgehen nothwendig, wie das seine.

K. L. Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob C., ein Beitrag zur Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1806. – Neue Ausgabe von H. Riegel, Carstens’ Leben und Werke, Hannover 1867. Hier Zusätze und Verzeichniß der Werke. – R. Schöne, A. J. Carstens, Naumann’s Archiv 1866. – F. v. Alten, Der Maler A. J. Carstens, Schleswig 1865. – Carstens’ Werke, gest. v. W. Müller, Text von Schuchardt, Leipzig 1849, 2. Ausg. von H. Riegel, Leipzig 1869.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 35. Z. 13 v. u.: Die Nachrichten über Carstens’ Jugendgeschichte und seine frühe künstlerische Entwickelung erfahren aufgrund urkundlicher Quellen wesentliche Berichtigungen durch Dr. Aug. Sach: „Asmus Jakob Carstens’ Jugend- und Lehrjahre“, Halle a. S., Buchhandlung des Waisenhauses, 1881. [Bd. 17, S. 794]