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ADB:Dissen, Georg Ludolph

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Artikel „Dissen, Georg Ludolph“ von Jacob Achilles Mähly in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 254–256, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dissen,_Georg_Ludolph&oldid=- (Version vom 20. November 2024, 18:38 Uhr UTC)
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Dissen: Georg Ludolph D., Philologe und Alterthumsforscher, war der Sohn eines Pastors zu Großen-Schneen (in der Nähe von Göttingen), geb. 17. Dec. 1784, † 21. Sept. 1837. Nach dem frühen Tode der Eltern erhielt der dreizehnjährige Knabe durch Verwendung von Göttinger Freunden eine Freistelle an der Schulpforte, wo er, im Anschluß an gleichgestimmte, wie besonders Fr. Thiersch, unter theils gewöhnlichen, theils anregenden Lehrern (zu diesen gehörte in erster Linie der ebenso schlichte als gelehrte D. Ilgen), in klösterlicher Zucht, aber gleichwol als echter Diener der wahren Studia liberalia, deren „Geist weckend und stärkend durch das etwas verfallene Gemäuer des alten Lehrgebäudes wehte“, sechs volle Jahre verweilte (1798–1804). An demselben Tage mit Thiersch entlassen, studirte D. in Göttingen, besonders durch Heyne gefördert, classische Philologie (1804–8). Der Schüler, der im Umgang mit dem genannten, damals berühmten Philologen, eine Fülle besonders sachlicher und realer Kenntnisse sich aneignete und auch entsprechende Anregungen fand, ergänzte durch eine scharf grammatische, durch Ilgen, den Lehrer Gottfried Hermann’s, [255] gewonnene Methode diejenige Seite, welche nicht die stärkste seines Lehrers war, das heißt, die formelle, deren Besitz allein Gewähr leistet für eine sichere, entschlossene und entschiedene Interpretation. Nach angenehm verlebten Universitätsjahren (zu deren Reiz besonders die durch Unterricht eines Kreises strebender Jünglinge erleichterte ökonomische Lage und die in solchem Umgang wohlthätig auf ihn einwirkende freie und edle Geselligkeit beitrug) erhielt D. durch die Abhandlung „De temporibus et modis verbi graeci“ die Doctorwürde und zugleich die venia docendi, und hielt Vorlesungen, die sich außer der strengen Philologie auch auf philosophische Gegenstände bezogen. In diese Periode fällt die nähere persönliche Bekanntschaft mit A. Boeckh, welche durch gegenseitige Mittheilung zu einer auch für die Wissenschaft ersprießlich gewordenen Uebereinstimmung über Zwecke und Aufgaben der Philologie führte. Ein im J. 1812 an D. ergangener Ruf nach Marburg als außerordentlicher Professor hielt ihn daselbst nur anderthalb Jahre; schon im Herbst 1813 kehrte er mit demselben Titel nach Göttingen zurück, um der dortigen Universität – von 1817 an als ordentlicher Professor – bis an sein Ende, im engsten Verein mit dem (zwar schon 1819 nach Bonn scheidenden) F. G. Welcker, Wunderlich († schon 1816) und Ottfr. Müller treu zu bleiben. Dissen’s Wirken als akademischer Lehrer zeichnete sich durch eine außerordentliche Gewissenhaftigkeit aus, welche um so höher anzuschlagen ist, als sie fort und fort mit den Hindernissen einer gebrochenen Gesundheit zu kämpfen hatte. Ein zweiter, innerer Vorzug seiner Lehrthätigkeit war die klare, nach logischen Principien gegliederte Methode und erschöpfende, kein Mittelglied überspringende Vollständigkeit, ohne daß er deswegen in den Fehler G. Hermann’s verfiel, mit den Kategorien einer modernen Philosophie den historisch überlieferten Stoff umspannen zu wollen. Das Ziel, das er sowol in seinen akademischen Vorträgen, als auch in seiner schriftstellerischen Thätigkeit vor Augen hatte, war eine nicht blos auf Sprache und Inhalt gerichtete, sondern auch die plan- und kunstmäßige Form des Schriftwerks sorgfältig erörternde Hermeneutik; in letzterer erblickte er die wahre philologische Aesthetik. Seine drei Hauptleistungen, die Herausgabe des Pindar, Tibull, Demosthenes, sind besonders werthvoll durch das nachdrückliche consequente Hervorheben der Kunstform, d. h. der poetischen und rhetorischen Construction. Ueber diesen Vorzug hat O. Müller in seinen ergänzenden biographischen Nachrichten mit eindringender Schärfe und musterhafter Deutlichkeit gehandelt. Das J. 1832 brachte die Ernennung zum Hofrath, ein Jahr später hatte D. die Freude, von der Göttinger Societät der Wissenschaften zu ihrem Mitglied, ebenso im folgenden Jahre von der Münchener Akademie als solches aufgenommen zu werden. Unter den schwersten körperlichen Leiden sehen wir den sein Geschick mit Würde und Ergebung tragenden, auch von Seite seines milden Charakters hoch achtbaren Mann während der letzten Jahre seines Lebens, wenn auch nicht mehr auf dem Katheder, so doch in seiner häuslichen Zurückgezogenheit rastlos thätig, in steter Förderung seiner philologischen Aufgaben begriffen. Das gebundene Exemplar seiner Ausgabe der demostheneischen Rede „Für den Kranz“ war ihm kaum zu Gesicht gekommen, als er starb. – Dissen’s kleinere Abhandlungen sind der Hauptsache nach (mit beigefügtem Register der weggelassenen) gesammelt in den „Kleinen lateinischen und deutschen Schriften“, Göttingen 1839, welche außerdem noch „Biographische Erinnerungen an Ludolph D.“ (von Fr. Thiersch, F. G. Welcker und O. Müller) enthalten. Seine größeren philologischen Arbeiten sind (neben seiner „Kurzen Anleitung für Erzieher, die Odyssee mit Knaben zu lesen“, herausgegeben und mit einer Vorrede versehen von J. Fr. Herbart, Göttingen 1809) seine „Explicat. ad Nem. et ad Isthm. Pindari“ (in der großen Pindarausgabe von A. Boeckh, Leipz. 1811–21), ferner die [256] selbständige Ausgabe des Dichters: „Pindari opera ex recensione Boeckhii; comment. perpet. illustravit Lud. Dissen“ 2 voll., Goth. 1830 (als Publication der Biblioth. graeca von Jacobs und Rost erschienen); „Supplementum editionis Albii Tibulli Heynio-Wunderlichianae ed. Lud. Dissen“, Leipz. 1819; sodann im J. 1835 die selbständige Ausgabe: „Alb. Tibulli carmina ex recens. C. Lachm. passim mutata explic. Lud. Dissen“ II. Pts., Götting. 1835; „Demosth. orat. pro corona ex recens. Imm. Bekk. pass. mut. expl. Lud. Dissen“, Götting. 1837.