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ADB:Dresser, Matthäus

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Artikel „Dresser, Matthäus“ von Heinrich Julius Kämmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 398–401, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dresser,_Matth%C3%A4us&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 23:57 Uhr UTC)
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Band 5 (1877), S. 398–401 (Quelle).
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Dresser: Matthäus D. (Drescher), einer der letzten Humanisten des 16. Jahrhunderts, auch als Historiker für seine Zeit bedeutend. Er war den 24. Aug. 1536 zu Erfurt in beschränkten Verhältnissen geboren. Nachdem er den ersten Unterricht in der Vaterstadt empfangen hatte, ging er in Eisenach (oder in Eisleben?) zu wissenschaftlichen Studien über, kehrte dann aber nach Erfurt zurück und schloß sich besonders an Martin Seidemann an, welcher damals im Sachsencollegium der Universität die klassischen Sprachen[WS 1] lehrte und besonders tüchtig in der Kenntniß des Griechischen war. Am Besuche der Universität Wittenberg, wo er mit Melanchthon in Verbindung zu kommen hoffte, scheint ihn Kränklichkeit gehindert zu haben. Er benutzte also die beschränkten Bildungsmittel, welche die herabgekommene Universität der Vaterstadt darbot, und begann hierauf in den classischen Sprachen Privatunterricht zu ertheilen, wobei er seine Aufmerksamkeit vorzüglich auf Isokrates und Demosthenes richtete und seinen lateinischen Stil nach Cicero zu bilden strebte. Schon 1558 gab er die lateinische Uebersetzung des Evagoras von Isokrates heraus, und nachdem er 1559 Magister und Lehrer in der philosophischen Facultät, sowie Mitglied des großen Collegiums geworden war, fand sein Unterricht so vielen Beifall, daß er an 70–80 Schüler um sich sah. Ueberhaupt schien die Universität sich wieder heben und der neuen Hochschule zu Jena, von der sie bedroht war, das Gleichgewicht halten zu wollen, und D., voll Liebe zur Vaterstadt („Laudatio Erffordiae“ in seiner „Rhetorica“ von 1588. p. 430 ss.), hatte gewiß den besten Willen, dabei in Treue mitzuwirken. Deshalb stellte er nun auch dem Rathe der Stadt vor, wie nöthig eine mittlere Schule sei, welche die zum Besuche der Universität erforderliche Vorbildung geben und den kostspieligen Besuch auswärtiger Schulen entbehrlich machen könne. Der Rath, in welchem die evangelische Partei das Uebergewicht gewonnen hatte, ging willig auf diesen Vorschlag ein, bestimmte das Gebäude und wol auch die Einkünfte des früheren Augustinerklosters für die neue Anstalt und ließ diese bereits 1561 als ein Pädagogium mit zwei Classen eröffnen, dem zumeist die Parochialschulen Schüler aus der Stadt zuführen, aber die Einrichtung eines Alumnats in den Zellen des ehemaligen Klosters und einer [399] Cantorei für arme Zöglinge aus der weiteren Umgebung die wünschenswerthe Frequenz sichern sollten. Neben D. lehrten an dieser Anstalt der von Wittenberg berufene Paul Dumerich und der als Dichter ausgezeichnete Ludwig Helmbold, die das Rectorat abwechselnd geführt zu haben scheinen. Aber D. setzte seine Wirksamkeit auch an der Universität fort und wurde 1566, obgleich er Lutheraner war und im Rathe der Universität der Katholicismus vorherrschte, zum Decan der philosophischen Facultät gewählt und mit Revision der alten Statuten beauftragt. Es gelang ihm dann sogar, die Wiederaufrichtung der seit 1548 ruhenden Professur der augsburgischen Confession und die Begründung einer zweiten für die hebräische Sprache zu erwirken, was mehrere Bürger durch Stiftung von Legaten unterstützten. Er hielt seitdem noch acht Jahre Vorlesungen über griechische und lateinische Sprache, über Rhetorik und Dialektik und erwarb sich auch als Schriftsteller große Verdienste, besonders durch seine „Rhetorica“ (Basel 1567. 1570. 1573, Wittenberg 1575, noch ungenau und unvollständig), durch die Ausgabe von „Ciceronis de natura deorum II. III“ (Leipzig 1573), durch seine „Gymnasmata litteraturae graecae“ (ebd. 1574), eine ziemlich reichhaltige und in zweiter Ausgabe (1592) noch erweiterte Chrestomathie, und durch Besorgung von „Melanchthonis grammaticae gr. epitome ad puerilem institutionem et captum accommodata“ (Leipzig 1575).

Allein die friedlichen Verhältnisse in Erfurt hörten auf, als 1569 die Wahl des evangelischen Pfarrers Gallus zum Rector der Universität Zerwürfnisse verschiedener Art herbeigeführt hatte. Hieraus erklärt sich, daß D. 1574 einen Ruf an die Universität Jena, von welcher Justus Lipsius geschieden war, gewiß nicht ohne schwere Bedenken, annahm. Aber obschon eine für Jena bestimmte Antrittsrede („De eloquentia“) vorhanden, so ist doch zweifelhaft, ob er in das neue Amt wirklich eingetreten ist. Denn eben jetzt ließ ihm Kurfürst August von Sachsen zugleich die Professur der alten Sprachen in Leipzig und die beiden Rectorate von Pforte und Meißen zur Auswahl antragen; er entschied sich für Meißen und ward schon am 5. April 1575 in diese neue Stellung eingeführt. Er hat auch das Vertrauen vollkommen gerechtfertigt. Die Fürstenschule stand unter ihm in hoher Blüthe und war stark auch von Ausländern besucht, der Kurfürst aber rief ihn bereits 1576 zu einem Landtage in Torgau, um Vorschläge wegen Verbesserung der Schulen und Universitäten zu machen. In diese Zeit fällt auch die erste, durch die Lehre von der Elocutio vervollständigte und im Einzelnen vielfach verbesserte Ausgabe seiner Rhetorik (Leipzig 1580), die dann (1588) wieder in veränderter Gestalt erschien; ebenso gab er damals (1581) Luther’s kleinen Katechismus lateinisch heraus; wieder von anderer Art war die zu derselben Zeit erschienene Schrift „De partibus humani corporis et de anima ejusque potentiis“.

Mittlerweile war in Leipzig (durch Bersmann’s Verdrängung) die Professur der classischen Sprachen und in Wittenberg die Professur der Dialektik und Ethik erledigt worden, und beide Universitäten suchten den Rector von Meißen zu gewinnen. D. nun entschied sich für den Lehrstuhl, den früher der große Camerarius innegehabt hatte, und erhielt zugleich die neu begründete Professur der Geschichte durch das Vertrauen des Kurfürsten, den dabei sein geschichtskundiger Rath David Peifer leitete. Seine Wirksamkeit in Leipzig sollte eine sehr einflußreiche werden. Als Philolog las er über griechische und lateinische Classiker; als Lehrer der Geschichte behandelte er zum ersten Male das ganze Gebiet der Historie und zwar nach dem bei Daniel dargebotenen Schema von den vier Monarchien, das er auch gegen die Einwürfe des geistreichen Franzosen Bodinus vertheidigte und in seinem Hauptwerke, der „Isagoge historica“ (seit 1586 erschienen und nach und nach zu fünf Theilen erweitert, auch ins Deutsche [400] übersetzt), genauer durchführte. Unter die Gegner des auch in Sachsen emporstrebenden Ramismus stellte er sich nicht ohne Zögern und zunächst in maßvoller Haltung („Orationes duae de dialectica Ph. Melanchthonis“, Fft. 1588, mit einer Entgegnung von Thomas Han, Rector in Eisleben). Als akademischer Lehrer stand er in hoher Geltung: unter seinen Zuhörern hatte er auch Ungarn (Praef. zur ersten Ausgabe der Schrift „De festis diebus“) und Polen („Epistola ad Thom. Zamoscium“, Leipzig 1607); im Winterhalbjahre 1599–1600 war er Rector der Universität und hatte die Statuten derselben im allgemeinen, wie die der philosophischen Facultät zu verbessern; der kurfürstliche Hof schenkte ihm fortwährend großes Vertrauen, weshalb er auch zur Visitation der Fürstenschulen gebraucht und mehr als ein Mal zu Landtagen entsendet wurde. Mit den großen Gelehrten jener Zeit stand er in freundlichstem Verkehre, z. B. mit David Peifer, der gleich, wie er selbst, den Verfall der humanistischen Studien und das Hereinbrechen einer neuen Barbarei beklagte (Burchard, De linguae lat. fatis in Germ., 395 s. 458 s.), mit Johann Crato von Crafftheim, der ihn einst als Gast auf seinem Landgute in Schlesien begrüßen konnte und dann mit der Herausgabe seiner „Meletemata“, einer Sammlung geistlicher Gedichte in lateinischer Sprache, beauftragte, mit David Chyträus, dessen „Saxonia“ er fortsetzte. Als Gegner des Cardinals Bellarmin erscheint er in der „Confutatio commenticiae opinionis Rob. Bellarmini de translatione Imp. Rom. a Graecis ad Romanos institutioneque septemvirorum electoralium per Pontif. Rom.“ (Frft. 1592). Vgl. damit die „Explicatio ad Rudolphum II. Imp. Rom. Hist. dicti s. vaticinii cujusdam Lactantii de delendo nomine Romano in terris et transferendo imp. Occid. in Orientem“ (1593).

Seine schriftstellerische Thätigkeit in den letzten Jahrzehnten geht sonst nach drei Richtungen. Als philologische Arbeiten erwähnen wir: „Octo orationes Ciceronis“ (pro Rosc. Am., pro Coelio, pro Milone, pro Ligar., Catilin. I–IV, Lips 1591), „Scholia in tres Cic. libros“ (de fato, Somn. Scipionis, Paradoxa, Fft. 1593), „Hom. Iliad. II. III. c. prolegg.“ (Lips. 1601), Βατραχομυομαχία Homeri“ (Lips. 1607), „Sophocl. Antigone edita et illustr.“ (Lips. 1607). Zur Theologie gehören die Schriften: „De festis diebus Christianorum etc.“ (Witt. 1584), eine noch in Meißen für Schulzwecke gemachte Arbeit, „Precationum formulae ex evangeliis dominic. delibatae lat. et gr.“ (Lips. 1596), ebenfalls aus dem Unterrichte hervorgegangen, „M. Lutheri Historia“ (1598), eine Sammlung von 15 den Reformator betreffenden Aufsätzen. Als sächsischer Historiograph hat er, in eigenthümlichem Wettstreite mit Petrus Albinus und von diesem nicht durchweg anerkannt, eine besonders eifrige Thätigkeit entwickelt, deren Ergebnisse man freilich nicht allzustreng prüfen darf. Wir nennen hier nur sein „Sächsisch Chronicon“ (Wittenberg 1596 Fol.) und „Petri Albini Neu Stammbuch und Beschreibung des uralten Geschlechtes und Hauses zu Sachsen“, mit Dresser’s Fortsetzung (Leipzig 1602, 4); die ihm gegen besonderes Honorar aufgetragene Fortsetzung der sächsischen Geschichte von Georg Fabricius hat er nicht vollendet. Nicht unwichtig sind: „Ungnadische Chronica“ (des Geschlechts der Herren v. Ungnad), welche zu Leipzig 1602 erschien, und: „Historien und Bericht von dem newlicher Zeit erfundenen Königreich China“, die er 1597 veröffentlichte. Die Schrift „De praecipuis Germaniae urbibus“, die auch ins Deutsche übersetzt worden ist, erscheint auch als fünfter Theil der „Isagoge historica“. Dresser’s noch immer beachtenswerthe Reden sind in zwei Ausgaben (Frankfurt 1587 und Leipzig 1606) zusammengestellt herausgekommen.

D. war zwei Mal verheirathet (seine erste Gattin war eine Tochter des berühmten Erasmus Sarcerius); aber beide Ehen blieben kinderlos. Gleich [401] vielen seiner Zeitgenossen blickte er mit verdüstertem Auge in die Welt, die ihn umgab; diese Welt schien ihm zu altern und zu ermatten oder in unheilvoller Weise zu entarten : „Mutantur mirabiliter ingenia, mores, sensus et gestus hominum; quocunque incidunt oculi nostri, veterem consuetudinem vitae et pristinos mores requirunt“. Darum war auch sein Symbolum: „Mundo disce mori, vivere disce Deo.“ Er starb den 5. Oct. 1607.

Vgl. Müller, Geschichte der Fürsten- und Landesschule zu Meißen II. 61–85 und Weissenborn. Hierana I. Erfurt 1862.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Spachen