ADB:Ett, Caspar
[WS 1] Er war der Sohn einfacher Küfersleute. Die schöne Stimme des Knaben veranlaßte die Benedictiner des Klosters Andechs, ihn im Alter von 9 Jahren in ihr Seminarium auf dem „heiligen Berge“ aufzunehmen und den hochbegabten Knaben drei Jahre später nach München in das damals gleichfalls von den Benedictinern geleitete Gregorianum zu senden, ein von Albrecht V. gegründetes Seminar, in welchem mit musikalischen Anlagen versehene arme Knaben in Musik und Wissenschaften unentgeltlich unterrichtet und verpflegt wurden. Durch Albrechts Nachfolger, Wilhelm V., wurde das anfangs sehr beschränkte Institut großartig erweitert, und Orlandus Lassus nahm sich bei Errichtung desselben mit ganzer Kraft der Ausbildung der jungen Sänger an. Das Institut leistete bald in musikalischer Beziehung Großartiges und war die Basis aller damaligen Kirchenmusik in München. Beim Eintritt Ett’s fand sich als Inspector ein junger Weltgeistlicher, Johann Baptist Schmid, ein ausgezeichneter Bassist (Schüler Valesi’s), der noch in seinen 70er Jahren mit ungebrochener Stimme sang. Schmid gewann den neuen Zögling, durch seine allseitigen Talente aufmerksam gemacht, bald überaus lieb und bildete auch ihn zu einem ausgezeichneten Sänger heran. Der junge Discantist entwickelte sich zuletzt zu einem sehr hohen Tenor. E. studirte, wie alle Zöglinge, an dem dortigen Gymnasium und später am Lyceum. Als Musiklehrer hatten sich aber an der altberühmten Anstalt alle musikalischen Größen der damaligen Zeit in München mit der größten Liberalität betheiligt: in der Composition gab damals neben Joseph Schlett, welcher z. B. Aiblinger heranbildete, der damals größte, geistreichste Contrapunktist im südlichen Deutschland, Joseph Grätz, Unterricht. Auch dieser nahm sich des Knaben mit aller Wärme an, indem er ihn durch die strengste Schule des reinen Satzes führte. Noch existirt aus dem J. 1805 ein Stabat mater aus G-moll, vierstimmig, mit Saitenquartett, drei Posaunen und Orgel, von dem damals 17jährigen E. componirt, das ein glänzendes Zeugniß seiner Schule und seines Geschmackes gibt. Es wirkt noch bei den heutigen Aufführungen mit voller Frische, selbst ohne Begleitung. – Einst waren im Gregorianum unter Lasso’s Leitung natürlich die Lasso’schen Compositionen in aller Vollendung aufgeführt worden und ebenso beliebt waren die Werke seines Schülers und Lieblings Philipps de Monte. Indessen bald nach Lasso’s Tode begann ein gewaltiger Umschwung im Gebiete des musikalischen Geschmacks. Die großartigen Schöpfungen dieser Meister, im Grunde eigentlich doch nur von berühmten musikalischen Capellen des Hofes so ausführbar, wie sie gedacht waren, wurden bald bei Seite gelegt; zur Zeit Ett’s waren sie so gut wie vergessen. Der Jüngling stöberte öfters in seinen freien Stunden unter den Folianten, die seit einem Jahrhundert unberührt und bestäubt in einem Winkel der musikalischen Requisitenkammer lagen. Die großen breiten, in ihrer Verbindung so mysteriösen Noten erregten seine Neugierde; er fing an zu singen und verglich die sämmtlichen Stimmen. E. staunte über die fremden, großartigen Melodien und über ihre wunderbare Zusammenfügung. Der junge Genius ließ nicht nach zu probiren und zu experimentiren, bis er den Sinn und die Geheimnisse der alten Notenschrift entziffert hatte und theilte nun seinem verehrten Inspector den so hoch interessanten Fund in allen seinen Einzelnheiten mit. Das bald versuchte praktische Einüben dieser Werke mit den [393] Zöglingen des Gregorianum erweiterte alsbald auch den Lehrplan der beiden Freunde. Das Singen dieser langen Noten ohne Begleitung durch eine ganze lange Composition erforderte eine eigenthümliche Uebung der Brustorgane. Das Halten und Tragen des Tones, der Anschlag, das Anschwellen und Abschwellen des Tones bei der deutlichsten Vocalisation mußte hier durchweg zu einem dauernden Studium gemacht werden. Bei diesen Studien und Uebungen erwuchs die Zuneigung der beiden Musiker zu inniger Freundschaft, die sie bis zum Tode ununterbrochen verbunden hielt. Es wurde fest beschlossen, diese großen Geister einer längst vergangenen Zeit so bald nur möglich wieder im Leben unserer Kirche zu erwecken. Schmid war seit 1788 Chordirector der gegenwärtigen St. Michaelshofkirche, damals unter den Auspicien der Malteser-Commende stehend. Es existirte wol kaum ein glücklicheres Local zur Entwicklung der Tonmassen dieser gewaltigen Compositionen als die großartige Michaelskirche, ohne Säulen von einem einzigen Tonnengewölbe überspannt. Die damalige Zeit freilich die nur von Napoleon’s Kriegsthaten widerhallte, den Kurfürst von Baiern aus seiner Residenz zu fliehen zwang, war überhaupt für die schönen Künste und namentlich für die Kirchenmusik wol die ungünstigste. Die Kirchenmusik war in diesen kriegerischen Zeiten auf eine sehr tiefe Stufe herabgesunken. Nur mit Mühe und verstohlen gelang es dem Chordirector, die damals eingebürgerten Symphonien und weltlichen Concertstücke, welche gewöhnlich im Hochamte während des Graduale und Offertorium vorgetragen zu werden pflegten, zu entfernen und seit 1808 würdigere Kirchencompositionen an deren Stelle zu setzen. Erst im J. 1814, in welchem die Malteser-Commende aufgehoben ward und die Kirche wieder in die Hände des Staates überging, fand Schmid besseres Gehör und freundliche Unterstützung. Ohne Säumen ging es jetzt an die Vorführung des berühmten Miserere von Allegri, das bekanntlich selbst in Wien schon bei dem ersten Versuche durchfiel. Im Jahre 1816, am Charfreitage des Abends 7 Uhr, erklang zum ersten Male in Deutschland diese wunderbare Psalmodie Gregorio Allegri’s. Sie machte einen so ungeahnten und ungewöhnlichen Eindruck auf die bisher nur an flüchtig dahinrauschende Instrumentalwerke gewöhnten Hörer, daß die Masse wie festgebannt noch lange in derselben Stelle blieb, nachdem alle Töne längst verklungen und das letzte Lichtchen verloschen war.
Ett: Kaspar E., Musiker, geb. am 5. Jan. 1788 zu Eresing, einem Dorfe am Ammersee, † am 17. Nov. 1847.München war voll Jubel und Bewunderung. Alle Zeitungen brachten begeisterte Artikel. (Vgl. u. a. die Leipziger musikalische Zeitung, S. 32, den 7. Aug. 1816.) Schmid wurde mit Distichen, Chronodistichen, Glückwünschungsschreiben, mit artistischen Geschenken überschüttet. Das Miserere mußte natürlich im nächsten Jahre wiederholt werden. Damit war nun die Bahn für immer gebrochen und eine neue Aera für Kirchenmusik erblühte von dieser Zeit an in München und auch endlich in Baiern überhaupt. Schmid setzte sich durch Vermittlung der baierischen Gesandtschaft in Rom mit dem berühmten Sammler, Sänger und Componisten, Fortunato Santini, in Verbindung, durch dessen Hand man die unverfälschten Werke der größten italienischen Componisten alter und neuer Zeit erhielt. Der musikalische Gottesdienst der Münchener St. Michaelshofkirche wurde nun ganz nach den alten Vorschriften der Kirche eingerichtet, welche den Gebrauch aller Instrumente, selbst der Orgel, während der vier Advent- und Fastenwochen untersagt. –
E., der bisher nur vom Musikunterricht gelebt hatte, wurde am 1. Juli 1816 statt seines verstorbenen Vorgängers wirklicher Organist an der St. Michaelskirche mit einem jährlichen Gehalte von 150 Gulden. Nun kamen während der Advent- und Fastenwochen die Messen von Lassus, die E. mit größtem Verständniß in die richtige Tonhöhe gebracht hatte, abwechselnd mit Palestrina an die Reihe. Durch Ett’s nie zu ermüdende Thätigkeit folgten auch die Meisterwerke [394] des 16. Jahrhunderts, neben Lasso, die Compositionen von Senffl, Animuccia, Goudimel, Palestrina; aus dem 17. Jahrhunderte die Compositionen Allegri’s, Paolo Agostini’s; ferner die Werke von Anton Lotti, Alessandro Scarlatti, Caldara, Tommaso Baji, Bernabei; dann aus dem 18. Jahrhundert kamen Fux, Händl, Costanzi, Canniciari, Durante, Leo, Pergolese, Marcello, Pavone, Dav. Perez, Vallotti, Vogler u. dergl. ununterbrochen zur Aufführung, während außer den Advent- und Fastenwochen Instrumentalwerke von den beiden Haydn, von Mozart, Vogler u. s. f. mit aller Pracht aufgeführt, dem Chore der St. Michaelshofkirche auch im Auslande einen hohen Ruf verschafften. Zwischen jene Vocalcompositionen wurde hier und da auch eine polyphone Schöpfung von E. eingeschoben, deren glänzender Erfolg rasch Veranlassung zu neuen Schöpfungen im Geiste der classischen alten Vocalmusik gab. Schon 1815 hatte E. eine „Missa quadragesimalis“ geschrieben, nämlich die Melodie des römischen Graduale vierstimmig contrapunktirt. 1816 folgte eine zweichörige Messe für 8 wesentliche Stimmen (F-dur) mit Introitus, Graduale und Offertorium, trotz all ihrer strengen contrapunktischen Durchführung dennoch voll Feuer und Glanz. Sie erregte bei ihrer ersten Aufführung sogleich die vollste Bewunderung und wird bis zu dieser Stunde pünktlich am Fastensonntag Lätare, für die sie geschrieben ist, gesungen. –
E. hatte bereits im J. 1822 für alle Theile des musikalischen Kirchenjahres im strengen Stile 45 Werke componirt, die ihm von der königlichen Behörde als streng zu bewahrendes Eigenthum der Michaelshofkirche um 300 Gulden abgekauft wurden – die größte Einnahme, die er je aus seinen Compositionen erhielt. Schmid bewachte diese und die Ett’schen Compositionen überhaupt mit Argusaugen, so daß keine Ett’sche Partitur in fremde Hände gerieth. In diesem Jahre 1822 faßte E. den Muth, auch Ockenheim’s Messe „Cujusvis toni“, beinahe aus dem Anfange der polyphonischen Composition, 1440, in unsere Musiknoten zu übertragen und was sich für unsere Ohren noch verständlich erweisen mochte (nur das Credo wurde durch eine der ersten Compositionen Orlando Lasso’s ersetzt) zu Gehör zu bringen. Diese Messe, obwol fremdartig, war von einer merkwürdigen Wirkung, die sich auch noch heutigen Tages erweist.
Die außergewöhnlichen Leistungen des Chores der St. Michaelshofkirche erregten die Aufmerksamkeit in der ganzen katholischen Welt, selbst in Rom. Thibaut war nahe daran, um ihretwillen von Heidelberg nach München überzusiedeln; mit E. stand er bis zu seinem Tode in Correspondenz. Am 13. Decbr. 1821 besuchte der allbekannte und gefürchtete, beißende Kritiker Georg Sievers, dem wir bekanntlich die ausführlichsten Nachrichten über die Sixtinische Capelle in Rom verdanken, auf seiner Reise von Rom nach Paris den Chordirector während der Probe einer Messe von Orlando Lasso. Sievers war über die hellen, reinen, geschulten Knabenstimmen mit der klarsten Vocalisation so entzückt, daß er erklärte, so etwas wäre selbst in Paris nicht zur Ausführung zu bringen. Im J. 1823 ertönte zum ersten Male Leonardo Leo’s Miserere in München; und ein Jahr darauf trat E. selbst wieder in die Reihe mit seinem siebenstimmigen Miserere aus G-moll. E., der wol wußte, was von den großartigen Compositionen, an welchen er sich herangebildet hatte, dem Wesen selbst und was nur der Zeit angehörte, hielt sich in seinen polyphonen Kirchencompositionen an den Stil z. B. des Lotti und seines Zeitalters. Dadurch waren seine Compositionen, trotz aller Strenge der Ausführung, unserm Gefühle etwas näher gerückt.
Im J. 1827 erschien Ett’s Miserere für vier Stimmen, deren Zahl aber mit der steigenden Empfindung bis zu acht wesentlichen Stimmen wächst. 1829 [395] folgte eine Messe aus A-dur für zwei Chöre aus acht wesentlichen Stimmen. Für den Freitag (1832), an welchem die katholische Kirche die sieben Schmerzen der heiligen Jungfrau feiert, schuf E. ein Stabat mater aus Es für zwei Chöre und zu acht wesentlichen Stimmen, das zu dem gewichtigsten gehört, was in diesem Stile je componirt worden ist.
Im J. 1835 hatte der berühmte Bildhauer Konrad Eberhard ein Kunstwerk zum Lobe der hl. Jungfrau, illustrirt durch seine eigenen Handzeichnungen, geschaffen, die „Wallfahrt zum hl. Berge“. Eberhard legte das Lob Mariens in den Mund der neun Chöre der Engel und bat nun E., zu diesen Chören die Musik zu schaffen. So entstand seine merkwürdige Composition: „Die neun Chöre der Engel“, eine Jubelcantate in der reichsten Form, aus neun wesentlichen Stimmen bestehend, so daß jedem Chor-Engel nach seiner mystischen Rangordnung eine Stimme zugetheilt ist, nämlich 3 Discant-, 2 Alt-, 2 Tenor- und 2 Baßstimmen. E. ließ hier seinen Genius ganz frei walten, ohne zu ahnen, daß seine Composition je zur Ausführung gelangen würde. Indessen hat der Schreiber dieser Biographie diese Composition am 25. Novbr. 1843 wirklich zur Aufführung gebracht, mit einer Wirkung, die nach dem einstimmigen Urtheile aller Kenner durch kein Orchester je erreicht werden könnte. Den deutschen Text hatte der als Bischof von Speier jetzt verstorbene Haneberg, damals noch Universitätsstudent, ins Lateinische wörtlich übertragen.
1846 kam Ett’s Vocalmesse zu zwei Chören und zu acht wesentlichen Stimmen in F-dur zur Aufführung. Das Benedictus, das aus einem dreifachen Canon besteht, überrascht dennoch selbst den Laien durch seine herrliche Wirkung.
Es gibt keinen Bestandtheil des solennen kirchlichen Gottesdienstes, über welchen von E. nicht durchgeführte Compositionen vorhanden und bis zur Stunde in den betreffenden Zeiten im Gebrauch wären. Wir besitzen deren über 180 Nummern.
Dazu kommen auch kirchliche Instrumentalwerke von tiefer Bedeutung: eine vierstimmige Messe D-dur, 1807 componirt und 1824 mit Orchester versehen, eine Messe für sechs wesentliche Stimmen, B-dur, geschrieben 1835, aber 1845 gleichfalls unter Begleitung des Orchesters aufgeführt. Drei Todtenmessen haben seinen Ruf auch ins Ausland gebracht: das erste Requiem aus C-moll (1825, bei Falter gedruckt), wird namentlich bei Trauergottesdiensten des Hofes aufgeführt. Ein zweites, D-dur (1835) für die jährliche Todesfeier des Herzogs von Leuchtenberg bestimmt, zeichnet sich durch das zwar einfache, aber dennoch tief erschütternde Offertorium aus; ein drittes, Es-dur (1842), ist durch die originelle Auffassung des „Dies irae“ berühmt. Ein schönes Requiem blos für vier Singstimmen möge hier nur vorübergehend erwähnt werden.
Zu den bekanntesten Orchesterwerken Ett’s gehört eine Cantate aus dem Psalm 23, V. 7: „Attollite portas pincipes vestras“, „Auferstehungschor“ betitelt, in D-dur für volles Orchester (1825), zur Auferstehungsfeier in der St. Michaelshofkirche am Abende des Charsamstages, eine wahre Perle der Kirchenmusik.
Das große Verdienst Ett’s für kirchliche Musik war und wird immer bleiben, daß er die großartigen Schöpfungen des 16. Jahrhunderts in Deutschland in der Kirche wieder einheimisch machte. Denn es waren nicht vorübergehende Experimente. E. zog sich sein Publicum heran und setzte die alten Meisterwerke hoffentlich für alle Zeit in der Kirche wieder auf ihren Thron.
Ein anderes Verdienst des Meisters war, daß er durch seine Lieblinge des 16. Jahrhunderts, sowie durch seine eigenen Compositionen unsere Zeit die Macht der Harmonie eines Chores wieder kennen und bewundern lehrte, welcher sich über die gewöhnliche Zahl von vier Stimmen hinaus durch 5, 6, 7, 8 bis zu [396] 9 wesentlichen Stimmen entfaltet. E. hatte aus dem Studium der alten Meister die große Kunst erlernt, für Singstimmen stets singbar zu schreiben, eine Kunst, die jetzt immer mehr und mehr verloren geht; darum singen sich auch seine ausgedehntesten Werke so leicht, ohne alle Ermüdung des Singorganes.
E. bekannte oft und dankbar, auch die Kunst der Polyphonie von seinen lieben Meistern des 16. Jahrhunderts erst recht gelernt zu haben.
Unter so glücklichen Erfolgen der beiden Freunde, die neben der allgemeinsten Anerkennung doch auch bei ihren vielen dirigirenden Collegen in München eine nichts weniger als freundliche Stimmung erregten, war Schmid schon 1820 zum Hofcaplan ernannt, der bescheidene E. ging bis zu seinem Tode leer aus. Inzwischen entschloß sich zuerst die Domkirche, den von E. und Schmid eröffneten Pfad zu betreten – die Hofcapelle dagegen unter Grua und Winter wich von ihrem glänzenden Instrumental- und Ouverturenwesen keinen Schritt, bis sie gezwungen durch die Begeisterung der Kirchenbesucher Leo’s Miserere, zugleich aber auch das von Jomelli aufführte, eine Composition, die von Allegri in der Zeit nur ein Jahrhundert, im Stile aber um zwei Jahrhunderte abstand. Endlich, als nach Winter’s Tode 1826 der bisherige Maestro der italienischen Oper, Kaspar Aiblinger (s. d.), Vicecapellmeister wurde, begann wenigstens eine theilweise Reformation, bis die von Klenze im byzantinischen Stile erbaute Hofcapelle die Aufführung einer Instrumentalcomposition der schlechten Akustik halber nicht mehr räthlich machte. Die neue Hofcapelle verfolgt noch bis jetzt den Pfad, den E. und Schmid seit 1816 gebahnt hatten. Der erste und letzte Platz der Wirksamkeit der beiden Freunde, die St. Michaelshofkirche, wirkt durch die Schüler Ett’s noch bis zur Stunde in seinem Geiste fort.
E. war ein tiefer, unaufhörlich forschender Theoretiker. Als im J. 1805 der österreichische Krieg den ehemaligen Capellmeister des Mannheimer Orchesters, Abt Vogler aus Wien, vertrieb, kam er nach langer Irrfahrt wieder nach München zurück, erbaute dann die Orgel in der protestantischen Hofcapelle, sowie die Orgel in der St. Peterskirche ganz nach seinem Simplificationssysteme. In dies sein Orgelsimplificationssystem weihte er den jungen begeisterten E. mit solchem Erfolge ein, daß E. damals der Einzige in München war, welcher die Vogler’sche Orgel in der St. Peterskirche in ihrer ganzen Wirksamkeit vorzuführen vermochte, überhaupt der Einzige von den Organisten Münchens, welcher von der Orgel eine tiefere Kenntniß besaß. Er hatte auch ein paar Hymnen componirt, bei welchen die Petersorgel das Orchester vertrat und zwar in einer wunderbaren Selbständigkeit. Natürlich nahm auch das neue Vallotti-Vogler’sche Ton- und Harmoniesystem Ett’s ganze Aufmerksamkeit in Anspruch; er legte es sogleich bei seinem Unterrichte zu Grunde und arbeitete fort und fort an der Ausbildung desselben. – Ein tieferer Kenner der innern musikalischen Geschichte fand sich wol unter seinen Zeitgenossen nicht, dabei las er neben den alten die meisten neueren Sprachen – er setzte die Responsorien der griechischen Kirche in Musik, und seine Kenntniß des Hebräischen machte es ihm leicht, auch mehrere hebräische Psalmen der Münchener Synagoge in Musik zu setzen. Sogar im Sanskrit sah er sich um. Es gab daher keinen wissenschaftlichen, musikalischen Punkt im Leben, in welchem es leicht gewesen wäre, den bescheidenen, aber in seinen Urtheilen stets bestimmten und rücksichtslos offenen Mann irgendwie an einer schwachen Seite zu fassen; deshalb wurde er von seinen Collegen mit einer Art von nicht unbegründeter Scheu behandelt, und obwol er große Freunde und Verehrer in München zählte, hatte er doch keinen wahren Freund unter seinen dirigirenden Collegen.
Gleich nach seinem Eintritt in die Welt nahm ihn die Familie Huber (der Mann war ein gesuchter Clavierlehrer und Organist) unter ihre Fittige, und [397] unter diesem Schutze lebte er beinahe bis zu seinem Tode, auch nach dem Ableben seiner zweiten Mutter (34 Jahre hindurch), kindlich gepflegt und gehegt, wie ein Sohn des Hauses. Eine geistreiche Schülerin faßte Zuneigung zu ihrem Lehrer, und der Lehrer zu seiner Schülerin; aber der hochgestellte Vater versagte ihm die Hand seiner Tochter, da der arme Organist mit 300 Gulden (er hat es nie weiter gebracht) ohne eigentliche pragmatische Anstellung war. Ihr Bild, von Meisterhand gemalt, hing noch über seinem Arbeitstische, als er schon längst entschlummert war.
Daß seine Schüler ohne Ausnahme mit ganzer Seele an ihm, wie am Herzen eines Vaters hingen, bedarf wol keiner Versicherung. E. hatte in seinem einfachen Leben sehr wenig Bedürfnisse, und so kam es, daß er sich trotz der dürftigen Besoldung noch etwas, wie er sagte, für seine alten Tage zurücklegte. Leider alles dieses verlor aber der arglose, kindlich-herzliche Mann durch falsche Freunde noch in seinen letzten Tagen, so daß er so arm aus dem Leben schied, wie er in dasselbe trat.
Auf seinem Grabmale, zu dessen Errichtung auch sein ehemaliger Schüler, König Max II., beigesteuert hatte, sagt unter anderm die bereits erlöschende Inschrift: „Dem Wiedererwecker alter heiliger Musik, dem tiefsinnigen Harmoniker und Contrapunktisten; dem großartigen Kirchencompositeur; dem Unvergeßlichen, setzen dieses Denkmal seine trauernden Freunde, Verehrer und Schüler.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Korrekt ist 16. Mai 1847.