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ADB:Gottschalk der Sachse

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Artikel „Gothschalk, Mönch des 9. Jahrhunderts“ von Friedrich. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 493–497, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gottschalk_der_Sachse&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 02:39 Uhr UTC)
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Gothschalk, Mönch des 9. Jahrhunderts, stammt aus Sachsen, nicht, wie Andere darthun wollten oder behaupteten, aus Gallien oder Belgien, oder gar Schottland, und war der Sohn eines Grafen Berno. Schon als Kind wurde er nach damaliger Sitte von seinen Eltern dem Mönchsstande verlobt. Wirklich kam er als sogenannter Oblate ins Kloster Fulda, keineswegs nach Reichenau. Dieses Gelübde seiner Eltern und dessen Ausführung wurden aber die Ursache seines Unglücks. G. fühlte nämlich keinen Beruf zum Mönchsleben in sich und suchte diesem in der That durch eine Klage gegen seinen Abt Rabanus Maurus auf einer Synode zu Mainz 829, daß er ihn gegen seine Neigung und nur auf Grund des Gelübdes seiner Eltern festhalte, zu entkommen. Die Synode ging [494] zwar auf sein Verlangen ein, allein Rabanus wandte sich unter Vorlage seiner bekannten Schrift: De oblatione puerorum secundum regulam b. Benedicti an den Kaiser und erwirkte, daß G. aus dem Kloster nicht entlassen wurde. Das Einzige, was er durch seinen Schritt erreichte, war, daß er in das Kloster Orbais in der Diöcese Soissons versetzt wurde, ohne daß ihn jedoch Rabanus auch für die Zukunft aus den Augen ließ. Damit ist die weitere Entwicklung Gothschalk’s psychologisch für jeden erklärt, der die Wirkungen eines solchen Zwanges zu einem dem inneren Wesen widerstrebenden Lebensberufe mit allen Forderungen des geistlichen oder Mönchsstandes zu beobachten Gelegenheit hatte. Bei vielen Naturen tritt gänzliche Apathie, bei anderen, besonders begabteren und energischeren, innere Verstimmung und rastlose, meistens einseitige Thätigkeit auf irgend einem Gebiete wissenschaftlichen oder praktischen Lebens ein. Zu letzteren Naturen gehörte G. Er lebte in Orbais nur dem wissenschaftlichen Studium und las mit besonderer Leidenschaft die Schriften des Augustinus und Fulgentius. Wie aus einem Gedichte des mit ihm befreundeten Walafried Strabo an ihn hervorgeht, nannte man ihn wegen seiner Vorliebe für Fulgentius sogar selbst Fulgentius. Die Beschäftigung namentlich mit Augustinus, der im Abendlande als der bedeutendste und größte Kirchenlehrer betrachtet wurde und mit dessen Autorität sich Jedermann zu decken suchte, konnte an sich nichts Auffallendes sein; aber es konnte auch nicht fehlen, daß G., wie an jeden denkenden Theologen die Frage von der Prädestination mit ihren Beziehungen zu den verschiedensten theologischen Problemen herantreten wird, in diese sich verlor, da sie ihm bei Augustinus so oft begegnete, während die kirchliche Praxis ihm mit derselben in offenem Widerspruch zu stehen schien. Nur um so mehr fühlte er den Drang in sich, die Lehre dieses gefeiertsten Orakels in der Kirche überall zur vollen und unbedingten Anerkennung zu bringen. So finden wir ihn zunächst mit den Mönchen Ratramnus und Walafried Strabo, den Aebten Lupus von Ferrière und Marquard von Prüm und dem Bischof Jonas von Orleans († 842) in Verkehr über diese Lehre. Statt aber der ihm dabei gewordenen Mahnung nachzugeben und sich nicht mit so schwierigen Fragen zu befassen, reiste er nun auch nach Italien und verbreitete überall seine Anschauung. Auf dieser Reise schon begegnete er dem zum Bischof von Verona ernannten Noting, welcher im Frühjahr 840 mit Rabanus im Lahngau zusammentraf, diesen über Gothschalk’s Treiben unterrichtete und zu einer Schrift gegen ihn veranlaßte, welche noch in einem an Noting gerichteten, freilich die Lehre Gothschalk’s unrichtig darstellenden Schreiben vorliegt. Nach seiner Rückkehr ließ sich G. von dem Chorbischof Richbold von Rheims während der Sedisvakanz, also nicht von dem Bischof von Soissons, in dessen Diöcese Orbais lag, zum Priester ordiniren. Nicht lange nachher ist er, wie wenigstens Erzbischof Hinkmar später behauptete, ohne Erlaubniß seines Abtes, auf einer zweiten Reise nach Italien, wobei er neuerdings seine Lehre verbreitete. Aber auch dahin verfolgte ihn Rabanus, jetzt Erzbischof von Mainz, und veranlaßte den Grafen Eberhard von Friaul, bei dem sich G. auf seinem Rückwege längere Zeit aufhielt, ihn, dessen Lehre in Deutschland schon weit verbreitet sei, zu entlassen. Als ihn darauf Rabanus in Deutschland entdeckte, ließ er ihn verhaften und vor eine Synode in Mainz, deren Vorsitz er selbst führte, stellen (848). G. widerrief nicht, vertheidigte sich mit Wort und einer Schrift, von der wir nur noch Fragmente in den Streitschriften kennen, und warf sogar Rabanus vor, daß er ein Anhänger des Gennadius und Cassianus sei. Dieser vermochte auch nur die Majorität für sich zu gewinnen, die allerdings G. und seine Anhänger verurtheilte; aber gerade dieser Vorgang beweist, daß G. nicht allein stand, sondern seine Auffassung in der Kirche weit verbreitet war. Nach den Xantener Annalen sind seine Anhänger auch mit Schlägen traktirt [495] worden, ein Verfahren, das in Deutschland die Bewegung erstickt zu haben scheint. G. selbst aber wurde in die Diöcese seines Klosters gebracht, und ein Brief Rabanus’ an Hinkmar stellte diesem das Ansinnen, dem Mönche weitere Umtriebe unmöglich zu machen. Bischof Rothad von Soissons nahm ihn nun in Verwahr und Hinkmar selbst setzte sich mit ihm in Verkehr, um ihn von seiner Lehre abzubringen. Da es vergebens war, wurde er im Frühjahre 849 vor die Synode zu Chiersey, zu deren Mitgliedern auch der Abt von Orbais gehörte, gebracht. Zunächst erklärte man ihn der durch den Chorbischof Richbold erlangten Priesterwürde für verlustig und ging dann auf die dogmatische Frage über, ohne es, wie es scheint, zu einer geordneten Behandlung derselben kommen zu lassen. G. widerrief auch hier nicht. Die Folge davon war, daß er körperlich gezüchtigt wurde und seine Schriften ins Feuer werfen mußte. Seit dieser Zeit wurde er im Kloster Hautvilliers in der Diöcese Rheims in Haft gehalten, durfte jedoch den Gottesdienst besuchen und communiciren; auch das Schreiben war ihm noch nicht verwehrt. Von allem aber, was er geschrieben, entgingen nur zwei Glaubensbekenntnisse der Vernichtung. Am Schlusse des größeren fordert er sogar zum Beweise der Wahrheit seiner Lehre ein Gottesurtheil, so überzeugt war er von ihr und so fest hing er ihr an. Aus diesen Glaubensbekenntnissen müssen wir eigentlich auch die Kenntniß seiner Lehre schöpfen, da die Fragmente seiner Schriften in den Streitschriften Anderer, wenn auch nicht gerade verfälscht, doch aus dem Zusammenhange gerissen dieselbe nicht mit Zuverlässigkeit erkennen lassen. Seine Lehre war aber in der That augustinisch und enthielt keine zwei Prädestinationen, d. h. keine Prädestination der Bösen zum Bösen, wie man ihm imputiren wollte. Nach dieser Synode wurde übrigens der Streit erst ernster und man erkennt auch daraus, daß die augustinisch prädestinatianische Anschauung weit verbreitet war. Eine ganze Reihe der hervorragendsten Männer nahm sich Gothschalk’s an, wenn sie auch mit Rücksicht auf die anthropologische Seite der Frage und um die Erlösung oder, wie sie sich ausdrückten, den Werth des Blutes Christi nicht zu sehr zu vermindern, sich vorsichtiger, als jener, auszusprechen suchten. Bischof Prudentius von Troyes, Abt Servatus Lupus, der Mönch Ratramnus erhoben sich für ihn, und Hinkmar kam dadurch in nicht geringe Verlegenheit. Zunächst dachte er an Rabanus, um sich mit dessen großer Autorität zu decken; allein dieser lehnte das Ansinnen, eine größere Gegenschrift zu verfassen, ab. Dann wandte er sich gleichzeitig mit G. selbst an die Lyoner Kirche, und hier war er glücklicher. Erzbischof Amolo suchte nämlich in einem Briefe an G., ohne ihm vollkommen Recht zu geben, beide Gegner zu versöhnen, und der Magister Florus schrieb überdies noch einen Sermo de praedestinatione. Auch den unstäten Amalarius rief Hinkmar zu Hülfe, der auch sofort eine Schrift schrieb; am meisten aber versprach sich der Rheimser Erzbischof von dem Eingreifen des hochangesehenen Skotus Erigena. Allein dessen Schrift entflammte den Streit nur noch mehr. Sofort trat Bischof Prudentius gegen sie auf und fand darin 77, eine unter dem Namen der Lyoner Kirche bekannte Schrift gar 106 Irrthümer. Nochmals sollte Erzbischof Amolo von Lyon dem Rheimser Collegen beispringen; allein er starb inzwischen und wurde durch Remigius ersetzt, der allerdings sich de tribus epistolis vernehmen ließ, aber die Sache Gothschalk’s vertheidigte und das Verfahren Hinkmar’s tadelte. Hinkmar setzte nunmehr die 4 Artikel der Synode von Chiersey 853 entgegen, denen, obwohl von ihm selbst unterzeichnet, Prudentius auf einer Synode der Provinz Sens in Paris mit 4 anderen Sätzen antwortete; noch viel wichtiger aber war, daß jetzt Remigius von Lyon in der Schrift De tenenda veritate scripturae sowol Hinkmar als die 4 Artikel von Chiersey heftig angriff. Eine Synode zu Valence 855 nahm den Augustinismus in Schutz und verwarf [496] die Sätze von Chiersey nebst 19 anderen des Skotus Erigena. Dadurch sowie die Aufforderung des Königs Karl, sich darüber zu äußern, stieg die Verlegenheit Hinkmar’s und sah er sich endlich veranlaßt selbst ein Buch über die Prädestination zu schreiben, das wir jedoch nicht mehr besitzen. Dazu kam noch, daß ihn um diese Zeit G. wegen einer Aenderung des Wortes trina deitas in summa deitas in einem kirchlichen Hymnus des Sabellianismus beschuldigte und ihm darin sofort sein Freund Ratramnus hülfreich beisprang. Auch hiergegen wehrte sich Hinkmar in einer besonderen Schrift, worin er G. mit dem Vorwurf des Arianismus antwortete. Als auf 859 eine Synode von 12 Kirchenprovinzen zu Savonnières bei Toul gehalten werden sollte, tauchte auch die Prädestinationsfrage wieder auf. Die früher in Valence versammelten Bischöfe hielten eine Vorversammlung in Langres und wiederholten in ihren Beschlüssen auch die Artikel von Valence; ihre Verlesung auf der nun folgenden Synode von Savonnières sowie die Entgegenstellung der Artikel von Chiersey verursachte aber so große Aufregung, daß man die ganze Verhandlung der Frage auf eine nächste Synode verschob. Diese fand nun zwar nicht statt, aber auf der zu Toucy 860 übertrug man Hinkmar, der inzwischen an politischem Einflusse gewonnen, die Abfassung des Synodalschreibens, in dem er nicht nur seine eigene Auffassung der Prädestinationsfrage aussprechen, sondern auch die Sätze von Chiersey wiederholen durfte. Abgeschlossen war damit freilich der Streit noch nicht und Hinkmar mußte sich nochmals an die Ausarbeitung eines Werkes über die Prädestination machen; aber er hatte damit offenbar der fränkischen Kirche in dieser Frage die Signatur seines Geistes aufgeprägt. G. saß inzwischen in Hautvilliers, ohne daß wir zunächst Weiteres über ihn erfahren. Zwar hatte sich nach den Bertinianischen Annalen zum Jahre 859 P. Nicolaus I. zu Gunsten des Augustinismus entschieden; allein die Angabe ist nicht so bestimmt, als Weizsäcker angenommen hat und worauf schon v. Noorden aufmerksam gemacht hat. Erst aus den J. 862–63 wissen wir sicher, daß sich der Papst mit der Gothschalk’schen Sache ernster beschäftigte. Hinkmar berichtet ihm darüber und sendet auch mehrere Schriften, 864–65 folgt ein neuer Bericht des Erzbischofs. Das scheint G. erfahren zu haben und so wollte auch er seine Sache in Rom vertreten wissen. Ein aus Hautvilliers entsprungener, dem G. befreundeter Mönch Guntbert brachte nun auch die Beschwerden des Gefangenen nach Rom, wogegen Hinkmar neuerdings Aufschlüsse durch den Bischof Egilo an den Papst gelangen ließ, ohne daß dort die Sache einen Abschluß gefunden hätte. G. wurde später nicht mehr so nachsichtig behandelt: es war ihm Schreiben und Communion untersagt. Nach Hinkmar hätte er Nahrung und Kleidung verschmäht und die ausschweifendsten Visionen gehabt. In einer schweren Krankheit sann man ihm neuerdings einen Widerruf an, um dann die Communion erhalten zu können, aber er wies das Ansinnen zurück. Ebenso umsonst wartete man bei seinem Tode auf ein Zeichen des Widerrufs, um ihm nach der Weisung Hinkmar’s die Communion geben und ihn daraufhin ehrenvoll beerdigen zu können. Er war zu unbeugsamer Prädestinatianer und legte in Folge dessen zu wenig Werth auf Communion und kirchliches Begräbniß, als daß er sie durch einen Widerruf hätte erkaufen sollen, eine Erscheinung, welcher man auch heutzutage bei Einzelnen begegnet. Die äußere Kirche mit dem consequenten und starren Prädestinatianismus zu vermitteln ist eben eine der schwierigsten Seiten des Problems. Das Todesjahr Gothschalk’s ist nicht bekannt.

Mauguin, Veterum auctor., qui saec. IX. de praedest. scripserunt, opera et fragmenta, 650. Usserius, Gotteschalci et praedestinatianae controv. hist., 631. Cellot, Hist. Gottesc. praedestinatiani, 655. Kunstmann, Hrabanus Magnentius Maurus, 1841. Weizsäcker, Das Dogma der göttlichen [497] Vorherbestimmung im 9. Jahrh. in d. Jahrbüch. f. deutsche Theol., 1859. v. Noorden, Hinkmar, Erzbisch. v. Rheims, 1863 (besonders für die Chronologie wichtig), dazu Kunstmann, Die Briefe Hraban’s im Prädestinationsstreite in den hist.-pol. Blättern, 52. Bd. Borrasch, Der Mönch Gottschalk von Orbais, 1868, dazu Reiser im Bonner theol. Lit.-Blatt, 1869.
Friedrich.