ADB:Klein, Karl (elsässischer Historiker)

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Artikel „Klein, Karl“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 183–189, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Klein,_Karl_(els%C3%A4ssischer_Historiker)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 12:34 Uhr UTC)
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Klein: Karl K., Elsässer Volksschriftsteller, Verfasser der „Fröschweiler Chronik“, wurde 31. Mai 1838 zu Hirschland im nordwestlichen Elsaß geboren, Sohn des Schullehrers Joh. Phil. K. Schweizer Abkunft. Die ärmlichen, aber glückfrohen Verhältnisse des Elternhauses und den idyllisch-kleinen Rahmen des Heimathdorfs hat 1879 der einundvierzigjährige Mann aus lebendigem Rückgedenken als der „weiße Bub“ in dem Buche „Vor dreißig Jahren“ wiedererweckt, für sich und andere. Dort hören wir auf dem ersten Blatte, daß in dieser Gegend „unser gejagter Stammvater, ein Normandischer Exulant, mit 16 Kindern eine Zufluchtsstätte vor Ludwig’s XIV. Dragonern“ gefunden: K. ist mütterlicherseits Sprößling französischer Hugenotten. So fällt es denn auch kaum weiter auf, daß der Knabe, obwol die Familie gut deutsch war, durch Freunde des hart ums Brot bemühten Vaters auf ein collège zu Paris kam. Er absolvirte die Gymnasialclassen und erlernte ein ausgezeichnetes Französisch, was in den maßgebenden Kreisen Straßburgs damals geschätzt und wichtig war. Aber als er dann als Mitglied des theologischen Studienstifts St. Thomas zu Straßburg sich der protestantischen Theologie widmete, zeigte [184] er das deutsche Herz unter den französischen Formen, indem er in einen kleinen Cirkel deutsch gesinnter Studenten, die damals entstandene „Wingolf“-Filiale „Argentina“ eintrat. Als deren Abgeordneter bei einem Stiftungsfest des Marburger „Wingolf“ hielt der französische Unterthan einmal eine begeisterte deutsch-patriotische Rede, sodaß ihn der alte F. Ch. Vilmar mit Thränen umarmte. Sonst war K. bei aller Gemüthlichkeit zurückhaltend, recht ein Kind des sog. „krummen Elsaß“, ja früh gedankenverloren. Lectüre Luther’s und der deutschen Mystiker, später die theologischen Schriften des Erlanger Professors Hofmann, Löhe’s, Vilmar’s festigte den nach persönlicher Glaubensüberzeugung ringenden Studenten gegen den in Straßburg herrschenden Rationalismus zum lebenslang positiv dogmenstarken Geistlichen und bestärkte ihn die gewählte Laufbahn im recht erkannten Sinne durchzuführen. Der Fröhlichste und Unternehmendste seiner Kameraden, der Lehrenden wie Lernenden Liebling – der „Hirschländer“ – der mit Pflanzen, Thieren, Kunstwerken seine arme Zelle im Stift ausstattete und, der frische Blondgelockte mit den edeln Zügen, der zur Mandoline vor den Freunden schwärmerisch sang: so erschien er schon den letzteren ein Ungewöhnlicher, Zukunftsvoller, ein Glückskind. Zuerst unter allen Studiengenossen kam er ins Amt, 1860 als Pfarrverweser nach Bühl im Unter-Elsaß. Die Bauern trugen ihn auf Händen, aber als er mit Körper und Seele der Blattern, die ihn während einer Epidemie dem Tode nahe brachten, Herr zu werden suchte, übermannte ihm zum ersten Male die Schwermuth das Gemüth. Bald hergestellt, ging er 1862 als Privat-Vicar des ums Lutherthum verdienten Pfarrers Hosemann nach Paris, dessen Tochter Elisabeth in der 1865 geschlossenen Ehe die treue Mutter acht reichbegabter Kinder werden sollte. Als Hosemann’s Gehülfe in Predigt und Seelsorge, besonders in Gefängnissen und Spitälern und während einer Choleraepidemie, wirkte K. unter den vielen deutschsprechenden Einwanderern missionarisch segensreich und beglückt und sammelte reiche Erfahrung, welche ihn für die Heimsuchungen der kommenden Jahre gestählt haben. Diese häufte auf ihn die im Februar 1867 erfolgte Anstellung als Pfarrer zu Fröschweiler im Unter-Elsaß mit dem Kriege von 1870. Freudig baute er dort auf dem neuen Grunde christlichen Lebens weiter, den sein Amtsvorgänger, der bekannte spätere Posener Oberconsistorialrath Max Reichard, in jener Gegend gelegt hatte: in dem abgeschiedenen Dörfchen, das wunderlieblich liegt zwischen Reben und Eichwald, wo das Hügelland in den Wasgau übergeht, vor dessen rothschimmernden Ruinen. Der Schloßherr Fröschweiler’s, Graf Dürckheim, stützte das edle Streben Klein’s, der bei kleiner Besoldung neben wachsender Kinderschar noch Eltern und Geschwister bei sich hatte.

Völlig unerwartet und mit einem Male brach die Weltgeschichte über den friedlichen Horizont dieses Seitenthals. Gerade unmittelbar neben und in Klein’s Revier selbst, setzten die Schreckens des 70er Kriegs am 6. August mit der Schlacht bei Wörth furchtbar ein, und seine unparteiische, aber warmblütige „Fröschweiler Chronik“ zaubert sie sinnfällig, theilweise hinreißend vor unsere Augen. Die Geschehnisse jener Tage bilden den Höhepunkt in seinem Lebensdrama. Es sind vielfach tragische Scenen, die uns seine Momentbilder, dazu seiner Schwester Ergänzungsskizzen, vorführen, aus den Stunden vor, während und nach jenem ersten großen Entscheidungszusammenstoße zwischen Klein’s angestammten Volksgenossen und der Nation, der sein Herz allmählich immer stürmischer entgegenschlug. In Fröschweiler war das Drunterunddrüber eines erbitterten modernen Krieges großen Stils zuerst drastisch in Erscheinung getreten, und Pfarrer Klein, der alles Furchtbare davon am eigenen geringen Hab und Gut und in seinem verantwortlichen Amte hart gespürt hatte, mußte lindern und neuordnen. Auf seinen ergreifenden Hilferuf regten sich tausend [185] Hände, um die Wunden zu heilen, bis weit nach Altdeutschland hinein. Diese allseitigen Gaben und diese stark persönliche Theilnahme verwandelten den anfänglichen Groll gegen die Sieger in lebhafte Anerkennung und allmählich in Verständniß für die natürliche Zusammengehörigkeit. Für diesen innern Vorgang stellt K. selbst ein Musterbeispiel dar, wie seine Aufzeichnungen klarstens verrathen. Nach der Schlacht sammelte er Waffen, Uniformen, Instrumente, Karten u. s. w. vom Schlachtfeld zu einem hübschen Museum. Den Friedensausgleich krönte aber die auf Klein’s Betrieb statt der bis auf die vier Mauern zerschossenen errichtete Fröschweiler „Friedenskirche“, und als dies herrlichste Denkmal des Wörther Schlachtfeldes im September 1876 Kaiser Wilhelm I. besuchte, erregte sie sowie des Freiherrn Löffelholz v. Colberg daselbst verwahrtes künstlerisches „Helden- und Todtenbuch“ mit Klein’s Chronik der Fröschweiler Kriegsereignisse sein und seiner Begleiter Interesse. Diese seine Kriegserinnerungen hatte K. schon bald nach dem Friedensschlusse niedergeschrieben, zunächst nur für das Archiv der Kirche. Als er dann aber bei der Umschau nach einem Verleger in Straßburg und sonst abfiel, dagegen bei dem von Freunden angefragten bekannten Buchhändler C. H. Beck in Nördlingen Annahme fand, sch1angen sich bald festere Fäden nach der bairisch-schwäbischen alten Reichsstadt im Ries. Im Herbst 1876 hatte er seinen Aeltesten auf das Prinz Salm-Horstmar’sche „Johanneum“ im dortigen Oettingen gebracht; das war der Beginn der Anknüpfung gewesen, dem dann eben sofort die Drucklegung seines Memoirenbüchleins entsprang. Bald ergab sich daraus ein tiefer einschneidender Umschwung für sein Dasein. Die Kämpfe innerhalb der evangelischen Landeskirche des Elsaß, die dem streng im Lutherthum wurzelnden Manne in seiner Orthodoxie bei aller individuellen Weichheit an die Nerven griffen, aber auch Beförderung oder nur Verbesserung angesichts des Vorwaltens des Liberalismus versperrten, auch die Sorge für die Erziehung der größeren Kinder erregten ihm den Wunsch nach ruhigerer städtischer Wirksamkeit im Reiche. Auf Zureden etlicher aufrichtiger Nördlinger Freunde bewarb er sich um die dortige vacante Hauptpredigerstelle, erst ohne, 1882, als sie wiederum erledigt war, auf seine mächtig einschlagende Gastpredigt über die Arbeiter im Weinberg hin mit Erfolg. Im Frühlinge 1882 trat er an die Spitze der Gemeinde der alten, schön erneuerten St. Georgskirche, daneben in die Function als Decan, Districtsschulinspector und Vorstand einer Präparandenschule. Dies vielseitige und verwickelte Amt fesselte aber K. nur, da freilich stark, von der kanzelrednerischen Seite, namentlich indem seine gewaltigen „von inniger Jesusliebe zeugenden, in edler, volksthümlicher Form vorgetragenen“ (so Haußleiter) Predigten die breiteste Zuhörerschaft wie ihn voll befriedigten. Dagegen mangelte zu seiner gewohnten intimeren Seelsorge außerhalb des Gotteshauses die Gelegenheit fast ganz, und die ausgedehnten Verwaltungsobliegenheiten wurden dem ungern an schriftliche Amtsarbeit und geschäftliche Ordnung gebundenen Mann Pein und Plage. Da brach im J. 1885 mit Rothlauf sein altes Kopfleiden schwer aus, griff rasch um sich, entriß ihn, zum ernstesten Bedauern aller Betheiligten, den Seinen im engern und weiteren Sinne. Den Rest seiner Tage, dreizehn Jahre, brachte er, in unheilbare Gemüthskrankheit verfallen, in der Kreisheil- und Pflegeanstalt zu Kaufbeuren zu. Unterbrachen auch nur bisweilen Lichtblicke die Nacht seines Trübsinns, so verließ ihn der Trost des Glaubens auch im ärgsten Dunkel nicht und täglich las er das Neue Testament griechisch. Nach 13jährigem Aufenthalte daselbst erlöste ihn am 29. April 1898 der Tod. In Nördlingen, wo man ihn aus hochachtungsvoller Rücksicht äußerlich im Amte belassen und sich seiner großen Fami1ie treulich angenommen hatte, bettete man ihn unter ehrendster Betheiligung am 1. Mai äußerst feierlich [186] zur letzten Ruhe. Alle, die Karl K. im Leben nahe getreten, haben denselben sympathischen Eindruck mitgenommen, den sein Bild hinterläßt. Tiefes, aber lebendig eröffnetes Gemüth, in echter Demuth fußende Schlichtheit, weiche Empfindung und herzliche Antheilnahme, offene nachdrückliche Bekennerschaft für Religion, Gottesglaube, Christenthum und sein Lutherthum, wie er sie verstand und festhielt: diese Hauptzüge seines Wesens verbanden sich zur Einheit eines Hochschätzung abzwingenden Charakters.

Die meisten Seiten seiner selbständigen Art spiegelt das anspruchslose Büchlein, das ihn bekannt, ja in gewissem Grade berühmt gemacht hat. Klein’s „Fröschweiler Chronik. Kriegs- und Friedensbilder aus dem Jahr 1870“, mit der seine harmonische, feinbesaitete und ungemein gemüthsreiche Persönlichkeit lange fortleben wird, schlug vor Weihnachten 1876 zündend ein, obwol das erste intensive Interesse an den 1870er Einzelheiten im Abflauen war. In 14 Tagen vergriffen, erlangte sie, auch durch den dem Verfasser schnell befreundeten Verleger, der sich um weiteste Verbreitung bemühte, bis 1878 4, bis 1899 16, bis heute (1905) 23 Auflagen, wozu 1897 eine, von Ernst Zimmer aus Augenschein fast congenial illustrirte Jubel(quart)ausgabe trat. Sie ist ein historischer Niederschlag Elsässer und deutscher Volksäußerung über den unmittelbaren Eindruck des 70er Krieges geworden, infolge ihrer Anlage, ihrer bewundernswerthen Ungeschminktheit, Frische und Wärme, ihres klaren und knappen Stils ein Volksbuch ersten Ranges, wie berufener Mund wiederholt geurtheilt hat. Johannes Haußleiter, eigentlich derjenige, dessen privater Auswahlvortrag aus dem Manuscript in einem Nördlinger Kränzchen 1876 die dortige Drucklegung veranlaßt, äußert: „Alles das, was das Volksgemüth im Elsaß vor dem Krieg, mitten unter den Schrecken der Schlachten, beim Uebergang zu neuen Zuständen in tiefster Bewegung erlebte, ist mit einer Wahrheit und Unmittelbarkeit zur Anschauung gebracht, die zum Mit- und Nacherleben auffordert und befähigt“ und er vermittelt uns auch eine längere Würdigung vom baierischen Oberconsistorialpräsident Stählin, der wir entnehmen: Eine Psychologie des Kriegs von mächtiger Wirkung sei hier gegeben. Man erschrecke und erbebe in innerster Seele vor dem furchtbaren Ernst göttlicher Gerichte. In dem Erzähler trete uns ein Mann entgegen von feinem Sensorium für die innersten Triebe, die Leiden und Freuden, die wahren Bedürfnisse des Volks, voll Nüchternheit und zugleich voll Charakter in Bezug auf die nationale Frage, voll echten Christenthums. Und Haußleiter fügt hinzu: „Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, findet in dem Buch eine Charakteristik des Verfassers, wie sie niemand treffender schreiben könnte; man sieht in seine feine, fast allzu empfindsame Seele hinein.“ Karl Gerok, von andern warmen Lobrednern zu geschweigen, hat das Buch eine einzigartige tieferschütternde Lectüre genannt. Endlich hat der geistreiche Franz Servaes in einem Essay über die Grundlage des dazumal im Haag verlangten Weltfriedens sich wie folgt ausgelassen:

„Wir möchten einen Mann reden hören, der im Wirrwarr unmittelbarster Ereignisse gleichsam die Glocke der Ewigkeit läuten hört: Das wäre uns ein wahrhaft Auserlesener. Und seltsam, dieser Auserlesene ist da, seit manchen Jahren schon, und das Volk hat seine Stimme vernommen und hat ihr andachtsvoll gelauscht, blos die ‚Gebildeten‘ haben sich noch ziemlich spröde verhalten, sie haben ihre Interessen mehr anderwärts spazieren geführt. Und doch verdient die ‚Fröschweiler Chronik‘ gerade von den Allergebildetsten recht fleißig gelesen zu werden und selbst auch artistische Feinschmecker können ein wahres Labsal daran finden, denn ihr Verfasser, der Pfarrer Klein, ist ein Mann, der das Schreibhandwerk im Handgelenk hat und ausbündig versteht. Und doch [187] ist’s ihm wahrhaftig um’s Schreiben nicht zu thun, sondern einzig um die Sache, um das Ausschütten seines übervollen Herzens, um das Niederlegen seiner weltgeschichtlichen Erfahrungen. Und da griff er denn als ein echter Gottesmann zum Federkiel und setzte in starken und doch zarten Strichen, und überall aus der Kraft seines alemannischen Volksgemüths schöpfend, ein breites, furchtbares Gemälde hin, durch das die Brandfackel des Krieges loht. An Schriften des siebzehnten Jahrhunderts, an den ‚Simplicissimus‘ wird man erinnert, wenn man diesen Pastor vom Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts liest! Diese Volkskraft, diese Macht und Fülle der Anschauung, diese Unmittelbarkeit der Darstellung, dieses glaubensstarke Herz! Das Buch gehört bereits heute der Weltlitteratur an …“

So hatte der Zufall des Lebens K. als Erzähler und Volksschriftsteller entdeckt, und es folgte 1880 „Vor dreißig Jahren. Eine alte Geschichte für unsere neue Zeit, unserm Volk zu Nutz erzählt“, höchst ansprechende Erinnerungen von 1848–52 aus seiner Heimathgemeinde in erzählendem Kleide, in einer zwischen Berthold Auerbach und Rosegger liegenden Selbständigkeit. Auf eine ungewöhnlich natürliche, zarte, man mag sagen unschuldige Liebesgeschichte im 21. Capitel „Mutterseelenallein unter’m Apfelbaum“ macht K. Hackenschmidt aufmerksam. Dieser elsässische Studien- und Amtsgenosse, auch genaue Kenner Klein’s weist auch darauf hin, daß in den kleineren Dorfgeschichten, wie solche außer in „Vor dreißig Jahren“ im „Kinderfreund“, im „Nachbar“ u. a. Blättern erschienen, durch die Gabe sich in die Seele des Volkes zu versetzen und aus ihr heraus zu reden, K. an Jeremias Gotthelf heranreiche, und daß wie bei diesem, Albert Bitzius, die Bauern oft in den Erzählungen ihres Pfarrers sich nebst ihren Erlebnissen, Thorheiten und Fehlern mit Aerger wiedererkannten, sie jedoch durch Klein’s seelsorgerische und menschliche Hingabe stets ihm von neuem gewonnen wurden. Inhaltlich bildet „Vor dreißig Jahren“, diese Perlenkette von 29 Skizzen, die das Schlußwort ein „Zeitbild“ heißt, ein Präludium, in der litterarisch-ästhetischen Originalität ein Seitenstück zur „Fröschweiler Chronik“. Fanden nun auch die jüngern Arbeiten Klein’s viele Freunde, so ging’s mit dem äußern Erfolg wie so oft: der erste geschickte Wurf stach jüngere Arbeiten aus, und so nennt man den, zweifellos an positivem Stoffe, ja auch an kunstmäßiger Einzelausgestaltung die „Chronik“ übertreffenden Culturabschnitt des Jahrvierts 1848–52 nur selten neben dem Erstlinge, der seinem Schöpfer zum verdienten Ruhme verhalf. Und doch bewundern wir in den Scenen, Gesprächen und Gemälden aus der Sphäre des westlichen Deutschthums die unaufdringliche Schärfe praktischer Volkspsychologie, die ihr Senkblei in den Beobachtungen über den Neubruch socialer Verhältnisse nach und zufolge dem „tollen Jahr“ sicher auswirft. Im genaueren – oben angedeuteten – Vergleiche mit den provinziell und idiomatisch verwandten epischen Leistungen eines Auerbach oder des zu urwüchsigen Deutschschweizers Bitzius „Gotthelf“ bekundet K. angeborene Vollkraft des Gedankens, der Anschauung, des reproducirenden Stiftes. Diese, deren Bethätigung das Fesselnde des wirklich erzählenden Beiwerks bei jenen zwei Parallelerscheinungen großentheils fehlt – zwar heißt’s am Ende der Einleitung: „eine Dorfgeschichte zu erzählen, bin ich doch gekommen“ – läßt echte und rechte deutsche Art aus dem Elsaß und Deutschlothringen sichtbar werden wie bei Otte, den Brüdern Stöber, Karl Candidus, dem 1888 viel zu früh gestorbenen, viel zu wenig bekannten Wilh. Sommer (s. A. D. B. XXXIV, 607 f.); „Elsässer Geschichten“, 3 Bände, 1892–94).

Jedenfalls lassen beide Werke Klein’s den frühen tragischen Ausgang des hochbegabten originellen Volksschriftstellers schmerzlichst bedauern, der trotz ernsten [188] Grundzugs köstliche Laune besitzt und jedem Alters- wie Bildungsstande hohen Genuß bereitet. „Wie der Vetter Hansjockel in Jeisle’s Wollsack hineinkommt“ und „Was ein Paar silberne Schuhschnallen kosten“ (1881; H. Klein’s [Barmen] Volksbibliotheken) sind kleinere Früchte seines Talents, gemäß dem letzten Absatz der „Fröschw. Chr.“. Dieser zeige hier K.s litterarischen Stil und Zukunftsplan: „Der Erzähler hätte noch gar vieles zu sagen über Land und Leute, wie es seit sechs Jahren [1876 niedergeschrieben] im Elsaß gegangen, wie es geht und gehen muß; wie es in Städten und Dörfern, in Kirche und Schule, im Familien- und Volksleben aussieht; welche Fort- und Rückschritte, Verbesserungen und Verböserungen allenthalben geschehen sind. Ach! eine ganze Menge von Fragen und Antworten liegen einem auf der Seele! Aber der Winter ist vor der Thür – es wird kalt und kälter. – Kommt Zeit, kommt Rath. – Wenn die Tage wieder länger und die Eiszapfen kürzer werden, wollen wir vielleicht einmal wieder einen Rundgang machen und sehen, wie viel Uhr es in den Reichslanden geschlagen hat.“ Leider ist nichts weiter daraus geworden, mit infolge des Winters, den Haußleiter aus diesen Worten symbolisch ausdeutet, nämlich der Geistesnacht, die K. überfiel. Die „Fröschweiler Chronik“ hat jedoch eine lange Reihe von Darstellungen aus den Federn von Mitkämpfern oder Mithandelnden hervorgerufen oder wenigstens eröffnet, die für die andauernde Volksthümlichkeit des tief eingreifenden Waffenganges von 1870/71 laut zeugen. Vielleicht darf man sogar einen leisen Zusammenhang annehmen zwischen der immer mehr angewachsenen Popularisirung des blutigen Anfangsringens bei Fröschweiler, die Klein’s Darstellung beschieden war, und der gründlichen einschlägigen militaristischen Speciallitteratur von französischer und deutscher Seite neuesten Datums (General Bonnal, „Froschweiler“; Lehautcourt’s Buch über 1870/71, 1903; Major Kunz, „Der Kampf um den Fröschweiler Wald“ 1902 u. s. w.), indem K. die Theilnahme dafür neu und stark rege gemacht hat. Ein unmittelbarer litterarischer Pflänzling des eindrucksvollen Klein’schen Buches ist dagegen das vieractige Schauspiel „Fröschweiler“ von Ferdinand Runkel und Hans v. Wentzel, das Anfang 1900 im Schillertheater zu Berlin einen starken Erfolg errang und im Herbst sogar von der Direction des New-Yorker Irving Place-Theaters zur sofortigen Aufführung erworben wurde. Dessen Handlung aus dem Deutsch-französischen Kriege lehnt sich direct an die Chronik des Pfarrers von Fröschweiler an; den Angelpunkt des dramatisch wirksamen Conflicts bildet die Liebe zweier Brüder, deren einer in deutschen, der andere in französischen Diensten ist, zum Edelfräulein auf Schloß Fröschweiler: „die Lösung im allgemein menschlichen Sinne und der schöne patriotische Zug, der das Ganze beherrscht, gewannen dem Schauspiel die Sympathie des Publikums“.

Vgl. „Zur Erinnerung an den k. Decan und Hauptprediger Karl Klein in Nördlingen, Verfasser der ‚Fröschweiler Chronik‘“ (Nördlingen, Privatdruck von C. H. Beck, 1898): neben drei Aussegnungsreden ein „Lebenslauf, verlesen von Vicar Bruglocher“, S. 20–25. Zur Lebensgeschichte. – K. fehlt in sämmtlichen Compendien, Schriftstellerlexicis u. s. w. bis auf Frz. Brümmer’s Lex. d. dtschn. Dichter u. Pros. d. 19. Jhrhs.5 II, S. 553 (nach Hackenschmidt, s. u.) und vorher L. Fränkel i. „Biograph. Jhrbeh. u. Dtsch. Nekrol.“ III 262 f. – muß die authentische Notiz (des Verlegers) in Nr. 113 v. 21. Mai 1898 der „Beilage zur Allgemeinen Ztg.“ beachtet werden, die die ebd. Nr. v. 9. Mai S. 8 und in manchen Tagesblättern, z. B. „Münch. Neuest. Nachr.“ Nr. 203 v. 3. Mai 1898, S. 3, gelieferten Daten berichtigt. Eine Lebensskizze mit Bildniß erschien in Bd. 34 (1898), Nr. 43, S. 687 f. des Wochenblatts „Daheim“ von Karl Hackenschmidt, einem intimen Lebensfreunde [189] Klein’s (eine kürzere im „Daheim-Kalender 1900“ S. 251 f.; da Druckfehler „Hirochwald“ als Geburtsort). Diese und Prof. Dr. Joh. Haußleiter’s Lebens- und Charakterbild „Zur Erinnerung an Pfarrer und Decan Klein“, S. V–IX der neuesten Ausgaben der „Frschwlr. Chronik“ seit 1903, sind hier, vielfach sogar wörtlich, als authentisch eng benutzt. Der Beck’sche Verlag (Ernst Rohmer) hat eine Anzahl gewichtiger Stimmen über die hohe Bedeutung der „Fröschweiler Chronik“ theils den Prospecten, theils den Vorsatz- und Umschlagblättern eingefügt; einzelnes davon steht in des Verlegers Geleitwort zur „illustrirten Jubelausgabe“ 1897, S. VII–IX und in deren Ankündigung vom Juni 1896, dabei auch D. v. Stählin’s oben ausgezogener Artikel aus der „Allgem. evangelisch-luth. Kirchen-Ztg.“ und Frz. Servaes’ citirter Aufsatz Mrgbl. d. „Neuen Fr. Presse“ v. 31. Mai 1899. „Ungedruckte Skizzen“ K.s „Aus den Tagen der Schlacht bei Wörth“ in Th. Gümbel’s „Erinnerungen e. freiw. Krankenpflegers … 1870“ (1890). Das Porträt im „Daheim“ stimmt mit der Photographie des entschieden idealen, schwärmerisch in die Welt schauenden Kopfes, die Hofphotograph H. Brandseph in Stuttgart (ihm verdankt man u. a. auch die beste Uhland-Photographie) angefertigt hat. Ueber Runkel-Wentzel’s Drama „Fröschweiler“, s. Allgem. Moden-Ztg., 102. Jahrg., Nr. 10 v. 4. März 1900, S. 154 u. Nr. 38 v. 16. Sptbr., S. 602; außerdem Berliner Tagesblätter nach der dortigen Erstaufführung. – Als ein wahrhaftes Supplement und selbständiges Seitenstück sind endlich rühmlich zu nennen: „Fröschweiler Erinnerungen. Ergänzungsblätter zu Pfarrer Klein’s Fröschweiler Chronik von Katharina Klein, Schwester des Verfassers der Fröschweiler Chronik“ (2., vermehrte Auflage, 1899), von Johs. Haußleiter eingeleitet. Schließlich sei erwähnt, daß nur Hackenschmidt Klein’s Geburtsort richtig als elsässisch bezeichnet, alle andern rechnen ihn zu Lothringen, an dessen Nordostgrenze er freilich liegt. Vgl. Dietrich’s Bibliographie der Zeitschriftenliteratur V, 153.