Zum Inhalt springen

ADB:Kuntze, Johannes Emil

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Kuntze, Johannes Emil“ von Albert Teichmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 441–445, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kuntze,_Johannes_Emil&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 12:45 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Kunimund
Nächster>>>
Kuranda, Ignaz
Band 51 (1906), S. 441–445 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johannes Emil Kuntze in der Wikipedia
Johannes Emil Kuntze in Wikidata
GND-Nummer 116612266
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|441|445|Kuntze, Johannes Emil|Albert Teichmann|ADB:Kuntze, Johannes Emil}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116612266}}    

Kuntze: Johannes Emil K., Geheimer Hofrath und Professor der Rechte an der Universität Leipzig, wurde zu Grimma als Sohn des dortigen Mädchenschuldirectors Joh. Gottlieb K. und dessen Ehefrau Emilie geb. Fechner am 25. November 1824 geboren. Da der Vater schon früh starb, nahm sein mütterlicher Oheim, der berühmte Gustav Theodor Fechner, 1834 den Knaben in sein vor Jahresfrist mit Clara geb. Volkmann begründetes Haus in Leipzig. [442] Unter der Obhut dieser Pflegeeltern und unter den Augen der Mutter wuchs K. heran und verblieb in dieser Familie während dreißig Jahren. Am nächsten hätte ihm theologisches Studium gelegen, da sein Vater von Haus aus Theologe und seine Mutter eine Pfarrerstochter war. Doch entschied sich K. 1843 für das Studium der Rechtswissenschaft. Seinen Angaben zufolge (in der ersten größeren Schrift von 1856) scheint er in nähere Beziehungen zu Marezoll, Albrecht und dann v. d. Pfordten getreten zu sein. Nach Abschluß der Studienjahre arbeitete er 1847–51 in der Praxis, wurde Notar und Advocat, doctorirte am 23. October 1851 mit der Schrift „In obligationibus bilaterlibus ad utrum contrahentium obligationis periculum pertineat?“ und habilitirte sich sofort darauf, am 25. October 1851, mit der andern Schrift „In systemate juris civilis hodierni doctrina de jure tutelae num juri obligationum adscribenda sit?“ für Handels- und Wechsel- und römisches Recht. Er wurde am 22. März 1856 zum außerordentlichen und am 4. August 1869 zum ordentlichen Professor in der juristischen Facultät ernannt, der er dann noch während 25 Jahren angehört hat. Sein Lebenswerk war emsiges juristisches Arbeiten und auch Bethätigung im Dienste der inneren Mission. Längere Zeit (seit 1871) war er Vorsitzender des sächsischen litterarischen Sachverständigenvereins. Ein Mann von großen Kenntnissen auf den verschiedensten Wissenschaftsgebieten, zeigte er sich stets unberührt von der Tyrannei der Tagesmeinung, frei von jeder Rücksicht auf Gunst oder Ungunst einflußreicher Personen. Für das von ihm als wahr Erkannte ist er überall helfend und, wenn nöthig, muthig kämpfend eingetreten, in Glauben, Denken und Wollen frei und selbständig. Seine geistige Eigenart als juristischer Schriftsteller dürfte man richtig charakterisiren, wenn man ihn als glänzenden Vertreter sog. Constructivjurisprudenz bezeichnet, mit allen ihren Vorzügen, aber auch Schattenseiten. Zeitlebens hat er an juristischer Begriffsconstruction seine Freude gehabt. In seinen ersten litterarischen Veröffentlichungen überwiegt diese Constructionssucht derart, daß man die ablehnende Haltung der damaligen Kritiker wol begreifen kann. Allzu große Gedankenüberschwänglichkeit, Ueberwuchern der Phrase und selten voll gelingende Prägnanz aus allen möglichen Wissenschaftszweigen herangezogener Bilder, bei denen eine Verwendung künstlerischer Ideen, speciell der Baukunst, eine Rolle spielt, lassen ein solches Urtheil erklärlich erscheinen. In dieser Zeit dürfte K. ganz unter dem Einflusse des großen Gelehrten gestanden haben, dem er pietätvoll in hohem Alter ein prächtiges biographisches Denkmal gesetzt hat: „Gustav Theodor Fechner (Dr. Mises). Ein deutsches Gelehrtenleben“, Leipzig 1892. Solchen Mißerfolg ernteten seine ersten Schriften „Die Obligation und die Singularsuccession des römischen und des heutigen Rechts. Eine civilistische Studie“, Leipzig 1856; „Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft, ein Beitrag zur Orientirung über den gegenwärtigen Stand- und Zielpunkt derselben“, Leipzig 1856; „Das jus respondendi in unserer Zeit. Ideen über die moderne Rechtsfortbildung“, Leipzig 1858. Die erste dieser Schriften beschäftigt sich sehr eingehend, im Anschluß an seine Doctor- und an seine Habilitationsschrift, mit dem Begriff der römischen Obligatio, welchem Thema er noch viel später wieder angestrengte Gedankenarbeit zugewandt hat. Er war voller Begeisterung für das römische Recht und in ihm speciell für diese große Schöpfung desselben. Ihm erschien die Obligatio der Römer als besonders anziehendes Problem des rechtlichen Willens, als eine wunderbare Versöhnung von Freiheit und Nothwendigkeit. In etwas anderer Gestaltung hat er dann in der Schrift „Die Obligationen im römischen und heutigen Recht und das jus extraordinarium der römischen Kaiserzeit“, Leipzig 1886, Obligationsobject [443] und Obligationsinhalt scharf formalistisch geschieden und dann endlich in weiterer Ausspinnung dieses Gedankens seine anderweit begründete Kreationstheorie in der Festgabe für Dr. Otto Müller: „Der Gesammtact. Ein neuer Rechtsbegriff“, Leipzig 1902, zur Construction einer Grenzberichtigung zwischen Vertrag und einseitigem Rechtsgeschäft verwerthet, worin ihm Binding vorangegangen war, wenn er („Die Gründung des norddeutschen Bundes“, Leipzig 1889, S. 69) von Willenseinigungen, die Verträge sind, andere als „Vereinbarungen“ ausschied. Bei seiner Vorliebe für römisches Recht stand er dem germanischen Rechte, wenn auch hier und da sympathisch, gerade rücksichtlich des deutschen Schuldbegriffes befangener gegenüber; dies war auch vor Bekanntschaft mit dem damals eben erscheinenden Werke von Andreas Heusler kaum anders möglich. Ihm schien damals noch der germanische Schuldbegriff gestaltlos, wie ein „durch germanischen Urwald ziehender Nebel“, nirgends recht greifbar. Doch konnte er sich bald darauf für eigenthümliche gewohnheitsrechtliche Bildungen auf deutschem Boden im Norden wie Süden begeistern. Dies zeigt seine Arbeit „Die Kojengenossenschaft und das Geschoßeigenthum. Zwei Abhandlungen aus dem Rechtsleben des deutschen Volkes“, Leipzig 1888. Ein Besuch des Nordseebades Wyck auf der friesischedn Insel Föhr (1866) und ein weiterer auf Sylt (1888) machten ihn bekannt mit den Entenkojen dieser Gegenden; ein Besuch des württembergischen Badeorts Wildbad mit dem hauptsächlich im Süden, doch auch anderwärts vorkommenden „Etageneigenthum“, für welche Gebilde er zuerst interessantes Material sammelte und weiteren Kreisen bekannt gab. Andere deutschrechtliche Themata behandelte er in den Schriften „Deutsches Wechselrecht auf Grundlage der allg. deutschen Wechselordnung und der Nürnberger Novellen“, Leipzig 1862 (später auch Einleitung zum Wechselrecht in Endemann’s Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts IV, 2 S. 1–116, Leipzig 1884), in seinen „Betrachtungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich v. J. 1888“ (Programm), Leipzig 1889, wie auch „Die deutschen Stadtgründungen oder Römerstädte und deutsche Städte im Mittelalter“, Leipzig 1891. Viel zahlreicher aber sind seine Arbeiten auf römischem Rechtsgebiete. Als eines seiner Hauptwerke ist hier „Cursus des römischen Rechts. Lehrbuch für den akademischen Gebrauch“, dazu als 2. Band „Excurse über römisches Recht. Hülfsbuch für akademische Privatstudien“, Leipzig 1869, 2. Aufl. 1879, 1880, rühmend hervorzuheben, insofern dieses Werk, wenn auch nicht geeignet für akademische Studien, doch dem unterrichteten Leser reichste Anregung und Belehrung bietet. Neben einer heftiger Opposition begegnenden Arbeit: „Ueber die Erbeinsetzung auf bestimmte Nachlaßstücke (institutio ex re)“, Leipzig 1875, sind als meist ansprechende Schriften weiter zu erwähnen: „Prolegomena zur Geschichte Roms; oraculum, auspicium, templum, regnum,“ Leipzig 1882; das Programm „Der Provinzialjurist Gajus wissenschaftlich abgeschätzt“, Leipzig 1883; das weitere „Der Parallelismus des jus publicum und privatum der Römer“, Leipzig 1889; „Zur Besitzlehre. Für und wider Rudolf von Ihering“, Leipzig 1890; der werthvolle Beitrag zur Festgabe für Dr. Adolf Schmidt, „Der servus fructatius des römischen Rechts“, Leipzig 1889, wie der Nekrolog „Ihering. Windscheid. Brinz“ (Sächs. Archiv für bürgerl. Recht u. Prozeß III [1893]) und seine letzten beiden Programme „Zur Geschichte des römischen Pfandrechts“, Leipzig 1893. Nur einmal hatte er ein ihm fremdes Gebiet, das des Strafrechts, betreten, indem er vor Beginn der Verhandlungen der sächsischen Kammern über einen betr. Gesetzentwurf veröffentlichte „Ueber die Todesstrafe. Beibehaltung oder Abschaffung derselben“, Leipzig 1868 (zuerst im Leipziger [444] Tageblatt vom 29. März 1868, Beil. 2 zu Nr. 89), hierin Zeugniß ablegend von festem, religiösem Glauben, in den Ausführungen allerdings fehlgreifend, wie sofort die von Schwarze verfaßte Widerlegungsschrift „Aphorismen über die Todesstrafe unter besonderer Berücksichtigung der Schrift des Prof. Dr. Kuntze über die Todesstrafe“, Leipzig 1868 (bes. Abdr. aus d. Allg. Sächs. Gerichtszeitung), bewies. Auf vertrauterem Boden bewegt sich seine beachtenswerthe Arbeit „Die sociale Frage und die Innere Mission“, Leipzig 1873. Er hatte (1869) mit Domherr Prof. D. Luthardt und Pfarrer D. Ahlfeld den Leipziger Verein für Innere Mission gegründet. Fast 25 Jahre führte K. den Vorsitz im Vorstande und machte sich um den Verein höchst verdient, da er sich seiner mit innigstem Verständniß und mit aufopfernder Treue immerdar annahm. Ferner war es verdienstlich, daß K. eine dritte Auflage des s. Z. viel gebrauchten Werkes von v. Holzschüher, Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts in 3 Bänden, Leipzig 1863/64, ausarbeitete. So ist dann endlich seines Hauptwerkes zu gedenken, das in seine beste Manneszeit fällt, „Die Lehre von den Inhaberpapieren oder Obligationen au porteur, rechtsgeschichtlich, dogmatisch und mit Berücksichtigung der deutschen Particularrechte dargestellt“, Leipzig 1857, ergänzt durch Beiträge in Z.H.R. II, 570–616, V, 198–203, VI, 1–40, vertheidigt im Arch. f. dtsch. Wechselrecht und Handelsrecht VIII, 345–411. Mit dieser Schrift wurde er der eigentliche Begründer der sog. Kreationstheorie, die seitdem auf das lebhafteste erörtert worden ist, bis sie schließlich im B.G.B. für die Quittungen ihre Sanktion (§ 370) und in etwas modificirter Form (als sog. Redlichkeitestheorie) bei Schuldverschreibungen auf den Inhaber in §§ 793, 794 ihre Anerkennung fand (vgl. Kohler in s. Encyklopädie I, 638, 699, Cohn ebd. I, 1069). Gewiß mit Recht nennt Degenkolb in seinem Nekrologe, S. 10, diese Schrift seinen „Meisterbrief für künftige Zeiten“. Mehr als 40 Jahre wirkte er in Treue als akademischer Lehrer, als geistvoller Mann auch bei seinen Schülern neue Gedanken weckend und – was ihm besonders anzurechnen – in seinen Vorlesungen sich einfacher Diction befleißigend. Bis in die letzte Zeit von ungeminderter jugendlicher Geisteskraft, wurde er, ähnlich seinem Oheim, plötzlich am 11. Februar 1894 seiner emsigen Arbeit entrissen. Aus glücklicher Ehe mit der Tochter des Schloßpredigers Weber in Hosterwitz-Pillnitz (wo sich K. ankaufte) überlebt ihn neben einer Tochter ein doctorirter Sohn, der zuerst unter Wislicenus und Ostwald als Assistent thätig war und jetzt sich der Musikwissenschaft widmet.

Nach gef. Mittheilungen der Wittwe. – Leipziger Zeitung 1894, Nr. 36, S. 505. – Haan, Sächsisches Schriftstellerlexikon, Leipzig 1875, S. 186. – Nekrolog von Heinrich Degenkolb (Sep.-Abdr. aus Bd. 4, Heft 5 des Sächs. Archivs f. bürgerl. Recht und Proceß), Leipzig 1894. – Rectoratswechsel an der Universität Leipzig, 31. Oct. 1894, S. 13. – Beil. zur Allg. Ztg. 1894, Nr. 43, S. 8. – Festschrift zum 33. Kongreß f. innere Mission, Leipzig 1905 (gef. Notiz der Hinrichs’schen Buchhandlung). – Z.H.R. I, 333–359, 401–476; II, 185; VI, 384. – Krit. Ueberschau IV, 47–73. – Krit. VJSchr. II, 548; XI, 337; XIII, 565; XVII, 567–575; XXIX, 481–529; XXXII, 306–308; XXXIV, 251–255. – Zarncke’s C.Bl. 1856, Sp. 411–413; 1857, Sp. 185; 1858, Sp. 823–825; 1874, Sp. 1274; 1880, Sp. 1229; 1887, Sp. 712–714; 1889, Sp. 1581; 1891, Sp. 908; 1892, Sp. 911–913. – Grünhut’s Z. X, 754. – Deutsche Litt.-Z. 1890, Sp. 1510, 1877. – Gött. Gel. Anz. 1891, S. 520–531. – v. Holtzendorff’s Strafrechtszeitung [445] 1869, Sp. 4, 16–19. – Hetzel, Die Todesstrafe, Berl. 1870, S. 416–422. – Gruchot’s Beitr. XXXIII, 689.