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ADB:Lichtenheld, Wilhelm

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Artikel „Lichtenheld, Wilhelm“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 691–694, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lichtenheld,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 18:30 Uhr UTC)
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Lichtenheld: Wilhelm L., Architektur- und Landschaftsmaler, geboren am 13. October 1817 zu Hamburg als der Sohn eines Schauspielers, † am 25. März 1891 in München. Erst zum Stuben- und Decorationsmaler bestimmt, erhielt er durch einen älteren Bruder die erste artistische Unterweisung, die ihn zur Kunst überleitete. Doch ermöglichte sich erst zu Ende der dreißiger Jahre eine Uebersiedlung nach dem ersehnten München, wo er an den zahlreichen norddeutschen Landsleuten Förderung fand, auch ein Jahr lang die Akademie frequentirte und durch eigene Studien und durch Copien vieler Pinakothekbilder die Mittel zu gründlicher Ausbildung suchte. Nebenbei malte er, ebenso wie Kaspar Braun, allerlei verdächtiges Gesindel, Strolche, Zigeuner, Bettlerherbergen à la Callot und Salvator Rosa, bis ein Zufall seinem Namen förderlich wurde. Die Münchener Künstlerschaft traf damals die Vorbereitungen zu einem großen, die Zeit Albrecht Dürer’s und Kaiser Maximilian’s verherrlichenden Maskenfeste, welches im Carneval des Jahres 1840, wirklich epochemachend, zwei Mal mit streng historischem Typus der Zeit und ihrer damaligen Repräsentanten, mit gewissenhaftester Treue von Kostüm und Persönlichkeiten inscenirt wurde. Für letztere fanden sich hinreichend ähnliche Charaktergestalten des Meister Albrecht, Peter Vischer, Willibald Pirkheimer, Frundsberg, Kunz von der Rosen und andere berühmte Zeitgenossen, nur die Rolle des Kaisers Maximilian zu besetzen, bereitete große Schwierigkeiten. Da entdeckte der Maler Friedrich Dürck (s. A. D. B. 1904, XLVIII, 204 ff.), wie derselbe in seinen leider noch unedirten Memoiren erzählt, bei einem Gang durch die Pinatkothek einen ganz in seine Copirstudien vertieften, blutjungen Mann, welcher mit der echten Adlernase und dem scharf geschnittenen Gesicht ein leibhaftiges Abbild des von Bernhard Strigel (s. A. D. B. 1893, XXXVI, 590) gemalten kaiserlichen Conterfaits schien: das war unser L., der durch wenige Zuthaten älter gemacht, nicht nur nach seiner Figur, sondern auch durch seine ritterliche Courtoisie in diese Rolle unvergleichlich paßte. Denn als der fascinirende Zug (am 17. Februar 1840) im Theater an König Ludwig I. vorüberrauschte, war dieser so überrascht, daß er auf den Träger dieser Hauptrolle mit der Frage los stürmte: „Wer sind Sie?“, worauf L., in welchem sich das mimisch-väterliche Blut regte, mit aller Grandezza das Haupt neigend mit „Euer Majestät getreuester Vetter, der Kaiser Maximilian!“ schlagfertig respondirte. Freudig rief der so Apostrophirte der Königin zu: „Therese! er vettert mich!“ und begann darauf, in die köstliche Situation eingehend, ein kurzes Gespräch, [692] welches L. geistvoll und stilgerecht parirte und mit der huldvollst strahlenden Versicherung „Wir bleiben Euer königlichen Majestät immerdar in Gnaden gewogen“ abrundete. L. spielte seine Rolle meisterlich: im goldenen Brustharnisch und Hermelinmantel von schwarzdurchwirktem Goldstoff, auf dem Barett den goldgezackten Reif, edel und nobel in jeder Bewegung, war er eine Incarnation von dem durch A. Dürer zuletzt gemalten Bildniß: jeder Zoll ein Kaiser! Das in unerhörter Farbenpracht und Schönheitsfülle wogende Fest wurde alsbald im gleichen Tempo wiederholt und dann mit einer theilweisen Uebersiedlung nach der benachbarten „Menterschwaige“, welche einen Lieblingstummelplatz bildete, auf zwei weitere Tage verlängert. Eugen Neureuther hat alle diese Gestalten in trefflichen Aquarellen festgehalten, welche heute noch unter den Schätzen des königl. Handzeichnungs- und Kupferstichcabinets „von der versunkenen Pracht“ erzählen, wovon in der Tradition Altmünchens manche Märe berichtet, wie Franz Trautmann (s. A. D. B. 1894, XXXVIII, 516) in seinem hübschen Buch „Maximilians Urständ“ (1840), Eduard Fentsch (s. A. D. B. 1877, VI, 621) u. A. wußten davon zu erzählen, auch etliche der Hauptrollenträger, die vielleicht noch lange nachher an finanziellen Wehetagen bilancirten. König Ludwig vergaß seinen „Vetter“ nicht, blieb ihm „hinwiederum in Gnaden gewogen“ und erwarb manche Perlen von Lichtenheld’s Kunst für die neue Pinakothek.

L. malte anfangs allerlei Genre, mit einem Netze-strickenden Fischer introducirte er sich 1840 im Kunstverein; dann kam das Charakterbild eines Schuhflickers, aber auch Schneelandschaften mit schüchternen Versuchen einer subtilen Mondscheinbeleuchtung – worin L. später so tonangebend excellirte – wurden gewagt und manches, z. B. ein in die Ferne sehnsuchtsvoll hinauslugendes Mädchen (später im „König-Ludwig-Album“), sogar von K. Geyer durch Kupferstich in Taschenbüchern verbreitet. Die Beobachtung von Lichteffecten, die er in poesievoller, echt künstlerischer Weise wiederzugeben verstand, leiteten zur Landschaft über; die Motive entnahm er dem „Englischen Garten“, der oberbairischen Hochebene, dem damals schon von Malern gerne frequentirten Dachauer Moos, den lieblichen Ufern der Amper, der Umgebung des Starnbergersee, kurz: die nächsten Münchener Environes galten als Fundgrube dieser aus Norddeutschland ansässig gewordenen Malercolonie, welche außer der Vorliebe für den hier klimatischen Gerstenschleim auch ein scharfes Ohr für Dialektdichtung, Volkspoesie und deren echte Melodien hegte, die dann durch Eugen Neureuther und Ulrich Halbreiter nicht allein gesammelt, sondern auch illustrirt zur weiteren Ehrung gelangten. Nach dem Vorgang von M. Neher (s. A. D. B. 1886, XXIII, 388–91) zog L. Klostergänge, Schloßhöfe und Kirchenbauten, das „Ulrichsthor in Landsberg“ (1847) in sein landschaftliches Bereich, beide durch feinste Abend- oder Nacht- und am liebsten durch Mondschein-Stimmungen verbindend, wozu das Beispiel von Langko, Morgenstern, Stange, E. Schleich mustergültig voranleuchtete. L. bevölkerte seine Bilder mit wenigen Staffagen, welche den Ausdruck für den Laien fördernd hoben. Zwei Kleinode dieser Art in der Neuen Pinakothek behandeln einen verwahrlosten mittelalterlichen „Schloßhof“, in dessen öden Räumen ein Laternenträger einem die Freitreppe herabsteigenden Ritter leuchtet (1853) und die schwermüthige, nur durch zerissene Wolken vom Mond erhellte Nacht, welche ein stillstehendes Wasser und eine einsame Moorhütte erkennen läßt, hinter deren kleinem Fenster wol ein Todkrankes des letzten Trostes harrt, den ein eilig herzuschreitender Priester dem Sterbenden spenden wird (1859) – ein an Justinus Kerner’s „Der todte Müller“ erinnerndes Stimmungsbild. Dann kam ein verfallener Burgstall mit eines Spitzweg würdigen Gestalten, welche [693] in heimlicher Angst und Hast nach Schätzen wühlen und graben (lithographirt von Emil Wagner, 1858); eine „Mondnacht an der Amper“, wo, wie in Eichendorff’s Dichtung, „die Brünnlein verschlafen durch die Einsamkeit rauschen“ (1865) und andere Kostbarkeiten, z. B. vom Chiemsee, in sorgfältiger und doch freier Durchbildung unnachahmlich zart wiedergegeben. Auch zu den „Fliegenden Blättern“, den „Münchener Bilderbogen“ und in die leider nur zu früh wieder verschwundene „Hauschronik“ (1851–1852), darinnen die in märchenhafter Pracht schimmernde Ansicht der alten Münchener Frauenkirche, lieferte L. allerlei robuste Gestalten aus der Pußta und anderswoher. Als Oelbilder entstanden eine „Fischerhütte“ (1854), das „Schlachtfeld von Hohenlinden“ in heißer Mittaggluth (1862), ein Abend am Chiemsee mit der Aussicht auf die Kampenwand (1873), aus dem „Achenthal“ (1877) oder bei „Laufen an der Salzach“ (1879), bei „Salzburg“ (1880), „Am Lech“, eine „Straße in Nürnberg“, das von Künstlern überhaupt so gerne besuchte „Schloß Greifenberg“ am Ammersee, aber auch ein „Morgen an der Ostsee“ (1888), eine Mondnacht über „Lindau“ und „Venedig“, eine „Mühle im Mangfallthal“ (1890) u. s. w. Außerdem excellirte L. mit einer Unzahl von Pergamentmalereien, Aquarellen und Miniaturen zu Adressen und Ehrendiplomen, z. B. mit dem Titelblatt zum Ehrenbuch des Künstler-Unterstützungsvereins, dessen Ausschmückung auch Ferdinand Rothbart (geboren am 3. October 1823 zu Roth am Sand, † am 31. Januar 1899 in München. Vgl. Bettelheim’s Jahrbuch 1900. IV, 169 f.) und viele andere Kunstgenossen besorgten – ein wirklich goldenes Buch, in welchem König Maximilian II., die Königin Marie, Herzog Maximilian in Baiern und eine stattliche Corona glorreicher Mäcene und edler Kunstgönner in dankbarer Erinnerung verewigt prangen. Die Sammlung des als Violinspieler und Kalligraphen berühmten Professors Jakob Holzinger (vgl. Lützow’s Zeitschrift 1876. XI, 516), welche nach dessen 1885 erfolgtem Ableben zum Troste vieler Sammler in einer Auction durch Kaspar Haugg zersplittert wurde, verwahrte nebst anderen Blättern der namhaftesten Künstler, achtzehn Aquarelle von Lichtenheld’s Hand, darunter eine Wiederholung der „Schatzgräber“ und andere Mondscheinbilder, von der Landshuter „Trausnitz“, vom „Chiemsee“, wahre Farbendichtungen voll märchenhafter Wirkung.

Zu allen Angelegenheiten der Künstler-Genossenschaft, bei Ausstellungen, Faschingsfesten, Maifeiern und sonstigen Gelegenheiten stellte L. sein bestes Können und Wissen zur Verfügung mit großartiger Opferbereitwilligkeit von Zeit und Mühen. Bei dem die Vermählung Rubens’ mit seiner zweiten Frau, der schönen Helene Fourment, darstellenden Carnevalfeste (am 14. Februar 1857; vgl. Nr. 744 Illustr. Zeitung, 7. März 1857), wobei unter den glückwünschenden Deputationen aus allen Ständen auch die „ostindische Compagnie“ mit einem ihre fremdländischen Gaben tragenden Kameel erschien, construirte L. dieses Gethier aus Sackleinwand und Papiermaché also künstlich, daß es frei einhergehen und Kopf und Hals bewegen konnte. L. begleitete als prächtiger Hindu, seine Rolle abermals energisch durchführend, die originelle, allgemeine Bewunderung erregende Gruppe, welche auch der Berichterstatter als ein riesiges Zuckerrohr tragender Malaye durch seine Mitwirkung verschönte. Dann etablirte er einmal im Carneval eine Liebermann’s spätere Bilder dieser Art weit übertreffende, sogar dem Geruch nach, echteste Schusterwerkstätte, in welcher Meister, Gesellen und Lehrlinge die ganze Nacht über unausgesetzt hantirten; bei anderer Gelegenheit die magisch beleuchtete Bude eines unter seinen Arcanen in Phiolen, Kolben und Tiegeln am chemischen Ofen mit den gewagtesten Problemen laborirenden Schwarzkünstler und Alchimisten, à la Agrippa von [694] Nettesheim, der mit seinem Famulus in „hermetischer Kunst“ unermüdlich tingirte, kochte und experimentirte, wobei L., der über Physik und Chemie gerne sinnirte, ganz an seiner Stelle war. So erfand L. mit Professor R. Gottgetreu die in Europa und Amerika amtlich patentirte, jede Fälschung von Banknoten, Wechseln, Obligationen unfehlbar ausschließende Kristallotypie für Werthpapiere. Auch mit Physik und Mechanik befaßte sich L., wobei er die zu seinen Studien und Versuchen benöthigten Apparate nach eigenem Ingenium selbst herstellte, darunter eine vollständige Elektrisirmaschine und Gott weiß was. Das betrieb er alles sportmäßig, dazu Botanik, Fischen und Jagen, Pistolenschießen und Turnerei. Sein im jahrelangen Sammeleifer vollgepfropftes Atelier war ein tolles Hexenstück aller Wissenswerthigkeiten und Praktiken, die er dann plötzlich nur verließ, um mit Malkasten und Skizzenmappe hinauszulaufen, neue Mysterien von Stimmungen für seine Bilder der Natur abzulauschen und im duftigsten Hauch auf die Leinwand zu bannen. Der nimmerrastende Mann, der die lebenjüngende Panacée und den Stein der Weisen freilich nicht entdeckte, aber die stillen Freuden und Schönheiten den wahren Kennern mit Pinsel und Palette bleibend festzuhalten verstand, hatte einen dankbaren Kreis von Freunden, die mit vereinten Kräften Alles aufboten, ihm aus Anlaß seines siebzigsten Wiegenfestes ihre Liebe und Verehrung zu beweisen; es regnete Glückwünsche und Adressen, Deputationen kamen, sogar aus der Hamburger Heimath, die einen täuschend cachirten Riesenfisch mit einem goldenen Herzen und silbernen Eingeweiden überbrachten; den Abend krönte ein biographisches Festspiel, in welchem alle seine als Arrangeur gespielten Figuren vorüberzogen, den Schluß bildete ein riesiger Geburtstagskuchen mit siebzig flammenden Kerzen. Lichtenheld’s letztes, aber in gleich frischer Kraft vollendetes, den „Kreuzgang in Berchtesgaden“ darstellendes Bild erwarb der Prinzregent Luitpold. Dann genoß der immer noch unausgesetzt Neues posselnde Maler das wohlverdiente sorglose „otium cum dignitate“. An Ehren und Gold hatte L. nie schwer zu tragen; „er hat beides nie gesucht und auch ungesucht nie gefunden. Ehrlich und gerade, rechtlich und treu, mit warmem Herzen und klarem, feurigem Auge, ungebeugter Gestalt, stets hastigen Ganges, im Genügenden zufrieden, fremdes Verdienst neidlos anerkennend und jedem Streberthume fern“, so hat sich L. sein ganzes Leben hindurch bewährt: als eine echte Künstlertype aus der besten idealen Aera Alt-Münchens.

Vgl. Julius Grosse in Nr. 1 d. Neuen Münchener Zeitung 1859. – Lützow’s Zeitschrift 1876 XI, 516; 1877 XII, 91; 1878 XIII, 99, 805. – Beil. 121 z. Augsburger Abendzeitung. – „Der Sammler“, 13. Oct. 1887. – Pecht, Geschichte d Münchener Kunst, 1888, S. 166 (2 Zeilen!). – Kunstvereinsbericht f. 1891, S. 69.