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ADB:Lindner, Albert

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Artikel „Lindner, Albert“ von Franz Brümmer, Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 735–737, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lindner,_Albert&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 14:43 Uhr UTC)
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Band 51 (1906), S. 735–737 (Quelle).
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Lindner: Christian Albert L., dramatischer Dichter, wurde am 24. April 1831 zu Sulza im Großherzogthum Weimar geboren, wo sein Vater als Salinensteiger in sehr beschränkten Verhältnissen lebte. Unter großen Opfern des letzteren und bei reichlicher Ertheilung von Privatstunden absolvirte L. das Gymnasium in Weimar und die Universität in Jena, an der er sich dem Studium der Philologie widmete. Von dort ging er 1857 als Hauslehrer nach Pommern, blieb daselbst drei Jahre und studirte dann mit dem ersparten Honorar noch ein Jahr in Berlin. Nachdem er sich hier die Doctorwürde erworben und sein philologisches Staatsexamen abgelegt hatte, wurde er Lehrer am Gymnasium in Prenzlau und nach einem halben Jahre (1862) Lehrer an der Realschule in Spremberg, von wo er 1864 als Gymnasiallehrer nach Rudolstadt berufen wurde. Hier vollendete er seine bereits in Pommern (1860) begonnene Tragödie „Brutus und Collatinus“, die, anfänglich von allen Hoftheatern als „unbrauchbar“ abgelehnt, 1866 den „Schiller-Preis“ erhielt und nun mit großem Erfolg über fast alle deutschen Hofbühnen ging. Leider bewog dieser Erfolg den Dichter, seine sichere Stellung in Rudolstadt aufzugeben und nach Berlin zu gehen, wo er ein gleiches Lehramt zu erlangen und in der Nähe der königlichen Hofbühne sein dramatisches Talent nach der praktischen Seite hin weiter auszubilden hoffte. Aber sein Weg war hier kein ebener, dornenloser; bei den Schulbehörden stieß er auf den unbesiegbaren Widerwillen, einen Lehrer und Dichter zugleich anzustellen, weil man das Vorurtheil zu hegen schien, „daß die poetische Thätigkeit der pädagogischen nicht den vollen Mann lassen werde“. Drei Jahre lang mußte der Dichter in schwerer Arbeit als Privatlehrer den Lebensunterhalt für sich und seine Familie erwerben, bis dann der Präsident des deutschen Reichstags, Simson, eine nationale Pflicht an dem Dichter erfüllte und ihn 1872 durch Ernennung zum Bibliothekar des Reichstags seiner unwürdigen Lage entriß. Leider zeigte es sich bald, daß L. zu einem solchen Amte sich durchaus nicht eignete, und als das Institut eine wesentliche Erweiterung erfuhr, legte man dem Dichter nahe, am 1. April 1875 seine Entlassung zu nehmen. Er lebte nun von dem Ertrage seiner Feder, der aber bald nicht mehr zur Ernährung seiner Familie aureichte. Da trat der Herzog von Meiningen ins Mittel, der versprochen hatte, für L. sorgen zu wollen; aber dieser fand nicht mehr die Kraft, einen Sonnenblick des Glücks zu ertragen. Von einer Audienz bei seinem fürstlichen Gönner heimgekehrt, verfiel er in Geistesumnachtung und mußte am 11. December 1885 der königlichen Charité überwiesen werden. Von hier kam er bald als unheilbarer Kranker nach Dalldorf bei Berlin, wo der Tod am 4. Februar 1888 ihn von seinem Leiden erlöste.

L. hat sich wissenschaftlich auf die Böckh gewidmete Doctordissertation, „Cothurnus Sophocleus“ 1860, beschränkt, die in hundert Paragraphen ohne festeren Zusammenhang dürftige stilistische Beobachtungen auffädelt. In seine Jenaer Studentenzeit weist zurück der durch ältere Materialien, auch Kneiplieder interessante „geschichtliche Versuch“ von 1870 „Das Corps Thuringia. Nebst einem Anhange: Das Herzogthum Lichtenstein“. Sehr unbedeutend sind die drei preußisch-patriotischen Novellen „Völkerfrühling“ (2. Aufl. 1881), die auf der Spur Willibald Alexis’ mit übertriebener Neigung zum Dialog und zu französischen Einschlägen Krisen der Jahre 1640, 1788, 1812 behandeln. Den Vorwurf, sie seien zu dramatisch gehalten, sucht der Unepiker [736] vorn abzuwehren, fordert ihn aber nicht bloß durch Wendungen wie „Gruppiren wir uns die Masse“ heraus. Das offenbar, gleich den faden Aphorismen „Das Ewig-Weibliche“ (3. Aufl. o. J.), ums Brot geschriebene Büchlein „Der Schwan von Avon. Culturbilder aus Alt-England“ (1881) beruht auf einem Jugendstück zum Shakespeare-Jubiläum 1864 und erhebt den hohlen Anspruch, die Jugend und die unstudirten Liebhaber in das Verständniß „des größten Dramatikers aller Zeiten“ einzuführen, was durch eine obligate Liebeserfindung nicht gefördert wird. Den Dramatiker Lindner reizte vor allem Shakespeare’s Vorbild; in zweiter Linie hat Schiller auf ihn gewirkt. „Brutus und Collatinus“ erwarb sich die Gunst Ed. Devrient’s und wurde im September 1865 von der Karlsruher Hoftruppe zur Heidelberger Philologenversammlung erfolgreich aufgeführt. Hier war in der That viel mehr geleistet als das durchschnittliche Römerstück in Gymnasiallehrerjamben, und der Dichter, obwol sein Vorwort etwas schulmeisterlich klingt, durfte die sogenannte „akademische Poesie“ gegen moderne Einseitigkeit vertheidigen. Zwar neigt er streckenweise zu langen Reden und zu Bilderschwulst („Die Dogge meines Blutes wittert Geister“ u. s. w.), aber es fehlt nicht ein fortreißender Strom der Rhetorik oder knapp epigrammatische Wucht (z. B. am Schlusse des 3. Actets: „Rom sitzt am Festmahl, und der Wirth verhungert“). Die ersten Aufzüge besonders haben einen starken Drang der Begebenheiten, die mit angeborenem Sinn für das Theatralische bewältigt werden, nur daß die meisten Charaktere flach gehalten sind und Lucretia, trotz den seit der Renaissance regen Versuchen über eine passive Idealmatrone hinauszukommen, sammt dem Sextus in der blassen Episode stecken bleibt. Auch ihr Collatinus erwächst in dem uneinheitlichen Drama nicht zur bedeutenden Nebenfigur des Brutus, dessen geheuchelte Narrheit gleich dem späteren stoischen Conflict zwischen starrer Verfassungstreue und Vaterliebe virtuos dargestellt wird. Diese Virtuosität, Schauspielern willkommen, trat 1871 in Lindner’s von den Meiningern zum Sieg auf den Brettern geführtem Trauerspiel „Die Bluthochzeit oder die Bartholomäusnacht“ viel packender und greller, zugleich künstlerischer componirt, hervor. L. verschmäht nicht Meyerbeerische Effecte, läßt doch auch er „Ein feste Burg“ in das Knallen der Mordgewehre hineintönen. Er karikirt die grause Heuchlerin Katharina („Den letzten Molch, der aus der Medici Verpestetem Geschlecht gekrochen ist“) und den ganzen Papismus. Doch wenn er mit Coligny nichts Rechtes anzufangen wußte, so hat er Guise und Heinrich von Navarra glücklich in doppelten Contrast gestellt, die Scheinehe des Bearner’s mit der zu spät nach reiner Liebe ringenden Margarete interessant herausgearbeitet, den königlichen Geschwistern im 3. und 4. Aufzug ergreifende Scenen kindlicher Erinnerung und morscher Decadence geliehen. Vor allem ist das schlotternde greise Knabenthum Karl’s IX., dessen edle Regungen ohnmächtig sind und den der Wahnsinn immer unentrinnbarer anfällt, zu einer höchst dankbaren Rolle herausgearbeitet. Endlich verfährt L. wie sein Meister in „Richard III.“, „Macbeth“, „Hamlet“: Katharina’s Haus hat abgewirthschaftet, Heinrich eröffnet eine neue hellere Zeit. – L. gab sich mit diesen beiden Dramen aus. Alle übrigen sind Nieten. „Stauf und Welf“ (1867) ist in der Hekatombe deutscher Hohenstaufenstücke eines der allerschwächsten bis hin zu dem versöhnlich rührenden Abschluß Heinrich’s des Löwen; wohlfeile Kyffhäuserweissagung auf das Jahr 1866 darf nicht fehlen. „Katharina II.“ (1868) führt wortreich und zerfahren die alte große Zarin zur Hinrichtung Yurief’s, d. h. ihres eigenen Sohnes, und nachdem der Name des französischen Generals effectvoll erklungen ist: „Napoleone Bonaparte“, zum resignirten Ende: „Mein Jahrhundert nehm’ ich mit hinab“. Welche [737] Phrasen, als die Greisin Potemkin’s Büste küßt: „Du Hoherpriester meiner Erdenfreuden! Ach, da noch die Vesuve unsres Bluts Die nordischen Nächte mit den Feuergarben Bacchantischen Rausches hellten!“ Schillerischer gestimmt, bei Philipp II. bis zu wörtlichen Anklängen, ist „Don Juan d’Austria“ (1873). Obwol der Held anfangs wie ein Shakespearischer Bastard des „Ehbetts trägen Stempel“ verachtet, geht er ziemlich zahm als erster Ritter seiner Zeit dem Lagertod entgegen; seine niederländische Beate aber, das sentimentale Opferlamm, deklamirt wie die Jungfrau Johanna von ihrem Kinderauge und vom Tempel ihres Magdthums. Einer ganz verpfuschten kleinen Luther-Trilogie („Der Reformator“, 2. Aufl. 1883) zu geschweigen, erschien 1875 als letztes großes Drama „Marino Faliero“, auf den L. offenbar durch Heydrich’s vorläufigen Ausschluß über O. Ludwig’s Arbeit an diesem durch E. T. A. Hoffmann’s „Doge und Dogaressa“ allbekannten, in den Dramen Byron’s, Kruse’s u. A. unbezwungenen Stoff gebracht wurde. Trotz dem wortreichsten Aufwand bleibt die Steno-Handlung ein bloßes Nebenrad, und Angiolina’s kühle Tugend rührt uns so wenig wie die Lection, mit der sie zuletzt ihren uralten Gemahl dem Gesetz und sich selbst bewundernder Gattenliebe unterwirft. – Nicht ohne Wehmuth blickt man auf die unerfüllten Verheißungen. Auch die beiden Stücke, denen L. seinen gefährlichen Ruhm dankte, sind heute beinahe vergessen. Die „Bluthochzeit“ wünschte der Mime Irving sich für London englisch bearbeiten zu lassen; einen Torso aus der Jugend des Großen Kurfürsten hat K. Weiser vergebens zu runden versucht.