ADB:Ludwig, Otto

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Artikel „Ludwig, Otto“ von Felix Bamberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 602–612, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ludwig,_Otto&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 08:24 Uhr UTC)
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Ludwig: Otto L., geb. am 12. Februar 1813 in Eisfeld an der Werra, war der Sohn geistig begabter und ursprünglich bemittelter Eltern. Sein Vater Ernst L. bekleidete daselbst die Stelle eines Stadtsyndikus und wird als ein äußerlich etwas schroffer, gelehrter und durch poetische Anlagen sich auszeichnender Mann geschildert. Es mag dahingestellt bleiben, ob, wie Moritz Heydrich in seiner Biographischen Einleitung zu den Nachlaßschriften Otto Ludwig’s behauptet, sogar ein Bändchen lyrische Gedichte, dessen Titel und Druckort er nicht anführt, von ihm gedruckt ist, immerhin scheint die dichterische Begabung in der Familie erblich, da schon Ludwig’s Großvater von väterlicher Seite handschriftlich dramatische Arbeiten hinterlassen hat. Die Mutter, Sophie Christiane, geb. Otto, stand würdig in diesem Kreise: frühzeitig führte sie dem Knaben die großen Gestalten der Geschichte vor die ahnungsvolle Seele. Als Otto später Tieck’s „Phantasus“ las, ging er sofort an dramatische Versuche, die er mit Hülfe seiner Gespielen aufführte, während seine Empfindsamkeit damals schon so heftig war, daß er, wenn er von großen Dingen hörte, Muskelzuckungen bekam, was eine äußerst zarte physische Anlage verrieth. Ueber das Vaterhaus kam bald tiefes Leid: zwei ältere Geschwister Otto’s starben kurz nacheinander, ein Theil des Vermögens, sowie Papiere, die über die Schicksale der Familie Aufschlüsse enthielten, gingen in dem Eisfelder Brande vom J. 1820 zu Grunde und am 20. Januar 1825 starb, kaum 46 Jahre alt, der Vater. Endlich erlebte die vielgeprüfte Mutter auch noch den Schmerz, daß Otto’s jüngerer Bruder, Reinhold, einem schweren Siechthum unterlag. Diese trüben Erlebnisse mögen in dem Gemüthe des Knaben frühzeitig eine düstere Stimmung zurückgelassen haben. Im J. 1828 kam Otto, trotz der Weigerung eines engherzigen Onkels, aber von der sorgsamen Mutter geschützt, auf das Gymnasium in Hildburghausen. Während dieses Schulbesuches bereits kränklich, verließ er die Anstalt im nächsten Jahre und mußte in den Kramladen seines Onkels, wo er ohne das ihm angeborene hohe Streben zu Grunde gegangen wäre. Schon 1831 verlor er die besonders wegen Sorgen um ihn kränkelnde Mutter, von welcher er, seiner Aussage zufolge, vorzugsweise [603] die Begeisterung für Poesie und besonders für Shakespeare geerbt haben wollte. Musikalisch begabt und mehrere Instrumente spielend, suchte L. während seines Aufenthaltes im Hause seines hagestolzen und als Sonderling lebenden Verwandten die Zeit mit musikalischen Compositionen zu nutzen, untergrub aber, Nächte hindurch im kalten Zimmer wachend, seine ohnehin schwächliche Gesundheit. Von dem ihn hofmeisternden Onkel sich lossagend, begab er sich 1832 auf das Lyceum zu Saalfeld, wurde dort, wie er später erzählte, „von körperlichen Schmerzen und geistiger Erschöpfung bis zum Lebensüberdruß heimgesucht“, sodaß er im darauf folgenden Jahre zu seinem Onkel zurückkehrte, Schwefelfaden verkaufte und den ersten Anfall einer Nervenkrankheit aushielt. Um diese Zeit wurde er Dichter und Kapellmeister eines Eisfelder Liebhabertheaters. Fr. Hoffmann, dem er im J. 1851 biographische Mittheilungen über sich machte, schildert ihn als einen bildschönen Mann von 24 Jahren, mit hoher, von dunkelbraunem Haar umwallter Stirn, einer wahren Herrschernase und braunen Augen, die Blitze schießen konnten. Seine zum Theil unveröffentlichten Arbeiten, sowie Brief- und Tagebuchstellen aus jener Zeit verrathen, nach dem Urtheile Moritz Heydrich’s, eine innere Verwandtschaft mit E. T. A. Hoffmann, während hier doch wol nur von ähnlichen Jugendschicksaken und einem Einflusse jenes Romantikers auf die namentlich zu Anfang phantastische Richtung Ludwig’s die Rede sein kann. Er selbst hat später diese Richtung, aus der sicherlich auch das übrigens zu seinen besseren Arbeiten gehörige Schauspiel „Das Fräulein von Scuderi“ nach E. T. A. Hoffmann’s bekannter Erzählung entstanden ist, verworfen. Nachdem er in Gesellschaft seines gleichfalls musikalisch gebildeten Freundes K. Schaller in dem ererbten Elternhause eine Zeit lang dichtend und musicirend gelebt hatte, der in seinen alten Tagen noch unglücklich verheirathete Onkel inzwischen gestorben war und er 1839 mit der Composition in Hildburghausen erschienener Goethe’scher Balladen einen kleinen Erfolg erlebt hatte, verschaffte ihm ein 1839 vom Herzog von Meiningen bewilligtes Stipendium die Mittel, bei Mendelssohn in Leipzig seine musikalische Ausbildung fortzusetzen. Kaum daselbst angelangt, mehr an ein einfaches als an Modeleben gewöhnt, konnte er, dem die Leipziger, wie er sich ausdrückte, zu artig waren, schwer in den dortigen Verhältnissen heimisch werden. „Die Weiber in Eisfeld und Leipzig“, schrieb er. „sind wie eine Wiese und ein Herbarium.“ „Wer die Kunst in Wahrheit liebt, findet hier Beides: ein Rosen- und ein Folterbett.“ – Er äußerte ferner: „Alles ist Narrheit und das Beste vom Leben ist das Leben selbst, will sagen, das unmittelbare Leben nach der Natur, fern von aller vornehmen Lüge, sie heiße Kunst oder wie sie will.“ Diese letztere Tagebuch-Aeußerung aus früher Zeit ist tief bezeichnend, da sie die Schwierigkeit, bei urwüchsigen Anlagen die reineren Kunstformen zu finden, mit der, wie wir sehen werden, L. sein ganzes Leben hindurch zu kämpfen hatte, andeutet. Das Formlose in Ludwig’s ersten musikalischen Erzeugnissen, seine, unberufenen Componisten in der Regel eigenen Versuche, den Mangel an Melodie durch sogenanntes Charakterisiren im Ausdrucke zu ersetzen, scheint dem als Künstler durchaus geschlossenen damaligen Beherrscher des musikalischen Geschmackes in Leipzig kein unbedingtes Vertrauen in die Zukunft Ludwig’s eingeflößt zu haben, denn er rieth ihm bald nach Meiningen zurückzukehren und dort „Partituren zu studiren“, d. h. recht eigentlich kennen zu lernen, um was es sich in der Musik, wie im Grunde in aller Kunst handelt. Dabei war L. aber durchaus ein Anhänger classischer Musik, ein warmer Verehrer Gluck’s und Mozart’s, dem die Ueberschwemmung durch die seichte italienische Musik nur Widerwillen einflößte; über seinen Beruf als Componist jedoch haben sich Kenner seither ablehnend geäußert. Mitte 1840 erkrankte er in Leipzig an Rheumatismus und Brustkampf, so daß er, dem die [604] Gelenke versagten, die Hoffnung Virtuose zu werden aufgeben mußte. Fast noch schmerzlicher war ihm seine Einsamkeit. „Ich, der jeden Augenblick etwas haben mußte, was mich tief interessirte, der, ohne es zu sagen, mit Jedem fühlte und oft nicht schwächer als der Eigenthümer der Freude und des Schmerzes selber, der sogar in einem wunderbaren Vernehmen mit Bergen und Pflanzen stand, weil der Liebesreichthum nicht zu dämmen war, der die Menschen am liebsten hatte, die ihm am wehesten thaten, blos weil sie mich nicht verstanden, nun so einsam; wenn ich bald sterbe, ist’s an keiner anderen Krankheit als an der, die Aerzte mögen sie nennen wie sie wollen.“ Diese und ähnliche Aeußerungen in Briefen und Tagebuchblättern eines nicht einmal vollständiger Gymnasialbildung theilhaftig gewordenen Talentes, erinnern lebhaft an ähnliche von Kleist und Hebbel, mit deren Anlagen die seinigen verwandt waren, hinter deren Entwickelung er aber entschieden zurückgeblieben ist. Schon die angeführten und andere Stellen der frühen und der späteren Briefe Ludwig’s, denen bei unleugbarer Naivität eine gewisse Unbeholfenheit und Ungenauigkeit im Ausdrucke anhaftet, stechen stark von der Festigkeit der Prosa Kleist’s und Hebbel’s, selbst in ihren früheren Jahren ab.

Nach kurzem Aufenthalte in Eisfeld kehrte L. nach Leipzig zurück, „um das Halbirtsein zwischen Musicus und Tragicus zu enden“. Bezüglich dieser Uebergangskrisis liegt ein interessantes Selbstbekenntniß vor, nach welchem das poetische Element in der Musik es war, das ihn zu dieser gezogen hat. Der plastische Trieb, dem er componirend genügen wollte, hätte ihn zu mannigfachen Irrthümern verleitet, und dieser plastische Trieb schiene, wie er ganz richtig erkannte, das Entschiedenste in seiner Natur zu sein. Die Poesie hätte zu zeigen, nicht allein wie die Sünde, die böse That, die Uebertretung der Pflicht, sondern auch wie Irrthum, falscher Schein, Unvorsicht, selbst die auf’s Gute gerichtete Leidenschaft Würde und Glück des Lebens stören können, daß der Mensch seines eigenen Looses Schmied, an dem er jeden Tag, jede Stunde schmiedet. Sie soll dem Menschen die Wahrheit des Lebens zeigen und ihn dadurch zur Strenge gegen sich, zur Nachsicht gegen andere führen. Sie soll eine Poesie der Wahrheit sein.“ Ueberhaupt schwebte L. als Autodidakten frühzeitig ein hohes Kunstideal vor; aber er scheint sich nie klar geworden zu sein, ob sein Talent mehr für Nachbildungen der Natur und Geschichte als für freie Schöpfungen der Phantasie ausreiche und ob das, was er Wahrheit der Poesie nennt, sich mehr auf die des vergeistigten Wirklichen als auf den weihevollen Beruf der dichterischen Individualität bezieht. Das ganze Neuerungswesen des jungen Deutschland schien ihm nichts als Anmaßung. Er wollte sich in die Arme der Philosophie flüchten, um, wie er sagt, „seiner Armuth aufzuhelfen und seiner inneren Unruhe zu entgehen“, „aber die (Philosophie) ist noch ärmer, muß sich sogar mit einem geborgten Gott behelfen“. „Unsere ganze Erziehung durch Schule, Kunst und Gesellschaft arbeitet nur dahin uns zu zerstückeln, von Glück hat der zu sagen, dessen Sein sich wieder aufbaut aus den Trümmern, in die man es schlug. Sollte nicht der Zweck der Kunst eben nur der sein, den zerstückelten Menschen wieder zu binden?“ Aehnlich wie Kleist eine Zeit lang das Ideal eines Bauernlebens vorschwebte, so ihm das eines Dorfschulmeisters. Dabei weisen aber seine damaligen Aufzeichnungen über den in ihm vorgehenden Schöpfungsproceß nach, daß er sich nicht allein geistig in den höchsten Sphären bewegte, sondern daß gewisse Anzeichen eine unmittelbare Dichternatur in ihm verriethen, die eines besseren materiellen und geistigen Looses würdig war. Er hatte seine eigene ironisch-schöne Art dieser Gegensätze auszugleichen: „Du willst fern von den Menschen sein und sie doch lieben? Eben damit ich sie lieben könne, will ich so fern als möglich von ihnen sein.“ Tiefsinnig und wahr sagte er auch: „Wer [605] es zu der Kindlichkeit gebracht hat, etwas Schönes zu sehen, ohne es zu begehren, der hat das wahre Gefühl für Schönheit. Für die anderen Gemüther gibt es nur Reiz.“ Dieses Genießen im Entbehren drückt sich ferner in dem Satze aus: „Der Besitz in der Ferne, wenn er auch die hellen Farben der sinnlichen Gegenwart nicht hat, hat den herrlichen Vorzug, daß er ohne Wechsel ist; der Freund mag sterben und er ist doch bei mir.“ Nicht weniger edel und bezeichnend ist sein damaliger Spruch: „Wenn Du an Treue zweifeln zu müssen meinst, sei selbst treu, so brauchst Du’s nicht.“ Den Dichter nennt er einen Vor-, den Leser einen Nachträumer. Auch an humoristischen Aphorismen aus jener Jugendzeit Ludwig’s fehlt es nicht. „Warum man die Poeten hungern läßt? Man glaubt, daß kein Poet je Alles herausgesagt was er fühlte und es ist der Poeten eigene Klage, daß gerade das Beste drinnen bleibe, deshalb will man sie transparent machen.“ Von einschneidenderer Ironie ist die in seinen Nachlaßschriften mitgetheilte Skizze zu einem Gespräch des Dichters mit der deutschen Muse, wie ihr’s ergangen. Es erinnert an Hebbel’s Dialog im Vorspiel zum „Diamant“, ohne deshalb der Originalität zu entbehren, denn während bei Hebbel die Verspottung sich an Grundsätzen entbindet, entwickelt sie sich hier an dem Herausschälen der verschiedenen Epochen der Litteratur. Die scheidende Muse hat ein Jakobinerkäppchen, runzliche Hände vom Viehmelken unter Voß, in der Byronsucht ist sie fieberkrank gewesen, unter Schlegel nobel und vornehm. Mit Lust erinnert sie sich des Mittelalters, Wolfram’s, Hartmann’s, Hans Sachsens, Luther’s. – Nicolai hat alles poetische von ihr herabgerissen. Unter Claudius mußte sie Boten gehen. Der Dichter will ihr helfen. „Ach, guter Freund, Du siehst mir auch zu traurig aus, so als ob ich Dir helfen müßte.“ – – Sie lächelt, erhebt sich auf einmal und bekommt Flügel. Ich: „Ach was werden die Deutschen sagen, wenn Du fehlst!“ Sie: „Sie haben mich schon nicht mehr und merken’s gar nicht, jetzt haben sie die Frau Gemeinheit und denken ich sei’s!“ Ueberhaupt lassen diese bis 1874 unbekannt gebliebenen Fragmente einen tiefen Blick in die Werkstatt unseres Dichters thun. Der Reichthum seiner Gedanken und Pläne ist außerordentlich; aber die Kraft sie auszuführen war entweder überhaupt nicht vorhanden, oder sie wurde durch heftiges physisches Leiden gebrochen. Diese ganze, in psychologischer und biographischer Beziehung wichtige Periode schloß L. mit der Erkenntniß ab, daß ihm das Vage der Musik nicht mehr genüge und daß er Gestalten haben müsse. So bestätigte er selbst Mendelssohn’s tiefen Blick, indem er von jener Zeit an das Componiren und zum Theil sogar das Klavierspielen aufgab. Folgen wir nun dem schon in früher Jugend Vielgeprüften in seinem neuen Lebensabschnitte.

Im J. 1843 zog L. nach Dresden, dann nach Garsebach und Meißen, wo er von 1844–50 lebte. Körperlich und geistig frischer, knüpfte er in Meißen ein Verhältniß mit Emilie Winkler an, die später seine Gemahlin wurde. Er dichtete Dramen und Novellen, von denen die „Emancipation der Domestiken“, „Die Buschnovelle“ und das bedeutendere Vorspiel: „Auf der Torgauer Heide“ in der Zeitung für die elegante Welt gedruckt wurden. Von Wichtigkeit für ihn ward seine aus dem J. 1845 stammende Bekanntschaft mit Eduard Devrient, der ihn, nachdem er ihm einige dramatische Versuche und unter andern die früh begonnene und auf Devrient’s Veranlassung mehrfach umgearbeitete „Bernauerin“ eingesandt hatte, nach Dresden einlud. Anfangs 1847 las Devrient Ludwig’s „Rechte des Herzens“ vor einem auserwählten Kreise vor, konnte aber die Aufführung an der Dresdener Hofbühne nicht durchsetzen. Auf Devrient’s Rath wurde auch der inzwischen gedichtete „Erbförster“ mehreren Veränderungen unterworfen und endlich im März 1850 in Dresden mit Erfolg aufgeführt. So verschieden die Urtheile des Publikums und der Presse seither auch über dieses [606] Stück gelautet haben, es bildet jedenfalls einen wichtigen Markstein in Ludwig’s Leben und sichert ihm einen ehrenvollen Platz in der Geschichte unserer dramatischen Poesie. Man kann es ein vorzugsweise deutsches nennen und es hat in örtlicher Beziehung etwas Typisches, wie das Gedicht und die Musik des „Freischütz“. Die Handlung ist bei aller Rauheit natürlich, richtig motivirt und ergreifend, die Charaktere sind scharf und ohne allen Aufwand von Dialektik gezeichnet. Höchstwahrscheinlich hat der schroffe, aber grundehrliche Charakter des eigenen Vaters zur Gestaltung des „Erbförsters“ beigetragen, der sich von dem verwandten Typus in Kleist’s „Schroffensteiner“ durch Natur und Einfachheit unterscheidet und der Festigkeit der Zeichnung von Hebbel’s „Meister Anton“ nahe kommt. In einem Briefe an Schaller stempelt L. dieses Stück selbst zu einer „Kriegserklärung gegen die Unnatur und conventionellen Manieren der jetzigen Theaterpoesie sowol, als der Schauspielkunst“. Er habe alle die Kunststückchen, mit denen man das Publikum packt, aus deren immer neuen Zusammenstellung man seit zwanzig, man könnte sagen, seit sechzig Jahren, Schau-, Trauer- und Lustspiele zusammenwürfelt, darin über Bord geworfen; Natur, Wahrheit, schöne, nicht zu eng genommene Wirklichkeit wären alle Kunststücke gewesen, die er angewandt. Bald wurde der „Erbförster“ auch in Wien, Weimar und München gegeben und im Allgemeinen überwog die Anerkennung den Tadel, ohne daß dieses Drama bis heute recht eigentlich ein Bühnenstück geworden wäre. Der düstere Charakter desselben, der übrigens eine gewisse geheime Anziehungskraft nicht ausschließt, wurzelt jedenfalls in den Jugenderlebnissen Ludwigs, der einmal geäußert hat, daß seine Geschichte bis zum Beginn des Mannesalters ein fortgesetzter Cursus in der angewandten Psychologie und Pathologie war. Desto anerkennenswerther und wohlthuender ist es, daß die gesunde, frische Waldluft der Heimath das Ganze durchweht.

Nachdem L. sich in Dresden niedergelassen hatte, vermählte er sich daselbst mit Emilie Winkler. Er fand nun seine früheren dramatischen Arbeiten ungenügend und bearbeitete die biblische Geschichte der Maccabäer dramatisch. In diesem Werke wollte er „ein Muster der idealen Tragödie aufstellen, das Poetische und Theatralische innigst mit dem Charakteristischen verbinden und diese Verbindung, die nur in dem einzigen Shakespeare realisirt ist, noch in eine einheitlichere Form gießen“. Von der sehr ungenauen und für die eigene Unklarheit charakteristischen Fassung dieses Vorsatzes abgesehen, war L. zu einem Uebertreffen Shakespeare’s in irgend einem wesentlichen Punkte nicht geschaffen. In seiner Composition der Maccabäer verschmolz er Episoden aus dem Leben des Judas Maccabäus mit der der sieben Maccabäerbrüder, welche unter Antiochus Epiphanes den Märtyrertod erlitten. Er machte die Mutter des Judas, des Asmonäers Mathatias Weib, zur Mutter dieser Märtyrer, letztere also zu Brüdern des Judas. Gegen das Geniale dieser poetischen Licenz ließe sich wenig einwenden; aber von einzelnen gelungenen Stellen abgesehen, ist die Ausführung des Stückes weit unter der Erhabenheit des Stoffes zurückgeblieben. Der Dichter brachte es, bei aller Begeisterung für den Stoff, bei welchem ihm das Schicksal seiner eigenen Mutter vorgeschwebt haben mag, zu keiner unmittelbaren Wiedergeburt desselben. Wo er naiv zu sein glaubte, wurde er, der Feind des Sentimentalen, sentimental, und bei dieser Arbeit mußte ihm die Schwierigkeit des Auseinanderhaltens beider Dichtungsarten offenbar so klar werden, daß er, wenn er nicht einem für ihn unmöglichen Ideal nachgejagt hätte, erfolgreich zu der seinen Kräften angemessenen Naturrichtung hätte zurückkehren müssen. Die Ueberschätzung der Maccabäer seitens der Kritik der Zeitgenossen ist für die in derselben herrschende Begriffsverwirrung äußerst charakteristisch. Es liegt ein Bekenntniß von L. vor, welches diese Auffassung seines dichterischen Vermögens im Allgemeinen [607] bestätigt. „Es ist unendlich leicht,“ äußerte er, „ein poetisches Drama zu schreiben, wenn man, wie Hebbel von sich sagt, dabei nicht nach dem Theater blinzelt; oder ein bühnengerechtes ohne Poesie; ich weiß, daß Beides vollkommen zu vereinigen über meine Kräfte geht; ich thue, was ich kann, die Gesundheit des Dramas, die in der innigen Verbundenheit von Poesie und Bühne besteht, herbeiführen zu helfen. Wenn ich Vermögen hätte, würde ich keines von meinen Stücken drucken lassen. Ich mache keinen Anspruch darauf, ein Dichter zu heißen, ich weiß, daß meinen Kräften die dazu nöthige Harmonie fehlt, wenn auch nicht der ernste Wille und gewissenhaftes Streben nach dieser Harmonie. Ich will nur, so viel in meinen Kräften steht, einem vollkommenen Dichter die Bühne erobern helfen.“ Dieses Bekenntniß geht offenbar in der Strenge gegen sich zu weit. Ein ehrenhaftes Zeugniß innerer Kämpfe und hohen Strebens, verräth es eine theoretische Scheidung zwischen Poesie und Bühne, deren Unrichtigkeit auf einen Mangel an dramatischer Gestaltungskraft idealer Stoffe zurückzuführen ist. In dem dramatischen Fragment „Tiberius Grachus“ hat L. einen weiteren Versuch in der Darstellung antiker Zustände und Charaktere gemacht. Es fehlt auch hier nicht an einzelnen Schönheiten, und mit Recht führt Rudolf v. Gottschall, der in seiner scharfsinnigen Charakteristik L. im Ganzen sehr streng beurtheilt, die Abschiedsworte Tiber’s im fünften Auftritte als tief poetisch und „eines großen Dichters würdig“ an. Wie seine Shakespeare-Studien beweisen, jagte er einem Dramenideal nach, dessen Erreichung die Natur ihm versagte. Er fand sein dichterisches Vermögen vielmehr in der Bearbeitung aus dem unmittelbaren Leben genommener Stoffe wieder, wie in der durchaus hervorragenden Erzählung „Die Heiterethei und ihr Widerspiel“, die er unter vielen älteren Plänen hervorsuchte, im Frühjahr 1854 in Loschwitz niederschrieb und in der „Kölnischen Zeitung“ drucken ließ. In der Gegend von Eisfeld lebte im Volksmunde die Gestalt eines schönen, kräftigen, keuschen und heiteren Bauernmädchens, dem man den Beinamen der „Heiterethei“ gegeben hat und dessen Darstellung dem Dichter vortrefflich gelungen ist. Von einigen Längen und Breiten in der Zeichnung der Einzelheiten abgesehen, gehört diese Dorfgeschichte zu den anmuthigsten und gesundesten ihrer Art. L. scheint über dieselbe auch mit Auerbach mündlich und schriftlich verkehrt zu haben, und es wäre zu wünschen, daß die betreffenden Briefe einmal zum Vorschein kämen. Wenn er einem Freunde schrieb: „ich habe die „Heiterethei“ sozusagen hinter meinem eigenen Rücken gemacht, da ich etwas schreiben mußte und doch meine dramaturgischen Studien nicht beeinträchtigen mochte“, so zeigt dies von einer Art Selbsttäuschung, da diese Studien, so interessant sie sind, Alles in Allem doch nur Excurse waren, während seine Novelle ein ächt poetisches Erzeugniß ist, bei welchem Ludwig’s ganze Kraft thätig war. Dasselbe läßt sich von seiner 1855 geschriebenen, in mehrere Sprachen übersetzten Erzählung „Zwischen Himmel und Erde“ sagen.“ Das Gesuchte der Erfindung, das Abspielen der Katastrophe auf einem Thurm, wo der alte ehrenhafte Dachdecker den verkommenen Sohn zum freiwilligen Hinabstürzen zwingen will und der Bruder ihn später wirklich dazu zwingt, steht allerdings im Widerspruche zu Ludwig’s gelegentlich der Dichtung des „Erbförsters“ aufgestellten Grundsätzen von Einfachheit; aber das Gemälde fesselt die Phantasie des Lesers mit unwiderstehlicher Gewalt. Die Charaktere sind im Ganzen und Großen meisterhaft gezeichnet und man vergißt den allgemeinen Fehler Ludwig’s, die zu breite Ausführung von Nebendingen leicht über dem großen sittlichen Ernst, der das Ganze durchzieht. Die Darstellung des Schicksals der beiden Liebenden, das Einfache in ihrem Entsagen, ist von außerordentlicher Schönheit. L. selbst schrieb über dieses Werk: „die Schicksale beider Enden der Menschheit sind darin dargestellt, des Frivolen und des Aengstlichen. Das Ideal liegt in der Mitte.“ [608] Er hat indessen, bei seiner Widerlegung falscher Kritiken, wie dies häufig vorkommt, nachträglich unzutreffende Motivirungen entwickelt, während der symbolische Schluß der Erzählung selbst, die Idee erschöpfend darstellt, indem es dort heißt: „Nicht der Himmel bringt das Glück; der Mensch bereitet sich sein Glück und spannt seinen Himmel selber in der eigenen Brust. Der Mensch soll nicht sorgen, daß er in den Himmel, sondern daß der Himmel in ihn komme. – – Laß dich vom Verstande leiten, aber verletze nicht die heilige Schranke des Gefühls. Kehre dich nicht tadelnd von der Welt, wie sie ist; suche ihr gerecht zu werden, dann wirst du ihr gerecht. Und in diesem Sinne sei dein Wandel: „zwischen Himmel und Erde!“ – Auch die Erzählung: „Aus dem Regen in die Traufe“ gehört zu den gelungeneren Arbeiten Ludwig’s.

Im J. 1856 verschaffte Emanuel Geibel L. eine Pension vom Könige Maximilian von Baiern. Seine Verhältnisse blieben indessen drückend und wurden nur durch die Schillerstiftung und den ihm 1860 zuerkannten Schillerpreis einigermaßen erleichtert. So lebte er noch einige Jahre in Dresden, schmerzhafte körperliche Leiden mit männlichem Muthe ertragend und meist in einer seine Freunde mit Bewunderung erfüllenden heiteren Stimmung. „Meine Uebel“, schrieb er einem derselben, „sind, einzeln genommen, alle nicht von bedenklicher oder gefährlicher Natur, nur schmerzhaft und selten pausirend, ich bin ein Pferd, das nicht ein Löwe, sondern eine Schaar Bremsen hetzt, die immer wieder von einer anderen Schaar abgelöst wird. So stets absorbirt und entkräftet vom Kampfe mit unermüdlichen kleinen Peinigern, schmerzt mich nicht, daß ich den Genuß, sondern nur daß ich den Zweck und den Gebrauch meines Lebens verliere!“ Die Pläne, sich auf Wunsch und mit Unterstützung des Großherzogs von Weimar in Thüringen niederzulassen, oder nach München zu ziehen, waren unter solchen Verhältnissen kaum auszuführen. L. vertiefte sich immer mehr theils in Roman-, theils in die zu umfassenden Ausarbeitungen angewachsenen Shakespeare-Studien, ersann neue Dramen oder überarbeitete ältere, ohne sich in allen diesen Beschäftigungen selbst zu genügen. Die Unmöglichkeit fühlend, so manches Begonnene kunstgerecht auszuführen, vernichtete er 1864 eine ganze Kiste mit Manuscripten. Als sein Freund M. Heydrich ihn daran verhindern wollte, antwortete er: „Die Seelen aus den Dramenplänen ständen Nachts an seinem Bette und forderten ihren Leib von ihm; dem müsse er nun ein Ende machen. Er sei zu krank, er könne den Seelen ihren Leib nicht mehr schaffen.“ In der That vermochte er in der letzten Zeit seines Lebens den Rollstuhl kaum mehr zu verlassen. Dennoch flammte, ähnlich wie bei Hebbel, die dichterische Kraft in der letzten Leidenszeit neu in ihm auf und mit Begeisterung arbeitete er an dem schon 1862 entworfenen, Fragment gebliebenen Drama „Tiberius Grachus“. Der politischen Tendenzpoesie grundsätzlich abgeneigt, konnte er sich doch den Einflüssen der politisch-socialen Fragen nicht entziehen und kleidete die der Volksemancipation in dieses historische Gewand, indem er den Charakter der Hauptperson, als zwischen edler Leidenschaft und Pflicht schwankend, zu einem tragischen gestaltete. So verschwommen der hinterlassene Plan Ludwig’s auch ist, die oben schon erwähnten Schönheiten dieser seiner letzten Arbeit sind ein untrüglicher Beweis, daß sein Geist bis zum letzten Augenblicke hoch über dem eignen und dem irdischen Elende überhaupt gewaltet hat. Er starb am 25. Febr. 1865, nicht, wie man anfänglich glaubte, an einer Rückenmarkskrankheit, sondern am Scorbut und wurde am 28. Februar auf dem Trinitatiskirchhofe in Dresden begraben.

Es fehlt bis zur Stunde an einer ausreichenden Gesammtausgabe der Werke Ludwig’s. Die im J. 1870 in Berlin bei Otto Janke erschienenen „Gesammelten Werke“ hat, einem Vorworte der Wittwe zufolge, Hermann Lücke in [609] Leipzig geordnet und durchgesehen. Gustav Freytag hat eine Einleitung dazu geschrieben, deren Urtheil darin gipfelt, daß L. zu den deutschen Dichtern gehörte, deren poetische Natur in ihren Werken sehr unvollständig zur Darstellung gekommen ist und daß nur wer ihn persönlich kannte, den vollen Eindruck seiner eigenthümlichen Dichterkraft bewahrt. Mit dieser im Grunde wahren Auffassung hängt auch die wie aus einer Verlegenheit hervorgegangene Ueberschrift dieser Einleitung: „Aus dem Arbeitszimmer des Dichters Otto Ludwig“ zusammen. – H. Lücke hat sich begnügt, dem zweiten Bande: „Bemerkungen zu den Stücken des Nachlasses“ hinzuzufügen, und diese mit der Erklärung zu beginnen, „daß es nur wenige und nicht sehr umfängliche Theile von Ludwigs litterarischem Nachlasse sind, bei denen sich die Herausgeberin der gesammelten Werke im Einverständniß mit einer Anzahl von Freunden des verewigten Dichters, zur Veröffentlichung berufen gefühlt hat“. Mit welcher Unsicherheit und Zaghaftigkeit die zum Theil wol durch Mangel an Entgegenkommen entmuthigten Freunde zu Werke gegangen sind, geht daraus hervor, daß Moritz Heydrich, vier Jahre später, bei Cnobloch in Leipzig zwei starke Bände Nachlaßschriften Ludwig’s herausgab, welche das Gesammtbild des Dichters wesentlich vervollständigen. Erschöpfend ist aber auch das hier mitgetheilte reiche Material nicht und in der sehr schätzenswerthen, mit großer Wärme und rührender Hingebung geschriebenen „Biographischen Skizze“ des Dichters sowohl, wie in den gleichfalls sehr verdienstlichen Charakteristiken der hinterlassenen Studien und Fragmente, befinden sich, ähnlich wie in Kuh’s Biographie Hebbel’s, neben manchem Vortrefflichen, irrthümliche Urtheile über einzelne Leistungen, welche die Schätzung der gesammten erschweren. Nur eine vollständige Biographie, mit künstlerischer Verflechtung der in den vielfachen Umarbeitungen sich ausdrückenden inneren Kämpfe des Dichters, würde eine geordnete Uebersicht über Ludwig’s Schaffen geben, während bisher eigentlich nur Materialien zu einer solchen vorliegen und die Abwechselung von biographischen Mittheilungen, Commentaren und Originalarbeiten den Eindruck eines fragmentarischen Schaffens nur erhöht. Aber schon durch die einfache Zusammenstellung des im Nachlasse handschriftlich Vorhandenen, hätte Heydrich sich ein Verdienst erworben. Er führt nicht weniger als vier fertige ungedruckte Bernauerin-Dramen an, die von 1840 bis 1846 entstanden sind. Lipowski’s 1800 in München erschienene Darstellung gab schon 1833 die ursprüngliche Anregung zu diesen Dichtungen. Sie sollen trotz einzelner Schönheiten, des Abdruckes nicht werth sein, während die Fragment gebliebene Bearbeitung aus den Jahren 1854 bis 1859, in den „Gesammelten Werken“ erschienen ist. Anstatt einfach bei der historischen Ueberlieferung zu bleiben und ähnlich wie Hebbel die „Bernauerin“ als die „moderne Antigone“ aufzufassen, die an der Schranke des Gesetzes untergeht, machte L. sie, um ihr Schicksal zu rechtfertigen, zu einer schuldvollen Erscheinung, welche mit einer gewissen Lüsternheit das Schicksal herausfordert. Bei einer so völlig verfehlten Anlage dieses Stoffes schleppte er sich fast sein ganzes Leben mit demselben, ohne ihn kunstgerecht gestalten zu können. Völlig vollendet und ungedruckt sind ferner: „Waldburg“, Trauerspiel in 5 Acten; „Hans Frey“, Lustspiel in 5 Arten; „Die Rechte des Herzens“, Trauerspiel in 5 Acten und „Die Pfarrose“, Trauerspiel in 5 Acten. Auch ist eine große Anzahl von ungedruckten dramatischen Fragmenten vorhanden, wie Eckart oder Burgunds Ausgang (1837 bis 1841); Friedrich II. und die Torgauer Heide (1843–44); Das Wirthshaus am Rhein (1846–53); Armin (1848–51) mit der bedeutungsvollen Sterbescene Hermanns, die Heydrich mittheilt; „Jud’ Süß oder der Jacobsstab“ nach Hauff’s Novelle, in welcher der Jude, um sich vor sich selber zu rechtfertigen, daß er schlechte Mittel zur Erreichung edler Zwecke angewendet hat, unter andern sagt: „Gott selber fehlen die Soldaten, [610] schickt er den Satan nicht auf Werbung aus“; drei weitere Planskizzen zur Bernauerin, mit einigen Fragmenten dieser weiteren Bearbeitungen aus den Jahren 1854, 1856 und 1858, wonach im Ganzen somit nicht weniger als sieben Bearbeitungen dieses Stoffes, von denen nur ein Theil veröffentlicht vorliegt, vorhanden sind; „König Darnley’s Ermordung“ (1854–55) ; „König Alfred“ (1855 bis 57); „Genofeva“ (1856–57); „Marino Falieri“ (1855–60) nach Hoffmann’s Erzählung Doge und Dogaressa, in welchem Fragmente Falieri gleich in der ersten Scene sagt: „das Kriegsschwert macht Krämerhand zur Elle“; „Camiola, die Kaufmannstochter aus Messina“ (1860–64), aus welchem die nachstehenden schönen Verse angeführt werden: „Ja alles Große, das gelungen ist, und ewig webt auf Nachruhms gold’nem Fittig, mißlingen konnt’ es! Das Gemeine nur stößt sich den Fuß nicht wund auf seinen Wegen und wird nicht aufgehalten. Welt und Zeit Eur Schoßkind ist die Mittelmäßigkeit. – Erfolg, der große Alchymist und Münzer prägt aus denselben zum reichen Goldstück, oder wirft ihn als Schlacke zu dem Haufen – wie’s ihm gefällt –“; endlich eine Plan-Skizze zum „Wallenstein“, die schon 1856 begonnen, zu des Dichters großartigsten Entwürfen gehört.

Hiermit ist der Skizzenreichthum des Ludwig’schen Nachlasses noch keineswegs erschöpft, denn nach Heydrich’s Mittheilungen sind noch Spuren von Plänen und Fragmenten zu Johann von Schwaben, Hofer, Cromwell, Ludwig XVI., Columbus, Masaniello, Charlotte Corday, Wasa, das Schloß der Cevennen, Gräfin Salbury, die Freunde von Imola etc. vorhanden, die er nur flüchtige und nicht mittheilenswerthe nennt. Charlotte Corday war ein völlig ausgeführtes Drama, das höchst wahrscheinlich Ludwig’s oft verhängnißvoller Selbstkritik erlegen ist. Es wäre sehr zu wünschen, daß der gesammte Nachlaß Ludwig’s nach einer weiteren Sichtung gedruckt, oder mindestens irgend einer öffentlichen Bibliothek einverleibt würde. Wie manches in seinen Dichtungen überschätzt wurde, so ist anderes, wenn auch nur Fragmentarisches, noch nicht hinreichend gewürdigt. Tagebuchstellen, wie die folgenden sind von hervorragender psychologischer und biographischer[WS 1] Wichtigkeit: „Sonderbares Phänomen! – Von dem Ideenbilde in mir beobachtet, daß eine Ideenanschauung, ehe sie völliges Bewußtsein gewinnt, gewöhnlich – wohl immer, nur bei nicht stets gleich darauf gerichteter Aufmerksamkeit und nicht immer beobachtet – wie ein ungewisser Farben- auch Formschein sich zeigt; wie das Bewußtsein sich desselben zu allmählich klarerer Erkenntniß bemächtigt, wird Farbe und Form, erst chaotisch und formlos, entschiedener und entflieht zuletzt. Gedanke an ein inneres Auge, das nach ähnlichen Gesetzen verfährt, wie das äußere? Wie denn, wenn wir eine Wiederholung der Sinne in uns hätten, die Phantasie weiter nichts wäre als ein feinerer Körper mit feineren, aber denselben Sinnen? Oder daß immer Körper in Körper gepackt sind, immer feiner nach innen, jeder innere dem äußeren gleich, nur feiner wäre? Magnetismus. – Jedes Gedicht, das in mir entsteht, ist erst blos eine Stimmung und eine Farbenerscheinung des inneren Auges, darin eine Bewegung, als wolle es sich gestalten. Die Idee zum „Eckart“ hab’ ich mehreremal als eine Art Tempel gesehen im gelblichen Lichte; mit einem Worte, als etwas Architektonisches – zwischen einem erhabenen Gebäude und einer erhabenen nackten Menschengestalt, und zwar als ich die Grundzüge schon entworfen hatte. Sowie das Entworfene aber deutlich vor mir stand, daß es so zu sagen nicht mehr bloße Stimmung war, war das Bild verschwunden. Einmal überraschte das Bewußtsein das Bild, ich war überrascht, denn es war das erste Mal, daß ich das Dasein des Phänomens bei einem schon begonnenen Gedichte wahrnahm, – das Bild, wie ich es deutlich [611] betrachtete, verschwand, und ich entsinne mich seiner seitdem nur wie eines Traumes, von dem man die Stimmung sich noch zurückrufen kann, aber keine Form. Seit ich den Gedanken gefaßt, zu beobachten, habe ich die Unbefangenheit verloren, und meine Phantasie macht mir willkürlich ähnliche Erscheinungen vor.“ – Merkwürdig genug ist es, daß Hebbel die ersten poetischen Dämmerungen in sich fast übereinstimmend schildert und von der Ueberzeugung durchdrungen war, daß beim wahren Dichter die Erscheinung dem Gedanken vorausgeht. L. erkennt hier übrigens selbst das Element, das seiner durchaus ursprünglichen dichterischen Kraft verhängnißvoll geworden ist: den auf zu scharfe Zersetzung gerichteten Verstand, der auch bei Kleist so manches verdarb und vernichtete, während er bei Hebbel der Macht der unmittelbaren Empfindung untergeordnet blieb. Was L. hätte leisten können, wenn jene störende Durchkreuzung der Seelenkräfte in ihm nicht stattgefunden hätte, läßt sich ungefähr ahnen, wenn man des nachstehenden Entwurfes ansichtig wird. „Skizze eines Dramas, nach dem Evangelium, in einfacher Sprache naiv auszuführen. Christophorus, ein Mysterium. Die Charaktere wären leicht zu fassen. Judas wie er abtrünnig wird, giebt ein psychologisches Gemälde. Ein einziger Stoff. Zur Glorie der christlichen Religion. Ich will ein Christ werden dadurch und hoffe Manche in unserer indifferenten Zeit dem Christenthume wieder zuzuführen. Einfachheit und Wahrheit die Augenmerke. – Die Jünger selbst, wie sie ihn falsch verstehen. Maria, Martha ein schönes Idyll – das aber leicht verdorben werden kann, wenn nicht der einzig richtige Ton getroffen wird. Es muß selbst dem wenig Unterrichteten das Evangelium im Zusammenhang seiner Geschichte und Lehren geben, daß er, was dort auseinanderliegt, zusammenhabe. Es muß die ganze Seelengeschichte der Menschen darin vorkommen; der ganze Kreis des Menschlichen vollendet werden. Petrus, Ehrsucht, trotzig und verzagt, wacker. Zarte Liebe der Maria, Lazari Schwester. Alles Maschinenartige, Effecthaschende muß vermieden werden, ebenso alle spinnenbeinig ausgreifende Speculation; doch diese vielleicht im Nicodem, dessen Theorie und Denkgerüst durch eine einzige Wortthat des Heilandes umgeworfen wird. Dazu ein Engelchor. Der kalte Denker weint, und nimmt mit Entzücken wahr, daß er ein Herz hat und im Herzen einen Himmel, daß in sich, was er mit Anstrengung außer sich gesucht hat. Jede Scene muß ein Gemälde sein, oder eine plastische Arbeit. Das Entgegenstemmen der jüdischen Schriftgelehrten, verschiedene Charaktere und also verschiedene Bedingnisse des Widerstandes, hierin kann eine ganze Culturgeschichte liegen. Alles kindlich gehalten. Oelbergscene: Weder die Personen noch der Dichter, und der am allerwenigsten – dürfen Begeisterung zeigen, der Leser muß begeistert werden. Gerade das Widerspiel von der Messiade muß es werden. Jeder Prunk und Malerei stört hier. Die höchste Einfalt, dabei ein Schatz von Lebensweisheit. Der Geist des wahren Christenthums und des Menschenthums muß darin wehen, fern von aller Polemik und Controversen. Wie aber nun? Der Heiland als Mensch oder Gott? Ist nicht das Reinmenschliche dem Göttlichen näher als alle storchfüßigen Tiraden? Diese besonders zu vermeiden. Er geht ins Kleinste ein, hat Sinn für das Beschränkteste, zeigt sich menschlich besorgt um Kleines, aber nie grübelnd. Nichts, was ihm nicht wichtig wäre. Alles Menschliche ist an ihn gewiesen. Jeder Schmerz, jede Sorge, sei sie auch unbegründet, ist auch die seine, denn die Kranken bedürfen des Arztes. – Ebenso erfreut er sich der Freude, selbst der ungeschickten, unbequemen. Alles Mystische, Karfunkelmäßige, Symbolische in der Behandlung ausgeschlossen. Die Ansicht der Natur eine freundliche, lebenskräftige. Das Stück muß die reine Form werden, durchsichtig und klar wie ein Thautropfen. Nichts von Weltschmerzen und anderer, moderner affectirter Nervenschwäche. Die wunderlich ehrsüchtigen [612] Träumereien der Jünger, deren jeder ihm seinen eigenen Plan unterlegt, seine lächelnde Geduld mit ihnen, wie mit Kindern, sogar liebend gutmüthiger Scherz und scheinbares Eingehen auf ihre Ideen, durch welche er sie selbst zur Einsicht ihrer Träumereien bringt, ohne daß sie noch wissen, welche andere Absicht sie ihm unterlegen sollen. Petrus, der Ehrgeizigste, wird sogar einmal bitter und trotzig, wie Kinder, denen ihr Wille nicht geschieht. Durch wenige sanfte Worte weiß ihn der Heiland so zu rühren, daß er wie ein Kind weint und bittet. – O, es ist ein göttlicher Stoff, aber welch’ ein kindlicher Dichter gehört dazu. Ich glaube, in meiner Natur liegt etwas Verwandtes, was ich leider selbst durch eigene und fremde Schuld verlor, indem oft eine krankhafte Reizbarkeit den Kinderfrieden aufhob, die den Liebesreichthum meiner Natur so verstockte, daß ich selbst erschreckend ihn suchte. Darum möchte ich auf dem Lande in still gemüthlicher Armuth leben, von Niemand gekannt, wünschend, ja ersehnend, daß meine Productionen Menschen wohlthun möchten, aber Dank und Anerkennung verschmähend, nicht aus Stolz oder Menschenscheu, sondern aus Liebe, die nicht bezahlt sein will.“

Dieses Diktat des Verstandes naiv zu bleiben, in welchem an und für sich ein Widerspruch liegt, dieses rationelle Ausspinnen des Ganzen, ohne das gleichsam kindliche Vertrauen auf die Begeisterung des Augenblicks, die dem Dichter das Richtige einflößt, gibt ein Bild von Ludwig’s Lebenskampfe selbst, in welchem die ursprünglich naive Dichterkraft sich beherrschen ließ, weil sie von vornherein nicht Selbständigkeit genug hatte. Der fast gänzliche Mangel Ludwig’s an lyrischer Poesie bestätigt dies vollkommen. Der Selbstunterricht, die einseitige Vertiefung in Shakespeare und gesteigertes körperliches Leiden mögen die Ueberwucherung der Reflexion genährt haben. Ludwig’s Shakespeare-Studien, welche den ganzen zweiten Band der von Heydrich herausgegebenen Nachlaßschriften einnehmen, sind am geeignetsten einen Blick in die Werkstatt des Dichters und in diesen beständigen Kampf seiner Seelenkräfte thun zu lassen. Heydrich hat sie mit einem ausführlichen Vorberichte versehen, sodaß er in den zwei Bänden nicht weniger als drei selbständige Abhandlungen über das Leben, die Dramen, die dramatischen Skizzen und Fragmente, und die Shakespeare-Studien Ludwig’s veröffentlichte. Die Letzteren sind bereits in den vierziger Jahren entstanden, wurden durch die Werke von Gervinus und Devrient weiter angeregt und haben die Form von Tagebuchaufzeichnungen, welche der Herausgeber ordnen mußte, ohne sie in ihrer vollen Breite zu veröffentlichen. Trotzdem tragen sie entschieden den Charakter des Fragmentarischen und Ungleichen. Einzelnes ist von bewunderungswürdiger Tiefe und Schärfe der Darstellung, anderes wieder verschwommen und paradox, sodaß vollkommen begreiflich wird, wie unter den Freunden des Dichters eine weit auseinander gehende Meinungsverschiedenheit über das für den Druck Passende entstehen konnte und die ganze Herausgabe fraglich wurde. Ursprünglich nur für die eigene Klärung geschrieben, trug L. sich doch später mit dem Gedanken sie drucken zu lassen; aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß er bei seinem strengen Sinn für die Form, sie ohne eine systematische Umarbeitung nicht veröffentlicht haben würde. Heydrich hat in seiner sehr verdienstlichen Arbeit sowol den Werth einzelner Dichtungen, wie namentlich der Shakespeare-Studien überschätzt. Wenn Manches, was L. an Lessing, Schiller und Hebbel aussetzt, auch zutreffend ist, so hat er die Ideen vom Naiven und Sentimentalen, auf deren Gehalt seine Kritik hauptsächlich beruht, doch viel zu schroff getrennt und das unmögliche Ziel verfolgt, durch die Reflexion zur Naivität zurückzukehren.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: biograpischer