ADB:Müller, Polycarp

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Artikel „Müller, Polycarpus“ von Otto Kaemmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 669–673, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Polycarp&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 13:44 Uhr UTC)
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Müller: Gottfried Polycarpus M., als Philosoph und Universitätslehrer entschiedener Vertreter des Naturrechts, als Schulmann kühner Neuerer, dann, einem alten Zuge zu inniger Frömmigkeit folgend, Mitglied, endlich Bischof der Herrnhuter Brüdergemeinde, war der Sohn M. Gottfried Müller’s, der seit 1675 als Pfarrer in Stollberg i. E. lebte, und als viertes und jüngstes Kind der Ehe desselben mit Theodore Höckner am 14. Juni 1684 geboren. Der Vater, ein gründlich gebildeter, auch schriftstellerisch thätiger Theolog, unterrichtete den Knaben zusammen mit einem Neffen von Anfang bis zum Abschluß seiner Schulstudien durchaus selbst, ohne ihn jemals in eine öffentliche Schule zu schicken und sandte ihn dann im J. 1701 nach Leipzig, wo er der Theologie und Philosophie sich widmen sollte. Hier erwarb sich M. bereits i. J. 1703, also im Alter von 19 Jahren, die Magisterwürde, bezog aber i. J. 1705 nach des Vaters Tode am 8. Juli 1704 noch die Universität Altdorf, wo er sich besonders durch Wagenseil fesseln ließ und namentlich mit dem Griechischen und den orientalischen Sprachen sich eifrig beschäftigte; doch fand er auch noch Zeit, sich an der poetischen Vereinigung der „Pegnitzschäfer“ zu betheiligen. Das Interesse an den vorwärtsdrängenden Bestrebungen seiner Zeit, das hier hervortritt, suchte dann Befriedigung auf mehrjährigen weiteren Reisen (1706–1708). Durch das westliche Deutschland ging M. zunächst nach Holland, wo er einerseits in Leyden unter Leitung des Juden Alexander mit dem Studium der kabbalistischen Wissenschaften sich beschäftigte, andrerseits in vertraute Beziehungen zu Pierre Poiret, dem einzigen Mystiker unter den französischen Reformirten trat, der damals seit 1688 in Rheinsberg bei Leyden seinen Meditationen lebte. Von ihm mit Empfehlungen versehen, besuchte M. auch noch England, doch begegnete er in den Kreisen der dortigen „Erweckten“ lebhaften Zweifeln an seiner kirchlichen Gesinnung. Als er zu Anfang des Jahres 1708 in die Heimath zurückkehrte, brachte er neben einer nachhaltigen religiösen Anregung auch eine ausgebreitete Weltkenntniß, weltmännische Gewandtheit und volle Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Gebrauch der wichtigsten modernen Sprachen, des Französischen, Englischen, Italienischen und Holländischen mit heim; selbst das Dänische war ihm nicht fremd geblieben. Die nächsten Jahre waren eifrigen, [670] namentlich philosophischen und naturwissenschaftlichen Studien in Leipzig gewidmet, der Vorbereitung zum akademischen Lehrberufe; mehrfach hat er damals über philosophische Sätze öffentlich disputirt. Am 5. Januar 1714 endlich [WS 1] erlangte er die Habilitation als Magister legens (Privatdocent) durch die Vertheidigung seiner Dissertation „De mente substantia a corpore essentialiter diversa“ und wurde bereits 1716 zum außerordentlichen Professor der Beredsamkeit und Poesie befördert. Seine Vorlesungen, deren er in jedem Semester gewöhnlich fünf verschiedene hielt, erstreckten sich über den gesammten Umfang der Philosophie vornehmlich nach Buddeus, Staatengeschichte nach Pufendorf, Rhetorik, Poetik und Lebensweisheit, und wurden theilweise, wozu ja Christ. Thomasius eben in Leipzig das vielgetadelte Beispiel gegeben, in deutscher Sprache gehalten. Daneben liefen Disputationen, so 1720 „De eruditorum in civitatem officiis“, 1721 „De divinationibus in civitate prohibitis“ u. a., und die Leitung einer „Gesellschaft vor Erkäntnis und Verbesserung der deutschen Schreibart“ (seit 1714), der im ersten Jahr bereits 12 Studenten angehörten. Hier wurden deutsche Schriften gelesen und vom grammatischen, rhetorischen, poetischen Gesichtspunkte aus beurtheilt, Reden gehalten und Aufsätze geliefert. Hand in Hand mit dem allen ging eine ausgebreitete schriftstellerische Thätigkeit. Nur als Vorbereitungen oder specielle Ausführungen größerer Werke erscheinen die „Idea eloquentiae nov-antiquae“ 1717 und die „Philosophia facultatibus superioribus accommodata“, 2 Theile, Frankfurt und Leipzig 1718, 1719; jener folgte „Abriß einer gründlichen Oratorie zum academischen Gebrauch entworffen und mit Anmerkungen versehen“, Leipzig 1722, dieser die „Academische Klugheit in Erkäntniß und Erlernung aller vier Facultäten der Gelehrsamkeit“, 2 Thle., Leipzig 1711 und 1720, sein Hauptwerk, eine encyklopädische Methodologie aller Wissenschaften, von der die unter der Philosophie zusammengefaßten den I. Theil, Medicin, Jurisprudenz und Theologie den II. Theil einnehmen. Bei jeder einzelnen Wissenschaft giebt der Verfasser zuerst die Definition, dann die specielle Aufgabe, die Art des Studiums und die vorhandenen Hülfsmittel, letztere mit kurzer Kritik. Außerordentliche Belesenheit, Klarheit und Uebersichtlichkeit sind unleugbare Vorzüge des Buches. Mit dieser akademischen und litterarischen Thätigkeit trat M. kräftig ein in den Kampf für die Befreiung der Wissenschaft, insbesondere der Philosophie und der Staatslehre von der Bevormundung der orthodox-lutherischen Theologie, wie für die Rechte der Muttersprache und einer praktisch-weltlichen Bildung gegen den starren lateinischen Formalismus. Kein bahnbrechender Denker, zählt er doch zu den eifrigsten Vertretern der neuen „aufklärenden“ Richtung. Pufendorf und vor allem der von ihm hochverehrte Thomasius sind seine Lehrer und Vorbilder. Er unterscheidet also scharf zwischen der Theologie, welche es mit der Erkenntniß der göttlichen Offenbarung zu thun hat und der Philosophie, die im weitesten Sinne alle Wissenschaften umfassend, von der Natur als Erkenntnißquelle ausgeht, verwirft demnach grundsätzlich jede Vermischung dieser beiden Gebiete, betont deshalb die Selbständigkeit der natürlichen Religion wie der natürlichen Moral und des natürlichen Rechts. Andrerseits weist er die sensualistische Ueberschätzung der sinnlichen Wahrnehmungen als der allein sichern Quellen der Erkenntniß zurück, leugnet überhaupt die Möglichkeit einer vollständigen Erklärung des Geschehenen mit den Mitteln der Naturlehre und neigt zu Leibnitz’ prästabilirter Harmonie, ohne im Uebrigen dessen religions-philosophischem Systeme zu huldigen. So wußte er mit seiner philosophischen Bildung eine aufrichtige kirchliche Frömmigkeit zu verbinden, wobei er fest auf dem Boden des Protestantismus stehend nur dem römischen Katholicismus gegenüber als einem „Kinde des Unglaubens und Geheimnis der Bosheit“ unbedingt ablehnend sich verhielt, die Vereinigung der protestantischen Bekenntnisse dagegen [671] nicht für aussichtslos erklärte. Wie er so der philosophischen Bewegung der Zeit folgte, so ist er auch gleich Thomasius ein abgesagter Feind der ausschließlichen Herrschaft der dem Leben abgewandten lateinischen Bildung. Er fordert nicht nur, daß der Unterricht in fremden Sprachen von der Muttersprache ausgehe, er hält auch das Deutsche den antiken Sprachen für ebenbürtig und für völlig geeignet, der Träger aller Wissenschaften zu sein, er schreibt selbst häufig Deutsch und zwar ein correctes, klares, auffallend reines Deutsch, kennt die vorhandene moderne deutsche Litteratur, unter deren Vertretern ihm freilich Hoffmannswaldau als ein „Redner und Dichter von unsterblichem Ruhme“, als ein „unvergleichliches Genie“ erscheint, er betont ferner die Unentbehrlichkeit der neueren Sprachen. „Es war bei ihm Alles philosophisch und galant“, so lautet ein damaliges Urtheil über ihn.

Ohne sie gesucht zu haben, erhielt M. die Gelegenheit, sein Bildungsideal in einer selbständigen Stellung zu verwirklichen, denn der Rath der blühenden Sechsstadt Zittau wählte ihn nach dem Tode Joh. Christoph Wenzels (1713–1723) zum Rector des dortigen Gymnasiums und der Bürgermeister Benedikt Carpzov wies ihn am 8. Juli 1723 in sein neues Amt ein. Der Nachfolger Christian Weise’s und Gottfried Hoffmann’s (s. d. Artikel) schien seine Vorgänger noch übertreffen zu wollen. Denn mit größtem Eifer erfaßte M. seine neue Aufgabe. Als Ziel alles Unterrichts erschien ihm das „Trachten nach dem Reiche Gottes“ und eine „vernünftige Gelehrsamkeit“, d. h. ein encyklopädisches Wissen und praktische Weltbildung, damit die Zöglinge gute Christen und gute Bürger würden; er suchte es zu erreichen, indem er dem Unterricht seiner Prima, dessen größten Theil er selbst leitete, ein fast akademisches Gepräge gab und besonders Schüler höherer Stände auch aus den benachbarten Landschaften heranzog. Im Einzelnen mag das Alles mannigfachem Wechsel unterworfen gewesen sein; die von ihm wol als endgiltig betrachtete Gestaltung des Unterrichts in der Prima giebt die „Auffrichtige Vorstellung der Lectionen und Einrichtungen des Directoris in dem Zittauischen Gymnasio“, Zittau 1734. Nach der damals üblichen Weise waren die Stunden in öffentliche, d. h. obligatorische, und private, d. h. facultative, besonders zu honorirende getheilt, die weder von allen Schülern benutzt noch wahrscheinlich auch alle wirklich gehalten wurden, jedenfalls aber die Individualisirung des Unterrichts in hohem Maße begünstigten. In den öffentlichen Lectionen beschränkte M. die lateinische Lectüre auf Ciceronische Reden, Plin. ep. und Horaz (für den gelegentlich allerdings auch ein moderner Dichter, z. B. Hoffmannswaldau, eintrat) und berechnete sie noch wesentlich auf poetisch-rhetorische Behandlung und Nachahmung des Gelesenen. Dazu kamen lateinische Exercitien und zusammenhängende Behandlung der Rhetorik mit häuslichen Ausarbeitungen, weiter Logik, Weltgeschichte und Religion, Alles durch den Rector selbst in 18 wöchentlichen Stunden vertreten. Außerdem bot er noch in 23 privaten Stunden Gelegenheit zu speciellerer Einführung in das Griechische durch stilistische Uebungen und Lectüre des Isokrates und Homer, und in das Lateinische, wo Seneca’s Quaest. phys., Quintilian und Plautus gelesen wurden, sowie Uebungen im deutschen und lateinischen Stil. Ja er gab zusammenhängende Belehrung in der Philosophie nach seiner „Weisheit und Klugheit der vernünftigen Welt“ (Frankfurt und Leipzig 1723) und Litteraturgeschichte in Anlehnung an seine eigene schöne Bibliothek und mit Benützung seiner „Academischen Klugheit.“ Ganz akademisch endlich erscheint es, wenn er Pufendorfs Schrift „De officio hominis et civis“ mit seinen Schülern las und in zwei Vereinen, einem Collegium oratorium practicum und einem Collegium disputatorium, von denen jeder zwölf ordentliche Mitglieder zählte und der letztere wenigstens eigene Statuten hatte, sie zu größeren rhetorischen Uebungen und Disputationen über die verschiedensten Gegenstände anleitete. Ja [672] aus den letzteren gingen Dissertationen hervor, die zuweilen des Druckes für werth erachtet und gelegentlich wol beim Abgange zur Universität unter Vorsitz des Rectors öffentlich vertheidigt wurden. Wer directer noch für das praktische Leben sich vorbereiten wollte, der konnte den mathematischen Unterricht des berühmten Rechenmeisters Christian Pescheck[WS 2] und die französischen Stunden eines Sprachmeisters benutzen; nicht minder war zur Ausbildung im Zeichnen und Tanzen Gelegenheit geboten. Daß indeß die Gelehrtenschule für die Vorbildung zu eigentlich praktischen Lebensberufen nicht der geeignete Ort sei, hat M. sehr bald eingesehen; schon im J. 1727 wollte er für diese Bildungsbedürfnisse deutsche Schulen errichtet wissen, dasselbe etwa, was später die Realschule leisten sollte, denn ihm lag jede Ueberschätzung des Gelehrtenberufes gänzlich fern. Auf die sittliche Haltung seiner Schüler suchte er durch seine Sonntagsandachten und durch Vorschriften und Ermahnungen einzuwirken, die er seiner „Auffrichtigen Vorstellung“ anfügte. Aus ihnen spricht die ganze Persönlichkeit des Mannes: redlicher Eifer, lebendiges Pflichtgefühl, herzliche Milde und aufrichtige Frömmigkeit; zwischen Schule und Haus strebt er die engste Verbindung zu erhalten. Praktisch hat er das Letztere namentlich in einem umfangreichen Pensionate versucht, für das er eine gedruckte Ordnung in der „Auffrichtigen Vorstellung“ gab. Zu so vielfacher Bürde fügten nun noch andere, nicht leichte Lasten die Gedächtnißreden und die dazu gehörigen Einladungsschriften, die umfassenden Actus oratorii, bei denen seine Schüler nicht nur lateinische, griechische und französische Reden hielten, sondern gelegentlich sogar in italienischer, englischer und holländischer Sprache sich zeigten, weiter die dramatischen Aufführungen zu Weihnachten und zur Feier der Rathskür, für welche M. theils Stücke Weise’s, theils eigene Arbeiten verwandte, ohne übrigens letzteren besondere Sorgfalt zu schenken, endlich die Aufzüge am Gregoriusfeste und die Verpflichtung, für die jährlichen Umgänge der Waisenkinder ein Programm und ein Kirchenlied in deutscher Sprache zu schreiben. Daß M. unter diesen Umständen zu wissenschaftlich-litterarischer Arbeit keine Zeit übrig behielt, versteht sich von selbst; er beschränkte sich in Zittau durchweg auf zwar zahlreiche, aber wenig umfängliche Gelegenheitsschriften über die verschiedenartigsten Themen. Seine eifrige Thätigkeit scheint indeß keineswegs ungetheilte Anerkennung gefunden zu haben, wohl zumeist deshalb, weil sie in der That über das Ziel des Gymnasiums zum Theil weit hinausschoß, selbst dessen Grundlagen zu gefährden schien. Zwar behandelte ihn eine kurfürstliche Commission, die im J. 1729 Zittau besuchte, mit großer Auszeichnung, aber gegen ungünstige Urtheile in der Bürgerschaft, wie sie namentlich der damalige Bürgermeister Hertzog aussprach, glaubte er sich durch die „Auffrichtige Vorstellung“ vertheidigen zu müssen (1734).

Schwerlich würden ihn indeß solche Erlebnisse aus seiner Stellung hinweggetrieben haben. Was sie ihm endlich verleidete, war der Conflict, in welchen seine religiöse Ueberzeugung mit dem in der Stadt herrschenden strenggläubigen Lutherthum gerieth. Seine Neigung zu einer innigen Frömmigkeit von sogar etwas mystischer Färbung erhielt erhebliche Verstärkung, als er sich im März 1724 mit Johanna Susanna Stolle vermählt hatte, einer trefflichen, innig religiösen Frau. Beider Ueberzeugung brachte sie den Herrnhutern nahe, denen wenige Jahre darauf (1727) Graf Zinzendorf ihre Verfassung gab. In demselben Jahre noch besuchte M. die aufblühende Brüdergemeinde, seit 1729 trat er mit Zinzendorf in Briefwechsel, in Zittau selbst bildete sich eine kleine Vereinigung herrnhutisch Gesinnter, zu denen auch Müller’s Frau sich hielt. Darüber kam es zu unfreundlichen Erörterungen mit dem streng lutherischen Primarius Häntzschel; ja der Conrector Bucher denuncirte M. und veranlaßte schließlich eine Untersuchung, die erst beim geistlichen Ministerium der Stadt, dann beim Kirchenregiment in [673] Dresden geführt wurde. Zwar wurde M. freigesprochen (August 1732) und hatte die Sympathien seiner Schule auf seiner Seite, aber als seine Frau 1734 offen zu den Herrnhutern übertrat, erfolgte eine neue Anklage, so daß der Rath ganz besondere Vorschriften für Müllers Religionsunterricht für nöthig hielt. Verstimmt und des Streites müde, erbat da M. seine Entlassung und legte am 7. Mai 1738 vor versammeltem Collegium und seiner Prima das Rectorat nieder. Wenige Tage später siedelte er nach Herrnhut über, wo er sich ein stattliches Haus baute. Seitdem entsagte er aller weltlichen Geltung und allem weltlichen Wissen und suchte den Frieden in der innigen Hingabe an Gott. Die Gemeinde hatte den Philosophen anfangs mißtrauisch empfangen, aber bereits im J. 1740 wählte ihn die Synode zu Gotha, an Zinzendorfs Stelle, der damals nach Nordamerika ging, zum Bischof. In Marienborn in der Wetterau wurde er am 9. Juli ordinirt und nahm hier auch seinen Sitz. In dieser Stellung leitete er die eben damals dort begründeten Erziehungsanstalten, das Seminarium theologicum Augustanae confessionis und die lateinische Schule, das Pädagogium; zugleich nahm er hervorragenden Antheil an der Einrichtung der Generalpilgerconferenz, welche die Oberaufsicht über die Brüdergemeinden führen sollte, und an der Gründung neuer Gemeinden in der Wetterau, in Thüringen und in Schlesien. Als Zinzendorf im J. 1743 zurückkehrte, reiste M. zu seinem Empfange nach Holland, wohnte dann der Synode in Hirschberg bei und brachte den Winter in Herrnhut zu. Durch seine bisherige Wirksamkeit hatte er das Vertrauen der Genossenschaft in solchem Grade gewonnen, daß sie ihn 1744 zum Inspector und kurz darauf zum Bischof der schlesischen Gemeinden ernannte. Dort machte er den Anfang zu einem Seminar und Pädagogium in Nieder-Peilau bei Reichenbach i. Schl. (Gnadenfrei) und legte im J. 1746 noch den Grund eines neuen Seminars zu Urschkau bei Groß-Glogau, wohin er selbst mit einem Theile des ersteren Seminars übersiedelte. Seine litterarische Thätigkeit beschränkte sich in diesen Jahren, von kleinen erbaulichen Schriften abgesehen, auf die Vertheidigung der Zinzendorf’schen Uebersetzung des Neuen Testaments gegen vielfache Angriffe der strengen Lutheraner („Disquisitio de tentamine N. T. metaphraseos Zinzendorfianae“ 1743). Er verschied am 17. Juni 1747 nach kurzer Krankheit, tief betrauert von den Seinen. Sie bestatteten die Leiche des „Bischofs Polykarp“ auf dem Friedhofe der Brüdergemeinde zu Neusalz an der Oder.

(J. G. Knoblauch), G. P. Müller’s Leben und Schriften, Frankfurt 1750. H. Eckstein, Gottfr. Polycarp Müller, Director des Gymnasiums in Zittau, Zittau 1881. H. Kaemmel in den Rückblicken, Zittau 1871, 34 ff., (Glitsch), G. P. Müller, im (Herrnhutischen) Brüderboten, 1880, X, 223 ff. – Ein Verzeichniß seiner Schriften giebt auch Otto, Oberlausitzer Schriftstellerlexicon II, 650 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage folgt ein „er- lich“ (wohl durch einen Fehler bei Änderung des Zeilenumbruchs entstanden.
  2. Christian Pescheck (1676–1744)