ADB:Mönckeberg, Carl
Johann Georg Mönckeberg in Hamburg. Sein Vater († 1842) wurde im J. 1826 Senator. Die Familie stammte aus Münder am Deister, wo sie bis in die Zeit des dreißigjährigen Krieges zurück nachweisbar ist. Von Münder war Ernst Friedrich M. († 1785), der Vater Johann Georg’s, nach Hamburg gekommen und hatte sich hier als Kaufmann niedergelassen. Carl war das neunte von zehn Kindern. Seine Jugend fiel in die Zeit der unsagbaren Noth, welche die Franzosen über Hamburg brachten, die er später in seiner Schrift „Hamburg unter dem Druck der Franzosen“ (Hamburg 1864) geschildert hat. Bis Ostern 1826 besuchte er das Johanneum unter dem Director Gurlitt, hörte darauf im Sommer 1826 Vorlesungen am akademischen Gymnasium seiner Vaterstadt und ging sodann im October 1826 zum Studium der Theologie nach Bonn. Er fand hier durch Empfehlungen seines Vaters in den Häusern berühmter Professoren, wie Niebuhr und A. W. v. Schlegel, bei denen er auch Vorlesungen hörte, Aufnahme; den größten Einfluß auf ihn gewann aber der Theologe Friedrich Lücke (s. A. D. B. XIX, 357 ff.). Durch Lücke ward M. vom Rationalismus, in welchem er bisher erzogen war – namentlich war Gurlitt (s. A. D. B. X, 182 ff.) ein fanatischer Vertheidiger desselben – befreit und für die von Schleiermacher und Neander und nicht zum mindesten dann gerade auch von Lücke und seinen Freunden vertretene Auffassung des Christenthums gewonnen, in der das Bekenntniß der Kirche und der Glaube der Reformatoren wieder zu ihrem Rechte kamen. Als Lücke Michaelis 1827 nach Göttingen ging, folgten ihm dorthin M. und viele andere [465] seiner Zuhörer. Auf Lücke’s Rath ging er darauf Ostern 1829 noch nach Berlin, um Schleiermacher und Neander kennen zu lernen. Vom Herbst 1829 bis zum Herbst 1830 machte er eine wissenschaftliche Reise durch Süddeutschland und die Schweiz nach Paris, sodann nach England und Schottland und über Holland zurück, namentlich um das kirchliche Leben und die kirchlichen Einrichtungen dort kennen zu lernen; er machte auf dieser Reise die Bekanntschaft vieler bedeutender Theologen, mit denen er auch später in für ihn werthvollen Beziehungen blieb. Nachdem er am 18. März 1831 sein Candidatenexamen gemacht hatte, unterrichtete er in Privatschulen, wie es damals üblich war. Die zahlreichen Privatschulen, unter ihnen besonders die sog. Cursusse für Mädchen, waren damals auf die Candidaten rev. min. angewiesen, da es andere Lehrer (Philologen) nur wenige gab. M. ward bald ein beliebter und gesuchter Lehrer. Außerdem predigte er häufig und ward gern gehört. Am 18. October 1837 ward er zum Pastor (Diakonus) an der St. Nicolaikirche gewählt; in dieser Stellung verblieb er bis zu seinem Tode. Zeitweilig wurden ihm im Nebenamte noch andere Arbeitsgebiete überwiesen; in den Jahren 1841 bis 1855 war er Gefängnißprediger, von 1842 bis 1844 interimistischer Schiffsprediger; im Hospital zum Heiligen Geist, einem Siechenhaus, war er während der letzten zwanzig Jahre seines Lebens mit der Seelsorge betraut. Außerdem betheiligte er sich an den Bestrebungen kirchlicher Stiftungen und Vereine, in welchen er mehrfach eine leitende Stellung einnahm; so war er längere Zeit ein thätiges Mitglied des Verwaltungsausschusses des Vereins für innere Mission, ebenso im Curatorium des Rauhen Hauses. Doch ließen ihm alle seine amtlichen Arbeiten noch Zeit und Kraft, wissenschaftlich und schriftstellerisch thätig zu sein. Hier sind zunächst seine Forschungen auf dem Gebiete der hamburgischen Kirchengeschichte zu nennen, zu welchen er namentlich durch seine Theilnahme an dem Verein für hamburgische Geschichte veranlaßt ward. Seine zahlreichen Arbeiten zur hamburgischen Kirchengeschichte sind größtentheils in der Zeitschrift des Vereins für hamburgische Geschichte veröffentlicht; außerdem sind als eine Frucht dieser Studien anzusehen seine Schriften „Joachim Westphal und Johannes Calvin“, 1865, „Hermann Samuel Reimarus und Johann Christian Edelmann“, 1867, „Matthias Claudius“, 1869 und einige Andere. An den Verhandlungen, die der Einführung einer neuen Kirchenverfassung in Hamburg vorangingen, hat M. sich eifrig betheiligt; die von ihm aus diesem Anlaß veröffentlichten Schriften, sowie eine weitere Reihe solcher, mit denen er in die damaligen kirchlichen Streitigkeiten eingriff, können wir hier nicht einzeln angeben; er war immer am Platze, wenn es für die Ordnungen und die Lehre der lutherischen Kirche in Hamburg einzutreten galt. Ein ganz besonderes Verdienst hat sich M. dadurch erworben, daß er die im J. 1529 „yn der loveliken Stadt Hamborch by Jurgen Richolff wanhafftich vp dem Peerdemarkede“ gedruckte niederdeutsche Uebersetzung des kleinen Katechismus Luther’s herausgab. Sie erschien unter dem Titel: „Die erste Ausgabe von Luther’s kleinem Katechismus“, Hamburg 1851 (2. Aufl. 1868). M. erkannte in diesem Büchlein, das er auf der Hamburger Stadtbibliothek fand, eine niedersächsische Uebersetzung der ersten Ausgabe von Luther’s kleinem Katechismus; da es bisher nicht gelungen ist, ein Exemplar dieser ersten Ausgabe irgendwo zu entdecken, so hat diese Uebersetzung, die offenbar wörtlich genau ist, für die Geschichte des Textes des kleinen Katechismus einen einzigartigen Werth, wie seit ihrer Veröffentlichung auch allgemein anerkannt ist. Nach dem heutigen Stande der Forschung ist es sogar möglich, daß diese niedersächsische Ausgabe überhaupt der erste Druck des kleinen Katechismus in [466] Buchform ist, da Luther zuerst die einzelnen Hauptstücke in Plakatform hatte ausgehen lassen. Noch wichtiger als diese Untersuchungen zur Erforschung der ursprünglichen Form des kleinen Katechismus Luther’s wurde Mönckeberg’s Theilnahme an den Arbeiten zur Herstellung und Annahme eines einheitlichen Textes der deutschen Lutherbibel. Es handelt sich hier um die sog. Bibelrevision. Man darf sagen, daß diese Arbeit ohne die Anregung und Betheiligung Mönckeberg’s nicht zu Stande gekommen wäre, und nicht mit Unrecht wird er deshalb in der Probebibel (Halle a. S., 1883, S. 24) „der Nestor und bahnbrechende Urheber des ganzen Revisionswerkes“ genannt. Die erste äußere Veranlassung, sich genauer mit dem Texte der lutherischen Bibelübersetzung in den gangbaren Ausgaben zu beschäftigen, hatte M., als er im J. 1835 von dem Verwaltungsausschuß der Hamburg-Altonaer Bibelgesellschaft zum Mitglied einer Commission ernannt war, welche zur Vorbereitung eines neuen Bibeldruckes unter anderem auch eine genaue Revision des Bibeltextes vornehmen sollte. M. gehörte dieser Commission bis zum Jahre 1840 an; er hat aber auch hernach die Beschäftigung mit dem Text der Lutherbibel nicht wieder aufgegeben, vielmehr nahm er sie mit erneutem Eifer auf, als er im J. 1852 Schriftführer der Gesellschaft wurde; vom Jahre 1865 an gehörte er zu ihren Vorstehern. Eine Vergleichung der verschiedenen Bibeldrucke mit einander hatte ihm gezeigt, wie sehr der Text in ihnen verschieden und wie sehr verwahrlost er oft war; die Herausgeber oder Drucker hatten ihnen unverständlich gewordene oder alterthümliche Ausdrücke Luther’s beliebig und häufig ganz verkehrt geändert, Druckfehler waren eingeschlichen und nicht bemerkt oder in fehlerhafter Weise berichtigt. Diese Thatsachen waren nicht völlig unbekannt geblieben, wenn sie auch nicht ihrem ganzen Umfange nach erkannt waren; man hatte auch wol einzeln versucht, diesen unwürdigen Zustand zu beseitigen; namentlich die v. Canstein’sche Bibelanstalt in Halle a. S. war bemüht gewesen, einen thunlichst richtigen und verständlichen Text zu liefern; – aber es fehlte an einer einheitlichen Behandlung dieser Sache. Da forderte M. in einem Aufsatz „Luther’s Bibelübersetzung und die Eisenacher Conferenz“, der am 3. und 10. März 1855 in der „Deutschen Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben“, herausgegeben von Schneider (Berlin bei Wiegandt & Grieben) erschien, nachdem er den vorliegenden Zustand und, was bisher zu seiner Beseitigung versucht war, eingehend geschildert hatte, die Bibelgesellschaften auf, sich zur Herstellung eines gemeinschaftlichen Textes zu vereinigen, und sprach es aus, daß die Eisenacher Conferenz als die Vertretung der deutschen evangelischen Kirchenregierungen das Werk in die Hand nehmen müsse. „Damit diese Ausgabe kritisch und grammatisch dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft entspreche, wäre eine Commission niederzusetzen aus Theologen und Männern, die die deutsche Sprache zu ihrem Hauptstudium gemacht haben“, a. a. O. S. 74. Gleichzeitig ließ M. seine „Beiträge zur würdigen Herstellung des Textes der lutherischen Bibelübersetzung“ erscheinen, Hamburg 1855 (162 S., 8°). In diesem Werke veröffentlichte er das Ergebniß seiner geschichtlichen und sprachlichen Studien über den Text der Lutherbibel noch eingehender und ausführlicher. Seine Aufforderung war nicht umsonst; auf dem Stuttgarter Kirchentage wurde am 21. September 1857 nach einem Vortrage von M. beschlossen, der Anregung zu folgen; die v. Canstein’sche Bibelgesellschaft sollte gebeten werden, das Werk der Bibelrevision in die Hand zu nehmen. Das Directorium der v. Canstein’schen Bibelanstalt betraute darauf M. mit dem theologisch kritischen Theil der Arbeit und gewann für den sprachlichen die Herren Dr. Karl Frommann in Nürnberg und Professor Dr. Rudolph v. Raumer in Erlangen. Auf dem Kirchentag zu Hamburg im [467] September 1858 einigten sich die Vertreter mehrerer Bibelgesellschaften auf Grund eines Referates von Professor Dr. Kramer, dem Vorsitzenden der v. Canstein’schen Bibelanstalt, über die Grundsätze, denen man bei der Arbeit folgen wollte. Sehr wichtig war dann, daß auch die Eisenacher Kirchenconferenz im J. 1861 Stellung zur Sache nahm und sie durch Rath und That förderte. Damals lag die Arbeit Mönckeberg’s „Vorschläge zur Revision von Dr. Martin Luther’s Bibelübersetzung. Erstes Heft. Corrigenda des Canstein’schen Textes. Theologisch-kritischer Theil“, Halle 1861 (das Vorwort ist vom 22. November 1860) schon gedruckt vor. Wir können hier die Geschichte der Bibelrevision nicht weiter verfolgen, sondern heben nur noch Folgendes hervor. Es handelte sich für M. von vornherein bei dieser Arbeit um eine Feststellung des Textes der lutherschen Bibelübersetzung für die deutschen evangelischen Christen, nicht um eine Berichtigung der lutherschen Uebersetzung. Eine Berichtigung nach dem Grundtext war durchaus nicht ausgeschlossen, ja sie mußte namentlich an einigen Stellen des N. T. ohne Frage vorgenommen werden, besonders wenn die luthersche Uebersetzung doch zu ändern war; aber sie war nicht die Hauptsache (wie bei der ungefähr gleichzeitigen englischen Bibelrevision, die aber deshalb auch mehr den Charakter einer Privatarbeit hat). Man hätte sich sonst erst über den zu wählenden Grundtext, namentlich über den griechischen Text des N. T., dem man folgen wolle, einigen müssen, was der ganzen Sachlage nach ausgeschlossen war. Daß diese Auffassung Mönckeberg’s sowol im Kirchentage als in der Eisenacher Conferenz Zustimmung fand, müssen wir für ein Glück ansehen, zumal seitdem die kritischen Resultate der neutestamentlichen Textkritik, die eine Zeitlang allgemein als endgültige galten, von vielen Theologen wieder in Zweifel gezogen werden.
Mönckeberg: Carl M., geboren am 3. März 1807, war ein Sohn des damaligen Advocaten und Protokollisten der Commerzdeputation Lic.M. gab dann noch heraus eine „tabellarische Uebersicht der wichtigsten Varianten der bedeutendsten gangbaren Bibelausgaben“, Halle 1865, 4°, ein Werk mühsamsten Fleißes, daß die Arbeit der Revisoren wesentlich erleichterte. Von den obersten Kirchenbehörden in Preußen, Hannover, Hessen und Württemberg waren zehn Theologen zunächst mit der Revision des N. T. beauftragt; als Ergebniß ihrer Berathungen konnte die v. Canstein’sche Bibelanstalt im J. 1867 eine revidirte Ausgabe des N. T. probeweise veröffentlichen (Halle 1867, VIII u. 312 S., 8°). Dieser Probedruck wurde dann auf Grund der von Behörden und von Einzelnen eingegangenen Beurtheilungen noch ein Mal einer eingehenden Berathung in einer Schlußconferenz zu Halle vom 20. bis 25. April 1868 unterzogen; und in dem nun (zunächst endgültig) festgesetzten Wortlaut wurde das N. T. von der Eisenacher Conferenz und den Kirchenbehörden im J. 1869 den Bibelgesellschaften zur Verbreitung empfohlen. Die v. Canstein’sche Bibelanstalt veröffentlichte ihn sodann zuerst in einer Sedezausgabe, Halle 1870. Als die Revisionsarbeit für das N. T. im J. 1869 zum Abschluß gekommen war, erhielt M. von dem preußischen Cultusminister v. Mühler und dem evangelischen Oberkirchenrath in Berlin ein Dankschreiben, in welchem es heißt: „Es ist uns ein Bedürfniß, Ew. Hochwürden auch unsrerseits die dankbare Anerkennung für die Sorgfalt und den Aufwand an Zeit und Kraft auszusprechen, die Sie dieser für die ganze deutsche evangelische Kirche wichtigen Angelegenheit bisher gewidmet haben.“ Es wird sodann die Hoffnung ausgesprochen, daß M. nun auch der Revision des A. T. seine bewährte Kraft widmen werde. Die im J. 1870 in Angriff genommene Revision des A. T. erforderte viel mehr Arbeit und Zeit als die des N. T.; obwol die verschiedenen Commissionen fleißig arbeiteten, konnte das vorläufige Resultat ihrer Arbeit, die Probebibel, erst im J. 1883 erscheinen. Es war in Aussicht [468] genommen, daß nach Eingang der erbetenen Beurtheilungen dieser Vorlage wieder in einer Schlußconferenz der revidirte Text der ganzen Bibel endgültig festgestellt werden sollte; zu dieser Schlußconferenz sollte auch M. geladen werden. Für sie war als Termin etwa Michaelis 1886 in Aussicht genommen; aber die Arbeit war bis dahin noch nicht beendet, und M. hat ihr Ende nicht mehr erlebt. (Die revidirte Bibel erschien im J. 1892.) Die letzte Arbeit Mönckeberg’s für diese Sache war seine kleine Schrift: „Die Probebibel und die mecklenburgische Kirche“, Hamburg 1885; hier wies er Anfeindungen zurück, die das ganze Revisionswerk von einer angeblich echt lutherischen Seite erfuhr. In seinem hohen Alter schrieb M. noch eine „Geschichte der freien und Hansestadt Hamburg“, Hamburg 1885, 521 S. groß 8°; er faßt in diesem Werke die Ergebnisse seiner Studien über die hamburgische Geschichte, die sich zumeist auf die Beziehungen der Kirche zum Staate und das Verhältniß des religiösen Lebens zu der Entwicklung der Litteratur und der Kunst beziehen, zusammen; in dieser Hinsicht (nicht als politische Geschichte, die nur kurz berührt wird), ist das Buch werthvoll. M. war eben ein Theologe, dem die religiösen und kirchlichen Interessen überall von selbst in den Vordergrund traten. Es war ihm deshalb auch eine große Freude, daß ihn die theologische Facultät in Leipzig wegen seiner Verdienste um Theologie und Kirche am 1. Januar 1877 zum Doctor der Theologie honoris causa ernannte. Er war dabei ein überaus fleißiger Arbeiter, der bis zuletzt im Stande war, die frühen Morgenstunden von 6 Uhr an für seine Studien auszunutzen. Ohne krank gewesen zu sein starb er am 12. März 1886 in einem Alter von 79 Jahren und 9 Tagen. Sein ältester Sohn ist der Bürgermeister Dr. Johann Georg Mönckeberg in Hamburg.
- Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart; 5. Band, Hamburg 1870, S. 308 ff.; hier werden Mönckeberg’s Schriften bis zum Jahre 1868 aufgeführt. – Meyer und Tesdorpf, Hamburgische Wappen u. Genealogien, Hamburg 1890, S. 257 ff. – Zur Erinnerung an Carl Mönckeberg, Doctor der Theologie und Pastor zu St. Nicolai. 1807–1886. (Gedruckt als Manuscript für die Familien-Mitglieder.) Hamburg 1898.