ADB:Nellenburg, Eberhard VI. von
[WS 1], Graf v. N., zubenannt der Selige; † 1078. Zu den ältesten und angesehensten gräflichen Häusern in Schwaben gehörte schon frühe dasjenige, das seit Mitte des elften Jahrhunderts den Namen vom Schlosse Nellenburg im Hegau unweit Stockach trug. Der Ursprung und der Zusammenhang der ersten Geschlechtsfolgen des Hauses sind nicht mit Sicherheit bestimmbar. Doch ist die Annahme von Neugart nicht unwahrscheinlich, die den Ahnherrn des Geschlechtes in dem Grafen Eberhard erblickt, der im J. 889 in besonders hoher Stellung über Zürich gesetzt war, und in der ersten Herzogin von Schwaben, Reginlind († 959), Gemahlin Herzog Burchard’s I. († 926) und Herzog Hermann’s I. († 948), eine Tochter dieses Eberhard sieht. Die Beziehungen der nachfolgenden Glieder des Hauses zu Zürich und zum Kloster Einsiedeln, – ähnlich, wie sie in der Reginlind’schen Familie bestanden, – sprechen für jene Annahme. Enkel Eberhard’s und Neffen der Herzogin werden die Grafen Burchard, Gottfried und Eberhard gewesen sein, die nach der Mitte des zehnten Jahrhunderts in voller männlicher Wirksamkeit erscheinen. Burchard verwaltete 964, Gottfried um 970 die Reichsvogtei in Zürich; Eberhard (von den Neuern gewöhnlich als Eberhard I. bezeichnet) 957–971 das Grafenamt im Thurgau. Nach den ältesten Aufzeichnungen des Klosters Einsiedeln war Graf Gottfried [419] der Sohn eines Eberhard (Sohnes des Eberhard von 889, Bruders der Herzogin Reginlind?), ein Bruderssohn von Gottfried aber Manegold (I.), der an Einsiedeln das Gut in Höngg bei Zürich schenkte. Ohne Zweifel ist in Letzterem der Graf Manegold zu sehen, der in Urkunden der Kaiser Otto I. und II. von 972 und 976 betreffend das Bisthum Cur als Zeuge und als „Graf im Zürichgau“ genannt wird und als vertrauter Rath und Diener der Kaiserin Adelheid 991 in Sachsen starb. Im Anfange und bis gegen Mitte des elften Jahrhunderts erscheint Graf Eberhard (II.), gewöhnlich Ebbo genannt, der sich 1009 vermählte und bis gegen 1040 verfolgt werden kann. Aber ein Nellenburger scheint auch der Graf Manegold gewesen zu sein, der 1030 an der Spitze einer bischöflich-constanzischen Kriegsschaar den geächteten Herzog Ernst II. von Schwaben verfolgte und am 17. August im Kampfe gegen denselben, wie der Herzog selbst, fiel. Der Zeit und seinem muthmaßlichen Alter nach war dieser Manegold (II.) wohl ein Bruder Ebbo’s. Mit dem Letzteren beginnen erst die auf zeitgenössischen Urkunden, gleichzeitigen Annalen oder Aufzeichnungen anderer Art beruhenden geschichtlichen Nachrichten über die Familie. Ebbo vermählte sich 1009 mit Haduwig, einer „consobrina“ [oder wie eine alte Lebensbeschreibung seines Sohnes Eberhard III. und seines Enkels Burchard sagt: „Schwestertochter“] Kaiser Heinrich’s II., die ihm Besitzungen im rheinfränkischen Nahegau in der Gegend von Sponheim und im Elsaß zubrachte. Man hat in Haduwig eine Tochter Herzog Hermans’s II. und seiner burgundischen Gemahlin Gerberga vermuthet, deren ältere Stiefschwester Gisela Kaiser Heinrich’s II. Mutter war, so daß Haduwig Geschwisterkind mit dem Kaiser gewesen wäre. Ebenso wahrscheinlich dürfte die Annahme sein, daß sie eine Schwestertochter der Kaiserin Kunigunde, die Tochter und Erbin des elsässischen Grafen Gerhard, Gemahls von Kunigunden’s Schwester Eva, war, der seinen einzigen Sohn Siegfried 1017 verlor und dessen Besitzungen im Nahegau in der Gegend von Bingen und im Elsaß an Haduwig fielen. Ebbo starb um 1040, wie aus seiner Erwähnung als Graf im Zürichgau in einer Urkunde der Abtei Zürich vom Jahre 1037 und aus der erwähnten Lebensbeschreibung seines Sohnes Eberhard III. und Enkels Burchard hervorgeht. Eberhard III., der in seinen Urkunden zuerst den vollen Titel eines „comes Turegie provincie“ (Landgraf im Zürichgau) führt und (1056) Nellenburg als seine Burg erwähnt, ist das Glied des Stammes, über das wir die einläßlichste Kunde besitzen. Denn seine kirchlichen Stiftungen, die ihm den Beinamen „der Selige“ erwarben, insbesondere das Kloster Allerheiligen in Schaffhausen am Rheine, erhielten uns nicht bloß die Urkunden des Grafen, sondern Allerheiligen auch die erwähnte biographische Schrift, das „Buch der Stifter“, das ungeachtet eingemischter Legenden in allen wesentlichen Zügen mit den Urkunden und den zeitgenössischen Annalen übereinstimmt. Aus diesen Quellen ergibt sich Folgendes. Eberhard III. wurde um 1018 geboren. Noch ein Jüngling, als sein Vater Ebbo starb, der einzige (überlebende) Sohn seiner Eltern, trat er zunächst in die Pflege eines Priesters Liutbald, dem er sorgfältigen Unterricht verdankte, vermählte sich unter dem Einfluß Verwandter mit Ita, der Tochter eines angesehenen Grafen (nach Schaffhauser Tradition aus dem Hause der Grafen von Kirchberg im Illergau, Verwandten des Bregenzer Grafenhauses) und zeichnete sich frühe schon, wie seine Gemahlin, durch frommen der Kirche zugewandten Sinn aus. Auf dem Feldberge unweit Sponheim gründete er 1044 unterstützt durch seine (verwittwete) Mutter Haduwig das Benedictinerkloster Sponheim, auf Haduwig’s eigenem Gute und für sie selbst das Nonnenkloster Schwabenheim an der Appel unweit Kreuznach, wohin Haduwig sich zurückzog und wo sie ihr Leben beschloß. Ungefähr um dieselbe Zeit erbaute Eberhard III. auf dem Friedhofe der Reichenau mit Bewilligung des [420] Abtes Berno († 1048) eine Capelle oder Kirche St. Maria und Laurenz, die auf seine Bitte Bischof Eberhard von Constanz (1039–1046) weihte und in welcher „der Sohn weiland des Grafen Eberhard“ die Gebeine seines Vaters und seiner zwei Brüder Burchard und Manegold (III.) bestatten ließ. Der jetzt in jugendlicher Manneskraft stehende Graf hatte sich auch der Gunst Kaiser Heinrich’s III. zu erfreuen, welcher ihm am 10. Juni 1045 in Cöln ein Münzrecht für seinen Ort Schaffhausen im Klettgau ertheilte, und ebenso gewogen war ihm des Kaisers Nachfolger, König Heinrich. Am 22. November 1059 verlieh ihm derselbe in Neuburg an der Donau ein Münzrecht für Eberhards Dorf Kirchheim unter Teck, am 22. Mai 1065 in Günzburg die Dörfer Hochfelden und Schweighausen nebst dem Heiligenforste im Unterelsaß in der Gegend von Hagenau, wogegen N. dem Könige ein Reichslehen in der Gegend von Kreuznach zum Behufe einer Schenkung an Bischof Emicho von Speier (30. August 1065) aufgab, und Mitte Juni 1067 schenkte der König dem Grafen N. den Wildbann im Forste auf dessen Gütern im Klettgau und Hegau, vom Rhein bei Schaffhausen bis auf die Höhe des Gebirges Randen. Eine blühende Familie umgab N. und seine Gemahlin Ita. Sie hatten sechs Söhne: Udo, 1066 Erzbischof von Trier; Ekkehart, 1073 Abt von Reichenau; Burchard, Eberhard und Adalbert, die 1050 genannt werden, von denen aber Adalbert noch als Jüngling im Vaterhause starb, und den jüngst geborenen Heinrich. Von zwei Töchtern war die eine an Graf Arnold von Laufen vermählt und Mutter Bruno’s, der 1102[WS 2] den erzbischöflichen Stuhl von Trier bestieg. In den Jahren 1050–1064 war der Eltern wichtigste Stiftung, Allerheiligen, zur Vollendung gekommen. Nachdem Graf Eberhard auf einer Fahrt nach Rom über die zu wählende Stätte seiner beabsichtigten Stiftung zu Gewißheit gekommen, begann er mit Anlegung einer Capelle der heiligen Auferstehung in Schaffhausen, die Papst Leo IX., ein Verwandter Eberhard’s (durch Haduwig’s Vater Gerhard?), am 22. November 1052 (oder 1049?) bei seiner dritten (oder ersten?) Anwesenheit in Schwaben und Rückreise nach Italien – wie am 21. November 1049 die Kreuzkirche auf der Reichenau – weihte. Im J. 1050 war der Bau der Kirche von Allerheiligen unter Leitung des baukundigen Liutbald, des einstigen Lehrers Eberhard’s, in vollem Gange. An die Kirche (das „Münster“), welche Bischof Rumold von Constanz am 3. November 1064 dem Erlöser und Allen Heiligen widmete, schloß sich der Bau eines Klosters für 12 Mönche und ihren Abt an. Auf einer zweiten Romreise (nach 1064, vor 1073), wobei ihn sein Sohn Burchard begleitete, erwarb E. für seine neue Stiftung eine Bestätigungsbulle von Papst Alexander II., laut welcher ihm und seinen Nachkommen die Vogtei über das Kloster, die Wahl des Abtes und oberste Verfügung in des Klosters Verwaltung zugesichert blieb. Dieser Romreise folgte eine gemeinsame Wallfahrt Eberhards und seiner Gemahlin Ita nach St. Jakob in Compostella. Mehr und mehr widmeten sich Beide den Werken der Frömmigkeit. In seinem 54. Jahre (also um 1072) zog sich Graf E. in das Kloster Allerheiligen als Mönch zurück, die Gräfin Ita in ein klösterliches Leben mit edlen Frauen in Schaffhausen. Als die Kriege König Heinrich’s mit den Sachsen begannen, hatten sie den Verlust ihrer Söhne Eberhard und Heinrich zu beklagen, die am 9. Juni 1075 in der Schlacht bei Hohenberg an der Unstrut für den König kämpften und fielen. Des Königs unheilbare Entzweiung mit Papst Gregor in den nächsten Jahren aber und die Erhebung des Gegenkönigs Rudolf trennten die noch übrigen Söhne Nellenburg’s. Erzbischof Udo von Trier, ein stattlicher, schöngebildeter, vorzüglicher beredter Mann, dem Könige ergeben, fiel in dessen Heere im Herbst 1078 vor der belagerten Burg Tübingen; Abt Ekkehard von Reichenau aber und Graf Burchard traten unter die entschiedensten [421] und beharrlichsten Anhänger der päpstlichen Sache und des Gegenkönigs, wie die Zähringer und Welfen. Ob Graf E. das Ende seines Erstgeborenen, des Erzbischofs Udo noch sah, ist ungewiß; er selbst starb 1078 in Allerheiligen; Abt Ekkehard 1088. Es blieben die Gräfin Ita und ihr Sohn Burchard, Letzterer als einziger Erbe der Eltern. Wie Burchard seinen Vater im Münster in Allerheiligen bestattete, für seine Mutter (zwischen 1080 und 1092) das Nonnenkloster St. Agnes in Schaffhausen erbaut, wie er Allerheiligen der Pflege Abt Wilhelm’s von Hirschau übergab, mit dem von Wilhelm bezeichneten Abte Sigfried (1080–1096) den Bau eines neuen Münsters und Klosters durchführte, das um die Zeit der Vertreibung des Bischofs Gebhard III. von Constanz, des Zähringers durch den kaiserlichen Gegenbischof Arnold von Heiligenberg, d. h. im J. 1103, vollendet und von Gebhard nach seiner Wiedereinsetzung geweiht wurde, erzählt die erwähnte Lebensbeschreibung Burchard’s. Von seiner aus Sachsen gebürtigen Gemahlin Hedwig hatte Graf Burchard keine Nachkommen. Er bestätigte die Schenkungen seiner Eltern an Allerheiligen und fügte reichlich neue, namentlich die Vergabung des Ortes Schaffhausen selbst mit Markt, Münze und Vogtei, hinzu. Vor Weihe des neuen Münsters starb er, um 1102/5; die Gräfin Ita nach derselben, die sie eifrig ersehnt hatte. Seine Burgen vermachte dieser letzte Nellenburger alten Stammes Verwandten von weiblicher Seite („nepotibus“) aus dem Hause der Grafen von Winterthur, Enkeln der Irmengard, einer Schwester Eberhards des Seligen: den Brüdern Adalbert und Dietrich. Der Erstere, Graf v. Mörsburg unweit Oberwinterthur genannt, Vogt von Allerheiligen nach Graf Burchard bis nach 1122 und kurz vor seinem Ende zur Sühne mancher Bedrückung gegen das Kloster selbst darin eintretend, hinterließ sein Erbe seiner Tochter Mechthild, Gemahlin des Grafen Meginhard von Sponheim († 1155). Dietrich hingegen, 1092–1100 Graf Dietrich von Bürgeln (im Thurgau), von 1100 an aber neben Graf Burchard und nach ihm Graf Dietrich v. N. genannt, war der Erbe der Burg und Herrschaft Nellenburg und Stifter eines zweiten Geschlechtes dieses Namens, das aber schon in Dietrich’s Sohne Eberhard um 1170 erlosch. Die Söhne von dieser Eberhard’s Tochter aus ihrer Ehe mit Graf Manegold von Veringen begründeten eine dritte gräfliche Dynastie von Nellenburg, bei deren Erlöschen 1420 die Freiherrn von Tengen Erben des Schlosses Nellenburg und des davon herrührenden gräflichen Titels wurden.
Nellenburg: Eberhard III.- Bernold. Chron. u. Ann. Scafh. (Mon. Germ. SS. V). – Relatio Burchardi comitis in Mone, Anz. – Leben der Stifter von Allerh. in Mone, Quellen. 3. I, 80 ff. Karlsruhe 1848. – Die ältesten Vergabungen an Allerh. h. von M. Kirchhofer im Archiv f. schweiz. Gesch. Bd. 17. Zürich 1851. – Die Urk. von Allerheiligen, h. von Dr. F. L. Baumann in Quellen z. Schweizer Gesch. Bd. 3. Basel 1883. – J. J. Rüger, Chronik der Stadt und Landsch. Schaffhausen (vollendet 1584) h. Schaffhausen 1880 6. 4°. - P. Trudp. Neugart, Episcopatus Constantiensis. I. 1841 ff. S. Blasien 1803. – Stälin, Wirtb. Geschichte. Bd. I, 1841. – Bader, Nellenb. Regesten in Mone, Zeitschr. I. 1850. – Fickler, Quellen und Forschungen. 4°. Mannheim 1859. – Fr. v. Wyß, die Reichsvogtei Zürich in Zeitschr. f. schweiz. Recht. Bd. 17. Zürich 1872. – Haduwig, die Gemahlin Ebbo’s von Nellenburg. Von Prof. J. Meyer im Anzeiger f. schw. Gesch. 1879 Nr. 2 und von Dr. W. Gisi ebendaselbst 1884 Nr. 1.