ADB:Neudörfer, Johann (der Ältere)
Johann Petrejus verheirathet. Johann N. scheint einen guten Schulunterricht genossen zu haben. Bald wandte er sich mit besonderer Liebe der Schreibekunst und der Mathematik zu. Als seinen Lehrer im Rechnen und Schreiben nennt er Kaspar Schmidt, im Schönschreiben auch den Kanzeleischreiber Paulus Vischer, in der Algebra den Kompaßmacher Erhard Etzlaub. Die Schreibekunst stand damals, obgleich die Buchdruckerkunst seit lange erfunden und zu hoher Ausbildung gelangt war, und auch in Nürnberg fleißig geübt wurde, noch in hohem Ansehen. Man schrieb damals noch vieles was man heute druckt und man legte großes Gewicht darauf, daß es schön geschrieben wurde. Daher waren die Schreibmeister, damals Modisten genannt, sehr angesehene Leute. N. war, an die betreffenden Studien Albrecht Dürer’s, welcher die lateinischen und deutschen Buchstaben durch geometrische Constructionen herstellte, anknüpfend eifrigst und mit bestem Erfolge bestrebt, den überlieferten, deutschen Buchstaben eine möglichst schöne und zierliche Gestalt zu geben, die Initialen reich auszubilden, die Schrift mit kunstvollen Zügen zu versehen etc. Zu erhöhtem Schmuck wendete er dabei auch noch Gold und andere Farben an. N. hat es in dieser seiner Kunst durch fleißige Uebung und unablässiges Nachdenken weiter gebracht als irgend Jemand vor ihm und hat das Schreiben in der That zum Range einer Kunst im modernen Sinne des Worts erhoben. Er war der bedeutendste und einflußreichste Modist seiner Zeit. Von Autographen ist außer den Unterschriften zu den beiden berühmten Gemälden Dürer’s „Die Temperamente“ – die Originalunterschriften befinden sich unter den Gärtnerschen Copien dieser Bilder im Germanischen Museum zu Nürnberg, während die Originalgemälde bekanntlich in der Pinakothek zu München sind – nur ein Brief Neudörfer’s vom 7. Juni 1556 an Kaspar Nützel im Nürnberger Stadtarchiv bekannt. N. hat auch eine besondere Methode zur leichteren Erlernung des Lesens erfunden. Er hielt eine Schule, in welcher er zahlreiche Schüler im Schreiben und Rechnen unterrichtete. Viele Jahre lang hatte er täglich eine größere Anzahl derselben, wohl die auswärtigen, auch in Kost. Gulden hebt besonders hervor, daß ihm auch „vieler vornehmer Leute Kinder, ja Grafen und Edelleute, untergeben und anvertraut“ worden sind. Doppelmayr nennt unter den Schülern besonders Veit und Philipp, die jüngsten Söhne des Bildschnitzers Veit Stoß, welche später bei Kaiser Maximilian II. zu hohen Ehren gelangten, [482] dann Kaspar Brunner, welcher nach Augsburg, Kaspar Schleupner, der nach Breslau, Adam Lempt, der nach Eger, Johann Weber, der nach Erfurt, Simon Jacob v. Koburg, der nach Frankfurt a. M., Johann Jung, der nach Lübeck ging u. A. Durch seinen unmittelbaren Unterricht, durch seine zahlreichen Schüler, welche in alle Welt gingen und seine Lehre überall hin verbreiteten, sowie durch seine Lehrbücher, welche nachgedruckt und vielfach nachgebildet wurden, ist N. von dem weitgehendsten Einflusse auf alle spätern Generationen geworden. Er gab nämlich Vorschriften, zunächst für seine Schüler zuerst im Jahre 1519 als kleines, in Holzschnitt ausgeführtes Heft von vier Folioblättern, ein „Fundament“, dann 1538 ein stärkeres Buch: „Eine gute Ordnung und kurtzer Unterricht etc.“, mit verschiedenartigen Vorschriften, darunter sich auch schon mancherlei Spielereien befinden, in Kupferstich heraus. Im J. 1544 erschien dann ein kleines Quartheft: „Anweisung wie man einen jeden Kiel zum Schreiben erwählen, bereiten, theilen, schneiden und temperiren soll“ und im Jahre 1549 erschien das aus sieben Gesprächen bestehende mit Abbildungen der Feder und vielen Schriftproben versehene „Gesprächbüchlein zweier Schüler (Stephan und Johann), wie einer den andern im zierlichen Schreiben unterweist.“ Letzteres war zunächst nur für seine Söhne bestimmt, wurde dann aber auf wiederholte dringende Bitten seines Schwagers Johann Petrejus gedruckt. Auch einige seiner Schüler, wie Johann Kleiner in Zürich, Anton Weyse in Straßburg, Nathan Wassenberger in Köln, Arnold Möller in Lübeck u. A. gaben ähnliche Vorschriften heraus. Nach Neudörfer’s Erfindung und mit seinen Reimen versehen ist auch eine große, aus 6 Blatt zusammengesetzte Darstellung: „Allegorie auf den Handel“, welche 1585 Kaspar Brinner in Augsburg in Holzschnitten von Jost Amman herausgegeben hat. (Eine neue Ausgabe von Dr. Huttler erschien 1878.) Auch schreibt Doppelmayr dem N. eine große chronologische Tafel in der Nürnberger Stadtbibliothek zu. Es ist dieses eine Tischplatte, auf welcher eine Chronologie des alten Testaments dargestellt ist. – In den letzten Jahren seines Lebens beschäftigte N. sich auch viel mit Geometrie und scheint auf diesem Gebiete besonders mit seinem Freunde, dem Goldschmiede Wenzel Jamitzer gearbeitet zu haben. Es giebt einen gleichzeitigen kleinen Kupferstich, welcher beide Männer zusammen an einem Tische sitzend, mit solchen Studien beschäftigt, darstellt. Daß N. bedeutende Kenntnisse in dieser Wissenschaft besaß, beweiset wohl die Thatsache, daß der Buchdrucker Petrejus die von ihm bestellte, von dem Arzte Walther Riff (rivius) angefertigte deutsche Uebersetzung und Erklärung des Vitruv vor dem Drucke, – sie erschien 1548 – dem N. zur Durchsicht und Correctur übergab. – Von ganz besonderem Interesse für uns ist Neudörfer’s auf Veranlassung des gelehrten Patriciers Georg Röhmer im October des Jahres 1547 innerhalb acht Tagen „bei der Nachtzeit“ verfaßtes Manuscript: „Nachrichten von Nürnbergischen Künstlern und Werkleuten“, welches kurze Mittheilungen über 79 der bedeutendsten und zum Theil berühmten Mitbürger Neudörfer’s enthält. Es ist eine anspruchuslose, nicht zum Druck bestimmte, nur aus dem Gedächtniß niedergeschriebene, vielfach mangelhafte Arbeit, welche für uns aber von dem größesten Werthe ist, weil sie die älteste, in vieler Beziehung einzige Quelle für die Kunstgeschichte Nürnbergs in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts ist. Das Original-Manuscript ist nicht bekannt und scheint verloren zu sein; Abschriften desselben, welche jedoch vielfach von einander abweichen, sind mehrere bekannt. Es ist, nachdem schon Sandrart und Doppelmayr, dann auch Will es für ihre Werke benutzt hatten, wiederholt, zuerst mit reichen, werthvollen Anmerkungen versehen, von J. Heller in dessen „Beiträgen zur Kunst- und Litteraturgeschichte“ (Nürnberg 1822), dann in einem besonderen kleinen von Friedrich Campe [483] (Nürnberg 1828) herausgegebenen Bändchen, dann ebenfalls unvollständig von A. Andresen in Bd. XII von Naumann’s Archiv für die zeichnenden Künste und zuletzt und am besten, mit vielen sehr werthvollen Berichtigungen, Anmerkungen und Excursen von Lochner (Wien 1875) herausgegeben worden. N. war durch seinen ehrenwerthen Charakter, wie durch sein reiches Wissen und seine verdienstvolle Thätigkeit zu großem Ansehen gelangt; er verkehrte mit den hervorragendsten Persönlichkeiten Nürnbergs und war ihnen zum Theil befreundet. Im J. 1531 wurde er zu einem Genannten des größern Raths erwählt. Bei den Kaisern Karl V. und Ferdinand I. stand er in großer Gnade, wurde von dem letztern um 1543 auch zum kaiserlichen Pfalzgrafen ernannt, womit seine Erhebung in den Adelstand mit dem Beisatze „von Neudegg“ und die Ertheilung eines Wappens verbunden war. N. war zwei Mal verheirathet, zuerst seit ungefähr 1522 mit Magdalena, Wittwe des 1518 verstorbenen „Singers“ Hans Schellmann und, nach deren Tode, seit ungefähr 1542 mit Katharina, der damals 27 Jahre alten Wittwe des Goldschmieds Hans Sidelmann, einer geborenen Nathanin von Augsburg. – Bald nach seiner Verheirathung kaufte N. am 27. Juli 1524 um 870 Gulden, das unter der Veste gelegene Haus „zu den Steinböcken“, jetzt Burgstraße 16, welches bis zum Erlöschen der Familie N. in deren Besitz geblieben ist. – Es giebt mehrere Medaillen mit dem Porträt Neudörfer’s, eine größere vom Jahre 1520 zeigt ihn im Alter von 23 Jahren, eine zweite kleinere vom Jahre 1531 im Alter von 34 Jahren und eine dritte noch kleinere, deren Rückseite mit seinem Wappen geschmückt ist, vom Jahre 1554 im Alter von 57 Jahren. – Der ausgezeichnete Maler Nikolaus Neufchatel, welcher 1561 nach Nürnberg kam, malte noch in demselben Jahre ein künstlerisch hoch vollendetes Porträt Neudörfer’s, wie die Inschrift darauf besagt, aus Dankbarkeit, welches „zu ewigem Gedächtniß“ im Rathhause aufgehängt wurde, daselbst aber schon lange nicht mehr vorhanden ist, sondern sich jetzt in der Pinakothek zu München befindet. Jost Amman hat dasselbe in Kupfer radirt. Derselbe Künstler malte auch das Porträt der Katharina Neudörferin, welches Bitthäuser in Kupfer gestochen hat. – N. starb, nachdem er fast 45 Jahre lang die Jugend unterrichtet hatte, 60 Jahre alt, am 12. November 1563 und ist auf dem Johanniskirchhofe zu Nürnberg bestattet. Sein Grabstein wurde mit einem, jetzt leider nicht mehr vorhandenen, Bronceepithaph geschmückt. Seine Wittwe starb am 26. December 1568. – N. hatte, so weit bekannt, eine Tochter und zwei Söhne. Die Tochter Helene heirathete Cornelius Görz, über welchen nichts bekannt ist. Von dem ältesten Sohne Dr. Stephan N. ist nur überliefert, daß er 1581 sein Bürgerrecht in Nürnberg aufgab und damals ein Vermögen von 4,450 Gulden besaß. Der zweite Sohn
Neudörfer: Johann N., der bedeutendste und berühmteste Schreibmeister, der Schöpfer der deutschen Schönschreibekunst, derjenige, welcher die moderne deutsche Schrift zur höchsten Vollendung ausgebildet und zur allgemeinen Annahme gebracht hat, zum Unterschiede von seinem gleichnamigen Sohne gewöhnlich der Aeltere genannt, wurde im Jahre 1497 zu Nürnberg geboren. Sein Vater, Stephan N., war Kürschner, also einem in Nürnberg sehr angesehenen Gewerbe angehörend, war überaus geschickt und hatte weite Reisen gemacht. Seine Schwester Barbara war an den gelehrten BuchdruckerJohann N., der jüngere, wurde am Februar 1543 geboren, wurde als Schüler seines Vaters auch Modist und hat ebenfalls Bedeutendes in der Schreibekunst geleistet, kam seinem Vater darin jedoch nicht gleich. Er hat die deutsche Currentschrift verbessert, u. A. auch „die aufrechte, gelegte und geschobene Schrift“ ausgebildet. Ein Autograph von ihm auf Pergament vom Jahre 1558, befindet sich in der Bibliothek des Germanischen Museums zu Nürnberg. N. starb 38 Jahre alt, am 28. October 1581. Es gibt eine kleine Medaille mit seinem Porträt im Alter von 36 Jahren, vom Jahre 1579, auf dessen Revers sein Wappen dargestellt ist. Johann N. hatte ebenfalls zwei Söhne Johann und Anton.
Johann N., geboren 1567 zu Nürnberg, studirte zu Wittenberg und Basel Medicin, promovirte in letzterer Stadt 1597, kehrte dann nach Nürnberg zurück, heirathete daselbst 1598 Barbara, Tochter des Hans Gabron und war [484] ein sehr beliebter und viel gesuchter Arzt. Er wurde 1599 Genannter des größeren Raths, später auch Pfalzgraf, starb nach 42jähriger segensreicher Thätigkeit als Arzt 72 Jahre alt im J. 1639 und wurde auf dem Johanniskirchhofe neben seiner Gattin bestattet. Es gibt von ihm ein von J. F. L. in Kupfer gestochenes Porträt. Er hatte eine Tochter, welche 1628 den Rechtsgelehrten Lorenz Agricola heirathete.
Anton N. wurde nach dem frühen Tode seines Vaters, des jüngern Johann N., durch Anton Strobel in der Schreibekunst unterrichtet und wurde ebenfalls Modist und Rechenmeister. Er ging 1591 in die Fremde, zuerst nach Köln, wo er die französische Sprache erlernte und ein Werk über Arithmetik ins Deutsche übersetzte, dann nach Italien und ließ sich dann in Nürnberg als Schreib- und Rechenmeister nieder. Er wurde 1598 Genannter des größeren Raths, dann auch Pfalzgraf und gab im Jahre 1599 ein mit schönen Initialen geschmücktes, dem Rathe von Nürnberg dedicirtes Rechenbuch, d. i. ein Lehrbuch des kaufmännischen Rechnens, und 1601 „dero wegen es nicht das Ansehen haben möchte, als ob der Neudörfer’sche Namen ganz und gar erloschen und erstorben wäre“, ein Werk über die Schreibekunst in zwei Theilen heraus, deren erster zwei Tractate seines Großvaters und deren zweiter, mit schönen Ornamenten geschmückt, 29 deutsche Versalalphabete (in Holzschnitt) enthält. Im Jahre 1609 zog er, mit einem Vermögen von 12,500 Gulden versehen, nach Regensburg, woselbst er 1628 starb.
Sein Sohn Johann ließ die Werke seines Vaters mit einem Anhange versehen, im J. 1631 und später noch zweimal in neuen Auflagen erscheinen.
- Neudörfers eigene Schriften. – Doppelmayr’s Nachrichten von Nürnbergischen Künstlern und die Anmerkungen Lochner’s zu seiner Ausgabe von Neudörfer’s Nachrichten.