ADB:Neuenahr, Hermann der Ältere Graf von

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Artikel „Neuenar, Hermann Graf von“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 485–486, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neuenahr,_Hermann_der_%C3%84ltere_Graf_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:37 Uhr UTC)
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Neuenar: Hermann Graf v. N. (Nuenar), geb. 1492, † 1530, Humanist, nach der Sitte jener Zeit seinen Namen gern latinisirend und graecisirend: de nova aquila, Neaetius. Er war miles et doctor und verdankte seiner vornehmen Geburt und seinem Stande vielleicht mehr als seinen Leistungen die große Beachtung, die er bei seinen Genossen fand. Hermanns Vater war Graf Wilhelm II., sein älterer Bruder Graf Wilhelm III., dessen Frau war eine Schwester des späteren Kölner Erzbischofs Hermann v. Wied. N. bezog am 14. November 1504 die Kölner Universität und scheint nur auf dieser seine litterarische Ausbildung erhalten zu haben. Im J. 1509 oder 1510 unternahm er mit seinem Lehrer Caesarius die damals übliche und nothwendige Studienreise nach Italien. Er erhielt manche kirchliche Würden. Schon ehe er die Universität bezog, war er Canonicus der Kölner Metropolitankirche geworden, dann wurde er Propst zu Aachen und 1524 Archidiakon in Köln und Kanzler der Universität. 1530 begleitete er seinen Verwandten, den schon genannten Kölner Erzbischof auf den Reichstag nach Augsburg, wo er den Forderungen und Ansprüchen der Protestanten sich nicht zuneigte. Ob er früher Luther zugestimmt, wie Bernhard Adelmann v. Adelmannsfelden meint (Heumann, Docum. lit. p. 179), ist zweifelhaft. Seine litterarische Thätigkeit ist nicht sehr bedeutend. Er war Humanist, schrieb, nach Art seiner Genossen, lateinische Briefe und Verse, aber seine Hauptbeschäftigung galt doch der Theologie, sowie der Medicin und Naturwissenschaften. Die Neigung zu jener bethätigte er durch lateinische Uebersetzungen einzelner Psalmen, der Passion Christi, des Gebetes des Königs Hiskia. Das Interesse für diese bewies er durch [486] ein Büchlein: „De febri sudatoria“ (Köln 1529), durch die Anmerkungen zu einer medicinischen Schrift des Octavianus Horatianus, die sein gleichnamiger Neffe herausgab (Straßburg 1532) und durch botanische Notizen, welche Otho Brunfels in den zweiten Band seines großen Werkes aufnahm (Straßburg 1537). N. war auch Historiker. Er beschäftigte sich, wie viele Humanisten, mit den geschichtlichen Quellen des Mittelalters, und veröffentlichte im J. 1521 Einhard’s Werke. Er kannte auch die Chronik des Freculf von Lisieux (vgl. Brief an Pirkheimer bei Heumann, Docum. liter. p. 91), die freilich erst 1595 gedruckt wurde. Außer seinen Editionen ist als selbständige Darstellung seine „Brevis narratio de origine et sedibus priscorum Francorum“ (Basel 1532, später häufig in Sammelwerken wiederholt) zu erwähnen, nach den Quellen gearbeitet, voll patriotischer Gesinnung, doch so gesunden Sinnes, daß er des Trithemius Uebertreibungen und Fälschungen entschieden zurückweist. Als Politiker hat er eine Rede für Karl V., kurz nach dessen Wahl zum Kaiser, veröffentlicht (1519), die sich durch warmen patriotischen Ton auszeichnet. Hauptsächlich aber kommt ihm Bedeutung zu wegen seiner Antheilnahme am Reuchlin’schen Streite. Er wirkte für Reuchlin besonders infolge seiner vornehmen Geburt – vielleicht hat er auch als Ritter Reuchlin’s Gegnern gelegentlich einen Streich versetzt – und infolge des Umstandes, daß er als Kölner seine eigenen Stadtgenossen bekämpfte. Er gab die von dem Erzbischof Grg. Benignus in Rom für Reuchlin geschriebene Vertheidigungsschrift heraus (1517) und versah dieselbe mit einem Begleitbriefe, in welchem er die römischen Gönner Reuchlin’s aufzählt und mit einem überschwenglichen Gedichte, in welchem er die Argonautenkämpfe und die punischen Kriege für minder bedeutsam erklärt, als die damals für Wissenschaft und Freiheit geführten. Wegen dieser Ausgabe und namentlich wegen seiner Verse erfuhr er in Hochstraten’s Apologia prima (1518) heftige Schmähungen: er zeige sich unwürdig seiner Eltern und seiner Vaterstadt. Gegen diese Apologie schrieben Busch, Hutten und Reuchlin entrüstete Briefe und N. gab dieselben mit seinem eignen ausführlichen Verdammungsurtheil heraus: „Epistolae trium illustrium virorum“ (1518). In derselben Schrift findet sich auch eine andere ziemlich nüchterne Defensio (natürlich Reuchlins) nuper ex urbe Roma allata, von einem unbekannten Autor, die N. mit einem scharfen Vorworte versah. Im Kataloge der Reuchlinisten findet sich Neuenar’s Name; Reuchlin selbst und andere Häupter der Humanistenschaar hegten für den vornehmen Gesinnungsgenossen Zuneigung und Bewunderung. Zu seiner Charakteristik darf ich wol die Worte wiederholen, welche ich an einem anderen Orte (Renaissance und Humanismus S. 431) gebraucht habe: „Er ist der Rufer im Streit, der die Genossen sammelt, die Treuen belobt, durch seinen Muth und seine Ausdauer die Schwankenden ermuntert; durch seine fanatische Einseitigkeit ein starkes Aergerniß der Feinde – und ein nimmer wankender Hort der Genossen.“

J. A. Fabricius, Bibliotheca lat. (Florenz 1858) V, p. 140 ff. – Böcking, Opp. Hutt. VII, 428 ff. und die dort angeführten Autoren. – Geiger, Reuchlin passim. – Ennen, Geschichte der Stadt Köln IV, 103 ff. – Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie, S. 136.