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ADB:Pepusch, Johann Christoph

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Artikel „Pepusch, Johann Christoph“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 365–372, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pepusch,_Johann_Christoph&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 11:31 Uhr UTC)
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Pepusch: Johann Christoph P., geb. in Berlin 1667, † in London am 20. Juli 1752. So sehr sich die Engländer auch sträuben mögen, anzuerkennen, was sie anderen Nationen zu verdanken haben, sie müssen zugestehen, daß sie das, was bei ihnen nach gewissen Richtungen, insbesondere aber auf musikalischem Gebiete Großes geleistet wurde, eigentlich aus Deutschland erhielten. [366] Einige wenige Namen abgerechnet, waren die meisten bedeutenden Tonkünstler, welche in England lebten und dort zu Ruhm und Ansehen gelangten, eingewanderte Deutsche. Sie waren ebenso die Lehrer der Britten in der musikalischen Kunst, als Diejenigen, welche die in ihren Kirchen, Concertsälen und Opernhäusern zumeist gehörten Werke schufen. Ohne das schmälern zu wollen, was Italiener und Franzosen ihnen mitgetheilt, übertrifft, was Männer deutscher Abkunft in England geleistet, geschaffen, gegründet haben, weitaus Dasjenige, was sie von Künstlern anderer Nationalitäten empfingen. Sehr viele hochbedeutende Tondichter haben in Britannien eine zweite Heimath, ein zweites Vaterland gefunden, sind dorthin gezogen, um es niemals wieder zu verlassen. Wie der große G. Fr. Händel, so wanderte auch ein hervorragender Zeitgenosse von ihm s. Z. nach London aus. P. war der Sohn eines wenig bemittelten Berliner protestantischen Geistlichen. In der musikalischen Theorie von Martin Klingenberg, Cantor an der Marienkirche in Berlin, im Clavier- und Orgelspiel von einem Sachsen, Namens Große, unterrichtet, machte der ebenso talentvolle als emsig vorwärts strebende Knabe solch rasche Fortschritte in seiner Kunst, daß er bald Aufsehen erregte. Kaum 14 Jahre alt, erhielt er bereits die Erlaubniß, in einem Hofconcerte eine Sängerin auf der Harfe begleiten zu dürfen. Der dabei gegenwärtige (große) Kurfürst, Friedrich Wilhelm, ward von seiner Leistung so überrascht, daß er ihn sofort zum Lehrer des Kurprinzen, nachmaligen Kurfürsten Friedrich III., ernannte und ihn bald darauf auch in seine Hofcapelle aufnahm. Diese günstigen Erfolge eiferten den jungen Musiker zu immer unermüdlicherem Streben an. Er betrieb zugleich mit großer Ausdauer das Studium der alten Sprachen, namentlich der griechischen und gelangte, vermöge seiner Neigung zur Speculation in der musikalischen Theorie, bald zu überraschenden Resultaten. Anscheinend auf dem besten Wege sein Glück in Berlin zu begründen, legte er plötzlich alle Stellen nieder und siedelte um 1700 nach London über. Man sagt, daß die plötzliche Verhaftung und Hinrichtung eines ihm nahebefreundeten Officiers, der sich durch unbesonnene Reden gegen seinen Fürsten vergangen hatte, ihm solchen Schreck vor der damals in Preußen gehandhabten Justiz eingeflößt habe, daß es ihm daselbst unheimlich geworden sei. Wahrscheinlicher als dieses Geschichtchen, das ja immerhin auf einem thatsächlichen Ereigniß beruhen mag, erscheint jedoch eine andere Mittheilung, wonach P. durch einige im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in Berlin weilende Italiener zur Uebersiedelung nach England veranlaßt wurde. Die Söhne des Giovanni Maria Buononcini (eigentlich Bononcini), Capellmeisters an der Kirche San Giovanni in Monte in Modena (1640–78): Giovanni Battista (geb. 1672, † um 1754 in Venedig?), von 1702–11 kaiserl. Kammercomponist und Solocellist Leopolds I., und Antonio (geb. 1675, † 1726 in Rom) bildeten um 1696 mit dem Dominikaner-Pater Attilio Ariosti aus Bologna, kurfürstlichem Capellmeister, den Mittelpunkt der musikalischen Kreise der preußischen Residenz. Vornehmlich ließ sich die Kurfürstin Sophie die Pflege der Tonkunst und ihre Uebung angelegen sein, und sie veranlaßte denn auch die Berufung Attilio’s und die Anstellung des nach der Aufführung seiner Oper „Camilla“ (1692) in Wien rasch berühmt gewordenen Gianbattista als Hofcomponist. Die beiden Buononcini, von denen Antonio der begabtere und tüchtigere war, Gianbattista aber, der sich bei jeder Gelegenheit ungescheut mit des Bruders Federn schmückte, das Talent besaß, sich allerwärts zur Geltung zu bringen, kehrten 1703 nach Berlin zurück und blieben dort so lange, bis der Tod der Kurfürstin aller musikalischen Herrlichkeit ein jähes Ende bereitete. Bei ihrer gegenwärtigen Anwesenheit feierte Gianbattista mit seiner von den höchsten Herrschaften gesungenen und dargestellten und von den auserlesensten Instrumentalkräften accompagnirten Oper „Polifemo“ [367] die größten Triumphe. Es war im J. 1696, als sich der musikalische Wunderknabe G. F. Händel mit seinem Vater einige Zeit in Berlin aufhielt und da den Unterricht der hochangesehenen Italiener genoß, der Künstler also, die er, als sie ihm später in London gegenübergestellt wurden, in einer ihnen gemeinschaftlich gestellten Aufgabe so glänzend besiegte. Gianbattista erhielt nämlich den Auftrag, den ersten, Attilio den zweiten und Händel den dritten Act der Oper „Muzio Scävola“ (1721), zu componiren. Ueberhaupt schwand der Ruhm der Italiener, nachdem Händel in England erschienen war „wie der Glanz der Morgenröthe vor der aufgehenden Sonne“ (Gerber). Buononcini, der nach Gerber bereits 1700 in London gewesen und seine Oper „Tomyris“ aufgeführt haben soll, gelangte dort zu Ruhm und Ansehen erst, nachdem seine „Camilla“ (die durch vier Jahre mit größtem Beifalle im Drurylane-Theater gegeben wurde) in Scene gegangen war. Was die Nachricht bezüglich der Oper „Tomyris“ anlangt, scheint die Mittheilung Gerber’s eine durchaus irrige zu sein. Dies Werk war ein Pasticcio aus Tonsätzen von Scarlatti, Buononcini und anderen berühmten italienischen Meistern, wie dergleichen damals allgemein Mode war, für das k. Theater flüchtig zusammengestellt. Zur Inscenirung dieses Gemengsels hat man ganz gewiß Buononcini nicht nach London berufen. Wie dem aber auch sein mag, er war gewiß schon im Stande, den von Wißbegierde und dem Drange, sein Glück zu machen, erfüllten P. mit gewichtigen Empfehlungen dorthin zu versehen. Erwiesener Maßen kam Buononcini und bald darauf auch Attilio erst im J. 1716 nach London, ersterer, einem ehrenvollen Rufe an das neugegründete Royal-Theater folgend. P. erhielt sofort nach seiner Ankunft eine Anstellung als Componist und Instrumentalist im Drurylane-Theater. Es war zu dieser Zeit Sitte, ältere Opern oder solche, welche schon lange auf dem Repertoire standen, durch neue Tonstücke aufzufrischen und ihnen auf diese Art immer eine gewisse Zugkraft zu bewahren. Eine der ersten Arbeiten, die P. übertragen wurden, war eine Arie für die Oper „Tomyris“ (How bless is Soldier), welche, als er seine Stellung antrat, gerade unzählige Male wiederholt wurde. Zwei hier in der Folge aufgeführte Opern seiner Composition: „Venus and Adonis“ (1715) und „Myrtil“, Schäferspiel (1716), hatten nur mäßigen Erfolg. Obgleich durch seinen Theaterdienst vielfach beansprucht, versäumte er doch nicht, seine Studien über die Musik der Alten fortzusetzen. Nun mit der griechischen Sprache völlig vertraut, war es ihm möglich, an der Hand griechischer Autoren tiefer in das Wesen griechischer Tonkunst einzudringen, als andere Musikgelehrte; ja er vermochte die Untersuchungen und Forschungen des berühmten Franciscus de Salinas aus Burgos (1512–90), Abts von St. Pancratius de Rocca Scalegna im Neapolitanischen und Professors der Musik an der Universität Salamanca, zusammengefaßt in dessen grundlegendem Werke: „De musica, libri septem“ etc. (Salamanca 1577 und 1592) fortzusetzen und zu ergänzen. Leider passirt es Denen, welche sich einseitig und mit aller Kraft auf das Studium eines engbegrenzten Gebietes werfen, gar oft, daß sie statt zu erfreulichen Resultaten, zu unerquicklichen und schiefen Meinungen und Anschauungen gelangen. So erging es auch P., der sich zwar den Ruf des größten Theoretikers seiner Zeit erwarb, aber durch sein leidenschaftliches Grübeln so sehr in spitzfindige Speculationen sich verirrte, daß er endlich zu der widersinnigen und verkehrten Behauptung sich verstieg, die Tonkunst sei, statt daß sie sich im Laufe der Jahrhunderte vervollkommnet habe, entartet, und das, was sie in der Theorie und Praxis erreicht, stünde in keinem Verhältniß zu dem, was sie verloren und eingebüßt habe. Diese seine gewonnene Ueberzeugung hinderte ihn nun allerdings nicht, ganz in der Weise der Tagescomponisten auch zu schreiben.

[368] Die dramatische Musik befand sich, als P. nach London kam, in den dürftigsten Umständen. Sie war der Gegenstand steter Spöttereien und satyrischer Angriffe in den von Richard Steele und Joseph Addison herausgegebenen sehr einflußreichen Zeitschriften „Spectator“ (1711) und „Guardian“ (1713). Diejenigen Engländer, welche Gelegenheit gehabt hatten, italienische Opern zu sehen und italienischen Gesang kennen zu lernen, waren so bezaubert davon, daß ihnen die Tonsätze heimischer Componisten nicht mehr zusagten, sie diese also zwangen, ihren Werken, wollten sie damit einem sich täglich mehr verbreitenden Geschmack entgegenkommen, ähnliche Form zu geben. P. war der erste, der den Versuch wagte, die noch neue, doch immer mehr Anhänger gewinnende Gattung des Recitativs auf die Nationalbühne zu verpflanzen. Zu diesem Zwecke componirte er sechs von John Hughes in wälscher Manier gedichtete Cantaten im Stile Alessandro Scarlatti’s. Dieselben fanden solchen Beifall, daß er ihnen alsbald sechs weitere auf Texte verschiedener Dichter folgen ließ. Von diesen zwölf Tonsätzen hat sich besonders einer, die zweite Cantate der ersten Sammlung, „Alexis“ betitelt (See! from the silent Grove), lange als ein Lieblingsstück der Gesangsfreunde erhalten. Sein Ruf hatte sich nun bereits so verbreitet und befestigt, daß er im J. 1710 mit Henry Needler, einem gebildeten Dilettanten, John Ernest Gaillard, einem angesehenen Musiker und Bernard Gates, Lehrer der k. Capellknaben (demselben, der 1731 mit seinen Schülern Händels Oratorium „Esther“ auf der Bühne aufführte und so die Veranlassung gab, daß dieser große Meister sich dem Oratorium zuwandte), den Plan zur Gründung der heute noch in ihrer ursprünglichen Form bestehenden „Academy of ancien Music“ entwerfen konnte und im J. 1713 zugleich mit dem Organisten der k. Hofcapelle zu St. James, William Croft, einem der bedeutendsten zeitgenössischen englischen Componisten, von der Universität Oxford zum Doctor der Musik ernannt wurde. Durch die Gründung der „Academy“, eines in seiner Art einzigen Instituts, mit dem 1735 auch eine Musikschule verbunden wurde, hat sich P. ein bleibendes Denkmal in England gesetzt. Er hat sich hier nicht nur als ein verehrungswürdiger, denkender, vorurtheilsfreier Mann, sondern auch als ein uneigennütziger, für seine Kunst opferfähiger Musiker bewährt, da er die Heranbildung nöthiger Gesangskräfte für die Choraufführungen der Akademie fast unentgeltlich übernahm. Dieselbe suchte sich dadurch ihrem Stifter dankbar zu erweisen, daß sie einzelne seiner Compositionen, darunter ein sehr schönes Magnificat und einige Psalmen stets auf ihrem Repertoire hat.

Um das Jahr 1715 baute sich der originelle James, Herzog von Chandos (unter der Königin Anna Zahlmeister der Armee), dieser von seinen Zeitgenossen bewunderte Sonderling, von den unermeßlichen Einkünften, die ihm seine Stelle von sonst geringer Bedeutung abgeworfen, neun englische Meilen von London entfernt, bei Edgware in Middlesex, eine prachtvolle Villa, die er „Cannons“ nannte, um hier in der Nähe eines mächtigen Hofes, umgeben von einem vollständigen Hofstaat und beschützt von 100 Schweizergarden, wie ein souveräner Fürst zu leben. Wie in allen anderen Dingen, ahmte er auch dadurch den königlichen Hof nach, daß er der Mäcen aller hervorragenden Männer wurde, so daß man ihn den Prinzen britischer Patrioten und Dichter nannte und daß er sich neben Anderem auch eine vorzügliche Capelle engagirte, wodurch es ihm möglich wurde, den Gottesdienst in seiner Hauskirche mit eben der Würde und dem Pomp einzurichten, wie er in St. James gefeiert wurde. Um 1720 hatte er alle ersten Künstler Englands um sich versammelt. Was dieselben auf seine Anregung schufen, hat vielfach ihre sonstigen Werke überdauert. Sein erster Capellmeister war P. und blieb es, bis ihm der vom Herzog im J. 1717 engagirte Händel, der ihn bald in den Hintergrund drängte, an die Seite gesetzt [369] wurde. Doch waren die Morgen- und Abendmusiken, die regelmäßig in Cannons aufgeführt wurden, auch dann noch Arbeiten von ihm, als er bereits des Herzogs Dienste verlassen und sich einer von D. Berkeley zur Ausbreitung des Christenthums auf den bermudischen Inseln gegründeten Gesellschaft als Musiklehrer angeschlossen hatte.[1] Aber das Schiff, auf dem die Ueberfahrt gemacht werden sollte, ward schadhaft und dadurch wurden die Reisenden zur Umkehr gezwungen und P. vor der Ausführung eines lächerlich-thörichten Streiches, wozu ihn sein Verdruß über die Vorgänge in Cannons gedrängt hatte, bewahrt. Im J. 1722 heirathete P., damals 55 Jahre alt, die Signora Margarita de l’Epine, eine Sängerin, die sich während ihrer Theaterlaufbahn 10 000 Pfund erspart hatte. Er kaufte sich nun ein Haus in Boswellcourt, in Careystreet und bezog es mit ihr und seiner Schwiegermutter. Es war lange dadurch kenntlich, daß ein am Fenster hängender Papagei unausgesetzt die Arie aus Händel’s „Julius Cäsar“: Non e si vago e bello, sang. P. konnte jetzt auf großem Fuße leben, doch unterbrach er seine Studien nicht. Seine Einnahme vermehrte sich, als er 1737, auf Empfehlung seiner Schülerin, der Herzogin von Leeds, die durch den Tod Thomas Love’s erledigte Organistenstelle am Charterhouse erhielt. Um 1746 ernannte ihn die k. Akademie, nachdem in einer ihrer Versammlungen sein Brief an seinen Freund, den vortrefflichen Mathematiker Mr. Abraham de Moivre: „Of the various genera and species of Music among the ancients, with some observations concerning their scale“ vorgelesen worden war, zu ihrem Mitglied. Seine Freunde und die ihm ihre Stiftung verdankende Academy of ancient Music ließen ihm, aus Dankbarkeit, nach seinem im 85. Jahre erfolgten Ableben in der Capelle von Charterhouse ein Denkmal errichten. Vorausgegangen im Tode waren ihm (1740) sein einziger Sohn und bald darauf auch seine Frau.

Von seinen Schriften erschien infolge einer Indiscretion seines Schülers, des Lord Paisley, nachmals Graf Abercorn, 1730 eine Abhandlung über die Harmonie: „A short Treatise on Harmony, containing the chief rules for composing in two, three and four parts, dedicated to all lovers of Music. By an admirer of this noble and agreable science.“ Diese ohne sein Wissen publicirte Schrift war in einem unklaren, schlechten Stil abgefaßt und P. sprach von ihrer Publication nur wie von einer Sache, die seinem Ruhm und Vortheil gleichen Abbruch gethan habe. Er veranstaltete daher 1731 eine neue Ausgabe, die, wenn auch nur wenig besser geschrieben, sich doch durch wesentliche Aenderungen und Ergänzungen, namentlich in dem mit großer Deutlichkeit abgefaßten Capitel von den Tonleitern auszeichnet. P., ein eifriger Sammler, hatte in seinem langen Leben eine große Zahl Bücher und Handschriften zusammengebracht. Dieselben stellte er um 1730, nachdem er sie geordnet, in einem Hause in Fetterlane auf. Der Erbe dieser großartigen litterarischen Schätze sollte sein Sohn sein. Da dieser aber das 13. Jahr nicht überlebte, vermachte er sie seinen Freunden Travers, Organist bei St. Paul, und Kelner, Musiker am Drurylane-Theater. Seine Manuscripte gelangten nach seinem Tode in den Besitz der Academy of ancient Music.

P. war unstreitig ein sehr gelehrter und hochgebildeter Mann und sehr tüchtiger Musiker. Wie alle Componisten, bei denen die Neigung zur Speculation sich vorwiegend geltend macht, ist auch er mehr reflectirend, künstlich und trocken, als anmuthend und anregend. Er hat daher auch sehr verschiedene Beurtheilung erfahren, theils bewundernde, theils verletzende. Seine Untersuchungen führten ihn nicht stets auf richtige Wege. So bedeutend er als Lehrer seiner Kunst war, gab er auch hier dem Lahmen eine schwankende Krücke, ohne ihm [370] vom Hinken zu helfen. Er würde als Componist zu noch größerem Ansehen gelangt sein, wäre nicht Händel, der Alles neben sich verdunkelte, in London erschienen. Mit ihm vermochte sich P., wenn auch sein Satz rein und seine Erfindung und sein Geschick nicht unbedeutend waren, freilich nicht zu messen. Er verzichtete fortan auch auf Compositionsarbeiten und beschäftigte sich nur noch damit, die Elemente der Musik und die Grundsätze der Harmonie zu lehren. Merkwürdiger Weise setzte er sich’s in den Kopf, ein veraltetes und glücklich abgethanes System, nämlich das des Guido von Arezzo, neu beleben zu wollen. Die Methode der auf eine Reihe von sechs Tönen gegründeten Solmisation war nach harten Kämpfen endlich vollständig überwunden, und so sehr sich P. sträubte, eine siebenstufige Tonleiter anzuerkennen, die vorwärts drängende Zeit schritt über seine Schrullen rücksichtslos hinweg. Auch seine Tonsatzübungen waren eigener Art. Er war ein großer Verehrer des auch als Tonsetzer berühmten Geigers Arcangelo Corelli in Rom und so eingenommen von dessen Sonatenwerken, daß er seinen Schülern für ihre contrapunktischen Uebungen fast nur Bässe aus denselben zur Bearbeitung gab. Der englische Musikhistoriker John Hawkings, der schließlich in den Besitz der P.’schen Bibliothek gekommen und dadurch in den Stand gesetzt war, seine große fünfbändige Musikgeschichte (London 1776) zu schreiben, findet die Compositionen Pepusch’s trocken und ohne Mannigfaltigkeit. Dem philosophischen Geiste gesellt sich nicht immer die dem Künstler nothwendige lebhafte Phantasie. Doch offenbaren die sechs ersten in Scarlatti’s Manier gearbeiteten Cantaten viele Abwechslung, und macht sich auch bei ihnen eine gewisse Sprödigkeit in der Melodie und Steifheit in den Cadenzen bemerklich, so sind sie doch leicht, gefällig, ungesucht, in Hinsicht auf Declamation und Modulation tadellos; ja man kann sagen, daß P. in den drei letzten Cantaten sein Vorbild noch übertroffen hat. Chrysander in seiner Händelbiographie fällt noch ein härteres Urtheil über den gelehrten Pedanten, dessen Musik nicht nach den Gesetzen, sondern nach den Regeln der Tongestaltungen gemacht und bei aller Dürre hin und wieder mit unziemiich munteren Lappen behangen war, wie man solche Zwiespältigkeit überhaupt bei unfruchtbaren Componisten häufig findet. Händel, der den Musikbestrebungen und der Ausdrucksfähigkeit seiner Kunst plötzlich neue Gestalt und Richtung gab, wurde von P., obgleich dieser stets seinen großen Rivalen nach seinem vollen Werthe zu würdigen wußte, öffentlich sehr kühl beurtheilt.

Außer den beiden in London gedruckten Cantatenheften erschienen ebenda noch einige Lieder und in Amsterdam sieben Sonatenwerke, Op. 1–7 (70 Sonaten für Flöte und Baß, Violine und Baß, Flöte, Violine und Baß enthaltend) und 6 Concerte für 2 Flöten à bec mit Orchesterbegleitung. Es ist nun sehr interessant, daß gerade dieser ernste Musiker an einem leichtfertigen Werke sich betheiligen sollte, das eine über anderthalb Jahrhunderte hinausgehende Lebensfähigkeit bewährte und seinen Namen länger dem Gedächtniß erhielt, als all’ seine wissenschaftlichen Untersuchungen und sonstigen Compositionen. Eines der merkwürdigsten Producte englischer Dramatik, das älteste der heute noch gegebenen Londoner Singspiele, gleicherweise eine politische Satyre, wie eine Persiflage der damaligen italienischen Oper, ist die von John Gay gedichtete, von P. mit einer lustigen Ouverture und sonstigen entsprechenden Gesängen versehene „the Beggars Opera“. Diese, am 29. Januar 1728 zum ersten Male unter Direction John Richs auf dem Theater von Lincolns-Inn-Fields gegebene Farce gewann einen außerordentlichen Beifall und Erfolg, die rascheste und weiteste Verbreitung in ganz England und ist, wie gesagt, heute noch nicht völlig von der Bühne verschwunden. Dieses Singspiel enthält, außer der Ouverture, 69 Gesänge, fast sämmtlich dem reichen Schatze englisch-schottischen Volksgesanges und den populären [371] Tänzen, Märschen und Gesellschaftsliedern der damaligen Zeit entnommen oder nachgebildet. Diesen volksthümlichen Musikstücken, diesem Ausflusse eines in nacktester und übermüthigster Gestalt sich äußernden, den Schwulst, Bombast und Flitter der italienischen Oper so glücklich verspottenden Humors, verdankt dies Stück hauptsächlich die außerordentliche und dauernde Wirkung, die es erzielte. Die Dichter Englands sahen sich um diese Zeit von den Großen und dem englischen Publicum äußerst rücksichtslos und geringschätzig behandelt. Bedürfniß und Neigung, ihnen Beachtung und Gastfreundschaft zu schenken, waren ganz entschwunden. Die Poeten fanden sich völlig an die Luft gesetzt und gerade die besten unter ihnen empfanden es am kränkendsten, daß man nur noch an Schaustellungen, Tafelfreuden, lärmenden Festen, luxuriösen Kunstliebhabereien und verschwenderischen Bauten Vergnügen fand. Aber die hervorragenden Geister suchten und wußten sich zu rächen. Jonathan Swift schrieb 1726: „Reisen Gullivers zu verschiedenen fremden Völkern“, Gay kurz darauf die „Bettler-Oper“, Alexander Pope im gleichen Jahre die drei ersten Bücher seiner „Dunciade“. Gay hatte kühn in das ihn umgebende Leben gegriffen und geschickt Oper, Farce und Balladengesang zu amalgamiren gewußt. Es war damals ein gewisser Jon. Wild (Wylde), ein gefürchteter Diebsfänger, Unteraufseher im Newgategefängniß. Dieser Wächter der Gerechtigkeit stand aber zugleich an der Spitze einer mit erstaunlichem Geschick organisirten Räuberbande. Es war in seine Hand gegeben, welche von den eingefangenen Spitzbuben vom Galgen los, welche daran kommen sollten, und dabei gewann er bei jeder Hinrichtung noch 40 Pfund baar. Einst ließ er seinen besten Mann, einen gewissen Blake (Blueskin), einen kühnen, trotzigen Gesellen aufgreifen, und als dieser in der letzten Gerichtssitzung erkannte, daß ihn sein bisheriger Diebsgenosse nicht retten wollte, sprang er in höchster Wuth auf ihn los und versetzte ihm mit seinem Federmesser eine gefährliche Halswunde. Jetzt erst erkannten die Richter, mit welch leibhaftigem Teufel sie bisher zu thun gehabt und beeilten sich, den noch lebenden, 24. Mai 1725, rasch hängen zu lassen. Dies Ereigniß bot die Grundlage für die „Bettler-Oper“. Gay wußte, anscheinend in der Absicht die italienische Oper zu verhöhnen, die einflußreichsten, an der damaligen englischen Schandwirthschaft schuldigen Minister in der schonungslosesten Weise in seinem Stücke bloßzustellen und ihr Gebahren und ihre Amtsführung unheilbar zu geißeln. Wild heißt bei ihm Peachum (Robert Walpole), sein Bruder, der Schließer von Newgate, Lockit (Charles Townshend, der Gatte von Dorothy Walpole, Roberts Schwester). Beide nahe verwandte Minister, Walpole und Townshend, haßten und verachteten sich gegenseitig gründlich. Ihre Feindschaft durchbrach alle Schranken, als sie sich in einer großen, vom Obersten Selwyn geladenen Gesellschaft, zum allgemeinen Scandal zu raufen begannen. Im zweiten Act der „Bettler-Oper“ prügeln sich Peachum und Lockit ebenfalls. Doch, da sie genug von einander wissen, um sich an den Galgen zu bringen, sind sie so klug, sich wieder zu versöhnen. Der veredelte Blake heißt im Stücke Capitän Macheat, eine Art Robin Hood, der heimlich Peachum’s schöne Tochter, Polly, geheirathet hat und, als er in Newgate gefangen sitzt, Lockit’s hübsche Tochter, Lucy, verführt. Außer beiden hat er noch vier Weiber mit vielen Kindern, die ihn alle wehklagend zum Richtplatze begleiten, wo er jedoch begnadigt wird. Ein Tanz der Räuber mit ihren Dirnen und des sie begleitenden Pöbels bildet das Finale, dem es an unflätigen Worten und Zweideutigkeiten selbstverständlich nicht fehlt. Das ganze Stück, in dem alles was Abscheuliches unter der Hefe des Volkes vorgeht, zur Schau gestellt wird, die schmutzigsten Laster enthüllt werden und die Moral des Gassenhauers in handgreiflicher Derbheit waltet, ist ein zwar [372] widerwärtiges, aber höchst charakteristisches Bild des Treibens unter dem Londoner Pöbel d. h. unter dem Auswurf der menschlichen Gesellschaft. Die Heldin der Oper, die schöne Polly, wurde von Miß Fenton, eigentlich Beswick, vorzüglich gespielt. Sie ward dadurch die Heldin des Tages, wurde mit Lobgedichten, Huldigungen und Bewerbungen überhäuft und ihr Gesang selbst dem der Cuzzoni und Faustina, ja dem des Senesino vorgezogen; ihr Porträt wurde gestochen. Sie ließ sich schon im folgenden Jahre vom Herzog Bolton (diesem „großen Tölpel“) entführen und bald darauf heirathen. Trotz des Ausscheidens dieses beliebtesten Mitgliedes der Rich’schen Gesellschaft, nahm die Bettler-Oper ungestörten Fortgang. Der pecuniäre Erfolg war ein ganz außerordentlicher; er machte Rich gay (fröhlich) und Gay rich (reich). Ungeachtet der derbsten Gemeinheiten, die hier den Zuschauern geboten wurden, fand man das Werk außerordentlich reizend in seiner Art, nicht wegen seiner Rohheit, sondern wegen der Wahrheit, mit der es das Treiben hochstehender Personen blosstellte, und selbst diejenigen, welche von dieser giftigen Satyre zumeist getroffen waren, hielten kluger Weise mit vordrängendem Applaus nicht zurück. Die „Bettler-Oper“ gab das Signal zu einem allgemeinen Ausbruch musikalisch-dramatischer Rohheit. Im nächsten Jahrzehnt entstanden über hundert ähnliche Singfarcen, die aber weder in der Bedeutung noch im Erfolg ihr Vorbild erreichten. Das Meiste machte Samuel Johnson aus Cheshire mit seinem Spectakelstück „Hurlothrumbo oder der Uebernatürliche“, 1729. – Pepusch’s moralischer Charakter wird als höchst liebenswürdig geschildert; besonders wohlwollend und menschenfreundlich erwies er sich gegen deutsche Landsleute, die stets des besten Raths und Beistandes und thätiger Hilfe seinerseits sicher waren. So glänzend übrigens sein und vieler anderer deutschen Künstler Loos in England sich gestaltete, merkwürdiger Weise haben die hervorragendsten unter ihnen keine Leibeserben hinterlassen, keine Kinder, auf die ihr Vermögen und ihr Ruhm übergehen konnte. Es scheint, daß das oft riesenmäßige Ringen um die Existenz und die Superiorität und das sonstige Jagen nach Gewinn und Reichthum alle körperlichen Kräfte aufgezehrt, das ganze Sinnenleben vernichtet und die Wallungen des Herzens vertrocknet hat. Mit den Trägern berühmter Namen erlischt fast immer auch deren Geschlecht.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 369. Z. 5 v. o.: „The Academy of ancient Music“ wurde 1710 im Gasthaus „Crown and Anchor“ von einer Anzahl Dilettanten im Verein mit damals bedeutenden Musikern in der Absicht gegründet, der hereinbrechenden Fluth moderner Musik (wozu in dieser Zeit auch die Händel’sche zählte) einen Damm entgegenzusetzen. Mit Pepusch waren an der Gründung zugleich thätig H. Needler, Galliard, Dr. Maurice Greene, Bernh. Gates u. a.; die Chöre von St. Paul’s und Royal Chapel unterstützten die Aufführungen. Am 1. Juni 1727 wählte die Academy „nemine contradicente“ den berühmten D. Agostino Steffani, Bischof von Spiga († 1730), zu ihrem Präsidenten. Er hatte ihr wiederholt seine besten Werke unter dem Pseudonym „Piva“ zugeschickt. Im J. 1731 trat infolge von Zwistigkeiten Dr. Greene mit seinen Chorknaben aus dem Vereine und rief eine neue im Gasthaus „Devil Tavern“ (Temple Bar im Apollosaal) sich versammelnde musikalische Gesellschaft ins Leben. Händel soll bei dieser Gelegenheit gesagt haben: „Dr. Greene ist zum Teufel gegangen.“ Dieser Verein, auch „Apollo-Society“ genannt, führte zuerst das von Händel 1720 auf Wunsch des Herzogs von Chandos componirte und mit 1000 Pfd. honorirte Oratorium: „Esther“ öffentlich auf. Die prächtige Villa des Herzogs († 1747) zu Cannons, die 230 000 Pfd. St. gekostet hatte, wurde drei Jahre nach ihres Besitzers Tode um 11 000 Pfd. St. verkauft. Von der ganzen damaligen Herrlichkeit hat sich bis heute nur die Whitchurch (zu der s. Z. die vornehme Welt Londons hinausfuhr, um die in ihrer Art einzigen Kirchenmusiken zu hören), heute Pfarrkirche des Dorfes Edgware, erhalten. – Im J. 1734 zog sich auch Gates mit den k. Capellknaben vom Vereine, der nun einen schweren Stand um seine Existenz zu führen hatte, zurück. Die Academy löste sich, nach fast 100jährigem Bestehen, anfangs dieses Jahrhunderts auf. Ihre kostbare Bibliothek, der s. Z. auch Pepusch seinen Musikalienbesitz vererbt hatte, ward in alle Winde zerstreut. Ein von Th. Hudson gemaltes und von A. van Haecken sehr schön gestochenes Schwarzkunstblatt, giebt, wie es scheint, ein sprechend ähnliches Porträt von Pepusch. Das volle Gesicht hat einen freundlichen und wohlwollenden Ausdruck, die Augen blicken klug und ernst unter der großen Allongeperücke und in seinem Staatsgewande zeigt sich uns ein Mann voll Würde, der aber nicht ohne Selbstbewußtsein ist; die Figur ist kräftig, stattlich und breitschulterig. [Bd. 25, S. 797 f.]