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ADB:Pfeil, Johann Gottlob Benjamin

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Artikel „Pfeil, Johann Gottlob Benjamin“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 655–657, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pfeil,_Johann_Gottlob_Benjamin&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 23:30 Uhr UTC)
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Pfeil: Johann Gottlob Benjamin P., Schriftsteller (nicht zu verwechseln mit dem Prediger Johann Gebhard Pfeil, wie seit Meusel bis 1878 [656] häufig geschehen ist), wurde geboren zu Freiberg den 10. November 1732, genoß seine Gymnasialbildung in Chemnitz und studirte seit 1752 Jura in Leipzig, wohin er 1763 nach einem uns entzogenen Litteraten- und Informatorleben als Hofmeister des jungen Freiherrn Karl August v. Friesen zurückkehrte. Am Schönkopf’schen Mittagstisch lernte ihn Goethe kennen und empfing von P. stilistische Anregungen, wofür ihm in „Dichtung und Wahrheit“ (Hempel 21, 52 f.) ein Denkmal errichtet wird. Seinen Roman erwähnt Goethe schon in einem Leipziger Brief an Cornelie (Goethejahrbuch 7, 17). 1768 zum Dr. jur. promovirt, wurde P. bald darauf Justizamtmann zu Rammelburg im Harz, wo Friesen’s begütert waren, heirathete Johanna Groß (Großin) aus Leipzig, die am 17. August 1777 starb und zwei Kinder hinterließ. Am 29. September 1778 schloß P. eine neue Ehe mit Eva Clara Johanna Leonardine Göckingk, des bekannten Dichters Schwester († am 5. December 1792). Seine zweite Gattin brachte ihm ein ansehnliches Vermögen und gebar sieben Kinder, von denen Friedrich Wilhelm Leopold (s. o. S. 648) sich als Forstmann einen Namen gemacht und durch den Aufsatz „Goethe’s Charakteristik des Wuchses der Eiche“ (Kritische Blätter für Forst- und Jagdwissenschaft XXXVII) die Goethelitteratur bereichert hat. In dem gastlichen Schlosse Rammelburg ist auch Bürger mit Freund Göckingk eingekehrt. Als „wohlbestallter hochfreiherrlich Friesischer und hochgräflich Hopfgart-Schaurottischer Amtmann des wohllöblichen Amtes Rammelburg“ ist P. am 28. September 1800 plötzlich einem Schlagfluß erlegen und am 1. October auf dem nahen Friesdorfer Kirchhof bestattet worden.

Seine späten, z. Th. maskirten Schriften juristisch-cameralistischen und theologischen Inhalts berühren uns nicht. Aber P. verdient einen Platz in der Geschichte der von England inspirirten, in Deutschland durch Gellert eröffneten bürgerlichen Dichtung. 1755–57 erweist er sich fruchtbar und sucht die führenden Schriftsteller sofort durch Häufung und Verstärkung, d. h. Verzerrung der Motive zu übertrumpfen. „Miß Sara Sampson“ erscheint 1755 – P. veröffentlicht in den mit der englischen Litteratur liebäugelnden, aber ganz kritik- und haltungslosen „Neuen Erweiterungen der Erkenntnis und des Vergnügens“ Stück 31. einen Aufsatz „Vom bürgerlichen Trauerspiele“, der viel Verkehrtes und einiges Gute enthält. P. befehdet die „Mordgeschichten“ der Engländer, also Lillo’s, mit ihrem Galgen, verlangt Ausschluß des niedern Volkes, vertritt eine stark moralisirende Tendenz und nennt Laster die Hauptquelle tragischer Begebenheiten. Sein Exempel dazu heißt „Lucie Woodvil“, ausdrücklich als „ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Handlungen“ bezeichnet, als „eine Schwester zur Sarah“ ausgeschickt, 1756 in den „Neuen Erweiterungen“ Stück 42. (Juni) und separat erschienen, wiederholt 1769 im „Theater der Deutschen“ III. und im Schneider’schen Verlag Leipzig 1786 (Titel: 1787), 1787 vom Verfasser als „unreifes, längst verdienterweise vermodertes Product meiner Jugendjahre“ verurtheilt, aber 1756 durch großen Theatererfolg (z. B. Ackermanns in Danzig) ausgezeichnet (vgl. Neue Erweiterungen St. 48.). England der Schauplatz. Die Wirkung liegt in Greueln, die P. z. Th. der antiken Tragik carikirend abborgt. Zu bekannten Conflicten – eine schwangere Geliebte, Doppelneigung, Verzicht der Zweiten – treten krasse Motive: unwissentliche Blutschande, Vergiftung des Alten durch sein uneheliches Kind wegen stillschweigender Verweigerung des Bundes, Enthüllung des Geheimnisses durch einen Hausfreund; Lucie bekennt sich als Vatermörderin, erdolcht erst die verkommene Zofe Betty als Anstifterin und dann sich selbst, ihr Bruder und Buhle wird wahnsinnig. Southwell entspricht dem alten schwachen Sampson, Karl dem Mellefort, Lucie ist ein übles Amalgam aus Sara und Marwood, Amalie eine blonde Tugendprinzeß nach Richardsons Muster, ihr Vater Robert ein farbloser Biedermann, Jacob der übliche Moralredner [657] in der Livrée, Betty die weibliche Contrastfigur. Die Einheit der Zeit und des Ortes ist bewahrt, die Sprache nicht so breit wie in der „Sara“. Robert schließt: „Komm, meine Amalia, laß uns mit einer stillen Ehrfurcht vor dieser Gerechtigkeit zittern, die auch die geringsten Verbrechen nicht ungerochen läßt. Laß uns aus Karls und Luciens unglücklichem Beispiele lernen, daß demjenigen das größte Laster nicht weiter zu abscheulich ist, der sich nicht scheut, das allergeringste auszuüben.“

Wie „Lucie“ zur „Sara“, so verhält sich „die Geschichte des Grafen von P.“ (Leipzig in Lankischens Buchhandlung 1756, gleichfalls anonym, wiederholt aufgelegt) zu Gellert’s „Schwedischer Gräfin“. Mit einem Seitenhieb gegen Crebillon nennt P. in der Vorrede dieses Ichromans Richardson und Prevost seine Muster. Das Thema ist „Schwachheiten des menschlichen Herzens“ in ihren abenteuerlichen Folgen zu schildern. Der Held, ein junger sächsischer Graf, nicht schlecht, aber haltlos, erlebt in Frankreich und Sachsen die verwickeltsten Liebeswirren, wobei ein Pendant zur unvergänglichen Manon Lescaut sich breit macht. Neben ihm steht ein idealer Mentor und ein edler Engländer, der auch Wundersames durchgemacht hat und später gleich seiner Gattin und einer einstigen tugendhaft gefallenen Geliebten des unter furchtbaren Familienintriguen daheim verheiratheten Grafen sammt ihrem Sohne, der nun beinahe als moderner Oedipus die Mutter freit, nach Deutschland verpflanzt wird. Das Buch ist viel handlungsreicher als das Gellert’sche, das ihm zum Muster gedient hat, führt aber doch einen Ballast oberflächlicher ethischer Reflexionen und setzt sich mit elender Versöhnlichkeit über alle Ausschweifungen, Ränke, Mordanschläge u. s. w. hinweg. Es folgten 1757, gleichfalls anonym, die von Wieland angeregten „Versuche in moralischen Erzählungen“, die nicht nur mehrfach aufgelegt und nachgedruckt, sondern auch in Frankreich von Mercier geplündert wurden (Le Sauvage), wogegen P. im Januar 1787 öffentlich protestirte.

v. Biedermann, Goethe und Leipzig 1, 71 f. (Silhouette Pfeil’s, Leipz. Illustr. Zeitung 1884, Nr. 2147. „Schattenbilder aus Goethe’s Leipziger Studienjahren“ an zehnter Stelle). – Sauer, J. W. v. Brawe, Quellen u. Forschungen 30, 1878, S. 82 u. ö. mit der auch bei Koberstein 5, 89, 365, Goedeke, v. Loeper, Düntzer auftretenden Verwechslung. – Zur Klarstellung: Goedeke, Archiv für Litteraturgeschichte 7, 524 ff und v. Loeper ebenda 8, 223; Pröhle, Vossische Zeitung 1879 Nr. 21. Sonntagsbeilage Nr. 3.