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ADB:Plücker, Julius

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Artikel „Plücker, Julius“ von Gustav Karsten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 321–323, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pl%C3%BCcker,_Julius&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 19:10 Uhr UTC)
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Plücker: Julius P., geb. am 16. Juli 1801 zu Elberfeld, † am 22. Mai 1868 zu Bonn, war der älteste Sohn des Kaufherrn Joh. Julius P. in Elberfeld. Da es in dieser Stadt damals keine höhere Schulanstalt gab, wurde P. auf das unter der Leitung von Kortum[WS 1] stehende Gymnasium zu Düsseldorf geschickt. Nach beendeter Schulzeit studirte er in Bonn, Berlin und Heidelberg Mathematik und Physik. Im J. 1824 reiste er zu einem längeren Aufenthalte nach Paris, um sich mit der Methode und den Arbeiten der französischen Mathematiker vertraut zu machen. Die hier erhaltenen Anregungen wurden für Plücker’s mathematische Arbeiten von entscheidendem Einflusse und es entstanden auch in Paris Plücker’s ersten Arbeiten auf dem Gebiete der analytischen Geometrie. 1825 habilitirte sich P. als Docent der Mathematik in Bonn; 1829 wurde er daselbst außerordentlicher Professor. In gleicher Stellung wirkte er dann 1833 in Berlin, wo er zugleich Lehrer am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium war. 1834 erhielt er eine ordentliche Professur an der Universität Halle, verblieb aber daselbst nur bis 1836, in welchem Jahre ihm die gleiche Stellung in Bonn übertragen wurde. 1837 verheirathete er sich mit Frl. Altstätten, welche ihn, nebst einem einzigen Sohne, überlebt hat. In Bonn war bald nach der Berufung Plücker’s der Professor der Physik, von Münchow, gestorben (30. April 1836) und wurde an P. die Leitung der physikalischen Sammlung übertragen. Da er bis dahin als Gelehrter nur auf dem mathematischen Gebiete thätig gewesen war, so entstanden Ränke, um ihn aus seiner Stellung als Professor der Physik zu verdrängen. Dies wurde Veranlassung, daß er sich von 1847 ab bis zu seinem Lebensende mit großem Eifer und glänzendem Erfolge physikalischen Untersuchungen widmete. In seinem letzten Lebensjahre litt P. an einer schmerzhaften Krankheit, der er nach qualvollen Leiden am 22. Mai 1868 erlag.

P. ist auf den beiden, zwar verwandten, aber doch sehr verschiedene Anlagen und Behandlungen erfordernden Gebieten der Mathematik und Physik in gleich hervorragender Weise thätig gewesen. Zur Charakteristik der die erste Lebensepoche Plücker’s ausfüllenden mathematischen Arbeiten kann die folgende kurze Schilderung nach der Dronke’sche Biographie Plücker’s dienen. Zunächst wandte sich P. der analytischen Geometrie zu. Bereits 1829 führte er in einem Aufsatze in Crelle’s Journal eine neue Coordinatenbetrachtung ein, die sogenannten homogenen Coordinaten, indem er zur Bestimmung der Lage eines Punktes die Abstände von drei beliebig gewählten Graden in der Ebene in die Formeln einsetzte. Man erhält hierdurch homogene, bezw. symmetrische Formen, was häufig von großem Vortheil ist. Dies beweisen sowol Plücker’s eigene Untersuchungen („Analytisch-geometrische Entwicklungen“ 2 Bde., Essen 1829–31), als diejenigen Anderer, wie z. B. das Werk von Salmon[WS 2] über die Kegelschnitte auf diese Methode gegründet ist. Die von Bobillier[WS 3] zuerst eingeführten abgekürzten Bezeichnungen, Symbole, wendete P. in ausgedehnter Weise an. Sofort ergab sich auf doppeltem Wege höchst einfach der Beweis für den von Steiner ohne Beweis angegebenen Pascal’schen Satz, ferner wurden die Theorien der Taction, der Osculation u. s. w. in fruchtbarster Weise ausgeführt. Im zweiten Bande des genannten Werkes ging P. von den Liniencoordinaten aus, deren Idee auch von Möbius ausgesprochen war. Die Gerade wird in ihrer Lage durch zwei Constanten, welche der Homogenität der Gleichungen wegen auf drei vermehrt werden können, bestimmt. Hieran knüpften sich die Theorien der Taction und [322] Osculation, die allgemeinste Erklärung des Brennpunktes einer Curve als des reellen Schnittpunktes imaginärer Tangenten. Diesem Werke folgte 1835 das „System der analytischen Geometrie“ (Berlin 1835). Ausgehend von der allgemeinsten Auffassung der Coordinatenbestimmung begründet P. die Verwandtschaft geometrischer Constructionen und der sich daran anschließenden Uebertragungsprincipien, die Collineation, Reciprocität u. s. f. und behandelt dann die Curven zweiter und dritter Ordnung. Von den Letzteren giebt er ein vollständiges Verzeichniß von 219 Arten. 1839 erschien Plücker’s Schrift über die höheren algebraischen Curven, 1842 sein „System der Geometrie des Raumes in neuer analytischer Behandlungsweise (Düsseldorf, 2. Aufl. 1852). Ebenso wie er in der Geometrie der Ebene die Liniencoordinaten einführte, so begründete er die Geometrie des Raumes auf die Plancoordinaten und gibt eine Reihe von Sätzen über die Flächen beliebigen Grades, die den Sätzen über Schnittpunktssysteme in der Ebene entsprechen. Vielfach wird mit Unrecht die Entdeckung jenes ganzen Gebietes von Sätzen Jacobi zugeschrieben.

Der Umstand, daß P. und Steiner, wenn auch auf verschiedene Methoden gestützt, dasselbe wissenschaftliche Feld bebauten und dieselben Probleme zu lösen suchten, brachte große Mißhelligkeiten hervor und veranlaßte, daß P. seine mathematischen Abhandlungen meist in ausländischen Zeitschriften veröffentlichte. Der großen Anerkennung, welche P. namentlich in England fand, steht wenig erfreulich gegenüber die Aufnahme seiner Arbeiten in Deutschland. Cayley[WS 4] äußert sich über P.: his discovery of the singularities of a plane curve is, it appears to me, the most important one beyond all comparison in the entire subject of modern geometry and which would alone be sufficient, to place the author of it in the first rank among the geometers of theire time. Und Sylvester sagt: P. may be said to have reformed geometry in its relation to analysis. There comes none between him and Descartes in this line. Theils die geringe Beachtung seiner Leistungen in Deutschland, theils die schon oben erwähnten Versuche, P. aus seiner physikalischen Stellung zu verdrängen, waren, wie wir jetzt sagen dürfen, die glückliche Veranlassung, daß sich P. von 1847 an, fast ausschließlich der Physik zuwendete. Zwar hatte P. bereits 1839 eine in die Physik fallende Abhandlung veröffentlicht, „Ueber die allgemeine Form der Lichtwellen“. Aber diese Arbeit, sowie die 1847 erschienenen Abhandlungen „Ueber die Zurückwerfung des Lichtes von Oberflächen zweiter Ordnung“ waren doch noch rein theoretische, an seine mathematischen Untersuchungen anschließende Arbeiten. Mit einer Abhandlung über das Ohm’sche Gesetz, 1847, betrat P. zuerst ein andres physikalisches Gebiet, und nun folgten vom Jahre 1848 ab eine Reihe glänzender physikalischer Entdeckungen, durch welche sich P. als ebenso ausgezeichneten Experimentator wie Theoretiker erwies. Bei der Wiederholung der Experimente Faraday’s über die Einwirkung kräftiger Electromagnete auf alle Körper kam P. zur Entdeckung der eigenthümlichen Beziehung des Magnetismus zur Structur der Krystalle. Er zeigte, daß die Krystalle sich gegen die magnetischen Kräfte rücksichtlich ihrer krystallographischen Axen als entweder magnetische oder diamagnetische Körper verhalten. Ferner wies er den Einfluß nach, welchen die einen Körper umgebende Substanz bezüglich der Wirkung magnetischer Kräfte ausübt. Damit gelangte er zum Nachweise des magnetischen Verhaltens der Gase.

Diese Versuche führten ihn weiter zu theoretischen und experimentellen Untersuchungen über die Ursache des Magnetismus und Diamagnetismus, welche er mit einer großen Experimentalarbeit „Ueber das Gesetz der Induction bei paramagnetischen und diamagnetischen Substanzen“ abschloß. Für diese Versuche bediente er sich in origineller und erfolgreicher Weise zur Messung der Größe des inducirten Magnetismus, einer Prägungsmethode, indem die zu inducirende [323] Substanz auf einer äußerst empfindlichen Waage angebracht und der Wirkung des Magnetismus ausgesetzt wurde. Diese erste Reihe von Plücker’s Experimentalarbeiten schloß mit dem Jahre 1855. In diese Periode fallen aber noch einige andere, wenn auch nicht gleich bedeutende physikalische Arbeiten. Hierher gehören seine interessanten Versuche über das von Boutigny[WS 5] in neuer und überraschender Form nachgewiesene Leidenfrost’sche Phänomen, wonach Flüssigkeiten in der unmittelbaren Nähe sehr hoch erhitzter Körper nur in geringem Grade erwärmt werden. Wichtiger waren Plücker’s Arbeiten über Thermometrie und über Dämpfe und Dampfgemenge 1852 und 1854. Die erstere Untersuchung behandelt die Ausdehnung des Wassers bei Temperaturen nahe der größten Dichtigkeit desselben. P. erfand hierfür ein eigenthümliches „compensirtes Thermometer“, d. h. ein solches, welches die wahre Ausdehnung der Flüssigkeit unabhängig von der Ausdehnung des dieselbe einschließenden Gefäßes zu messen gestattet. Die zweite Untersuchung beschäftigt sich mit der Frage über die Spannkraft der Dämpfe, welche sich aus gemischten Flüssigkeiten (Wasser und Alkohol) entwickeln. Hierzu wurde ein von Geißler[WS 6] erfundenes und von ihm Vaporimeter genanntes Instrument verwendet, nachdem P. dasselbe verbessert hatte. Die beiden letztgenannten Untersuchungen sind leider nicht, wie in Aussicht gestellt war, fortgesetzt worden. Bei Gelegenheit dieser Arbeiten hatte P. die außerordentliche Geschicklichkeit des Dr. H. Geißler in der Herstellung der feinsten Glasbläserarbeiten kennen und schätzen gelernt, was für die zweite Gruppe der hervorragenden Experimentaluntersuchungen Plücker’s von besonderer Wichtigkeit wurde. Als Geißler die nach ihm benannten Röhren für die Lichterscheinungen elektrischer Entladungen im luftverdünnten Raume construirt hatte, entdeckte P. den Einfluß des Magnetismus auf das Lichtphänomen. Gleich bei den ersten Untersuchungen, 1857, bediente er sich zum Studium der besonderen Eigenthümlichkeiten des unter verschiedenen Umständen erzeugten Lichtes der spectralanalytischen Methode. In einer größeren Reihe von Abhandlungen zeigte er, daß die Natur des Lichtes einzig durch die innerhalb der Geißler’schen Röhren in äußerst geringen Mengen enthaltene Gasart bedingt wird, also die Spectra des elektrischen Lichtes in verschiedenen Gasen verschieden sind. Ferner legte er in einer gemeinschaftlich mit Hittorf veröffentlichten Arbeit dar, daß in demselben Gase das Spectrum des Lichtes von der bei der Erzeugung desselben vorhandenen Temperatur abhängig ist. Nach diesen Untersuchungen muß P. unzweifelhaft als der Begründer der modernen Spectralanalyse bezeichnet werden, welche dann später von Kirchhoff und Bunsen in so glänzender Weise verallgemeinert wurde. England ehrte die großen physikalischen Entdeckungen Plücker’s 1866 durch die Ertheilung der an Ausländer höchst selten verliehenen Copley-Medaille, dem höchsten Ehrenzeichen Englands für wissenschaftliche Leistungen. Die Zahl von Plücker’s Abhandlungen in gelehrten Zeitschriften deutscher, englischer und französischer Sprache ist eine sehr große; ein ziemlich vollständiges Verzeichniß findet sich in der Dronke’schen Biographie.

A. Dronke, Julius Plücker, Professor der Mathematik und Physik an der Universität in Bonn. Bonn 1871. – Poggendorff’s biogr.-litter. Handw. II. 475. – Proc. Roy. Soc. 1868/69 Vol. XVIII p. LXXXI.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Wilhelm Kortüm (1787–1859), Regierungsschulrat in Düsseldorf.
  2. George Salmon (1819–1904), irischer Mathematiker
  3. Étienne Bobillier (1798–1840), französischer Mathematiker
  4. Arthur Cayley (1821–1895), englischer Mathematiker
  5. Pierre Hippolyte Boutigny (1798–1884), französischer Chemiker und Physiker
  6. Heinrich Geißler (1814–1879), deutscher Physiker