ADB:Platter, Thomas (Humanist)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Platter, Thomas (Humanist)“ von Jakob Baechtold in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 265–267, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Platter,_Thomas_(Humanist)&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 07:50 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Platner, Tilemann
Band 26 (1888), S. 265–267 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Thomas Platter der Ältere in der Wikipedia
Thomas Platter der Ältere in Wikidata
GND-Nummer 118594923
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|26|265|267|Platter, Thomas (Humanist)|Jakob Baechtold|ADB:Platter, Thomas (Humanist)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118594923}}    

Platter: Thomas P., Buchdrucker und Schulmann, berühmt geworden durch seine naiv reizvolle, eine Fülle culturgeschichtlichen Materials bietende Selbstbiographie, ohne Zweifel mit derjenigen des Sohnes Felix (s. u.) die beste ihrer Art aus dem ganzen 16. Jahrhundert. Als 73jähriger Greis hat er dieselbe auf Bitten seines Sohnes in der kurzen Zeit von 14 Tagen niedergeschrieben. Darnach wurde Thomas P. am 10. Februar 1499 geboren zu Grächen (Grenchen), einem Bergdörfchen im Walliser Nikolaithale, Visper Kirchspiels. In dieser weltverlorenen Einsamkeit verlebte er seine Jugendjahre. Sein Landsmann, der bekannte Cardinal Matthäus Schinner, ertheilte ihm zu Grächen die Firmung. Der Vater starb frühe und der sechsjährige „Thomilin“ wurde bei einem Bauer als Geißenhirt verdingt. Dann nahm ihn ein Geschwisterkind, Paulus Summermatter, ein fahrender Schüler, mit in die Welt hinaus. Die Abenteuer des armseligen Häufleins von „Bacchanten“ und „Schützen“ in Sachsen, Schlesien, Baiern sind allbekannt. Nach fünfjährigem Herumfahren begaben sich dieselben auf kurze Zeit nach dem Wallis zurück. Die derb realistischen Abschnitte über das Leben und Treiben der fahrenden Schüler gehören zu den aufschlußreichsten Capiteln der Biographie. Bald darauf zogen sie wieder aus nach Ulm, München, Passau; in Schlettstadt ging P. 1517 in die Schule des Johann Sapidus, konnte aber trotz seiner 18 Jahre noch nicht einmal den Donat lesen. Erst bei Myconius in Zürich, dessen Famulus er wurde, nahm er’s ernsthaft mit dem Studium. Eben begann dort das Werk der Kirchenbesserung durch Zwingli, dem der arme Walliser während der Disputation zu Baden 1526 in der Verkappung eines Hühnerträgers den geheimen Verkehr mit Oekolampad vermittelte. Mit dem größten Eifer und unter immerwährenden Entbehrungen begann P. nun auch das Studium des Griechischen und Hebräischen, das letztere bei Bibliander; zugleich erlernte er von dem gelehrten Rudolf Collinus das Seilerhandwerk. Dann siedelte er nach Basel über, arbeitete bei einem Seiler, las beim Strickedrehen seinen Plautus und hielt aus Veranlassung Oporin’s zugleich Vorlesungen an der Universität über hebräische Grammatik mit Erklärung des Propheten Jonas. Bei Ausbruch des ersten Kappelerkrieges 1529 zog P. als Anhänger der Reformation mit aus; in Zürich heirathete er die Magd seines alten Lehrers Myconius, Anna Dietschi von Wipkingen. Vorübergehend hielt er zu Visp im Wallis Schule und machte Seile; sein Weib verkaufte Wein und Obst. Allein den Anfeindungen der Katholiken hielt er auf die Dauer nicht Stand, er nahm die Wiege, in der sein inzwischen geborenes Kind lag, auf den Rücken und wandte sich wieder über den so oft von ihm betretenen [266] Grimselweg nach Zürich und Basel, wo er Oporin’s Provisor wurde. Kurz nachher trat er mit seinem Weibe in den Dienst des bischöflichen Leibarztes Epiphanias in Pruntrut, bis dieser an der Pest starb. 1531 sah P. zu Zürich den Einzug der bei Kappel geschlagenen Reformirten. Am Baseler Pädagogium wurde er Griechischlehrer, zugleich richtete er sich mit drei Genossen, Oporin darunter, eine Buchdruckerei ein, löste indeß später die Association und arbeitete auf eigene Faust als Druckerherr. (Hierüber handelt Streuber, Neue Beiträge zur Basler Buchdruckergeschichte in den Beiträgen zur vaterländischen Geschichte, 1843, 3, 68 ff.) 1541 übertrug ihm der Baseler Rath die Schule auf der Burg, deren Lehrpläne und Ordnungen noch erhalten sind. (Vgl. Fechter, Geschichte des Schulwesens in Basel. Baseler Schulprogramm vom Jahre 1837). Der Wohlstand des Hauses wuchs, P. konnte sich ein Landgütchen zu Gundoldingen kaufen. 1572 nach dem Tode seiner ersten Frau verheirathete sich der 73jährige Mann nochmals mit Esther Groß aus Lützelflüh im Kanton Bern, mit welcher er noch sechs Kinder zeugte, darunter den 1574 geborenen Sohn Thomas (s. u.). 1578 nach fast vierzigjährigem Schuldienste setzte ihm der Baseler Rath einen Ruhegehalt aus. Am 26. Januar 1582 starb er infolge eines Sturzes und wurde im Kreuzgang des Münsters bestattet. Er war eine derbe, kernhafte, oft leidenschaftlich harte und reizbare Natur voll Ursprünglichkeit. Nach dem Zeugniß seines Sohnes Felix hat er auch ein verschollenes Spiel „Der Wirth zum dürren Ast“ verfaßt. Ein Bildniß des alten Thomas P., gemalt von Hans Bock, bewahrt das Baseler Museum.

Den Platterschen Namen brachte der Sohn Felix zur Berühmtheit, welcher ebenfalls sein Leben selber erzählt, nur urbaner als der Vater, aber auch selbstbewußter und mit der entsprechenden behaglichen Breite. Geboren wurde er im October 1536 zu Basel. Sein Pathe war der gelehrte Simon Grynaeus (s. A. D. B. X, 72). Von Jugend auf zeigte er eine besondere Neigung zur Arzneikunde, sodann auch zur Musik. 1551 besuchte er das Pädagogium, 1552 die Universität Basel, bezog aber schon im Herbst desselben Jahres die berühmtere medicinische Schule von Montpellier und nahm bei einem Apotheker, dessen Sohn tauschweise bei Platter’s Vater in Basel untergebracht war, Quartier. Der Briefwechsel zwischen Vater und Sohn aus dieser Zeit ist noch vorhanden. Der Jugendgeschichte des Felix P. gebricht es nicht an anmuthigen Zügen und Schilderungen; wichtig sind die Aufzeichnungen über dramatische Darstellungen in seiner Vaterstadt, dann über das Studenten- und Gelehrtenleben in Montpellier. Nachdem er fleißig die Vorlesungen der berühmten Aerzte Saporta und Rondelet besucht hatte, bestand er im Frühjahr 1556 das Baccalaureat mit Auszeichnung. Wanderlustig, wie der Vater, trat er 1557 über Paris die Heimreise an, wurde im September desselben Jahres zu Basel zum Doctor promovirt, vermählte sich mit seiner Jugendgeliebten Magdalena Jäckelmann, der Tochter eines angesehenen Baseler Chirurgen und begann nunmehr seine erfolgreiche Thätigkeit als Arzt. Namentlich in den Jahren 1563 und 1564, da die orientalische Beulenpest so furchtbar in Basel auftrat und ein Drittheil der Einwohner, an die 4000 Menschen, dahinraffte, leistete er der Vaterstadt die größten Dienste. (Vgl. Ludwig Sieber, Aus Felix Platter’s Bericht über die Pest zu Basel, 1880.) 1571 wurde er zum Professor der praktischen Medicin und zugleich zum Stadt- und Spitalarzt ernannt. Sein Ruhm wuchs zusehends. Die Fürstenhöfe von Brandenburg, Baden, Sachsen, Würtemberg suchten bei ihm Rath und Hülfe. Namentlich in Gunst stand er bei der Schwester Heinrichs IV. von Frankreich. An seinen medicinischen Schriften „De corporis humani structura et usu“ 1583, „Praxeos medicae opus“ 1602–1608 und an den „Observationes in hominis affectibus plerisque“ 1614, rühmen die [267] Fachleute vor allem den klaren Blick. Darnach ist er der früheste deutsche Vertreter der von Vesal eingeschlagenen Richtung. Auf seine Veranlassung wurde ein botanischer Garten und ein anatomisches Theater gegründet. In den sorgfältigen Krankengeschichten liegt ein erster Keim zur pathologischen Anatomie. Bei Behandlung der Irren sprach er sich für die psychische Methode und gegen jede Zwangsmaßregel aus. Seine liebenswürdige Persönlichkeit machte ihn zum beliebten Lehrer. Sechs Mal bekleidete er die Würde eines Rectors der Baseler Universität. Seine Kunst- und Naturaliensammlung bildete einen Anziehungspunkt für die Fremden. Seine Frau, mit der er 56 Jahre in glücklicher, wenn auch kinderloser Ehe gelebt hatte, ging ihm 1613 im Tode voraus, am 28. Juli 1614 starb auch er nach kurzer Krankheit. Nach der interessanten Hausrechnung, die noch erhalten ist (gedr. bei Boos 334 ff.) hinterließ er ein ganz bedeutendes Vermögen. Von Felix P. sind auch Gelegenheitsgedichte vorhanden. Einiges davon ist gedruckt im Baseler Taschenbuch von Streuber 1850: „Blicke in das Privatleben Dr. Felix Platters“ von Buxtorf, anderes z. B. „Das Gsang von Löfflen“ bei Boos S. 346 ff.; vergl. auch Boos in seinem Basler Jahrbuch 1879 S. 211 ff.; das Pasquill auf den Rappenkrieg, Geschichte der Bauernrevolution 1591 steht in den Baslerischen Stadt- und Landgeschichten aus dem 16. Jahrh. (1878), 3, 115 ff. Seine drei Beschreibungen von Reisen nach Sigmaringen auf die Graf Christof von Zollernsche Hochzeit 1577, nach Stuttgart zur Taufe Herzogs August von Würtemberg 1596, nach Hechingen auf die Hochzeit des Grafen Johann Georg von Zollern 1598, sowie die Erzählung von dem Einzug des Kaisers Ferdinand in Basel 1562 sind nicht ohne culturgeschichtliches Interesse. –

Ein Bruder des Vorigen, Sohn zweiter Ehe, ist Thomas P. der jüngere. 1574 geboren, von Felix erzogen und ebenfalls in Montpellier gebildet, wurde nach dem Tode desselben 1614 Professor der Anatomie und Botanik, 1625 Professor der praktischen Medicin. Gestorben ist er 1628. Aus einer größeren Reisebeschreibung desselben ist Einiges gedruckt bei Boos, Basler Jahrbuch 1879, S. 13 ff. Sein Sohn Felix (1605–71), Professor der Logik und Physik, ist Verfasser verschiedener astronomischer Dissertationen. 1711 ist der männliche Stamm der P. in Basel ausgestorben.

Die beiden Biographien sind nach der Baseler Urschrift unendlich oft gedruckt worden. Die beste Ausgabe ist immer noch die ältere von Fechter, Thomas Platter und Felix Platter 1840; die Ausg. von Boos 1878 bringt das Leben Felix Platter’s vollständiger. Eine ordentliche Modernisirung gibt R. Heman, Thomas Platter’s Selbstbiographie 1882. Auch französische und englische Bearbeitungen sind vorhanden. Am bekanntesten wurden diese Memoiren durch G. Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit (Reformationsjahrhundert). – Ueber Felix P. vgl. namentlich Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz IV, 1 ff. und Miescher, Die medicinische Facultät in Basel, S. 51 ff., sowie Höfer, Lehrbuch der Geschichte der Medicin, 1881. II, 56 f., 144 f.