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ADB:Preyer, William

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Artikel „Preyer, William Thierry“ von Paul von Grützner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 116–119, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Preyer,_William&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 13:50 Uhr UTC)
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Preyer: William Thierry P. wurde am 4. Juli 1842 zu Moß-Side bei Manchester in England als Sohn eines Großindustriellen geboren. Im elterlichen Hause sorgfältig erzogen, besuchte er von 1854–55 die Clapham Grammar Scool bei London, hierauf zwei Jahre das Gymnasium in Duisburg und von 1857–59 das zu Bonn, welches er im Herbst 1859 mit dem Zeugniß der Reife verließ. Schon als Knabe zeigte er außerordentliches Interesse für das Leben und Treiben der Thiere und widmete sich demnach zunächst in Bonn als Studirender der Medicin naturwissenschaftlichen und medicinischen Studien, die er in Berlin, Heidelberg und Wien fortsetzte. 1860 betheiligte er sich mit seinem Freunde Zirkel an einer Expedition nach Island, deren Beschreibung 1862 in Leipzig erschien (Reise nach Island von Preyer und Zirkel). In Bonn war es wesentlich der Anatom und Histologe Max Schultze und der Physiker Plücker, an den andern Hochschulen die ersten Vertreter der Physiologie Du Bois-Reymond, Brücke, Helmholtz, Ludwig und der Pathologe Virchow, die seinen Studiengang beeinflußten. Schon 1862, während seiner medicinischen Studienzeit, erlangte er in Heidelberg die philosophische Doctorwürde mit der Dissertation „Plautus impennis“. In dieser interessanten Arbeit setzt er, gestützt auf Beobachtungen von seiner isländischen Reise, auseinander, wie ein Vogel, eben der Plautus oder Alca impennis, der den nur mit kurzen Flügeln [117] ausgestatteten Pinguinen nahe steht, allmählich ausstirbt. An diesem Aussterben sind schuld 1. die unvollkommene Organisation des Vogels selbst, 2. der Mensch, der die „Caricatur dieses Vogels“, der nicht gehen und fliegen kann, wegen seiner zarten Daunen, wegen seines vortrefflichen Fleisches und seiner noch vortrefflicheren Eier erbarmungslos verfolgt hat, und 3. vulkanische Eruptionen, die gerade die zu seinem Schutz dienenden Inseln und Inselchen vielfach vollkommen vernichtet hat.

Zwei Jahre später sehen wir P. in Paris, um in dem chemischen Laboratorium von Wurtz und vor allem in dem des berühmten physiologischen Experimentators Claude Bernard Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln. 1865 habilitirte er sich in Bonn an der philosophischen Facultät als Privatdocent für Zoophysik und Zoochemie und 1866 erwarb er sich ebenda den medicinischen Doctorgrad mit seiner Dissertation: De haemoglobino observationes et experimenta. Das Vorkommen dieses wunderbaren Stoffes bei Wirbellosen, die chemische Zusammensetzung seiner Krystalle, namentlich seines Eisen- und Schwefelgehaltes, seine Verbindung mit Sauerstoff und Kohlenoxyd werden in derselben beschrieben. 1867 habilitirte er sich in Jena für Physiologie und zwei Jahre später wurde er daselbst nach dem Tode von J. N. Czermak, des Vertreters der Physiologie in Jena, ordentlicher Professor dieses Faches. Er bekleidete dieses Amt bis zum Jahre 1888 und siedelte dann infolge persönlicher Verhältnisse nach Berlin über, woselbst er sich als Docent frisch habilitirte und bis 1893 unter anderen Vorlesungen über Geschichte der Physiologie und über Hypnotismus hielt. Kränklichkeitshalber zog er dann nach Wiesbaden, wo er am 17. Juli 1897[1] einem langwierigen Nieren- und Leberleiden erlag.

Die wissenschaftlichen Leistungen Preyer’s sind vielseitig und mannichfacher Art. In erster Linie arbeitete P. über das Blut. Der Blutfarbstoff, das Hämoglobin, über den ja schon seine Dissertation handelte, bildete für ihn den Gegenstand vielfacher Untersuchungen. Sein chemisches und spektroscopisches Verhalten (Ueber einige Eigenschaften des Hämoglobins und Methhämoglobins. Pflüger’s Arch. Bd. 1), die Wirkungen des stärksten aller Gifte, der Blausäure (Die Blausäure. 2. Thle., Bonn 1868 u. 1870), auf den Organismus im allgemeinen und aufs Blut im besonderen, vor allen Dingen das vortreffliche Buch über die Blutkrystalle, 1871, das noch nicht überholt sein dürfte, bezeichnen diese seine chemisch-physiologische Arbeitsleistung. Ein großer Theil dieser Ergebnisse ist in die Wissenschaft übergegangen, ohne daß man sich immer ihres Entdeckers bewußt ist.

Auf dem Gebiete der Muskelphysiologie glaubte P. ein ganz besonderes Gesetz, das „myophysische“, entdeckt zu haben, welches ganz ähnlich dem Fechner’schen, dem sogenannten psychophysischen Gesetz, das die Beziehung zwischen Reiz- und Empfindungsgröße ausspricht, die Beziehung zwischen Reiz und Stärke der Zusammenziehung des Muskels feststellen sollte. Dieses sogenannte Gesetz hat sich als irrthümlich herausgestellt.

Aehnlich erging es P., der oft wohl etwas gar zu leicht für einen Gedanken entflammt war, mit seiner Theorie des Schlafes. Der Schlaf sollte in der Hauptsache durch Milchsäure zu Stande kommen, die sich als Thätigkeitsproduct im Gehirn selbst bildete; und milchsaure Salze sollten schlafmachend wirken. Aehnliche Erscheinungen werden ja bei der Muskelthätigkeit und Muskelermüdung beobachtet; ihre Uebertragung aber auf das Gehirn hat der Erfahrung nicht Stand gehalten.

Weiter bearbeitete P. mit großem Eifer die schwierige Frage der Farbenwahrnehmung und stellte wohl als einer der Ersten eine Reihe von Thatsachen, [118] namentlich an Farbenblinden, zusammen, welche die Joung-Helmholtz’sche Theorie mit den wesentlich roth, grün- und violettempfindenden Endelementen in der Netzhaut als nicht ausreichend erwiesen. Ebenso und vielleicht noch eingehender bearbeitete er das Gebiet der Akustik, indem er unter anderen mit riesigen Stimmgabeln und besonders eingerichteten Zungenpfeifen die Hörbarkeit tiefster Töne, sowie auf andere Weise diejenige höchster Töne, und die Unterschiedsempfindlichkeit von Tönen überhaupt feststellte. Die Ursache der Combinationstöne, diejenige der Consonanz und schließlich die Wahrnehmung der Richtung, aus welcher Töne oder Geräusche kommen, bilden weitere Gegenstände der Untersuchung.

Durch seinen Vorgänger Czermak wurde P. wohl auf ein Gebiet des Forschens geführt, dem er eine große Zeit seines Lebens widmete, wir wollen kurz sagen, auf das psychische. Das Experimentum mirabile des Jesuitenpaters Kircher, welches darin besteht, daß ein auf den Boden niedergedrücktes Huhn in dieser Stellung wie bezaubert verharrt, wenn man vor ihm von seinem Schnabel aus in der Längsrichtung seines Körpers einen Kreidestrich auf den Boden zieht, bildete den Ausgangspunkt jener Untersuchungen, welche die Cataplexie und den Hypnotismus (Jena 1878) zum Gegenstande hatten. Später, als Anfang der achtziger Jahre dieser Frage von Heidenhain und dem Verfasser im Anschluß an die bekannten Schaustellungen des Magnetiseurs Hansen wissenschaftlich nähergetreten wurde, betheiligte sich P. daran und wies namentlich auf die Verdienste des englischen Arztes Braid hin, dessen interessante, aber bisher ganz unbekannte Schriften über den Hypnotismus P. ins Deutsche übersetzte (Der Hypnotismus, Ausgewählte Schriften von J. Braid, deutsch von W. Preyer, Berlin 1882). Auch veröffentlichte er eine Reihe von Arbeiten und populären Vorträgen über besagtes Thema.

Ziemlich bekannt ist dann auch eine Arbeit von P. aus nahezu derselben Zeit, nämlich „Die Seele des Kindes“ (1882, 4. Auflage 1895). In diesem Buch, welches Deutschlands Kinderfreunden und -Freundinnen gewidmet ist, verfolgt P. im wesentlichen die seelische Entwicklung eines Kindes (Knaben) von sich von der Geburt bis zum dritten Jahr und kommt zu der Auffassung, daß „die Seele des eben geborenen Kindes nicht der unbeschriebenen Tafel gleicht, auf welche die Sinne erst ihre Eindrücke aufschreiben, so daß aus diesen die Gesammtheit des geistigen Inhaltes unseres Lebens durch mannichfaltige Wechselwirkungen entstände, sondern die Tafel ist schon vor der Geburt beschrieben mit vielen unleserlichen, auch unkenntlichen und unsichtbaren Zeichen, den Spuren der Inschriften unzähliger sinnlicher Eindrücke längst vergangener Generationen“.

Sachlich mit dieser Arbeit verknüpft ist eine zweite, welche die Lebenserscheinungen des Menschen bzw. des Thieres vor der Geburt behandelt, die „Specielle Physiologie des Embryo“ (Leipzig 1885), sowie ähnliche, schon früher angestellte Untersuchungen über den Chemismus des sich entwickelnden Hühnereies.

Das lebhafte Temperament von P. drängte ihn auch nach der Untersuchung anderer, namentlich geheimnißvoller, psychischer Phänomene, so dem Vorgange des Gedankenlesens, dem psychischen Inhalt der Schrift (Graphologie), sowie nach den letzten Ursachen der Dinge überhaupt. In seinen „Naturwissenschaftlichen Thatsachen und Problemen“ (Berlin 1880), behandelt er in populären Vorträgen eine Reihe dieser Fragen, wie die allgemeinen Lebensbedingungen, die Hypothese über den Ursprung des Lebens, die Concurrenz in der Natur u. dergl. in anregender lehrreicher Weise, wie denn P. überhaupt seine Wissenschaft und ihre für recht erkannten Ergebnisse, [119] wie die Darwin’sche Entwicklungslehre, die Unterrichtsfrage (Naturforschung und Schule, Stuttgart 1887) u. a. mit Feuereifer zu verbreiten sich bemühte. Auch der Entstehung der chemischen Elemente spürte er nach und schuf eine dahingehende Hypothese. Er gab ferner den Briefwechsel zwischen Julius Robert Mayer, dem Entdecker des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft, und Griesinger, sowie denjenigen zwischen Fechner und ihm, sowie zwischen Fechner und Vierrodt heraus. Schließlich sind noch eine Reihe von beachtenswerthen Untersuchungen von ihm und seinen Schülern niedergelegt in seinen „Physiologischen Abhandlungen“ (Jena 1876–77).

P., den ich nur einmal flüchtig in seinem Institut in Jena gesehen habe, war ein schöner, offenbar auch körperlich kräftig entwickelter Mann, der in lebhafter Begeisterung seiner Wissenschaft gedient und, allzu temperamentvoll veranlagt, manchmal über das Ziel geschossen, aber doch neue Wissensgebiete eröffnet, sowie in strengster wissenschaftlicher Arbeit so manchen werthvollen Baustein dem Gebäude der Naturwissenschaft und Medicin eingefügt hat.

Ueber P. ist geschrieben in der Leopoldina, Bd. 33, 1897, S. 116, in dem Biograph. Lexikon hervorragender Aerzte von Pagel 1901, S. 1323, woselbst sich auch ein gutes Bild von P. befindet, und von Siegm. Fuchs in der Wiener Klin. Wochenschrift, 1897, S. 703, ferner in der Vossischen Zeitung vom 16. Juli 1897. Seine zahlreichen Werke und Schriften finden sich zusammengestellt im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 1897, Nr. 174.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Preyer, William Thierry LIII 117 Z. 24 v. o. l.: 15. (statt 17.) Juli 1897. [Bd. 56, S. 398]