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ADB:Rogge, Friedrich Wilhelm

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Artikel „Rogge, Friedrich Wilhelm“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 424–426, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rogge,_Friedrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 14:35 Uhr UTC)
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Rogge: Friedrich Wilhelm R. wurde am 12. November 1808 – nach seiner eigenen Angabe – zu Rankendorf in Mecklenburg-Schwerin geboren. Seine Mutter, Sophie Niestädt, brachte den unehelichen Knaben im zarten Alter von sechs Wochen nach Lüneburg, wo er bei armen Leuten untergebracht wurde und allen Uebeln schlechter Wartung und Pflege preisgegeben war. Etwas besser gestaltete sich sein Loos, als der einjährige Knabe von einem Schiffszimmermann in Pflege genommen ward, der seine neun Kinder durch den Tod verloren hatte. Dann aber kam der Rückschlag; die Mutter verheirathete sich mit dem Clubdiener Prigge, einem Trunkenbolde, und nun hatte der arme Knabe die ganze Brutalität eines täglich berauschten Stiefvaters zu empfinden. Im Alter von kaum sieben Jahren entzog sich der Knabe den Mißhandlungen durch die Flucht; als Hütejunge lebte er in der Umgegend von Lüneburg bis zum elften Jahre von der Mildthätigkeit der Dorfbewohner, bis eine gutherzige Schwester seiner Mutter ihn zu einem Seiler in Lüneburg in die Lehre brachte. Jetzt erst, mit 12 Jahren, empfing der Knabe Schulunterricht, machte aber schnelle Fortschritte; er las viel, besonders in der Bibel, und brachte es bei seinem ausgezeichneten Gedächtniß dahin, daß er fast das ganze Neue Testament auswendig wußte. Seine rege Phantasie und religiöse Begeisterung ließen ihn den Plan fassen, Prediger zu werden, und so wandte er sich an den Superintendenten Christiani in Lüneburg, einen Mann von feiner Weltbildung und seltener Humanität, mit der Bitte, ihm zur Erreichung seines Zieles hülfreiche Hand zu bieten. Christiani erkannte bald die seltenen Anlagen des Knaben, erwirkte diesem den unentgeltlichen Besuch des Johanneums in Lüneburg, überwachte fortan seine Studien und suchte auch andere für seinen Schützling zu interessiren, der 1825 in die Quarta jener Lehranstalt aufgenommen war und sich schon im Herbst 1829 das Zeugniß der Reife erwarb. Als Schüler gab R. bereits die ersten Proben seines dichterischen Talents; „die Begeisterung für Homer und dessen Welt und die Schwärmerei für das classische Alterthum wurden in ihm während des Schulcursus geweckt und genährt. Die antiken Formen reizten ihn ungemein, und die Schwierigkeit, sie mit Leichtigkeit zu handhaben, spornten ihn zu immer neuen Versuchen an.“ In Göttingen, wohin sich R. im Herbst 1829 begab, studirte er anfänglich Theologie, wandte sich aber nach einigen Jahren, als sein Glaube an die kirchliche Lehre in Trümmer gegangen war, der Geschichte und den neueren Sprachen zu. Gleichzeitig wurde das lyrische und dramatische Feld weiter angebaut; 1830 gab er die erste Sammlung seiner „Gedichte“ (4. Aufl. 1847) und 1833 seine erste Tragödie „Kaiser Friedrich Barbarossa“ heraus; auch gründete er mit einigen gleichstrebenden Jünglingen einen zweiten Göttinger Dichterverein und gab mit ihnen zwei Jahrgänge eines „Neuen Göttinger Musenalmanachs“ (1832–38) heraus. Zu Ostern 1833 verließ R. die Universität, ohne ein Examen gemacht zu haben, aber voll großer Hoffnung, als Dichter sich seinen Weg zu bahnen. Die Noth aber, die er auch als Student kennen gelernt hatte, zwang ihn, zunächst eine Hauslehrerstelle auf dem Gute Timpkenberg bei Boizenburg im Mecklenburgischen anzunehmen und nach einem Jahre sich in Schwerin als Privatlehrer niederzulassen. Seine Erfolge waren hier so günstige, daß ihn der Erbgroßherzog Paul Friedrich zum Lehrer des Englischen und Französischen für seine beiden Kinder bestimmte. Nachdem sich R. zu seiner Vorbereitung auf dieses Amt 1836 in Paris und London aufgehalten, in jener Stadt die Bekanntschaft Heine’s und Börne’s gemacht und in dieser Anregung zu seinen späteren Gesängen „Aus Westminster-Abtei“ (1860; 5. verm. Aufl. 1880) erhalten hatte, trat er am Hofe in Schwerin in Function. Als der Erbgroßherzog zur [425] Regierung gelangte (1837), ernannte er R. zum Regierungsbibliothekar, und nach dem frühen Tode des Regenten (1842) überwies ihm dessen Nachfolger, der Großherzog Friedrich Franz II. die Aufgabe, ihm über alles Vortrag zu halten, was in Litteratur und Wissenschaft Hervorragendes erscheine. In dieser Stellung blieb R. bis 1859, wo er unter Bewilligung einer Pension freiwillig aus dem Amte schied. Während dieser Zeit erschienen unter dem Titel „Krone und Liebe“ (1838) zwei dramatische Dichtungen „König Manfred“ (2. Aufl. 1849) und „Bianca Vanezzi“ (2. Aufl. 1849), die Tragödie „Kaiser Heinrich IV.“ (1839), die Dichtungen „Musudoron“ (1855) und das „Buch der Huldigungen“ (Gedichte, 1845). Letztere versandte R. an die von ihm besungenen Großen der Erde, die ihn dafür theils mit bloßen Dankesworten, theils mit Geldgaben belohnten, und dieser „Gang der Kunst nach Brot“ kann seine Entschuldigung nur in dem Umstande finden, daß die Bedürfnisse des Lebens sich bei der großen Kinderzahl Rogge’s stetig steigerten. Von Schwerin ging R. nach Bremen, wo er eine Stellung als Lehrer an der Höheren Bürgerschule fand, die er aber schon 1861, da er sich mit dem Director Gräfe nicht stellen konnte, aufgab; nicht besser ging es ihm in Hannover, wo er dann bis 1863 an der Höheren Töchterschule thätig war. Hier erlebte R. 1866 den Zusammenbruch des Königreichs Hannover, und damit beginnt die Periode redactioneller Thätigkeit des Dichters, die allerdings ein merkwürdiges Bild von seinem Anpassungsvermögen und seiner politischen Charakterentwicklung bietet. Zuerst ließ er sich bestimmen, in das neu begründete, gegen die preußische Annexion gerichtete Welfenblatt „Die deutsche Volkszeitung“ als feuilletonistischer Mitredacteur einzutreten und in gleicher Weise an der „Zeitung für Norddeutschland“ mitzuarbeiten; 1870 machte er seinen Frieden mit seinen Gegnern und nahm Ende 1871 eine ihm auf Rudolf v. Bennigsen’s Empfehlung von der preußischen Regierung angebotene Stellung als Redacteur eines gouvernementalen preußischen Blattes, des Journals „L’Alsacien“ in Colmar i. E. an, das in deutscher und französischer Sprache erschien; doch wurde ihm diese Stelle, wohl mit Rücksicht auf seine Arbeit für die Welfen, bald wieder gekündigt. Er ging nach Hamburg, wo ihm Aussicht eröffnet worden war, bei der freisinnigen „Reform“ einzutreten, und als sich diese Aussicht nicht verwirklichte, 1873 nach Augsburg, wo er die Hauptleitung der christlich-conservativen „Deutschen Reichspost“ übernahm. Es war vorauszusehen, daß seines Bleibens hier nicht lange sein konnte, und so wandte sich R. nach Frankfurt a. M., wo er den letzten Versuch machte, sich als Redacteur der „Handels- und Börsenzeitung“ des Dr. Heßdörfer eine Existenz zu sichern, der indessen auch nach kurzer Zeit scheiterte. Es ist wohl zweifellos, daß „die Noth des Dichters auf seine Charakterentwicklung übel eingewirkt hat, und es bleibt bedauerlich, daß sein offenbares Talent nicht in der erwünschten Weise die Bildung des Charakters mit erlebte“. R. behielt in der Folge seinen Wohnsitz in Frankfurt a. M. bei, gründete dort ein Pensionat für Ausländer, das er aber nach etwa vier Jahren wieder aufgab, weil es sich nicht rentirte, und war dann als Schriftsteller thätig, bis ihn am 24. März 1889 der Tod von hinnen rief. An poetischen Gaben hat er uns noch geboten: „Liebeszauber. Elegien“ (Dichtungen, zum Preise seiner Gattin, 1878) und „Mnemosyne. Blätter der Erinnerung“ (1885); ferner schrieb er eine litterarische Skizze über „Adolf Friedrich Graf von Schack“ (1883) und eine Selbstbiographie unter dem Titel: „Ein seltenes Leben von Paul Welf“ (Pseudonym), 1876. Eine Ausgabe seiner „Sämmtlichen Werke“ in 4 Bänden erschien 1857, eine noch von R. vorbereitete neue Ausgabe in 6 Bänden ist bisher nicht veröffentlicht.

[426] R. ist ganz sicher ein bedeutender Lyriker, „der in antiken und modernen Strophen seine Gedanken und Gefühle ausdrücken konnte, der in Sonetten und Elegien besonders gern seine reichen Kenntnisse und mannichfachen Stimmungen kundgab“. Er ist bestrebt, jeden Hiatus zu vermeiden; seine Reime sind orthographisch rein; deshalb hat ihn Gervinus mit Recht einen Meister der Form genannt und Johannes Scherr hat ihn Platen an die Seite gestellt. „Höher als seine lyrischen Gedichte stehen an Kraft und Eigenartigkeit der Auffassung seine Balladen und einige seiner Reflexionsgedichte, welche an die Schiller’sche Gedankenlyrik erinnern und ohne Frage an Werth Schiller’s Dichtungen nahe kommen.“ Als Dramatiker geht R. auf den Wegen Shakespeare’s, weil dessen Form der dramatischen Kunst den weitesten Spielraum läßt. Zu seinen besten dramatischen Dichtungen zählt die Kritik „Bianca Vanezzi“; sie ist unter dem Gesichtspunkte der tragischen Grundbedingungen künstlerisch vollendet zu nennen.

Persönliche Mittheilungen. – Ignaz Hub, Deutschlands Balladen- und Romanzendichter III, 113. – Karl Leimbach, Die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart IX, 138. – Paul Welf, Ein seltenes Leben. Zürich 1877 (Rogge’s Selbstbiographie, bis 1873 reichend).