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ADB:Rudolf von Ems

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Artikel „Rudolf von Ems“ von Karl Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 94–96, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rudolf_von_Ems&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 14:25 Uhr UTC)
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Band 6 (1877), S. 94–96 (Quelle).
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Ems: Rudolf von E. (Hohenems), epischer Dichter des 13. Jahrhunderts, aus dem rhätischen Rheinthal stammend. Seinen vollen Namen erfahren wir nur durch den ersten Fortsetzer seiner Weltchronik und durch seinen Nachahmer Johann von Würzburg in dessen Wilhelm von Oesterreich; er selbst nennt sich nur Ruodolf, einmal mit dem Zusatz: ein dienstman ze Montfort. Ueber Rudolfs Leben ist fast nichts bekannt, nur daß er, wie sein Fortsetzer versichert, in „wälschen Reichen“ starb, wohin er wahrscheinlich Konrad IV. gefolgt war, also zwischen 1250 und 1254. Ob er lyrische Gedichte verfaßt hat, wissen wir nicht, denn die Annahme v. d. Hagen’s (Minnesinger 4, 542 ff.), daß Rudolf identisch sei mit dem Liederdichter Rudolf dem Schreiber der Pariser Handschrift, ist nicht haltbar. Eben so wenig sind wir unterrichtet über die Werke seiner Jugendzeit, für die er in späteren Jahren selbst nur Worte des Bedauerns hat und von denen er als von trügelîchen maeren redete zu der Zeit, wo er mit Vorliebe legendarischen Stoffen sich zuwandte. Dieser Richtung nahe verwandt ist denn auch die älteste unter den uns erhaltenen Dichtungen Rudolfs, „Der gute Gerhard“, zugleich sein gelungenstes Werk, etwa um 1225 entstanden. Die Kenntniß der Sage, deren Märchenstoff in einer älteren rabbinischen Sammlung nachgewiesen ist und in die auch mythische Elemente verwoben sind, verdankt Rudolf wol einem lateinischen Buche. In diesem Gedicht von hochbedeutsamem Gedankeninhalt wird der Werkheiligkeit, die durch Kaiser Otto I., der sich Gott gegenüber mit der Gründung des Erzstiftes Magdeburg brüstet, vertreten ist, wirksam die schlichte Herzensgüte entgegengestellt, welche [95] sich in den menschenfreundlichen und gottgefälligen Handlungen Gerhards, eines Kaufmanns aus Köln, ausspricht. Das zweite Werk Rudolfs, „Barlaam und Josaphat“, welches er gegen 1230 vollendet haben wird, behandelt einen im Mittelalter sehr beliebten, auf buddhistischer Grundlage beruhenden Legendenstoff, dessen griechische, fälschlich dem Johannes Damascenus zugeschriebene Bearbeitung ins Lateinische übersetzt wurde und in dieser Form Rudolfs Vorlage bildete. Es ist die Geschichte des heidnischen Königssohnes Josaphat, der allen Verboten und Drohungen seines Vaters zum Trotz durch den greisen Einsiedler Barlaam zum Christenthum bekehrt wird, schließlich seinen Vater selbst für den neuen Glauben gewinnt und dann in beschaulicher Einsamkeit sein Leben beschließt. Nach Beendigung dieses Werkes aber sehen wir unsern Dichter plötzlich wieder zurückgreifen auf die kurz vorher so hart getadelten weltlichen romantischen Stoffe. Indem er bald nach 1231 in seinem „Wilhelm von Orlens“, von dem bisher nur einige Stellen gedruckt sind, nach wälscher Quelle die Geschichte eines Fürsten von Brabant bearbeitete, der in Tournier und Krieg die Königstochter und den Königsthron von England gewinnt, mag er mehr dem Wunsche des Schenken Konrad von Winterstetten, dem das Buch gewidmet ist, als eigener Neigung gehorcht haben; bezeichnet doch dieses Werk ein merkliches Heruntersinken von der Höhe der beiden vorigen. Auch kehrte Rudolf schon in seiner nächsten Dichtung, dem – noch nicht wieder aufgefundenen – „St. Eustachius“, zur Legende zurück, aber nur um sich alsbald in den Strom der pseudogeschichtlichen Romane zu stürzen. In der Zeit zwischen 1240 und 1245 schrieb er den „Alexander“, wobei er Leo’s Liber de preliis und Curtius Rufus folgte, gelegentlich auch Josephus, Methodius u. A. heranziehend; wiederholt betont er geflissentlich die Geschichtlichkeit der von ihm erzählten Begebenheiten, aber doch ließ er sich herbei, die schmutzige Fabel vom Nectanebus, dem wirklichen Vater Alexanders, mit großer Ausführlichkeit zu behandeln, während schon sein frühester Vorgänger dieselbe gebührend abgefertigt hatte, der Pfaffe Lamprecht, auf den allerdings Rudolf vornehm herabsieht und von dem er meint, daß derselbe nâch den alten siten, stumpfliche, niht wol besniten von Alexander gedichtet habe. Und doch reicht Rudolfs Werk nicht entfernt an dasjenige Lamprechts, ist vielmehr geradezu seine schwächste Leistung. Dies und der Umstand, daß uns der „Alexander“, abgesehen von einem kleinen Bruchstück, nur in einer späten Münchener Handschrift aufbewahrt ist, die noch dazu im 6. Buche abbricht, wird es verschuldet haben, daß man bisher nur kleinere Theile des Gedichtes durch den Druck zugänglich gemacht hat, darunter namentlich die litterarisch wichtige Stelle, in der Rudolf, wie er es schon im „Wilhelm“ gethan hatte, eine Anzahl früherer deutscher Dichter namhaft macht, im „Alexander“ aber mit der Klage, daß zwar der Dichter jetzt mehr sei als je zuvor, aber die wahre Kunst, wie sie die alten Meister geübt, sei dahin. – Daß Rudolf auf den „Alexander“ ein „Buch von Troja“, also wol zwischen 1245 und 1250 entstanden, folgen ließ, wissen wir nur aus des Dichters eigener Angabe in seinem nächsten, zugleich letzten Werk, der „Weltchronik“, welche er Konrad IV. widmete und bei der ihn der Tod hinwegnahm, als er erst bis zur Geschichte Salomo’s gekommen war. Mit diesem, bisher gleichfalls nur in Bruchstücken gedruckten Werke, dem außer der Bibel namentlich die Historia scholastica des Petrus Comestor, für einzelne Stellen auch das Pantheon des Gottfried von Viterbo und gelegentlich wol der Polyhistor des Solinus als Grundlage diente, hat Rudolf in der Folgezeit eine außerordentliche Wirkung geübt. Wie sehr er den Geist des Zeitalters getroffen hat, beweist das Schicksal des Buches, welches zuerst den Laien die alttestamentliche Geschichte im Zusammenhang mittheilte: es wurde von verschiedenen Händen fortgesetzt, dann aber auch schon im 13. Jahrhundert mit einer anderen ähnlichen [96] Arbeit verbunden und verschmolzen und fand in dieser neuen Gestalt außerordentliche Verbreitung. Rudolfs echte Arbeit wurde im 14. Jahrhundert in Prosa aufgelöst und bildete dann die Grundlage der vielgebrauchten Historienbibeln. Vilmar (Die zwei Recensionen und die Handschriftenfamilien der Weltchronik Rudolfs von Ems S. 8) sagt wol nicht zu viel, wenn er meint: „es muß behauptet werden, daß die gesammte Kunde des alten Testaments, welche während des 14. und 15. Jahrhunderts im Besitze der weltlichen Stände war, einzig und allein aus Rudolfs Buche geflossen ist.“ – Rudolf war einer der gelehrtesten Dichter seiner Zeit. Diesem Urtheil geschieht dadurch kein Eintrag, wenn er auch wirklich an zwei Stellen, die Gervinus (Geschichte der deutschen Dichtung II5. S. 73 Note) nachweist, den Curtius falsch verstanden hat. Er verstand Französisch und Latein; der „Alexander“ und die „Weltchronik“ beweisen, daß er eine Reihe von Vorlagen benutzte, deren Kenntniß damals nicht eben jedermanns Sache war. Schon daß Rudolf sich nicht auf eine einzige Quelle beschränkte, hebt ihn hoch über die Mehrzahl seiner dichtenden Zeitgenossen; noch mehr der Umstand, daß er diesen seinen Quellen nicht sklavisch folgte, sondern alle mit Freiheit behandelte. Gelegentliche Zweifel an der Wahrheit der Sagen und Ueberlieferungen, mit denen er zu thun hatte, sogar ab und an auftauchende religiöse Bedenken zeigen, daß er selbständig zu denken gewohnt war. – Seine dichterische Kunst hat Rudolf an Gottfried von Straßburg gelernt und ausgebildet, den er im „Alexander“ über alle andern Meister preist, und er ist demselben kein unwürdiger Schüler gewesen: edle Sprache, gefälligen Satzbau und ungemeine Gewandtheit des Vortrags wird man in keinem Werke Rudolfs vermissen und sich durch diese Eigenschaften entschädigt finden, wenn zuweilen, wie in der Weltchronik, der Stoff dem höheren dichterischen Schwunge Fesseln anlegt. Rudolfs Reime sind tadellos, wie es bei einem Schüler Gottfrieds erwartet werden darf; aber auch den Hang zu metrischen Künsteleien hat er von seinem Meister überkommen: er liebt es, seinen Namen in Akrostichen an den Anfang („Wilhelm“, „Weltchronik“) oder Schluß („Barlaam“) seiner Gedichte zu setzen, im „Wilhelm“ läßt er seinem eigenen auch den Namen seines Gönners Johannes (von Ravensburg) im Akrostichon folgen, zu Eingang des „Alexander“ bilden sogar die Anfangsbuchstaben von sieben vierzeiligen Strophen mit grammatischen Reimen den Namen Ruodolf; die Schlüsse einzelner Gedichte oder Gedichtsabschnitte gehen in mehr als zwei gleichen Reimen aus („Guter Gerhard“, „Barlaam“, „Wilhelm“) u. dergl. – Beiläufig möge noch erwähnt werden, daß Holtzmann (Untersuchungen über das Nibelungenlied, S. 180 ff.) geneigt war, unserem Dichter auch die „Klage“ zuzuschreiben, und daß Karl Roth (Altdeutsche Predigten, S. 6) ihn sogar zum Dichter des Nibelungenliedes machen wollte.

Ueber die Chronologie der Gedichte Rudolfs s. Bartsch in dessen Germanistischen Studien I. (Wien 1872) S. 3 ff. – Ausgaben: Der gute Gerhard, herausgegeben von Haupt (Leipzig 1840); Barlaam und Josaphat, herausgeg. von Köpke (Königsberg 1818) und von Pfeiffer (Leipzig 1843); eine Ausgabe des Wilhelm aus Pfeiffer’s Nachlaß wird erwartet. – Die bibliographischen Nachweise bietet am vollständigsten Koberstein’s Grundriß (5. Aufl. von Bartsch), Bd. I. (Leipzig 1872).