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ADB:Schleiden, Rudolf

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Artikel „Schleiden, Rudolf“ von Johannes Rösing. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 33–41, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schleiden,_Rudolf&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 06:01 Uhr UTC)
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Schleiden: Rudolf Matthias Sch., Politiker und Diplomat, Dr. juris, geboren auf Ascheberg bei Plön, Holstein, am 22. Juli 1815, † zu Freiburg i. Br. am 25. Februar 1895, stammt aus einem alten schleswigschen Geschlecht. Sein Vater Christian Schleiden, dritter Sohn des, nach Verkauf seiner schleswigschen Güter, zur besseren Erziehung seiner Kinder, nach Kiel verzogenen Matthias Jacob Schleiden, widmete sich dem Kaufmannsberufe, wozu er in Hamburg ausgebildet wurde. Durch seine Heirath mit der schönen, geistvollen Elise v. Nuys, Tochter des bei Aurich ansässigen Herrn v. Nuys, kam er nach deren Geburtsort Bremen, wo er im J. 1806 heirathete und gleichzeitig sich etablirte. Seine Gattin, in jeder Hinsicht eine ausgezeichnete Frau, hat ihn lange überlebt und ein hohes Alter erreicht. Das Geschäft litt von Anfang an sehr durch die damals gerade einsetzende Continentalsperre und war meist auf den Schleichhandel angewiesen. Auch nöthigte es den Inhaber zu vielfacher Abwesenheit und Reisen im Auslande und ließ ihn mit [34] seiner Familie nicht zur Ruhe kommen. Er sann deshalb auf die Rückkehr in sein Heimathland und benutzte einen besonders glücklichen Abschluß im J. 1810, der ihm einen außerordentlichen Gewinn brachte, zum Ankauf desweit unterm Schätzungswerthe angebotenen großen und schönen, adligen vormals Rantzau’schen Gutes, Ascheberg am Plöner See, welches er 1811 übernahm. Hier wurde Rudolf, dem schon vier Geschwister vorangegangen waren, am 22. Juli 1815 geboren; in der Taufe erhielt er die Namen seiner beiden Großväter. Dort genoß er nun mit seinen Geschwistern eine glückselige Kindheit, wie er selbst, in seinen 1886 erschienenen Jugenderinnerungen auf das Anmuthigste geschildert hat. Leider hatte die Familie nicht lange die Freude an diesem herrlichen Besitzthum. Das Capital des Vaters war bald nach dem Abzuge von Bremen noch durch empfindliche Verluste aus seinen Geschäftsverbindlichkeiten stark geschmälert worden und reichte zur Bewirthschaftung eines so weitläufigen Landwesens nicht hin, zumal die Zeit für die Landwirthschaft sehr ungünstig war. Das ganze Land war finanziell zerrüttet, besonders durch das uneinlösbare Papiergeld; dazu waren die Herzogthümer, namentlich die ritterschaftlichen Güter, durch Steuern und andere Lasten prägravirt, sodaß schließlich das Gut nicht zu halten war, und im J. 1825 mit großem Verluste verkauft werden mußte; es kam in den Besitz des Grafen v. Ahlefeldt, Landrath und Klosterpropstes von Uetersen.

Christian Schleiden wandte sich nun wieder kaufmännischen Geschäften zu und nahm eine Stellung bei dem deutsch-amerikanischen Bergwerksverein in Elberfeld an, der seine Hauptinteressen in Mexiko hatte, wohin er denn auch gleich gehen mußte. Während der mehrjährigen Abwesenheit siedelte die Familie wieder nach dem heimathlichen Bremen über, wo Rudolf von 1825–1828 die Vorschule besuchte. Nach der Rückkehr des Vaters vereinigte sich die Familie wieder in Elberfeld, wo er eine Dienstwohnung hatte. Dort vollendete Rudolf seine Schulbildung auf dem Gymnasium und erlangte das Zeugniß der Reife im Sommer 1834. Inzwischen hatte der Vater zum zweiten Male hinaus müssen und war drüben am Sitze des Bergwerks im November 1832, im Beisein seines ältesten Sohnes Emil, der für das Bergfach erzogen, ihm auch in seine Stellung dort folgte, am Typhus gestorben. Die Familie blieb bis nach beendigter Schulzeit Rudolf’s in Elberfeld. Mit Unterstützung des Bruders, (denn der Vater hatte kein Vermögen hinterlassen), begann er seine Universitätsstudien, der Rechts- und Cameralwissenschaften in Kiel, dann in Berlin, wo er sich besonders an Savigny anschloß, und Jena. Er war ein flotter Student und focht, namentlich an letzterem Orte, manchen Strauß auf Hieb und Stich glücklich durch, ohne einer farbentragenden Verbindung anzugehören. Dabei versäumte er nicht aller Orten in persönlichen Verkehr mit bedeutenden Männern zu treten. Zum Schluß ging er nach Göttingen, wo der alte Freund seines Hauses, Professor Dahlmann, damals noch in voller akademischer Wirksamkeit stand, welche im Winter 1837 ein jähes Ende fand, infolge seiner und seiner verfassungstreuen Collegen Absetzung durch den König Ernst August, nach der Aufhebung des Staatsgrundgesetzes von 1833. Dieses Ereignis erlebte Sch. in der von der ganzen Studentenschaft getheilten Aufregung. Dann wandte er sich wieder nach Kiel zur Vorbereitung auf das schwierige, bei dem Oberlandesgericht abzulegende Staatsexamen. Noch ehe er dazu kam, wurde er in ein Pistolenduell verwickelt und verfiel, da die Sache ruchbar geworden, den strengen dänischen Duellgesetzen, wonach er, noch milde, zu zwei Jahren Festungshaft verurtheilt wurde, zu verbüßen in der Festung Nyborg auf Fühnen, wohin er im Herbst 1839 abgeführt wurde. Zu seinem Glück trat im folgenden Jahre in Dänemark [35] ein Thronwechsel ein, was er zu einem Begnadigungsgesuche benutzte. Dieses hatte Erfolg und der neue König Christian VIII. erschien nach seiner Krönung in der Festung (auf einer Inspectionsreise), um ihm persönlich seine Freilassung anzukündigen. Nunmehr beeilte er sich sein Examen zu machen, welches er auch im Herbst desselben Jahres 1840 so gut bestand, daß er sofort zum Amtssecretür in Reinbeck bei Bergedorf, einem sehr gesuchten Posten, ernannt wurde. Aber nicht nur die Nähe von Hamburg, das seit Mai 1842 mit Bergedorf durch die Eisenbahn verbunden war, machte ihm den Aufenthalt in Reinbeck angenehm, er fand dort auch unter der Führung des trefflichen Conferenzraths Scholtz vielfache Anregung im Amte, das ungefähr dem jetzigen Kreise Stormarn entsprach, wobei, wie damals überall noch Justiz mit Verwaltung vereinigt war. Dennoch verlangte es ihn aus den beschränkten Verhältnissen hinaus nach einem weiteren Schauplatz. Er bewarb sich deshalb um eine Hülfsarbeiterstelle (Auscultant) bei der Centralinstanz für Zoll- und Handelsangelegenheiten des Landes, der Generalzollkammer und Commerzcollegium in Kopenhagen, die er auch, obgleich eine etatsmäßige Stelle nicht vorgesehen war, durch persönlichen Entschluß des Königs, welcher die Nyborger Episode nicht vergessen hatte, erhielt. Er trat in die zweite (deutsche) Abtheilung, welche seit Jahren der Etatsrath Francke, ein Schleswiger, als „Deputirter“ leitete. Francke war ein administratives Genie, der seine Untergebenen stark in Anspruch nahm, und sie zu prompter und exakter Arbeit anhielt. Als Sch. im Sommer 1843 in das Collegium eintrat, war Francke noch längere Zeit zu den Verhandlungen der Elbschifffahrts-Commission in Dresden abwesend, und durch den „Committirten“ R. v. Warnstedt, einen Freund Schleiden’s, vertreten. An der Spitze des ganzen Collegiums, welches in drei Sektionen zerfiel, stand als „Kammerdirector“ der bedeutende dänische Staatsmann Christian Albrecht Bluhme, der nachmalige Minister. Schleiden’s besondere Fähigkeiten wurden bald verwendet, namentlich in Missionen zur Inspection der Zollanstalten in den Herzogthümern, sowie über die Grenzen hinaus, zum Studium der im Entstehen begriffenen Eisenbahnen und deren Einfluß auf Handel und Verkehr, insbesondere auf die Zollbehandlung. Mit diesem Auftrage machte er eine längere Reise nach Braunschweig, Elberfeld und dem Rhein, Belgien, Holland und Frankreich, zurück über Elsaß und Süddeutschland. Nach der Rückkehr im Spätherbst 1845 hatte er über seine Beobachtungen dem Könige Vortrag zu halten. Gleich darauf wurde Sch. zum „Committirten“ befördert. In dieser Stellung konnte er bei der häufigen Abwesenheit seines Chefs die Abtheilung selbständig leiten. Seine Thätigkeit wurde schon im März 1846 durch Verleihung des Titels eines „Geheimen Justizraths“ anerkannt. Indessen gestaltete sich seine Stellung auf die Dauer nicht angenehmer, da infolge des „offnen Briefs“ des Königs vom 8. Juli 1846, wodurch die schleswig-holsteinschen Stände ihre Rechte angetastet sahen, die Nationalitätenfrage sich immer mehr zuspitzte. Auch das Verhältniß zu seinem hochverehrten Chef Francke, der seit 20 Jahren in Kopenhagen ansässig, durch seine Familienverbindungen (er hatte eine Dänin zur Frau) und die maßgebende Stellung, welche er einnahm, sich mehr der gesammtstaatlichen Politik zuneigte, während Sch. streng zu den Herzogthümern hielt, erfuhr mit bei Zeit eine Trübung, die der schroffe Mann ihn mehr empfinden ließ, als der dänische Kammerdirector, der ihm bei aller grundsätzlichen Differenz, stets in weltmännischen Formen begegnete. Er trat seinem nächsten Chef auch sonst gelegentlich entgegen, so bei dessen Lieblingsproject eines Zollbundes von Dänemark mit den Herzogthümern, die ein Zollsystem für sich hatten, dem deutschen Steuerverein und beiden Mecklenburg, was wohl zur Stärkung des [36] Gesammtstaates ersonnen und deshalb von der Regierung günstig angesehen wurde. Dieses Project brachte der Widerspruch des Committirten zu Fall.

Immer unhaltbarer wurde die Lage der deutschen Beamten in der dänischen Hauptstadt, besonders als nach dem am 20. Januar 1848 erfolgten Tode des Königs, sein Nachfolger Friedrich VII. die Incorporation Schleswigs verfügte, was die Erhebung der Herzogthümer und die Kopenhagener Revolution im März 1848 zur Folge hatte, die sich unter der demagogischen Führung von Orla Lehmann und seiner eiderdänischen Genossen hauptsächlich gegen die Schleswig-Holsteiner richtete. Sobald Sch. von dem Staatsstreich Kunde erhielt, zögerte er keinen Augenblick sein Amt niederzulegen und sich, ohne entlassen zu sein, eiligst auf dem zur Abfahrt bereitliegenden Postdampfschiffe nach Kiel einzuschiffen, mit ihm die meisten deutschen Beamten, einschließlich des Etatsraths Francke, der schon unter dem Eindruck der letzten Ereignisse wieder ganz auf die deutsche Seite und in seiner mannhaften Art den Dänen entgegengetreten war. Nach ungewöhnlich langer Seefahrt landeten die der Wuth des Pöbels Entronnenen am 26. März glücklich in Kiel, jubelnd begrüßt von der ganzen Bevölkerung.

Für die Herzogthümer hatte sich bereits eine provisorische Regierung gebildet mit dem Sitze in Rendsburg. Dorthin begaben sich noch am Tage ihrer Ankunft Sch. und Francke und stellten sich derselben zur Verfügung. Während Letzterer Bevollmächtigter beim Bundestage wurde, war Sch. schon am Tage nach seiner Ankunft in diplomatischer Mission nach Hannover entsendet, um militärischen Beistand zu erwirken, wozu sich indessen die dortige Regierung nicht sogleich entschließen konnte. Ohne längeres Verweilen ging er weiter nach Frankfurt, wo das Vorparlament am 31. März zusammentrat, dem er sich als Repräsentant Schleswig-Holsteins anschloß. Er erzielte gleich in der zweiten Sitzung mit seinem Antrage, den Bundestag aufzufordern, das Herzogthum Schleswig in den deutschen Bund aufzunehmen, einen großen Erfolg. Nachdem er so sich bemerkbar gemacht hatte, wurde er auch als die Versammlung nach vier Tagen auseinanderging, in den von derselben zurückgelassenen Fünfziger-Ausschuß gewählt, wo er seinen Antrag wiederholt zur Annahme brachte, dem der Bundestag auch am 12. April willfahrte, worauf der dänische Bundestags-Gesandte v. Pechlin seine Entlassung gab. Um die Mitte Mai wurde er heimberufen, um in Berlin weiter verwendet zu werden.

Zunächst hatte er die Anerkennung der provisorischen Regierung zu erwirken, was, da er von Frankfurt kam, keine Schwierigkeiten hatte; sodann vertrat er seine Regierung besonders in völkerrechtlichen, aus dem Kriegszustande sich ergebenden Fällen, bis der Malmöer Waffenstillstand diesem Zustande mitsammt der provisorischen Regierung ein Ende bereitete. Letztere sollte durch eine von den contrahirenden Mächten zu organisirende „gemeinsame Regierung“ ersetzt werden. Nachdem dieser Regierung das deutsche Gepräge durch den Vorsitz des Grafen Th. von Reventlow-Jersbeck gesichert war, konnte auch Sch. im Dienste bleiben. Die Regierung ward jetzt nach Schleswig verlegt. Sch. behielt die Berliner Stellung, hauptsächlich für die Bedürfnisse der unter dem Befehle des Generalmajors v. Bonin stehenden bewaffneten Macht der Herzogthümer, sowie für Anwerbung von Mannschaften und Officieren sorgend; insbesondere wußte er die von Preußen beabsichtigte Zurückberufung seiner Officiere zu verhindern.

Die inzwischen fortgesetzten Friedensverhandlungen führten noch nicht zum Ziele, und nach Kündigung des Waffenstillstandes dänischerseits brach im April 1849 der Krieg wieder aus. Damit erreichte auch die „gemeinsame Regierung“ ihr Ende. Die Frankfurter Reichsgewalt nahm die Sache wieder in die [37] Hand, setzte die Statthalterschaft, bestehend aus Wilhelm Beseler und Graf Friedrich v. Reventlow-Preetz ein, und ernannte den preußischen Generallieutenant v. Prittwitz zum Oberbefehlshaber der nunmehr von verschiedenen Seiten die Grenzen überschreitenden Bundestruppen. Die Regierung installirte sich mit ihrem unverändert bleibenden Personal in Schleswig; auch Sch., schon um Neujahr ins auswärtige Departement, dessen Chef v. Harbou war, nach Schleswig berufen, blieb dort auf seinem Platze, in Berlin durch Freiherrn R. v. Liliencron ersetzt.

In der nahen Eckernförder Bucht erlebte Sch. am 5. April den glorreichen Kampf der deutschen Strandbatterien mit den eingedrungenen dänischen Kriegsschiffen, der Fregatte Gesion und dem Linienschiff Christian VIII., welches mit der Ergebung beider Schiffe und der Zerstörung des letzteren endigte. Die Truppen unter Bonin operirten mit wechselndem Glück in Schleswig und Jütland, bis nach der Schlappe vor Fredericia am 10. Juli von Preußen abermals durch englische Vermittlung mit Dänemark ein neuer Waffenstillstand, diesmal mit Friedenspräliminarien, geschlossen wurde, der für die Herzogthümer noch weit ungünstiger war, als der Malmöer. Derselbe sah eine besondere Landesverwaltung für Schleswig „im Namen des Königs von Dänemark“ vor, die aus einem Dänen, einem Deutschen und einem zu Dänemark neigenden Engländer bestand. Die Commission constituirte sich in Flensburg unter dem Vorsitz des Kammerherrn v. Tillisch, einem fanatischen Dänen, welcher sich sofort an die Danisirung Schleswigs machte. Die Statthalterschaft, in deren Dienst Sch. verblieb, u. a. zu einer Mission nach Hamburg und Lübeck zur Regelung von Zoll- und Postsachen verwendet, zog sich nach Kiel zurück und war vergebens bemüht, von dort aus die Landesrechte zu wahren. Zur Unterstützung seines Chefs, der in Berlin und Frankfurt zu Gunsten der Herzogthümer zu wirken suchte, arbeitete Sch. eine Denkschrift über „das staatsrechtliche Verhältniß der Herzogthümer“ aus. Die Bemühungen blieben ebenso fruchtlos wie ein von Vertrauensmännern beim König-Herzog direct gemachter Versuch, zu einer Verständigung zu gelangen. Das Schicksal der Herzogthümer lag jetzt, da König Friedrich Wilhelm IV. der Sache überdrüssig war, ganz in den Händen der westlichen Großmächte. In England, welches entschlossen war, der Sache im Sinne der dänischen Gesammtstaatspolitik ein Ende zu machen, war nichts mehr zu thun; dagegen schien Frankreich, wo man sich wenig um die Sache bekümmert hatte, noch einer Einwirkung zugängig zu sein, wenn auch namentlich die Presse von rührigen dänischen Agenten ganz in Beschlag genommen war. Es wurde deshalb von der Statthalterschaft beschlossen, Sch. nach Paris und Brüssel zu schicken, um dort aufklärend für die Herzogthümer zu wirken. Er reiste Mitte Februar 1850 mit Geldmitteln und einer von ihm französisch geschriebenen Denkschrift (unter dem Titel: „Sur l’intérêt de la France dans la question du Schleswig Holstein“) ausgerüstet, ab. Die Denkschrift, in Paris gedruckt, wurde allen namhaften Politikern, Journalen, Bibliotheken u. s. w. mitgetheilt und fand Beachtung. Dann gelang es ihm, in Brüssel die angesehene, weit über Belgiens Grenzen gelesene Zeitung „Indépendance belge“, sowie in Paris mehrere Organe der orleanistischen Richtung zu gewinnen. Auch verschaffte er sich leicht Zugang zu ersten politischen Zirkeln der Hauptstadt und wußte mit Geschick Verständniß für die schleswig-holsteinsche Sache zu verbreiten. Das alles konnte das Geschick der Herzogthümer nicht abwenden. Nach dreieinhalbmonatlicher Abwesenheit heimgekehrt, fand er die Lage weiter verschlechtert. Zwischen Preußen und Dänemark wurde am 2. Juli 1850 definitiv Frieden geschlossen, in Gemäßheit der bis dahin geheim gehaltenen Präliminarien, durch welche Schleswig an [38] Dänemark preisgegeben war. Die preußischen Officiere einschließlich des commandirenden Generals mußten die inzwischen auf 32 500 Mann gehobene, im besten Stande befindliche Armee der Herzogthümer verlassen, welche, da auch die andern Bundestruppen sich zurückzogen, den Dänen allein gegenüberstand. Nach der Niederlage von Idstedt am 24./25. Juli 1850, die der neu berufene General v. Willisen nicht hatte abwenden können, und dem Fehlschlag auf das von den Dänen occupirte Friedrichstadt an der Eider war die Widerstandskraft der Herzogthümer gebrochen. Inzwischen war auch der alte Bundestag reactivirt und dem König von Dänemark in demselben wieder Sitz und Stimme für Holstein eingeräumt worden. Oesterreich ließ seine Truppen als Bundesexekution in Holstein einrücken und vollzog damit die Herstellung der Autorität des König-Herzogs auch in diesem Bundesstaat. Mit allen von der 48er Bewegung in erster Linie Betheiligten wurde Sch. für immer aus dem Gesammtstaate verbannt. Da ferner durch das Palmerston’sche Protokoll vom 8. Mai 1852, welches beim Aussterben der königlichen Linie den Prinzen Christian von Glücksburg unter Abänderung der legitimen Successionsordnung als Erben des Gesammtstaats anerkannte, alle Aussicht auf Aenderung der Verhältnisse ausgeschlossen schien, mußte der erst 35jährige Sch. sich nach einer anderen Lebensstellung umsehen.

Es traf sich, daß gerade damals Bremen, wo er noch von der Schulzeit her viele Verbindungen hatte, mit dem Plane einer diplomatischen Vertretung in den Vereinigten Staaten von Amerika umging, und da der in solchen Dingen maßgebende Bürgermeister Smidt ihn im J. 1848 in Frankfurt hatte kennen lernen, so erging der Ruf an Sch., diese Mission zu übernehmen. Er ging bereitwillig darauf ein und reiste im Sommer 1853 als bremischer Ministerresident nach Washington. Dort überreichte er seine Beglaubigungsschreiben dem Präsidenten Pierce und dem Staatssecretär Marcy; da aber der Congreß nicht versammelt war und das politische Leben dann immer ruht, die Gesellschaft auch für den Sommer zerstreut war, so unternahm er gleich, um Land und Leute kennen zu lernen, eine Reise durch verschiedene Staaten des Westens in Gesellschaft des Geheimrath Delbrück vom preußischen Handelsministerium, den er als Commissar zur ersten amerikanischen internationalen Gewerbeausstellung in New-York angetroffen hatte. Vom Mississippi, über den hinaus damals noch keine Reisewege führten, abbiegend, kehrte er auf seinen Posten zurück. Er fand sich nun leicht in der buntscheckigen Gesellschaft, welche sich in der Hauptstadt im Winter aus allen Theilen der Union zusammenfand zurecht. Im diplomatischen Corps war er in seinem Element und stand bald in erster Reihe. Die diplomatischen Formen handhabte er mit Sicherheit und Leichtigkeit; den Collegen erwies er sich ebenbürtig und an Kenntnissen vielfach überlegen. Auch gesellschaftlich nahm er eine bevorzugte Stellung ein, obwohl seine Vermögenslosigkeit und sein sehr schmaler Gehalt ihm keinen Luxus erlaubte. Um die Mitte der 50er Jahre unterbrach er seinen Aufenthalt in Washington, um in besonderem Auftrage der Hansestädte (auch Hamburg und Lübeck waren dabei) nach Mexiko zu gehen zur Verhandlung eines Handels- und Schifffahrtsvertrages. Der Abschluß mit der dortigen Regierung gelang ihm über alle Erwartung seiner Auftraggeber, und er erntete reiche Anerkennung für diese Leistung. Leider fand der Vertrag die Zustimmung des mexikanischen Congresses nicht, und es blieb ihm die Ratification von dieser Seite versagt. Inzwischen hatten sich die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten infolge des Widerstreits der freien und der Sklavenstaaten immer mehr zugespitzt. Noch einmal hatten sich die letzteren im Jahre 1857 durch die Erwählung des Präsidenten Buchanan mit Mühe in der Macht [39] behauptet; aber ein Umschwung stand nahe bevor. Sch. sah diese Wendung voraus und richtete sich darauf ein, indem er einerseits sich einen Attaché zugesellte, während er bis dahin die Geschäfte ganz allein erledigt hatte, andererseits mit den Männern der Opposition Fühlung suchte, sodaß er mit diesen, als sie im J. 1861 mit Lincoln zur Macht kamen, namentlich Seward und Sumner auf demselben Fuße stand, wie mit den bisherigen Machthabern. Es gelang ihm selbst, den neuen Präsidenten noch vor seiner Inauguration an seinen Tisch zu ziehen; das einzige Mal, daß dieser der Einladung eines fremden Diplomaten folgte. Bei dieser Gelegenheit zeigte er seinen außerordentlich scharfen Blick, indem er gerade diejenigen Personen hinzuzog, die später Lincoln’s Cabinet bildeten, obwohl darüber, abgesehen von dem zum Staatssecretär designirten Seward, noch nichts feststand. Gestützt auf seine freundlichen Beziehungen zu beiden Seiten und des Vertrauens auf seine Discretion sicher, unternahm er es sogar, zwischen den beiden einander gerüstet gegenüberstehenden Parteien eine Vermittlung anzubahnen, indem er sich heimlich nach Richmond, dem Sitze der secessionistischen Regierung, wohin bereits alle regelmäßigen Verbindungen abgeschnitten waren, begab. Hier mußte er aber die Erfahrung machen, daß das Wort Seward’s vom „irrepressible conflict“ zwischen Freiheit und Sklaverei eine verhängnisvolle Wahrheit enthielt. Der Bürgerkrieg brach aus, und nun hatte Sch. Gelegenheit, seine diplomatische Begabung und Erfahrung in vollem Umfange zu entfalten. Es entstanden schwierige völkerrechtliche Fragen aus den vielen ineffectiven Blockaden, der Behandlung von Contrebande u. s. w., in denen Sch. zu intervenieren hatte, nicht nur für bremische, sondern auch für hamburgische und andere deutsche Schiffe, und dies mit gutem Erfolge that. Das amerikanische Auswärtige Amt war in solchen Dingen wenig versirt, und die leitenden Männer ließen sich gern von Sch. über die einschlägigen Rechtsbegriffe belehren. Auch die Collegen, selbst die Vertreter von Großmächten, wie Großbritanmen, holten gerne Schleiden’s Ansicht in schwierigen Fällen ein. Hamburg und Lübeck erkannten jetzt auch die Nothwendigkeit, in Washington beglaubigt zu sein, und so kam Sch. von einem Sommerurlaub im J. 1862 als hanseatischer Bevollmächtigter nach Europa zurück. In dieser Eigenschaft war er noch 11/2 Jahre in den Vereinigten Staaten tätig, die er 1864 verließ, um mit Ablauf dieses Jahres in gleicher Eigenschaft nach London zu gehen, den Washingtoner Posten seinem bisherigen Secretär (dem Verfasser dieser Skizze) überlassend. In Amerika hatte er sich zahlreiche Freunde, auch in New-York, Baltimore und Boston, erworben.

Mit seinen Collegen, namentlich auch dem aus dem Bergfache hervorgegangenen preußischen Gesandten Freiherrn v. Gerolt, der in Mexiko noch mit seinem Vater und seinen Brüdern hekannt gewesen, stand er ausnahmslos auf dem allerbesten Fuße. Die Vereinigten Staaten hatte er so gründlich kennen gelernt, daß er sich rühmen konnte, keinen derselben unbesucht gelassen zu haben. In der heißen Sommerzeit erfrischte er sich am liebsten bei den kühlen Niagarafällen. Von seinen geschichtlichen Kenntnissen urtheilte Seward, daß er mehr von der neueren Geschichte des Landes wisse, als irgend ein Lebender, selbst Amerikaner. Seine frisch und eingehend nach Hause geschriebenen Berichte, die besonders im Bremer Archiv vollständig vorhanden sind, bilden denn auch eine Geschichtsquelle ersten Ranges für die von ihm drüben erlebte Periode.

In London konnte Sch. sich nicht lange behaupten. Er war von Anbeginn an des Postens nicht recht froh geworden. Eine Stellung, wie er sie in Washington hatte, konnte ihm London nicht bieten, weder in der stolzen englischen Gesellschaft noch im diplomatischen Corps, wo er bei der Geringfügigkeit der von [40] ihm repräsentirten Interessen wenig in Betracht kam. Nun war auch, in seiner letzten amerikanischen Zeit schon, mit dem im November 1863 in Dänemark erfolgten Thronwechsel die schleswig-holsteinsche Frage wieder eröffnet. In Kopenhagen hatte der sogenannte „Protocollprinz“ als Christian IX. die Regierung des Gesammtstaates angetreten. In Kiel aber etablirte sich der Herzog von Augustenburg, um den, als ihren rechtmäßigen Herrscher, sich die Herzogthümer scharten. Ohne diesen anzuerkennen, wehrte Preußen, wo jetzt ein kräftigerer Geist herrschte, die Dänen ab und es kam erneut, vereint mit Oesterreich, zum Kriege, der mit den preußischen Siegen von Düppel und Alsen im Sommer 1864 schloß. Da sich die deutschen Mächte an das Abkommen von 1852 ferner nicht gebunden erklärten, wurden neue Verhandlungen in London eröffnet, die sich anfänglich für den Augustenburger verheißungsvoll anließen.

Bismarck aber ließ es zur Consolidirung eines neuen Bundesstaates nicht kommen und bewirkte die Entfernung des Herzogs, worauf Preußen und Oesterreich gemäß dem Prager Frieden gemeinschaftlich die Verwaltung der Herzogthümer übernahm. Sobald Sch., der sich mit der Hoffnung getragen haben mochte, in seinem Heimathlande noch eine Rolle zu spielen, sich darin und in seinem Rechtsgefühl getäuscht sah, brach sein Groll darüber durch alle diplomatischen Rücksichten; es kam zu heftigen, seine Regierungen – die zu Preußen standen – compromittirenden Auftritten mit dem preusischen Gesandten in London. Die Hansestädte konnten ihn dort nicht länger halten, und er sah sich veranlaßt, seine Stellung zu kündigen (die hanseatischen Gesandten standen auf halbjährige Kündigung ohne Pensionsanspruch). Seine Heimathsprovinz nahm sich insoweit noch seiner an, als er in Altona, nachdem es preußische Stadt geworden, zum Mitgliede des Magistrats gewählt wurde, wo er es aber nicht länger als ein Jahr aushielt. Im Altonaer Wahlbezirk wurde er gleichzeitig zum constituirenden Reichstage des norddeutschen Bundes gewählt (und wiederholt zu den folgenden Reichstagen), bis er 1873 einem Socialdemokraten weichen mußte. Der längere Aufenthalt in Berlin wurde ihm durch amerikanische Freunde ermöglicht, denen er indessen durch sein Auftreten gegen Flottenschwärmerei und Colonialpolitik einigen Anstoß gab. Er trat der bundesstaatlich constitutionellen Fraction bei, welche sich unter dem Fürsten von Hohenlohe-Schillingsfürst, dem gewesenen bairischen Ministerpräsidenten und nachmaligen Reichskanzler, aus Angehörigen verschiedener Landestheile und Parteirichtungen gegen die centralisirenden Tendenzen gebildet hatte. Ein Vergnügen bereitete es ihm, im December 1870 mit der Deputation, welche unter Führung des Präsidenten Simson König Wilhelm Namens des Reichstags ersuchen sollte, die ihm von den deutschen Fürsten und freien Städten angebotene Kaiserwürde anzunehmen, nach Versailles zu gehen. Nach dem Ablauf seines parlamentarischen Mandats zog er sich nach Freiburg i. Br. zurück, wo seine jüngste Schwester als Wittwe des im J. 1870 daselbst verstorbenen Professors der Rechte, Franz v. Woringen, mit ihrer Mutter lebte. Dort verbrachte er dem Hause seiner Schwester gegenüber, an dem Ufer der Dreisam, noch behagliche Jahre mit litterarischen Arbeiten, besonders für die wissenschaftliche Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung beschäftigt, viel besucht von alten und neuen Freunden, denen er eine anregende Gastlichkeit in gewohnter Weise bot. Durch regelmäßige Badereisen nach Ragaz erhielt er sich seine Frische und Beweglichkeit bis in das hohe Alter. Mit der Gestaltung der deutschen Angelegenheiten war er nach dem französischen Kriege und der Aufrichtung des deutschen Reiches völlig ausgesöhnt und folgte gern der Einladung des preußischen Kronprinzen zur Hochzeit seines ältesten Sohnes mit der Prinzessin aus seinem [41] Heimathlande im J. 1881 nach Berlin, das er im J. 1888 noch einmal besuchte, um die Tochter seines Freundes, des Herzogs Friedrich, als deutsche Kaiserin zu begrüßen. Zwei Mal besuchte er auch die Vereinigten Staaten, wo er mit einem alten Freunde und seinem zum deutschen Generalconsul in New-York bestallten ehemaligen Secretar und Nachfolger seinen in San Francisco ansässigen Bruder Woldemar besuchte und im J. 1883, als er auf Einladung des Präsidenten der Northern-Pacific-Eisenbahn der Eröffnung dieses großen Unternehmens beiwohnte und dasselbe in seiner ganzen Ausdehnung besichtigte. Sein Tod erfolgte fast gleichzeitig mit dem seiner erwähnten, geliebten Schwester. Seine Ersparnisse, die er als guter Wirthschafter von seinen geringen Bezügen bei aller angeborenen Freigebigkeit noch zu machen wußte, hatte sein genannter Bruder in San Francisco für ihn so gut verwaltet, daß er der Universität Freiburg noch ein hübsches Capital zur Förderung völkerrechtlicher Arbeiten hinterlassen konnte. Sch. war nicht verheirathet. Er schrieb „Erinnerungen eines Schleswig-Holsteiners“ in 4 Bänden, von 1886–1894, bei J. F. Bergmann in Wiesbaden erschienen, aus seinem reichen Material (er hatte in seinem Leben regelmäßig Tagebuch geführt und war ein großer Sammler von Documenten) eine Geschichte Schleswig-Holsteins bis 1850 umfassend, leider unvollendet geblieben, sowie verschiedene Broschüren, u. a. „Ueber das Disciplinarrecht des Reichstages“, bei Julius Springer in Berlin.

Johannes Rösing.