ADB:Schmidt-Phiseldeck, Justus von
Christoph’s (v.) S. (s. dens.), wurde zu Braunschweig am 8. April 1769 geboren, besuchte das Gymnasium zu Wolfenbüttel und von 1787–90 die Universität Helmstedt, wo er sich der Rechtswissenschaft widmete. Nachdem er sich dann einige Jahre als Secretär des Berghauptmanns Grafen v. Veltheim in Harbke aufgehalten hatte, wurde er am 11. Mai 1795 als Grenzsecretär und Secretär beim Lehns- und Landeshauptarchive zu Wolfenbüttel in den Staatsdienst gezogen, den er im Herbste des Jahres antrat. Am 16. September 1799 wurde er auf sein Ansuchen zum Consistorialrathe, daneben zum Grenz- und Lehnsrathe und nach seines Vaters Tode dann auch am 3. Februar 1802 zum Archivar ernannt. Die wissenschaftliche Thätigkeit, die er in letzterer Stellung entfaltete und insbesondere durch seine „Anleitung für Anfänger in der deutschen Diplomatik“ (Braunschweig 1804) und verschiedene geschichtliche und juristische Aufsätze vortheilhaft bethätigte, sagte ihm so zu, daß er nicht übel Lust zeigte, die akademische Laufbahn einzuschlagen. Er trat nach Remer’s Tode († 26. August 1803) wegen der geschichtlichen Professur in Helmstedt in Verhandlung, doch wollte ihn die Regierung lieber dem praktischen Staatsdienste erhalten, und so wurde er am 29. September 1806 an Leisewitz’ Stelle als Hofrath und Geheimsecretär im Ministerium zu Braunschweig angestellt; die Aufsicht über das Archiv in Wolfenbüttel behielt er daneben bei. Als kurz darauf die Katastrophe eintrat, die das Herzogthum Braunschweig erst unter die französische Verwaltung und dann unter die Herrschaft des Königs von Westfalen brachte, wurde er 1808 Appellationsrichter in Kassel, 1809 Mitglied des Staatsraths und 1810 Generaldirector der indirecten Steuern. Sobald dann nach der Schlacht bei Leipzig Herzog Friedrich Wilhelm in sein Land zurückgekehrt war, nahm er v. S. unterm 27. December 1813 als Geh. Regierungsrath in die provisorisch angeordnete Regierungscommission und bald darauf als Geheimrath in das neugeordnete Geheimrathscollegium auf. Es war keine leichte Aufgabe, die hier der Erledigung harrte. Die alten Verfassungs- und Verwaltungsformen der braunschweigischen Zeit waren über den Haufen geworfen; die neuen, welche das westfälische Königthum gebracht hatte und welche vielen Zeitbedürfnissen in zweckmäßiger Weise gerecht wurden, hatten sich kaum eingelebt und waren wegen ihres Ursprungs im höchsten Grade verhaßt. Der Herzog, bis dahin ganz unbekannt mit den Regierungszgeschäften, hegte vor allem den Wunsch, die glücklichen Zustände zurückzuführen, die unter seinem Vater, dem Herzoge Karl Wilhelm Ferdinand, geherrscht hatten, und glaubte, man vermöge dieses Ziel am besten durch Rückkehr zu den alten Einrichtungen zu erreichen, obwohl man sich bei ruhiger Überlegung nicht verhehlen konnte, daß in der westfälischen Zeit zahlreiche Hindernisse für die gesunde Entwickelung des Staatswesens in dankenswerther Weise beseitigt waren. Dazu kam, daß das Herzogthum, das bis dahin fünf verschiedenen Departements angehört hatte, durch die allgemeine Noth der Zeit, durch die Landesschuld, die Veräußerung der Domänen u. a. sich in der schlimmsten finanziellen Lage befand und sich dabei auch für die Zukunft einer sehr beträchtlichen Militärlast nicht entziehen konnte. Graf von der Schulenburg-Wolfsburg und Reimann traten, da sie sich mit dem Herzoge entzweiten, bald wieder aus dem Geheimerathscollegium aus; durch den bisherigen Ölser Kammerdirector Mens wurde ein sehr ungenügender Ersatz geschafft. Die Seele der Staatsverwaltung war und blieb v. S.-Phiseldeck, der das Herzogthum auch auf dem Wiener Congresse vertrat. Durch wissenschaftliches Studium und im praktischen Staatsdienste hatte er sich gründliche Bekanntschaft mit den Verfassungs- und Regierungsverhältnissen des Herzogthums, den Mängeln der alten und den Fortschritten der neuen Zeit erworben. [22] Sein Streben ging dahin, unter Beibehaltung aller der westfälischen Neuerungen, welche die Zeit gebot, das ganze Staatswesen auf geschichtlicher Grundlage neu zu organisiren. Diese Aufgabe hat er insbesondere nach Herzog Friedrich Wilhelm’s Tode, der schon am 16. Juni 1815 bei Quatrebras erfolgte, als die Seele der vormundschaftlichen Regierung mit großem Geschicke gelöst. Gelang es ihm auch nicht die Rückkehr einiger veralteter Einrichtungen bei der Verhaßtheit der westfälischen Regierung, die Manche gewandt auszunutzen verstanden, zu verhindern, so hat er doch in den wichtigsten Fragen sein Ziel glücklich erreicht. Die Gleichheit vor dem Richter, die Gemeinsamkeit der Kriegspflicht blieben bestehen. Die Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt der Patrimonialherren und der privilegierte Gerichtsstand wurden nicht wieder eingeführt. Die Conscription dauerte statt des früheren Werbesystems fort. Eine gerechtere Vertheilung der öffentlichen Abgaben wurde geschaffen, die Befreiung von Steuern beseitigt. Die früher getrennten landesherrlichen und landständischen Staatseinkünfte wurden in einer Landessteuerkasse vereinigt, die Scheidung von Rechtspflege und Verwaltung vorbereitet. In der erneuerten Landschaftsordnung vom 25. April 1820, zu der dann besonderes der Landtagsabschied vom 11. Juli 1823 hinzukam, ward ferner dem Lande eine zeitgemäße Verfassung gegeben, die man gegen die früheren als einen bedeutenden Fortschritt ansehen mußte. Alle diese Errungenschaften wurden im Auftrage der obervormundschaftlichen Regierung König Georg’s IV., die vom Grafen Münster geführt wurde, und im Einverständnisse mit der Landschaft erreicht, in welcher insbesondere der Schatzrath von Plessen bei Aufhebung der Privilegien sowie auch sonst in selbstlosester Weise im Landesinteresse thätig war. Die Neuordnung der Verhältnisse, die in dem genannten Landtagsabschiede dicht vor dem Regierungsantritte Herzog Karl’s II. (Oct. 1823) ihren Abschluß fand, hatte damit volle staatsrechtliche Geltung erhalten. In den ersten beiden Jahren hielt sich Herzog Karl – man sagt auf Anrathen Metternich’s – von jeder Einwirkung auf die Regierungsgeschäfte fern, deren Erledigung nach wie vor in der Hauptsache v. S. oblag. Dann aber übernahm der Fürst selbst die Zügel der Regierung. Er hielt sich in seinem Rechte dadurch für schwer gekränkt, daß man ihn, gestützt auf ein Rechtsgutachten des am Landeshauptarchive beschäftigten Procurators Hettling, nicht schon nach Vollendung des 18. Lebensjahres für volljährig erklärt hatte. Hierfür machte er in erster Linie neben dem Grafen Münster v. S. verantwortlich. Mag nun auch die rechtliche Begründung dieser Entscheidung zweifelhaft sein, so steht doch außer Zweifel, daß v. S., so weit er hierbei in Frage kam, nur im Landesinteresse zu handeln glaubte, daß das Wohl seines Fürsten und die Sorge für seine Erziehung ihm stets warm am Herzen gelegen hatten und das dieser wie das Land ihm für die anerkannt gute Führung der Regierungsgeschäfte nur zu Danke verpflichtet waren. Der Herzog empfand aber nur die ihm seiner Meinung nach angethane Unbill und suchte sich dafür an v. S. zu rächen. Wiederholte absichtliche Kränkungen von Seiten des Fürsten veranlaßten ihn im October 1826 seinen Abschied zu erbitten, um wie er selbst angab, in hannoversche Dienste zu treten. Er wurde ihm nicht sogleich ertheilt unter dem Vorwande, daß angebliche Unrechtmäßigkeiten seiner Amtsführung noch zu prüfen seien. Da hier dem gewissenhaften Manne nichts Uebles nachgewiesen werden konnte, er aber doch stets hingehalten wurde, so verließ er, Schlimmes fürchtend, am 15. April 1827 heimlich ohne Abschied das Land und begab sich nach Hannover, wo er sogleich am 22. Mai als Geheimrath mit Sitz und Stimme im Geheimerathscollegium Anstellung fand. Schon früher war ihm eine solche in ähnlicher Weise, wie einst Hardenberg bei Uebernahme der Verwaltung der fränkischen Fürstenthümer von Seiten Preußens (Ranke, Hardenberg I, [23] S. 110 f.) zugesagt worden. Der Herzog ließ den entwichenen Minister steckbrieflich verfolgen und zum Zwecke der Rechtfertigung vor eine besonders ernannte Commission laden. Gegen die hannoversche Regierung wurde braunschweigischer Seits eine officielle „Beschwerdeschrift“ erlassen, die „durch das öffentliche Aergerniß der widerrechtlichen Schutzverleihung und Anstellung des etc. v. Schmidt-Phiseldeck zu Hannover abgenöthigt“ sei (Braunschweig 1827). Auch mehr oder weniger freiwillige Federn setzten sich gegen S. in Bewegung. So schrieb sein persönlicher Feind Hurlebusch eine heftige Anklage: „Ueber den entwichenen Herzogl. Br. Geh. Rath v. S.“ (Braunschweig 1827); eine zweite anonyme Schrift der Art („Beiträge zur Charakteristik des von Braunschweig entwichenen Geh. Rathes v. S.“, Braunschweig 1827) wurde dem Staatsrathe Rud. v. Bosse zugeschrieben. Er vertheidigte sich dagegen öffentlich in der Schrift: „Ueber meinen Austritt aus dem Herzogl. Braunschw. Staatsdienste“, (Hannover 1827), in welchem er insbesondere das an den Herzog gerichtete Rechtfertigungsschreiben vom 18. Mai 1827 zum Abdrucke brachte. Dagegen erfolgten wieder zwei anonyme Broschüren: „Antwort eines Unbefangenen auf die … Schrift: Ueber meinen Austritt …“ (Braunschweig 1827), die wol von Dr. Fricke, und „Herr v. Schmidt-Ph. und die öffentliche Meinung“ (Helmst. 1827), die wol von Klindworth verfaßt ist. Eine umfangreiche „Widerlegung der ehrenrührigen Beschuldigungen, welche Sich S. Durchl. der regier. Herzog v. Br. gegen Ihren erhabenen Vormund … erlaubt haben“ (London 1827; neue Aufl., Hann. 1827; französ. Uebersetz.: Réfutation etc., 2. éd. Hann. 1827) ließ Graf Münster erscheinen, bei dem (s. A. D. B. XXIII, 157 ff.) wie bei Herzog Karl (s. A. D. B. XV, 281 ff.) man das Weitere hierüber vergleiche. Wie bereits bemerkt, wurde S. in Hannover sogleich mit dem Range eines Geheimraths und bald nachher (31. Juli 1827) als Chef des Justizdepartements angestellt. Am 10. Mai 1832 wurde er unter Beibehaltung von Sitz und Stimme im Geheimerathscollegium als Landdrost nach Hildesheim versetzt. Im J. 1840 nahm er wegen zunehmender Harthörigkeit seinen Abschied und kehrte in die Heimath zurück, wo er in Wolfenbüttel in Zurückgezogenheit lebte und am 23. September 1851 gestorben ist. Seine Gemahlin Julie Henriette, eine Tochter des Oberkriegscommissärs Westensee in Braunschweig, die er am 24. April 1800 geheirathet hatte, ist ihm erst am 25. Februar 1855 im 86. Lebensjahre nachgefolgt. Von seinen Söhnen war der ältere Justus v. S. mit dem Vater in hannoversche Dienste gegangen, doch kehrte er im September 1833 als Landgerichtsassessor nach Wolfenbüttel zurück, wo er bereits am 5. November 1856 als Oberstaatsanwalt durch einen plötzlichen Tod einer segensreichen Wirksamkeit entrissen wurde. Ein jüngerer Sohn Ernst blieb in hannoverschen Diensten.
Schmidt: Wilhelm Justus Eberhard v. S.-Phiseldeck, Sohn des 1789 in den erblichen Adelstand erhobenen