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ADB:Staub, Fritz

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Artikel „Staub, Fritz“ von Eduard Schwyzer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 624–630, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Staub,_Fritz&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 15:38 Uhr UTC)
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Staub *): Fritz St., der Begründer des Wörterbuches der deutschen Mundarten der Schweiz, wurde am 30. März 1826 zu Männedorf am Zürichsee als Sohn eines Fabrikanten geboren. Nach dem vorzeitigen Hinschied seines Vaters von einer tüchtigen und energischen Mutter erzogen, trat er 1839, vorgebildet in einer Privatschule und der Secundarschule seines Heimathortes, ans kantonale Gymnasium in Zürich über. Einer der ersten Schüler seiner Classe, bewies er schon früh seine Vorliebe für sprachliche Fächer, namentlich auch für das Deutsche, angeregt u. a. durch A. Schott, den Erforscher des Deutschthums im Piemont (am Monte Rosa) und L. Ettmüller, den bekannten Germanisten. Dies zeigte sich auch, als er 1845 an die heimathliche Universität übertrat: wenn auch bei der theologischen Facultät eingeschrieben, hörte er von den Theologen doch fast nur F. H. Hitzig, den bekannten Exegeten des alten Testamentes und Orientalisten, und A. Schweizer, deren philologisch und philosophisch gerichtete Vorlesungen seinen Hauptinteressen entgegenkamen; das Schwergewicht legte er auf altphilologische und germanistische Studien unter H. Sauppe, J. C. v. Orelli, H. Schweizer, J. Frei, S. Vögelin, denen historische bei Mittler und Hottinger, philosophische bei Bobrik zur Seite gingen. In seinem vierten und letzten Züricher Semester trat St. auch äußerlich an die philosophische Facultät über, um sich darauf zum Abschluß seiner Studien nach Bonn zu begeben. Doch war dort seines Bleibens weniger lang, als er gehofft hatte. Bevor er sein Ziel erreichen konnte, wurde ihm von seiner Mutter nahe gelegt, in einem angesehenen Privatinstitute seiner engeren Heimath eine Lehrstelle zu übernehmen, die frei geworden war. Nicht lange nachher [625] rückte St. zum Leiter der Anstalt vor; in der Verwaltung von seiner Mutter unterstützt, brachte er das ehemalige Billeter’sche Institut zum „Felsenhof“ zu hoher Blüthe. Doch ließ ihn der äußere Erfolg den Mangel an Kraft und Zeit für wissenschaftliche Studien nicht verschmerzen; und als er 1853 nach kaum einjähriger Ehe seine Gattin verlor, hielt er es nur noch wenige Jahre in Männedorf aus: im Herbst 1858 übergab er das Insttitut seinen bisherigen Mitarbeitern, um fortan ganz der Wissenschaft leben zu können. Bevor er sich jedoch für Zeit seines Lebens an Schreibtisch und Studirstube fesselte, weitete er seinen Blick durch einen längern Aufenthalt in England (1859). Nach Zürich zurückgekehrt, begann er der neuern germanistischen Forschung näher zu treten, wobei er immer deutlicher den Werth der Volkssprache und die Pflicht der Sammlung der schweizerdeutschen Mundarten erkannte. Damit hatte er die große Lebensaufgabe gefunden, in welcher er fortan völlig aufging. Ihr kamen wenigstens mittelbar auch seine späteren Stellungen an der Züricher Stadtbibliothek zu gute; seit 1871 als zweiter, dann (1880) als erster Unterbibliothekar beschäftigt, wurde er 1885 zur Mitleitung der Bibliothek berufen, doch nur, um bald darauf einen längern Urlaub zu nehmen und 1887 völlig auszuscheiden, bestimmt durch ein zunehmendes Augenleiden. St. war dem öffentlichen Auftreten abgeneigt und hat öffentliche Stellungen nicht gesucht, wenn er auch in allen öffentlichen Fragen warmen und bei seiner conservativen Richtung oft schmerzlichen Antheil nahm. Doch entzog er sich nicht gemeinnützigem Wirken: so finden wir ihn 1861–1869 als eifriges Mitglied der Aufsichtsscommission für seine alte Schule, das kantonale Gymnasium, und von der Gründung bis in den Anfang der neunziger Jahre gehörte er der Commission für das Pestalozzistübchen an. – Als ein unscheinbarer, bescheidener Gelehrter ist St. durchs Leben gegangen; als er starb, verlor seine Familie einen treu besorgten Gatten und Vater – er hatte sich 1863 wieder verheirathet –, verloren die ihm Nahestehenden einen treuen Freund, verloren viele Nothleidende einen edlen Helfer, verlor die schweizerische Eidgenossenschaft einen ihrer besten und treuesten Söhne, verlor das schweizerische Idiotikon seinen Begründer und Chefredactor. Staub’s Leben und die Geschichte des schweizerischen Idiotikons fallen auf weite Strecken zusammen. Staub’s wissenschaftliche Thätigkeit liegt im schweizerischen Idiotikon begonnen und vollendet.

Wann St. zuerst den Gedanken gefaßt hat, der Sprache seiner Heimath ein Denkmal zu setzen, läßt sich nicht mehr feststellen. Er hat freilich schon als Secundarschüler begonnen, ein Specialidiotikon seines Heimathdorfes anzulegen, wohl angeregt durch den Unterricht seines vortrefflichen Lehrers J. J. Bär, dem er zeitlebens dankbar geblieben ist. Und als 1846 an der Universität Zürich B. Hirzel – der genial veranlagte Orientalist und Pionier der vergleichenden Sprachforschung in ihm ist weniger bekannt als der pfarrherrliche Bauernführer im „Straußenputsch“ des Jahres 1839 – eine Vorlesung über die Grammatik der Züricher Mundart ankündigte, war St. einer der vier Studirenden, welche sich die damals neue und noch lange seltene Gelegenheit nicht entgehen ließen, eine Vorlesung über eine lebende Mundart zu hören. Können wir daraus sehen, daß die Neigung der Knabenjahre St. auch durch die Studentenzeit begleitet hat, so ist doch noch ein weiter Weg bis zur Erfassung eines bestimmten, so groß gedachten Zieles, noch ein weiterer bis zur Ausführung des fest ins Auge gefaßten Planes. Daß St. seinen Gedanken nicht nur faßte, sondern auch durchführte, ist das Große an seinem Lebenswerk; denn neu war er nicht. Als St. sich von seiner Lehrthätigkeit [626] zurückzog, waren es gerade etwas mehr als 100 Jahre, seit J. J. Bodmer sich mit dem Plane eines zürcherischen Idiotikons getragen hatte, von dem 1757 auch eine Probe ans Licht trat, während des Gymnasiarchen S. Schmid „Idioticon Bernense“ und Professor J. J. Spreng’s „Idioticon Rauracum oder Baselisches Wörterbuch“ ungedruckt blieben. Und seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts gab es sogar eine umfassendere Sammlung des schweizerdeutschen Wortschatzes: 1806 und 1812 erschien in zwei Bänden der „Versuch eines schweizerischen Idiotikons“ von F. J. Stalder, Pfarrer zu Escholzmatt im Luzerner Entlibuch. Zunächst auf der Sprache der engern Heimath des Verfassers aufgebaut, vermittelte das Werk doch auch reiches Material aus der übrigen Schweiz, das theilweise die gleichen Mitarbeiter beisteuerten, die Stalder bei der „schweizerischen Dialektologie“ (1819) unterstützten. Stalder hatte sogar eine zweite Bearbeitung seines Werkes fertiggestellt, die etwa um ein Viertel vermehrt war, von der jedoch infolge der Ungunst der Zeiten nur ein Probebogen gedruckt wurde. Das Manuscript wurde von Stalder durch eine letztwillige Verfügung der Bürgerbibliothek zu Luzern überwiesen, mit der Bestimmung, es einem spätern schweizerischen Sprachforscher, der in glücklichen Zeiten seine Arbeit wieder aufnehmen wolle, auszuhändigen. 1837 hatte Dr. Titus Tobler’s „Appenzellischer Sprachschatz“ bewiesen, wie reich die Ernte auch auf einem kleinen Gebiete sein kann, wenn sie den richtigen Schnitter findet. Tobler’s Werk konnte zugleich zeigen, wie lückenhaft Stalder’s Sammlung nothwendig sein mußte. 1845 erließ die antiquarische Gesellschaft zu Zürich, einer von außen an sie ergangenen Aufforderung folgend, einen Aufruf zur Sammlung der schweizerdeutschen Sprache der Gegenwart und Vergangenheit, der von F. Keller, dem vielfach verdienten Präsidenten, und von L. Ettmüller unterzeichnet war, zu einem sichtlichen Erfolge jedoch nicht führte. Der Sprachschatz eines Nachbarlandes lag schon Jahrzehnte mustergültig bearbeitet vor, in Schmeller’s Bayrischem Idiotikon, in der deutschen Schweiz war der Weg noch offen für einen Mann, der ihn mit gleicher Vorbereitung und Energie beschreiten wollte. Er fand sich in St.

Schon am 15. Februar 1862 trat er vor die antiquarische Gesellschaft mit einem Vortrage über „Werth und Bedeutung des Dialektes“, worin er, wie der Sitzungsbericht sagt, in ebenso feiner als witziger Weise das Verhältniß von Mundart und Schriftsprache auseinandersetzte und die eigenthümlichen Vorzüge der erstern durch treffend gewählte Beispiele beleuchtete. Der Vortrag hatte den gewünschten Erfolg; die Besprechung endigte mit der Wahl einer Commission, die „über Mittel und Wege zur Sammlung der in den schweizerdeutschen Dialecten enthaltenen sprachlichen Schätze berathen und von sich aus die zur Verwirklichung des Planes geeigneten Schritte thun sollte“. Schon im Juni des Jahres erweiterte sich dieser Ausschuß zu einem „Verein für das schweizerdeutsche Wörterbuch“, in dem von Anfang an die ganze deutsche Schweiz vertreten war. Noch im gleichen Jahre erging ans Schweizervolk ein von St. verfaßter „Aufruf betreffend Sammlung eines schweizerdeutschen Wörterbuchs“, diesmal mit vollem Erfolge. Binnen kurzem sammelte sich an der Centralstelle zu Zürich ein gewaltiges Material; es hatte nur des Zauberstabes bedurft, die verborgenen Schätze zu heben, die schon bereit lagen; aus allen Theilen des Landes kamen jetzt bereits angelegte größere und kleinere Sammlungen von Idiotismen zum Vorschein; von Luzern kam die ungedruckte zweite Bearbeitung Stalder’s, neue Kräfte machten sich rüstig ans Werk: gegen 400 Mitarbeiter aller Stände und Berufe des Volkes stellten sich in den Dienst des Wörterbuches. Von Anfang an war St. die Seele des Unternehmens. Es galt, die eingehenden Beiträge zu ordnen und zu sichten, schon [627] Gedrucktes nach lexikalischen Gesichtspunkten auszuziehen; eine umfängliche Correspondenz mit den Mitarbeitern, die bald Anleitung bald Anerkennung und Ermunterung nöthig hatten, wollte bewältigt sein. Schon 1863 konnte St. in vier Nummern der schweizerischen Lehrerzeitung über das Unternehmen berichten; auf diese erste Aeußerung, die nur den wenigsten Mitarbeitern zu Gesicht kam, folgte langes Schweigen, während die Arbeiten rastlos weiter gingen. Schon begannen die Gönner des Idiotikons ungeduldig zu werden – „gerade von denjenigen wird der Probebogen am lautesten verlangt, welche selber noch keine Feder für das Idiotikon angesetzt haben“ (das Brot p. III/IV): – da brachte das Jahr 1868 eine doppelte Kundgebung, die eine auf alle Gebildeten, die andre auf die Nächstbetheiligten berechnet.

Bei dem aus Zürich stammenden Verleger S. Hirzel in Leipzig erschien die Schrift: „Das Brot im Spiegel schweizerdeutscher Volkssprache und Sitte. Lese schweizerischer Gebäckenamen. Aus den Papieren des schweizerischen Idiotikons“. Ein Vortrag, den St. am 1. October 1866 in der antiquarischen Gesellschaft gehalten hatte, war hier zu einem Buche erweitert, das allen, die sehen wollten, zeigen konnte, ein wie gewaltiger Stoff im Laufe von sechs Jahren zusammengekommen war und in wie fachkundigen Händen die Bearbeitung lag. Den wohlverdienten Doctortitel honoris causa, den ihm die philosophische Facultät der Universität Zürich für seine Schrift verlieh, nahm freilich der bescheidene Verfasser nur nothgedrungen an, da er sich dessen nicht für würdig hielt. Im Herbst des Jahres erschien der „Rechenschaftsbericht des schweizerischen Idiotikons an die Mitarbeiter erstattet von der Central-Commission“, 80 Druckseiten stark, eine Uebersicht über das bisher Geleistete und eine Rechtfertigung des scheinbar langsamen Fortgangs der Arbeit. In langer Reihe marschiren, nach Kantonen geordnet, die Mitarbeiter mit ihren Beiträgen auf; wir lesen jedoch nicht eine trockene Aufzählung, sondern eine fein ausgeführte, möglichst persönliche Charakteristik – geradezu ergreifend ist die biographische Skizze des Nidwaldner Caplans Matthys. So viel Arbeit geleistet war, der Bericht mußte doch auf manche Lücke hinweisen und erklären, daß von einem Abschluß der Sammlung und einer Veröffentlichung des Materials noch nicht die Rede sein könne. Einzelne Gegenden waren noch gar nicht oder ganz ungenügend vertreten; die neuere Volkslitteratur, die ohne genaue Controlle durch Kenner des jeweiligen Dialektes schwer richtig zu benutzen war, war noch kaum in Angriff genommen; die ältere Litteratur, deren Wichtigkeit St. in seiner Schrift über das Brot betont hatte, wagte er im Rechenschaftsbericht kaum schüchtern zu erwähnen. Erst 1874 wurde die ältere Sprache ausdrücklich ins Arbeitsprogramm aufgenommen, im Zusammenhang mit einer Neuorganisation des Unternehmens.

Es war Staub’s Lieblingsidee gewesen, das Idiotikon als Privatunternehmen, ohne staatliche Hülfe, durchzuführen; mehr als zehn Jahre stand er selbst ohne jedes Entgelt, ja unter eignen Kosten, am Werke, aber nur höchst ungern verstand er sich dazu, finanzielle staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. „Mit dem Entschlusse, uns um finanzielle staatliche Unterstützung zu bewerben, welcher durch die decidirte Ansicht und die energische Betreibung frisch in unsere Commission eingetretener Kräfte vollends zum Durchbruche gebracht wurde, ist die Angelegenheit des Idiotikons in eine neue Phase getreten. Wir haben nicht ohne ernstliches Widerstreben diesen Entschluß gefaßt und damit die Bahn absoluter Unabhängigkeit und Freiwilligkeit verlassen. Der schöne Traum, das Vaterland und seine Behörden eines Tages mit der Frucht vielseitiger Opferwilligkeit seiner Söhne überraschen zu können, hat vor der nüchternen Berechnung weichen müssen, daß mit der stolzen Verzichtleistung [628] auf materielle Hülfe die Vollendung unseres Planes in unabsehbare Ferne gerückt, sein Genuß der jetzt lebenden Generation vorenthalten und das Gelingen und der Ausbau überhaupt vielen Störungen und Beeinträchtigungen bloß gestellt würde. Es läßt sich nicht verkennen, daß durch das Patronat des Staates das begonnene Werk den Zufälligkeiten mehr entzogen wird; der freien Thätigkeit bleibt auch jetzt noch Spielraum genug übrig und wir werden bis ans Ende an die Opferfreudigkeit unserer Mitbürger in der einen oder andern Richtung zu appellieren veranlaßt sein, so daß auch diese zweite Aera des Unternehmens ein fröhliches Zeugniß ablegen wird von der Leistungsfähigkeit der Republik“ (Jahresbericht 1873/4 S. 3.). Für das Werk hatte das Entgegenkommen des Bundes und der Kantone sofort den Erfolg, daß der von Bern nach Zürich übergesiedelte Germanist L. Tobler seine Theilnahme an der Sache noch unmittelbarer als vorher bekunden konnte, indem er in die Redaction des Idiotikons eintrat. Im Herbst 1874 erschienen denn auch die von Vielen ersehnten „Proben aus dem für das schweizerdeutsche Idiotikon gesammelten Materiale“ (32 S. in 4°), die ein Bild von der Anlage des Wörterbuches geben sollten. Doch war eine Hauptfrage noch offen: die Frage der Anordnung. St. behandelte sie auf breiter Grundlage in einer besonderen Schrift: „Die Reihenfolge in mundartlichen Wörterbüchern und die Revision des Alphabetes. Ein Vorschlag zur Vereinigung, vorgelegt vom Bureau des schweizerdeutschen Idiotikons“ (1876, 83 S.). In klarer Darstellung trat er für das Schmeller’sche System ein; eine Umfrage bei einer Anzahl von Gelehrten und Laien, auf die 25 Antworten eingingen, ergab eine entschiedene Mehrheit für die dargelegten Grundsätze. Erst jetzt konnte das Material endgültig geordnet werden, eine zeitraubende und ermüdende, aber nöthige Arbeit. Endlich lag das gesammelte Material zu jedem Stichwort bereit und die Verarbeitung konnte beginnen. Oft waren dabei noch Form und Bedeutung genauer festzustellen, zweifelhafte Angaben aufzuklären, dies mußte ergänzt, jenes ausgeschieden werden, es mußten Erklärungen gegeben und das Ganze in eine lesbare Form gebracht werden. Die Methode der Verarbeitung war erst noch zu finden.

Nachdem sich in J. Huber in Frauenfeld ein Verleger geboten hatte, der sich die Herausgabe des Idiotikons zur nationalen Pflicht machte, konnte endlich 1881 nach fast zwanzigjährigen Vorarbeiten das erste Heft des Idiotikons erscheinen. Die beiden Redactoren haben darauf verzichten müssen, dem Wörterbuch eine Grammatik vorausgehen zu lassen, sie haben die „sowohl zeitraubende als ans Herz rührende Aufgabe“ lösen müssen, ihrem Werke „eine weit beschränktere Gestalt und Fassung“ zu geben, als es in ihrem Plane und Wunsche gelegen hatte; St. betrachtete die Veröffentlichung noch als verfrüht: die freudige Zustimmung von nah und fern konnte ihn trösten. Die ersten Lieferungen des Werkes waren von St. und Tobler allein redigirt; bald jedoch sah man sich durch den Wunsch der subventionirenden Behörden veranlaßt, das Redactionspersonal zu vermehren. Sollte dem Ganzen ein einheitlicher Charakter gewahrt werden, mußten die Manuscripte der einzelnen Redactoren einer einheitlichen Schlußredaction unterworfen werden; es gab sich von selbst, daß St. dieser Aufgabe sich unterzog, die er mit bewundernswerthem Tact und Geschick durchführte. Er war in erster Linie dazu berufen durch seine unvergleichliche Kenntniß nicht nur des auf dem Bureau aufgespeicherten Materials, sondern der schweizerdeutschen Mundarten überhaupt; mit Recht heißt bei H. Fischer, Geographie der schwäbischen Mundart, 1895, S. III der „treffliche“ St. „vielleicht der gründlichste Kenner eines größeren deutschen Sprachgebiets“. Jahr für Jahr verwendete er einige Ferienwochen dazu, sich [629] mit einer neuen Gegend seiner Heimath, am liebsten mit einem entlegenen Hochthal, bekannt zu machen; er verstand es wie nicht leicht ein anderer, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen; scharf sah und hörte er, unterstützt durch ein seltenes Gedächtniß. Daraus begreift sich die unnachahmliche Sicherheit, mit der er bei der Bearbeitung das Echte vom Gemachten zu unterscheiden wußte. Mit den Mitarbeitern verband ihn theilweise vertrauteste Freundschaft, ohne Unterschied der politischen oder religiösen Anschauungen; den auswärtigen Freunden stand sein gastliches Haus jeder Zeit offen; sie kamen oft und sahen es gern, wenn er ihren Besuch erwiederte. Vor allem ein unermüdlicher und findiger Sammler, verkannte St. die Bedeutung der wissenschaftlichen Verarbeitung durchaus nicht. Stets arbeitete er daran, seine gediegene philologische Bildung zu vertiefen, sei es durch die Lectüre fachwissenschaftlicher Werke, sei es durch den Besuch von Vorlesungen an der Universität, für den er bis in die letzten Jahre Zeit fand. St. hat selbst eine nach Gehalt und Form mustergültige Untersuchung zur schweizerdeutschen Lautlehre geliefert: „Die Vokalisirung des N bei den schweizerischen Alemannen“ (in Frommann’s Deutschen Mundarten VII, 18 ff., 191 ff., 333 ff., hervorgegangen aus einem Vortrag, durch den er am 15. October 1873 die in Zürich versammelten Gymnasiallehrer für die Sache des Idiotikons zu gewinnen suchte). Staub’s Interessen erschöpften sich jedoch nicht im rein Sprachlichen: mit gleicher Liebe ging er allen Aeußerungen der schweizerischen Volksseele nach, in Bild und Wort. Schon in jungen Jahren hatte er angefangen alles, was sich darauf bezog, zu sammeln: als er starb, hinterließ er eine einzigartige Sammlung von Helvetica, die jetzt eine Zierde der schweizerischen Landesbibliothek bildet, der Anstalt, bei deren Gründung St. mit in erster Reihe stand, über deren Einrichtung er sich in einer ausführlichen Denkschrift aussprach.

Litterarischen Ruhm hat St. nicht erstrebt; sogar zu einer Arbeit wie „Das Brot“ bekennt er sich erst im Vorwort, nicht auf dem Titelblatt, denn „die Ehre des Vaterlandes, in dessen Dienst wir uns und unsere Arbeit gestellt haben, steht uns höher als persönlicher Schein“ (Vorwort S. VIII); er hätte sogar das Idiotikon ohne seinen Namen hinausgehen lassen. Um so eher begreift es sich, daß fast alles, was St. geschrieben hat, im Dienste des Idiotikons steht und daher bereits erwähnt ist. Außerdem ist noch die Ausgabe der deutschen Bearbeitung von Zwingli’s Lehrbüchlein, die er 1879 für A. Israel’s „Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts“ besorgte, und sein Antheil an der Jubiläumsausgabe von Pestalozzi’s Lienhard und Gertrud zu nennen, die ihm als Mitglied der Commission für das Pestalozzistübchen nahe gelegt war. Ein rüstiges Alter erlaubte St., bis zuletzt der erwählten Lebensaufgabe sich zu widmen, wenn auch vielfach behindert durch ein schweres Augenleiden, das ihm die Arbeit am Wörterbuch eingetragen hatte; so gut es ging, halfen ihm seine Angehörigen und eine treue Bureaugehülfin durch Vorlesen. Es überkam ihn freilich etwa das Gefühl, es werde nicht mehr lange dauern, bis auch ihm das letzte Stündlein schlagen werde. Denn von den alten Freunden ging einer nach dem andern zur letzten Ruhe ein – schon der Jahresbericht für 1880/81 enthält „eine erschrecklich lange Liste“ von Mitarbeitern, welche das erste Heft des Idiotikons nicht erlebten –; 1894 starb H. Schweizer-Sidler, dem St. im Vorwort zu seiner Schrift über „das Brot“ S. VII das Zeugniß gibt, daß er seinem „Unterrichte und Umgang sowohl die Lust als den Muth zu diesen Studien zu danken“ habe; 1895 schied sein ihm aufs engste verbundener College L. Tobler. Bald sollte sich Staub’s Ahnung erfüllen. Im Juli 1896 zog er sich in Landeck bei Rorschach, wo er mit seiner Familie die [630] Ferien zubrachte, eine Erkältung zu, deren Folgen er am 3. August zu Zürich erlag. In voller Geistesfrische, mitten aus seiner Thätigkeit heraus, ist St. von seiner Arbeit abberufen worden. „Er mußte das Werk, das er begründet hatte, unvollendet zurücklassen. Aber Grund- und Aufriß des Ganzen sind durch ihn vorgezeichnet, durch ihn auch die Bausteine zusammengetragen worden, aus denen der gewaltige Bau zu Ende geführt werden kann“ (A. Bachmann, Schweiz. Idiotikon IV, 351).

A. Bachmann, Biogr. Jahrbuch und Deutscher Nekrolog I, 235–242. 1896. – K. Schnorf, 27. Jahresheft des Vereins schweiz. Gymnasiallehrer 1896, S. 55–67.

[624] *) Zu Bd. LIV, S. 448.