ADB:Stieler, Kaspar von
Valentin Thilo begann er die Beschäftigung mit der Beredsamkeit, von deren Früchten er später als Schriftsteller und Lehrer so umfassenden Gebrauch gemacht hat. Eine Hauslehrerstelle auf dem Lande zwang ihm die theologischen Studien auf, die in seinen geistlichen Liedern und andern Andachtsbüchern zu Tage treten. 1654 kehrte er in die preußische Hauptstadt zurück und übernahm, rasch entschlossen, die Stelle eines Auditeurs und Kriegssecretärs bei dem Cavallerieregiment v. Wallenrodt: so brachte der Soldatenrock dem 22jährigen die Bekanntschaft mit der einzigen Facultät, die ihm bisher fremd geblieben war. St. machte den schwedisch-polnischen Feldzug mit und hat es in dessen Verlauf, die Feder gänzlich mit dem Schwerte vertauschend, in raschem Avancement zum Capitänlieutenant gebracht. 1657 quittirte er den Kriegsdienst, wandte sich zunächst nach den Hansestädten, dann nach Holland, hat unter wechselnden Umständen, aber meist in niederer Stellung, Frankreich, Spanien, Italien und die Schweiz kennen gelernt und ist erst 1661 in die Heimath zurückgekehrt. 1662 ließ er sich in Jena noch einmal immatriculiren, nahm aber schon 1663, mit seiner Verheirathung, eine Stelle als Kammersecretarius des Grafen Albrecht Anton von Schwarzburg-Rudolstadt an und trat aus ihr 1663 in die einträglichere, aber arbeitsvollere eines gemeinsamen Kammer-, Lehen- und Gerichtssecretarius der jungen sachsen-weimarischen Herzöge zu Eisenach über. Am 29. November 1668 in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, verdiente er, der mit 36 Jahren litterarisch noch völlig unbekannt war, wohl den Beinamen des „Spaten“, hat aber den Spruch, den man seinem Emblem, dem Blumenkohl, [202] mitgab: „Uebertrifft den Frühzeitigen“, durch die staunenswerthe Fruchtbarkeit seiner zweiten Lebenshälfte glänzend gerechtfertigt. In Eisenach blieb St. länger als 10 Jahre; dann war er kürzere Zeit in Jena als Universitätssecretär, in Weimar als Lehensecretär thätig und entsagte schließlich dem Herrendienst 1689, nachdem er zuletzt noch Hofrath des Herzogs von Holstein-Wiesenburg gewesen war. Nach einem vergeblichen Versuch, in Hamburg Boden zu fassen, ließ er sich 1691 in seiner Vaterstadt Erfurt nieder und hat hier, als Schriftsteller und Rechtsberather eifrig beschäftigt, auch auf die studentische Jugend durch Privatcollegien, besonders im deutschen Stil, gewirkt. 1705 wurde er von Kaiser Joseph I. in den erblichen Adelstand erhoben, der besonders der militärischen Laufbahn seiner Söhne galt und zu gute kam; am 24. Juni 1707 ist er gestorben.
Stieler: Kaspar (v.) St., vielseitiger Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, als dessen echten Sohn ihn die wechselvolle Laufbahn seines Lebens erscheinen läßt. Er war am 2. August 1632 zu Erfurt, wo sein Vater eine Apotheke besaß, geboren und bezog nach mehrfach unterbrochener Vorbildung 1648 die Universität Leipzig, um sie 1649 mit Erfurt und dies noch im gleichen Jahre mit Marburg resp. Gießen zu vertauschen. Von Gießen im Spätjahr 1650 relegiert, wandte er sich nach Königsberg, und hier scheint er seinem bisherigen Studium, der Medicin, den Rücken gekehrt zu haben: unter dem ProfessorAus dem stattlichen Verzeichniß von Stieler’s Schriften bei Motschmann sind jedenfalls die Rudolstädter Festspiele auszuscheiden, wenn auch ihr Pseudonym Filidor ebensowenig auf Jakob Schwieger (s. A. D. B. XXXIII, 443) gedeutet werden darf. Stieler’s echte Dramen (beide Jena 1680) sind wesentlich andern Charakters: Die Tragödie „Ballemperie“ geht durch holländische Vermittlung auf Th. Kyd’s Spanish Tragedy zurück, das Lustspiel „Willmut“ mit seinen teutonisch benamsten Schattengestalten gehört in jene Kategorie allegorischer Lehrstücke, für welche der Göttinger H. Tolle der erste Repräsentant ist. Ueber Stieler’s handschriftlich in Kopenhagen aufbewahrte „Dichtkunst“ (1669) und über seine in Weimar liegende Verdeutschung von F. Sbarra’s „Pomo d’oro“, dürfen wir Mittheilungen Bolte’s erwarten. Von den 10 Erbauungsbüchern, die St. zusammengestellt und großen Theils selbst verfaßt hat, ist mir nur „Der bußfertige Sünder“ zugänglich gewesen; viele Auflagen erlebte die „Neu entsprungene Wasserquelle“. – Das größte Ansehen verschafften dem „Spaten“ aber seine umfangreichen Lehr- und Musterbücher für den Brief- und Geschäftsstil wie für die ganze Praxis der Aemter, in denen der vielgewandte selbst thätig gewesen war: „Teutsche Secretariat-Kunst“ (1673), „Der teutsche Advocat“ (1678), „Auditeur oder Krieges-Schultheiß“ (Nürnberg 1683) und viele andere. An ihrer Spitze steht nicht nur zeitlich die „Teutsche Secretariat-Kunst“, die bis 1726 viermal aufgelegt, zwei Generationen die Normen des Briefschreibens geliefert hat: ungezählte Handbücher nähren sich aus diesen beiden Quartanten, und auch der Autor selbst hat für mehr als ein bequemeres Compendium Sorge getragen, besondere Bedürfnisse auch noch durch die Neubearbeitung von Kindermann’s „Teutschem Wolredner“ (Frankfurt u. Leipzig 1688) befriedigt. Wie St. die Sprache des schriftlichen Verkehrs als Lehrer fixirt, ist es eine Umbildung des alten Kanzleistils nach französischen Vorbildern, aber unter starker Betonung der Muttersprache und voller Ausnutzung ihrer Mittel. Er ist durch die Verbreitung seiner Lehrbücher wol der einflußreichste Vertreter der Fruchtbringenden Gesellschaft geworden, deren Tendenzen kein zweites Mitglied seit Schottel gleich maßvoll, geschickt und nachhaltig verfochten hat.
Das reiche Sprachmaterial, welches St. seit langen Jahren, unter hunderten von Rubriken, im Dienste der „Beredsamkeit“ aufgesammelt hatte, faßte er schließlich auch in lexikalischer Form zusammen in dem Werke, das heute, nicht mit vollem Rechte, der einzige Träger seines Namens ist: „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs, oder Teutscher Sprachschatz“ (Nürnberg 1691). Es war die lexikalische Ergänzung von Schottel’s Haubtsprache, das von der Fruchtbringenden Gesellschaft lang erstrebte Deutsche Wörterbuch. – St. war freilich kein Sprachgelehrter, nicht einmal im Sinne seiner Zeit: die angehängte „Kurze Lehrschrift von der Hochteutschen Sprachkunst“ bedeutet keinen Fortschritt gegen Schottel, und die Anordnung nach Stämmen verräth oft genug völlige Unkenntniß [203] des historischen Verhältnisses. Aber der Verfasser, der bis zu dem Fragment gebliebenen Thesaurus von Henisch (1616) zurück keine Vorarbeiten fand und ganz auf eigensten Collectaneen aufbaute, gewinnt unsern Respect und unsere Zuneigung durch die umfassende Kenntniß der lebenden Sprache bis in ihre dialektische Färbung hinein und durch den warmen und thätigen Patriotismus, der zwar alle seine Schriften durchweht, aber nirgends zu einem so liebenswürdigen Ausdruck gelangt ist.
- J. F. Feller vor der 4. Ausgabe von Stieler’s Teutscher Secretariat-Kunst (1726). – Motschmann, Erfordia litterata I, 100–123. – J. H. v. Falckenstein, Analecta Nordgaviensia IV, Nachlese (Schwabach 1738) 253–280. – Gottsched’s Beyträge z. Krit. Historie IV, 3–23. – Rudolphi, Kaspar Stieler der Spate. Progr. Erfurt 1872. – Goedeke III2, 227. – Archiv f. d. St. d. n. Spr. 90, 193 f. – J. Grimm, Deutsches Wörterbuch I, S. XXI f. – Raumer S. 187. – Briefliche Notizen J. Schick’s über „Ballemperie“, J. Bolte’s über Ballemperie u. Handschriftliches.