ADB:Stolberg-Wernigerode, Eberhard Graf zu
Grafen Anton (s. o. S. 376) zu St.-W. und seiner Gemahlin Luise, Tochter des Justizministers Frhrn. v. d. Recke, zu Peterswaldau in Schlesien geboren, † am 8. August 1872 zu Johannisbad in Böhmen, erhielt im Vaterhause eine ebenso einfache als sorgfältige Erziehung, wobei das Vorbild der Eltern am kräftigsten wirkte, bis in sein 12. und 14. Lebensjahr auch das seiner Großeltern, des Grafen und der Gräfin Christian Friedrich, mit denen die Eltern zusammenwohnten. Von 1820 an genoß er vier Jahre lang den Unterricht des als Superintendent zu Giebichenstein verstorbenen tüchtigen Theologen Johannes Zahn. Dann kam er 1824 auf die mit dem Gymnasium zu Bunzlau verbundene Lehranstalt, endlich einige Jahre später auf das Gymnasium zu Glogau. Nach Ueberstehung einer gefährlichen Lungenkrankheit konnte er im Mai 1830 seinen Dienst im Heere im 2. Garde-Ulanenregiment beginnen. Ende 1836 wurde er zweiter persönlicher Adjutant des Prinzen Wilhelm von Preußen, 1841 Premierlieutenant. Nach seiner am 26. Mai 1842 erfolgten Vermählung mit der Prinzeß Marie, Tochter des Prinzen Heinrich LX. Reuß j. L., schied er im November d. J. als Rittmeister aus dem activen Dienst. Seine öffentliche Thätigkeit begann er im J. 1847 als Vertreter einer Virilstimme auf dem ersten vereinigten Landtage. Das nun folgende Sturmjahr bot ihm Gelegenheit, seinen Mannesmuth und seine königstreue Gesinnung im Kampfe mit der Revolution zu bewähren. Gleich seinem Vetter Wilhelm, dem ältesten Sohne seines Oheims Constantin, sammelte er eifrig Gesinnungsgenossen um sich und suchte die revolutionären Bewegungen zu dämpfen. Voll Freude äußert sich darüber wol sein Vater: ‚Eberhard, den die Guten lieben, die Halbschlechten fürchten und die Leute der blutrothen Farbe hassen, ist der Gegenstand aller möglichen Anfechtungen und der Zielpunkt aller üblen Bestrebungen, weil er kräftig Widerstand leistet‘. Wie groß dabei das Vertrauen der Bevölkerung, die ihn kannte, war, beweist die Einmüthigkeit, mit der ihn im J. 1849 vier schlesische Kreise zu ihrem Abgeordneten in der zweiten Kammer wählten. Dem einen dieser Kreise, dem Landeshuter, stand er zehn Jahre lang als Landrath, zur großen Zufriedenheit der Eingesessenen, vor. Gleich von seinem Eintritt in den vereinigten Landtag an entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältniß zwischen ihm und Herrn v. Bismarck-Schönhausen. Da dieses bis zu seinem Tode unverändert fortdauerte, so ist er öfter in der Lage gewesen, durch persönliche Vermittelung wichtige Dienste zu leisten. Im J. 1854 von den Verbänden des befestigten Grundbesitzes in den Fürstenthümern Schweidnitz und Jauer für das Herrenhaus präsentirt, wurde Graf E. am 24. November d. J. vom Könige als lebenslängliches Mitglied in diese hohe Körperschaft berufen. Schon im nächsten Jahre wurde er zum Vicepräsidenten erwählt, was er blieb, bis er 1862 an die Stelle des zum Präsidenten des Staatsministeriums berufenen Prinzen zu Hohenlohe-Ingelfingen zum ersten Präsidenten erwählt wurde, eine Stelle, die er bis an sein Ende mit allgemeinem Vertrauen und Anerkennung versah. In militärischer Hinsicht entfaltete er bei der Mobilmachung von 1850 als Schwadronführer im 7. Landwehrregiment, 1859 als Befehlshaber des 12. Landwehr-Husarenregiments eine eifrige, umsichtige Thätigkeit. Im J. 1869 [392] wurde er zum 1. Oberjägermeister und Chef des Königl. Hofjagdamts bestellt. Kurz vor Ausbruch des Krieges mit Frankreich erhielt er die Würde eines Generallieutenants.
Stolberg-Wernigerode: Eberhard, Graf zu St., am 11. März 1810 als erster Sohn desAber nicht Thaten des Schwertes, sondern der aufopfernden Christenliebe waren es, durch welche er sich ein ehrenvolles Gedächtniß stiftete. Als im Herbst 1852 König Friedrich Wilhelm IV. dem evangelischen Zweige des Johanniterordens eine fruchtbare und würdige Aufgabe durch Werke christlicher Barmherzigkeit an Armen und Kranken wiederzugeben suchte, da bot sich ihm Graf E. als einer der eifrigsten und geeignetsten Mitarbeiter dar. Am Johannistage 1852 wurde er von dem Herrenmeister des Ordens, dem Prinzen Karl von Preußen, zu dessen Kanzler, am 23. Juni 1856 zum Commendator für Schlesien ernannt. Mit dieser schönen umfassenden Aufgabe nahm der Graf es sehr ernst. Ja, er war es eigentlich, welcher dem Gedanken, den christlichen Adel zu sammeln und ihm bestimmte Aufgaben der Nächstenliebe zu stellen, eine thatkräftige Ausgestaltung gab. Als im J. 1864 der dänische Krieg ausbrach, erkannte er mit richtigem Blick, wie wichtig es für den Orden sei, seine Thätigkeit in den Dienst der Armee zu stellen. Der Gedanke wurde sofort zur That und Graf E. entwickelte, unterstützt von seiner hochsinnigen Gemahlin und verschiedenen Ordensrittern in Gemeinschaft mit den unter seiner Schwester Anna als Oberin von Bethanien stehenden Diakonissen in den vom Johanniterorden errichteten Kriegslazarethen zu Altona, Flensburg und Kolding eine unermüdliche und segensreiche Thätigkeit, die um so mehr Anerkennung verdient, je bescheidener und demüthiger er selbst davon dachte. Als er schon ein gut Theil Arbeit hinter sich hatte, äußerte er darüber gegen einen befreundeten Grafen: ‚Möchte unser Orden sich bei dieser Kriegsprobe die rechten Rittersporen verdienen; das ist mein heißer Wunsch gewesen, als ich am 31. Januar Berlin verließ. Anfänge sind gemacht, aber leider ist nicht alles Gold, was glänzt, das habe ich an vielen Anderen, vornehmlich an mir selbst erfahren … Ich tröste mich damit, daß Gott den guten Willen ansieht und bei aller menschlichen Schwäche seinen Segen geben kann. Um diesen Segen für den Orden und seine Träger werden Sie mir beten helfen‘. (Flensburg, 17. April 1864.) Auch des Grafen Gemahlin und sein Bruder Bolko griffen bei diesem Werke der Barmherzigkeit rüstig zu. Was in den Elbherzogthümern begonnen, wurde im J. 1866 in größerem Maßstabe fortgesetzt. Vom Könige zu Anfang des Krieges zum Commissarius und Militärinspector der freiwilligen Krankenpflege im Kriege ernannt, machte der Graf persönlich den Feldzug in Böhmen mit und war die Seele und der Mittelpunkt der gesammten freiwilligen Hülfe, die hier nicht nur von den Ritterorden, sondern auch von den infolge der Genfer Conferenz begründeten zahlreichen Vereinen zur Pflege im Felde verwundeter oder erkrankter Krieger geübt wurde. Als das hohe Vertrauen des Königs und seines ersten Ministers dem Grafen am 18. Juli 1869 durch Berufung als Oberpräsident von Schlesien ein neues verantwortungsvolles Amt auflegte, wußte er mit der gewissenhaften Verwaltung desselben seine ihm ans Herz gewachsenen Aufgaben als Johanniter zu vereinigen. Allerdings sah er sich veranlaßt, die beim Beginn des Krieges mit Frankreich ihm vom Könige zugedachte militärische Inspection der freiwilligen Krankenpflege im Felde abzulehnen und an seiner Stelle den Fürsten Pleß vorzuschlagen, dem er dann als Provinzialdelegirter für Schlesien diente. Zweimal ging er damals nach Frankreich, das erste Mal im Dienste der freiwilligen Krankenpflege, im Januar 1871 aber, um als Präsident des Herrenhauses dessen Glückwünsche zur Kaiserwürde zu überbringen. Als Oberpräsident wirkte er mit großer Betheiligung von Herz und Gemüth, aber auch mit der ihm von jüngeren Jahren an eigenen Gewandtheit und Geschäftstüchtigkeit. Bei seiner zweiten Reise nach Frankreich [393] schmückte ihn der Kaiser mit dem Eisernen Kreuz am weißen Bande. Auch hohe und höchste Orden anderer Fürsten bedeckten seine Brust. Seine höchste Zier aber war die hohe Verehrung, Anerkennung und Liebe, die er genoß und die auch aufs reichste zum Ausdruck kam, als der verdiente Beamte, Menschenfreund und Christ über Erwarten schnell ohne eigentliche Krankheit mitten aus seinem thätigen Leben abgerufen wurde. Längere Zeit von einem nervös gichtischen Leiden angefochten, das er mit starker Willenskraft bekämpfte, suchte er anfangs August 1872 von diesem Befreiung zu Johannisbad in Böhmen, das ihm im Jahre zuvor wohlgethan hatte. Aber kaum hatte er den Ort erreicht, als ihn bereits der Tod dahinraffte. Ueberaus zahlreich war die Betheiligung von Hoch und Nieder bei der am 12. August zu Kreppelhof veranstalteten Trauerfeier. Die äußeren Züge des Grafen führt eine Lithographie von E. Meyer vor Augen.
- G. Hesekiel, Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg 1872, S. 233–237 und handschriftl. Quellen.