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ADB:Strassen, Christoph von der

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Artikel „Strassen, Christoph von der“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 506–510, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Strassen,_Christoph_von_der&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 06:27 Uhr UTC)
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Strassen: Christoph von der St., deutscher Staatsmann der Reformationszeit in kurfürstl. brandenb. Diensten, geb. 1511, † 1560, entstammte einer ursprünglich schweizerischen, in Sachsen eingewanderten Familie. Sein Vater, Michael, zuletzt sächs. Rath und Amtshauptmann in Borna, war der evangelischen Lehre zugethan und stand mit Luther und Melanchthon in Beziehungen. Dem entsprach es, wenn er drei seiner Söhne, darunter den ältesten, Christoph, auf die hohe Schule zu Wittenberg schickte. Chr. bezog diese Universität im Wintersemester 1523 auf 24 in einem Alter von zwölf Jahren. Damals bekleidete gerade Melanchthon die Würde des Rectors. Obwol Luther selbst sich um ihn kümmerte, fesselte doch Wittenberg St. nicht dauernd, vielmehr wandte er sich zur Fortsetzung seiner [507] Studien später nach der stockkatholischen Universität Ingolstadt. Dreiundzwanzigjährig ging er dann (1534) nach Bologna, zusammen mit einer ganzen Anzahl anderer Studirenden, die nachmals in der Reichsgeschichte – bedeutsam genug für die spätere Haltung Strassen’s – größtentheils als kaiserliche Parteigänger hervorgetreten sind, nämlich mit dem späteren Reichsvicekanzler Georg Sigismund Seld, dem nachherigen Geschichtschreiber Hans Jakob Fugger, ferner mit Karl Tisnacq und Lucas Ullstatt, die u. a. 1551 bei der Augsburger Predigerverfolgung erwähnt werden, mit dem nachmals in der sächsischen Politik genannten Sachsen Georg v. Schleinitz und mit Heinrich Schneidewein, der vermuthlich identisch ist mit dem nachmaligen berühmten Professor. Procurator der deutschen Nation war im J. 1534 u. a. Christoph v. Madrutz, der nachmalige Cardinal von Trient. In Bologna promovirte St., nachdem er 1536 zum Syndikus der Procuratoren für das Jahr 1537 gewählt war, 1537 zum Doctor beider Rechte und beschloß damit, fünfundzwanzigjährig, eine vierzehnjährige Studienzeit. Die erworbenen Kenntnisse verwerthete er zunächst am Reichskammergericht zu Speier. Dort schloß er u. a. Freundschaft mit dem kaiserlichen Rath und Kammerrichter Johann Graf zu Montfort. Nach vier Jahren (1542) bot sich ihm jedoch ein glänzenderes Feld der Thätigkeit, indem der dreißigjährige Kammergerichtsassessor von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg als ordentlicher Professor der Rechte nach Frankfurt a. O. berufen wurde. Von seiner Lehrthätigkeit erfahren wir indeß sehr wenig, wenngleich er die genannte Professur 18 Jahre innehatte. Nur einmal, im Sommersemester 1556, verwaltete er das Amt des Rectors. Desto mehr sollte er politisch hervortreten, da Kurfürst Joachim ihn in wachsendem Maaße in sein Vertrauen zog. Bezeichnend genug für die politische Gesinnung des brandenburgischen Fürsten wurde St., der so vorwiegend Beziehungen zur kaiserlichen Partei hatte, sehr bald zum kurfürstlich brandenburgischen Geheimen Rath ernannt und mit den heikelsten Aufgaben betraut.

Politisch trat er zuerst hervor zur Zeit der Demüthigung der evangelischen Partei, indem er neben Agricola, Eustachius v. Schlieben und Leonhard Keller in Begleitung seines Kurfürsten am Augsburger Reichstag von 1547 erschien, dem Reichstag, dessen Frucht das Interim war. In der Folge gehörte er zu den eifrigsten Vollstreckern jenes unseligen Reichstagsabschiedes. Zugleich arbeitete er auf eine Befreiung des gefangenen Landgrafen von Hessen hin und suchte u. a. Prinz Philipp von Spanien zu bestimmen, sich für ihn zu verwenden (14. März 1549). 1550 rieth er als brandenburgischer Vertreter auf dem Reichstage zu Augsburg seinem Herrn ab, dorthin zu kommen wegen des Vordrängens der Spanier und bekämpfte eine etwaige Hinneigung Kurfürst Joachim’s zur Candidatur des Prinzen Philipp von Spanien. Sodann setzte er in diesem Jahre im Auftrage seines Kurfürsten eine umfassende Staatsschrift auf, in der er vor dem Reichskammergericht darzulegen suchte, daß die brandenburgischen Bischöfe immer landsässig gewesen wären. Außerdem betrieb er beim Kaiser eine Execution gegen die dem Interim widerspenstigen Magdeburger und schlug als Executor den Kurfürsten Joachim vor, der mit dem Plan umging, seinem Sohn die Bisthümer Magdeburg und Halberstadt zu erwerben. Zur weiteren Verfolgung dieses Zieles ersah Joachim sich besonders St. aus und beschloß am 30. Jan. 1551 ihn zu diesem Zwecke nach Rom zu schicken. Jedoch zerschlug sich diese Reise. Anstatt dessen ging St., nachdem er zuvor in Calbe a. S. mit dem Magdeburger Domcapitel verhandelt und in Halle eine Zusammenkunft mit Kurfürst Moritz, der ähnliche Absichten auf Magdeburg hegte, gehabt hatte, im August 1551 nach Trient auf das Concil. In Trient entwickelte er sich zum höchsten Entzücken der römischen Geistlichkeit als einen sehr lauen Freund, wenn [508] nicht als Feind der evangelischen Lehre, indem er die kirchlichen Gesichtspunkte sehr nachlässig behandelte, vielmehr lediglich auf die Stärkung der kurfürstlichen Hausmacht, nämlich die Erwerbung jener Stifter ausging. Niemand anders als Melanchthon sprach in unzweideutigen Worten seine Entrüstung über diese befremdende Haltung des Gesandten einer evangelischen Vormacht aus (an König Christian von Dänemark). St. machte den Tridentinern die weitestgehenden Zugeständnisse in der Religionsfrage. U. a. erkannte er den katholischen Abendmahlsritus ziemlich unumwunden an. In seinen Gesandtschaftsberichten drückte er sich in der feindseligsten Weise über die Hartnäckigkeit der protestantischen Theologen aus, während er für die Würde der Concilsväter nicht genug Worte des Lobes finden konnte. Bemerkenswerth ist auch sein Versuch Kurfürst Moritz zur Beschickung des Concils zu bestimmen. Die Versöhnung der Parteien sei durchaus nothwendig. „Dan warlich, so wir Deutschen nicht verglichen werden, so seint wir warlich vordrucket und wird uns der Türk fressen.“ „Wir sitzen im bade, darein sie (die evangelischen Theologen) uns beredet.“ „Got ist barmherzig und underlest nichts, das er uns uf den rechten wegk bringe, aber wan mans zu vil macht und mit sehenden augen nicht sehen wil, so kann er auch wol zürnen.“ Kein Wunder, daß ein solcher Gesandter günstigen Boden für seine Hausmachtspolitik bei den Römischgesinnten fand. Am 24. Januar 1552 befürwortete das Concil die Bestätigung des jungen Markgrafen beim Papst. Am 18. Februar theilte auch dieser an St. sein Einverständniß mit. Gestützt auf diesen diplomatischen Erfolg konnte St. auch die Wirkungen von Einflüsterungen gegen ihn beim Kurfürsten zerstreuen und mit Emphase auf das „Pilgerleben“ weisen, das er lediglich im Interesse des Kurfürsten seit einiger Zeit führe. Ein fernerer Erfolg waren die fortgesetzt guten Beziehungen zu Mainz und Köln, die dem Kurfürsten um die Wette ihre Dienste anboten. Heimkehrend von Trient wurde St. März 1552 von der kaiserlichen Partei als Vermittler zwischen Kaiser Karl und Kurfürst Moritz, dessen Frontwechsel sich damals zu vollziehen drohte, benutzt. Sehr willkommen war er hierzu wegen seiner Vertrautheit mit dem Cardinal von Trient, Bologneser Angedenkens. In der Sache des Landgrafen Philipp von Hessen mahnte er seinen Kurfürsten zur Vorsicht. „Wo man mit gewalt faren wirt, so sehe ich nichts anders fur augen, dan des hl. reichs untergang und deutscher nation vorterb, über das man den lantgrafen umb sein leben bringet.“ Von kaiserlicher Seite wurde er abermals zu Philipp von Hessen geschickt mit dem Auftrage, ihm seine baldige Befreiung anzukündigen (April 1552). Danach hat St. neben verschiedenen anderen brandenburgischen Gesandten den Verhandlungen zu Linz (eröffnet am 18. April 1552) und Passau (eröffnet am 31. Mai) beigewohnt und dort eine entschiedene Haltung gegen die Kriegsfürsten eingenommen. Er wird in Passau als erster Redner nach dem kgl. Commissar angeführt, eine Thatsache, die darauf schließen läßt, daß er eine gewichtige Stimme in der Versammlung führte. In seinem letzten charakteristischen Bericht aus Passau (4. August 1552) mißbilligte er den Zug des Albrecht Alcibiades in den Rheinlanden. „Ich kann mich für meine einfalt in die libertet nicht richten, dann ich sehe nichts anders dan vorterben und vorrosten der Deutschen nation, unsers vaterlands.“ Er bedauert dann die Auslieferung von Metz, Toul und Verdun. „Es ist zu erbarmen, das ir grossen hern eurn undergang so lange zusehet und nichts dazu thut, sondern allen erbermlichen mutwillen gestattet. Es gehet und trifft nymands mehr an, dann euch große hern und heupter. Ich sehe, daß es eine augenscheinliche straf Gots ist, das ist aber zu erbarmen, das irs Deutschen selbst einander thun und vorterben sollet.“ Für den Kurfürsten Joachim käme es besonders darauf an, sich die Gunst des Kaisers zu erhalten. Seine Vorfahren wären mit dem Hause [509] Oesterreich gestiegen u. s. w. Diese Politik brachte St. denn auch den Dank der kaiserlichen Partei ein. Nur mit den Spaniern, besonders mit Arras, vor dem er einen heilsamen Respect hatte, hat er sich nicht stellen können. Dagegen erfreute er sich der Freundschaft nicht nur seiner Bologneser Gefährten, so Seld’s und Madrucci’s, sondern z. B. auch des Kurfürsten von Mainz, des kaiserlichen Raths Freiherrn Böcklin’s v. Böcklinsau und auch des Lazarus v. Schwendi. Beim Kaiser Karl und König Ferdinand nahm er wie bei Joachim II. eine große Vertrauensstellung ein. Während indeß der Kurfürst auch nicht mit materiellen Beweisen seiner Gunst kargte, indem er an St. die Lehn Manschnow, Rosengarten, Lichtenberg, Hohenwalde (sämmtlich im jetzigen Lebuser Kreise) und die Mehrzahl der Mühlen in der Lebuser Vorstadt zu Frankfurt a. O. verlieh ebenso wie auch das bischöfliche Haus an der Frankfurter Oberkirche, das daher den Namen Strassenhof empfing, hat St. sich beim Kaiser anscheinend vergeblich um materielle Beweise der Gnade bemüht. Er nahm noch 1555 am Reichstage zu Augsburg theil und ist vermuthlich im Gegensatz zu Distelmeier unter den brandenburgischen Gesandten für den geistlichen Vorbehalt eingetreten. Auch 1558 und 1559 treffen wir ihn als Gesandten. Am 21. März 1560 ist er in Frankfurt gestorben. Begraben wurde er in der dortigen Oberkirche. Sein Bild brachte man u. a. am Katheder der Juristenfacultät an. Verheirathet war er mit der Tochter eines sächsischen Beamten, Magdalene Scheibe. Von seinen Söhnen wurde Maximilian auch Professor der Rechte in Frankfurt. Mit diesem ist die Familie 1622 ausgestorben.

St. ist eine bemerkenswerthe Erscheinung der Reformationszeit. Er war einer der ausgesprochensten Vertreter der Versöhnungspolitik. Trotzdem ist er keineswegs zu den schwächlichen Naturen zu zählen, die hauptsächlich zu solcher Vermittlungspolitik zu neigen pflegen. Seine Briefe mit ihrem rücksichtslosen entschiedenen Tone belehren uns eines andern. Lazarus v. Schwendi würde über einen solchen zartbesaiteten Charakter auch kaum ein Urtheil gefällt haben wie das: „Ir muessen nit so ein böß maul haben oder zum wenigsten dasselb nicht so grob bleckhen, wie Ihr pfleget zu thun. Ir habts aber nun dahin gebracht, da Ir euch geleich unnütz macht und den leuthen die warheit und das, so sie nit gern hören, saget, so darff man drumb mit euch nit zürnen.“ In seiner Grabschrift wird besonders seine Beredsamkeit gerühmt; und seine Briefe geben in der That Zeugniß davon, daß er die Sprache mit nicht gewöhnlicher Gewandtheit handhabte. Und sie offenbaren nicht nur Schwung der Sprache, sondern auch der Auffassung. Sein Standpunkt war, das bezeugen zahlreiche Wendungen seiner Berichte, aufrichtig patriotisch, deutschnational. Das Wohl der deutschen Nation ist ihm zweifellos stets der leitende Gedanke gewesen. In diesem Sinne hat er auch Joachim II. von Brandenburg beeinflußt. Vor seinem Nationalbewußtsein wich im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen seine religiöse Empfindung ganz zurück, sodaß man ihn neuerdings für einen verkappten Katholiken gehalten hat, eine Annahme, der ich mich nicht anschließen kann. Er war jedoch zu kurzsichtig, um die antinationale Haltung des Kaisers und der römischen Partei zu durchschauen. Schon darum ist ihm in der Geschichte der Platz nur unter den politischen Geistern zweiter oder dritter Größe gewiesen.

E. Friedlaender, Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, Berlin 1887. – Neue Mittheilungen des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Geschichte XIV. Halle 1878. S. 187–255. (Eine Briefsammlung des brandenburgischen Geheimen Raths und Professors Dr. Christof v. d. Strassen. Von J. O. Opel.) – August v. Druffel, Beiträge zur Reichsgeschichte. 1546 bis 1552. München 1873, 1880. – Julius Heidemann, Die Reformation [510] in der Mark Brandenburg. Berlin 1889. – Becman, Notitia universitatis Francofurtanae, Frankfurt 1707. – M. F. Seidel’s Bildersammlung mit Erläuterungen G. G. Küster’s. Berlin 1751. – Ranke, Deutsche Geschichte. – Droysen 2 b. – E. Friedlaender, Frankfurter Universitätsmatrikel. Leipzig 1887. – C. E. Foerstemann, Album academiae Vitebergensis. Leipzig 1841. – Luther’s Werke, ed. Walch, LIII, 218 u. 223.