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ADB:Seld, Georg Sigmund

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Artikel „Seld, Georg Sigismund“ von August von Druffel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 673–679, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seld,_Georg_Sigmund&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:33 Uhr UTC)
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Seld: Georg Sigismund S., bei Volrad v. Waldeck auffallenderweise stets Philipp genannt, wurde angeblich am 21. Januar 1516 zu Augsburg geboren. Sein Vater, Georg S., war ein tüchtiger Goldschmied, und soll auch den Stadtplan von Augsburg 1521 entworfen haben; er war 60 Jahre alt, als Georg Sigismund geboren wurde und in vierter Ehe verheirathet mit Priscilla Schalter, welche dann ihrerseits später wieder heirathete und die Mutter Johann Hegenmüller’s wurde. Wir wissen noch von zwei älteren Brüdern unseres S., Nikolaus und Christof. Der erstere begegnet uns als kaiserlicher Commissar 1553 in einem Streite um Holzgerechtigkeiten zwischen dem Bischof von Freising und Graf Ladislaus v. Haag, der andere war 1543 Advocat am Speierer Kammergericht, trat am 1. Febr. 1552 mit 400 fl. Gehalt als Rath in die Dienste Herzog Albrecht’s V. von Baiern und starb als solcher zu München Ende 1557.

Gleich den älteren Brüdern widmete sich auch Georg Sigismund der Rechtswissenschaft, nachdem er sich unter Leitung des namhaften Philologen Pönitianus zu Augsburg für die höheren Studien vorgebildet hatte. Im Januar 1531 trug er, drei Monate später als sein Bruder Christof, seinen Namen in die Matrikel der Ingolstädter Hochschule ein. Nikolaus Eberhard Frisius soll den jungen Studenten, nach Pantaleon’s Bericht, für die Rechtswissenschaft gewonnen haben; indessen nicht in Ingolstadt, sondern in Italien und Frankreich machte S. die Studien, welche die Grundlage für seine spätere Laufbahn bildeten; neben der Jurisprudenz trieb er auch Humaniora, lernte auch spanisch. In beide Länder zog er als Begleiter zweier Söhne des Raimund Fugger, des Hansjakob und Georg; während S. den beiden vornehmen jungen Leuten ein gleichaltriger Freund sein sollte, stand über ihnen als Präceptor Christof Hager, welcher schon vor 1532 in Frankreich mit Viglius van Zwichem Freundschaft geschlossen hatte und 1535 verstarb. Padua und Bologna wurden besucht, dort Lazarus Bonamici, [674] hier Romulus Amaseo gehört, dann ging es für zwei Jahre nach Bourges und Paris; schließlich wurden wieder zwei Jahre in Italien zugebracht. So meldet Pantaleon, feststellen können wir nur nach Friedländer’s Acta Universitatis Bononiensis, daß S. 1534 mit den beiden Fugger und mit Christof Hager zusammen in Bologna immatriculirt wurde und daß, als 1536 Georg Fugger in die Heimath zurückkehren mußte, zuerst Wiguleus Hund, dann S. das Ehrenamt eines Procurators der Deutschen Nation bekleidete. Ob er hier oder in Padua promovirte, ist ungewiß; das Tagebuch Volrad’s v. Waldeck behauptet sogar, daß er in Frankreich, zu Lyon(!) den Doctorgrad erworben habe. Daß Christof Hager einen hervorragenden Einfluß auf S. ausübte, darf man wohl aus einem Briefe des Viglius vom 21. September 1537 schließen, worin dieser dem jungen S. für Uebersendung einer lateinischen Dissertation „De legatis“ dankt, indem er sagt, dem Hager könne man Glück wünschen, einen solchen Schüler erzogen zu haben. Viglius versprach zugleich, er wolle S. gern alle Förderung bei dem Eintritt in das öffentliche Leben angedeihen lassen, demselben die Gunst der Fugger in erhöhtem Maße zu erwirken suchen.

S. wartete anscheinend nicht lange auf eine Anstellung. Die Biographen melden, daß er anfänglich in die Dienste des Bischofs von Freising getreten sei, von wo er dann Rath bei Herzog Ludwig von Baiern († 1545) wurde; er heirathete die Tochter von dessen Kanzler zu Landshut, Thomas Rudolf, der selbst auch ein geborener Augsburger war. Auf einer Verwechslung mit Christof S. beruht vielleicht die Angabe späterer Biographen, welche ihn an das Kammergericht zu Speier versetzen; wohl aber ging er 1544 im Auftrage der baierischen Herzoge zu dem in Speier stattfindenden Reichstage. In bairischen Diensten treffen wir ihn noch nach dem Tode des Herzogs Ludwig; er wurde 1546 von Herzog Wilhelm zum Kaiser als Gesandter abgeschickt. Von einer bestimmten Politik ist bis zu dem Jahre 1547, welches für S. eine entscheidende Wendung bringen sollte, nichts zu spüren. Wir wissen keinerlei Aeußerung, welche einen Schluß auf seine religiösen und politischen Ansichten gestattete. S. wurde 1547 in kaiserliche Dienste berufen und darauf zum Reichsvicekanzler ernannt.

S. übernahm damit ein höchst wichtiges Amt, und zwar in einem besonders bedeutungsvollen Zeitpunkt. Sein Vorgänger, der Luxemburger Naves, starb am 21. Februar 1547 nach kurzer Krankheit, und sein Tod riß eine schwer empfundene Lücke; in dem Augenblicke, wo in der deutschen Frage das Schwert gesprochen hatte und die Arbeit der Feder beginnen sollte, verschwand gerade der Mann, welcher die deutschen Dinge bisher bearbeitet hatte. Es war Mangel an Männern, welche die Erbschaft übernehmen konnten, das ersehen wir aus Briefen Granvella’s, in welchen die Frage der Wiederbesetzung besprochen wird. Viglius v. Zwichem war zunächst ins Auge gefaßt, lehnte aber ab, da er dem Hofdienst eine ruhige seßhafte Stellung in den Niederlanden vorzog. Gleichzeitig mit S. wurden noch einige andere Männer, welche im Dienste deutscher Fürsten gestanden, darunter Heinrich Haase, vom Kaiser herangezogen. S. machte den Zug nach Sachsen schon mit im Gefolge des Kaisers; er war Vicekanzler nach Waldeck’s Tagebuch schon während des Reichstages 1548, während man nach einer Aeußerung Franz Kram’s bei Druffel, Beiträge Nr. 653 annehmen sollte, daß ihm das Amt erst 1551 förmlich übertragen wurde. Seld’s Thätigkeit wurde durch die kirchlichen Angelegenheiten vorzugsweise in Anspruch genommen, aber auch mit anderen Fragen staatsrechtlicher Art beschäftigte er sich, wie wir aus den Acten der kaiserlichen Kanzlei ersehen können, wo uns seine ungewöhnlich schöne und regelmäßige Handschrift oft genug begegnet. Indessen war er in den politischen Dingen wohl mehr ausführend als schöpferisch thätig, er selbst sagte dem Grafen Volrad v. Waldeck: „Ich bin ein Hofmann; was der Kaiser [675] und der Bischof von Arras befehlen, das muß ich thun“. Selbständiger war er wohl in Bezug auf die Behandlung der kirchlichen Angelegenheiten. Bei der Abfassung des Interims wird er nicht genannt, später 1555 hat S. ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen diese kaiserliche Religionsordnung nicht habe durchdringen können. Daß diese Erkenntniß aber wohl erst durch die Erfahrung der folgenden Jahre in ihm gezeitigt wurde, darf man wohl aus einem von S. verfaßten Entwurf zu einem kaiserlichen Rundschreiben an die deutschen Bischöfe schließen, worin diese ermahnt werden, gemäß den vom Papste erwirkten Facultäten auf die Geistlichkeit einzuwirken durch Ertheilung von Dispensen, durch Ermahnung zu gemäßigter Sprache und zu Besserung des Lebens. Mit Entschiedenheit wird von S. betont, daß die Mißbräuche im kirchlichen Leben vor allem gebessert werden müßten, wenn das Ziel der kirchlichen Einheit wieder erreicht werden solle; der Clerus, welcher die Achtung der Laienwelt eingebüßt, müsse diese sich wieder verdienen. Die kaiserlichen Anordnungen über die Reform des Clerus, welche 1548 ergingen, hält S. auch 1555 noch für vortrefflich und segensreich und er beklagt nur, daß es bei dem bloßen Worte verblieben und die Ausführung gestockt habe, weil der Kaiser die jeden guten Rath verachtende Geistlichkeit doch nicht bei den Haaren zur Erfüllung ihrer Pflicht heranziehen wollte, um keinen Uebergriff in das geistliche Gebiet zu thun, der Papst, dessen Aufgabe es gewesen wäre, hier zu helfen, habe sich um nichts gekümmert. Die Religionsfrage behandelte auch hauptsächlich der Auftrag, mit welchem Kaiser Karl 1549 den S. zu den rheinischen Kurfürsten absandte, hinter welcher Sendung der sächsische Rath Kram große politische Pläne vermuthete. S. war auch mit der Aufgabe betraut, den Prinzen Philipp von Spanien 1549 durch Deutschland zu geleiten. Bei den Reichstagen 1548 und 1550–51 war S. in allen vorkommenden Geschäften thätig. Besonders hervorzuheben und wohl auf seinen Einfluß zurückzuführen sind die Maßregeln des Kaisers gegen Augsburg, Seld’s Vaterstadt, wodurch erstlich 1548 deren Verfassung abgeändert und 1551 mehrere protestantische Prediger aus der Stadt verwiesen wurden, weil sie das Interim nicht beobachtet hatten. S. zeichnete sich hierbei nach den Berichten von der Gegenseite durch rohe Unduldsamkeit aus, er solle von lutherischen Buben gesprochen haben, wie es in einem Berichte und in einem gleichzeitigen Liede heißt. Selbst wenn diese Meldung richtig wäre, dürfte man daraus nicht einen Schluß auf die Gesammthaltung Seld’s ziehen. Jedesfalls steht fest, daß S. nicht zu den Männern gehörte, welche rücksichtslos die Unterdrückung des Protestantismus, das Wiederaufrichten des Papstthums forderten. In der Zeit vor der Erhebung des Kurfürsten Moritz finden wir S. eifrig den Plan verfolgen, durch die Theilnahme der Protestanten am Trienter Concil die Einheit in der abendländischen Christenheit herzustellen. Er setzte dem Gesandten des Kurfürsten Moritz, Franz Kram, mit warmen Worten auseinander. daß das gar nicht so schwer sei. Man brauche nur auf katholischer Seite die augenscheinlichen und offenkundigen Mißbräuche zu beseitigen und andererseits bei den Protestanten einige im Widerspruch mit der jetzt als Götzendienst verschrieenen Lehre der Väter aufgestellte Lehren aufzugeben, und er setzte hierbei seine Haupthoffnung auf Melanchthon. Er spottet über die Feinheiten der Theologen, welche sich früher in Paris mit der Frage gequält hätten, ob die Heiligen im Himmel stehen oder sitzen; er wäre zufrieden, wenn man sich nur über den Katechismus und die nothwendigen Kirchengebräuche vergliche. Mit dieser optimistischen Auffassung der kirchlichen Gegensätze ging die größte Vertrauensseligkeit bezüglich des Kurfürsten Moritz Hand in Hand. Als von diesem die baldige Ankunft am kaiserlichen Hofe in Aussicht gestellt wurde, jubelte S., daß die von ihm stets vertretene Ansicht sich als die richtige erweise, daß bei den deutschen Fürsten doch noch mehr Ehrbarkeit zu finden sei, [676] als vielleicht den Feinden Deutschlands lieb sei. Der verhängnißvolle Irrthum, welcher sich hierin ausspricht, bewirkte den schlimmen Ausgang, welchen der Krieg des Jahres 1552 für den Kaiser hatte.

Bei den Passauer Verhandlungen erschien S. neben Herrn v. Rye als kaiserlicher Commissar, jedoch lediglich die Ausführung der Anweisungen, welche der Kaiser und der jüngere Granvella gaben, lag ihm ob. S. begleitete den Kaiser nach Abschluß des Passauer Vertrages auf dem Zuge gegen Metz und folgte ihm dann in die Niederlande. Als der schon oft verschobene Reichstag 1555 wirklich zusammentreten sollte, entwarf S. ein ausführliches Gutachten über alle die Gegenstände, welche auf dem Reichstage zur Sprache kommen konnten, insbesondere die Religionsfrage. Die Vergleichung mit der Instruction für den kaiserlichen Commissar zeigt, daß seine Arbeit meist wörtlich benutzt wurde, nur einige Stellen, worin er die päpstliche Concilspolitik und die verkommenen kirchlichen Zustände scharf tadelte, sind abgeschwächt worden. Auch über die Fehlgriffe der kaiserlichen Politik, insbesondere in dem Verhältnisse zu dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg, über die Verschleppung der Geschäfte spricht er sich hier mit nicht minder großem Freimuth aus, als in privaten Briefen.

In Person ging S. nicht zum Reichstage, er blieb in Brüssel, wie es scheint, in recht mißmuthiger Stimmung. Er schrieb im Juli an den brandenburgischen Rath Christof v. d. Straßen: „Was Eure Reichssachen belangt, je weniger ich von denselben höre, je lieber ist mir. Wir haben Euch hievor den Wagen in den Dreck gesetzt, könnt Ihr Herren ihn wiederum herausziehen, so seid Ihr Meister“. Er verstand sich augenscheinlich in dieser schwarzen Stimmung mit seinem Herrn, dem Kaiser, welcher mit seinem Vicekanzler schließlich auf vertrautem Fuße gestanden haben muß. In Vlissingen, also einige Tage vor seiner Abreise, soll der Kaiser S. eigenhändig die Treppe hinuntergeleuchtet haben, als beide eines Abends lange zusammen geblieben waren und sie die Dienerschaft eingeschlafen fanden. Nach der Abdankung und Abreise des Kaisers nach Spanien übernahm S. die Ausführung des ihm ertheilten Auftrages, die Kurfürsten von dem Verzicht in Kenntniß zu setzen; am 14. März 1558 verlas er denselben zu Frankfurt. Indem er jetzt nach Deutschland zurückkehrte, meinte er alles verändert zu sehen, es kaum wieder zu erkennen, wie er aus Speier am 29. November 1556 an Viglius schreibt. Von der früher vorhandenen treuherzigen Offenheit, von welcher man noch vor wenigen Jahren wenigstens einzelne Spuren wahrgenommen, sei jetzt nichts mehr zu sehen, mit dem Reichstage werde geradezu Spott getrieben, die französischen Gesandten durchkreuzten ungehindert ganz Deutschland und deutsche Kaufleute gäben sich dazu her, dem Papste auf Frankreichs Fürwort hin, große Geldsummen zukommen zu lassen. Diese letzte Klage berührt den Streit Ferdinand’s mit dem Papst Paul IV. wegen der Nachfolge im Kaiserthum, worüber S. 1558 ein ausführliches Gutachten erstattete, welches auch 1612 gedruckt wurde. Im J. 1557 hatte S. zusammen mit Julius Pflug das Religionsgespräch zu Worms geleitet; er hatte in der vor dem Augsburger Reichstag verfaßten Denkschrift ausgeführt, daß der Weg eines Religionsgespräches nicht zu verachten sei, vielmehr die Erfahrung zu Worms und Regensburg Vertrauen erwecke, Bucer und Melanchthon in ihren über das Gespräch verfaßten Büchern sich milder und katholischer ausgesprochen hätten, als sonst je seit 20 Jahren geschehen sei. Die Erfahrung des Jahres 1557 hat S., welcher bei dieser Gelegenheit von Melanchthon wegen seiner Friedensliebe gefeiert wurde, wohl zu der Ueberzeugung gebracht, daß die Gegensätze tiefer gingen, als er gemeint hatte. Jetzt sah er 1558 einen gefährlichen Streit innerhalb der katholischen Partei ausbrechen: der Papst bekämpfte die [677] Rechtmäßigkeit des katholischen Reichsoberhauptes, weil die Resignation Karl’s V. unzulässig gewesen sei, indem derselbe seine Krone nur in des Papstes Hand habe zurückgeben können. Ferdinand wandte sich um ein Gutachten an S. und dieser legte ausführlich dar, daß des Papstes Anspruch unbegründet sei, und erörtert eingehend das ganze Verhältniß nicht nur zwischen Kaiserthum und Papstthum, sondern auch zwischen dem Papstthum und der Kirche und den Concilien. Er steht hierbei auf dem Standpunkte des Konstanzer Concils und verweist gegenüber den päpstlichen Ansprüchen auf die Zeiten, wo der Kaiser das Recht gehabt hätte, selbst den Papst zu ernennen. An der Hand Aventin’s behandelt er den Kampf Ludwig’s des Baiern und Philipp’s von Frankreich, und fügt seiner Abhandlung Proben der gewechselten Briefe an.

Der Tod Paul’s IV. setzte dem Streite zwischen Kaiser und Papst ein Ende; unter der Regierung Pius’ IV. trat das Concil von Trient aufs neue zusammen und in Seld’s Hand lag die Aufgabe, die Instructionen für die Gesandten und die sonstigen Actenstücke zu entwerfen, mit welchen Ferdinand auf das Concil einwirken wollte. Insbesondere bei dem sogenannten Reformationslibell, durch welches Ferdinand 1562 das Concil zu einer Reformberathung bestimmen wollte, kann man, Dank den Sickel’schen Arbeiten, Seld’s Einfluß genau verfolgen. Der Vicekanzler corrigirte die Entwürfe der Theologen in dem Sinne, daß er jede Wendung, wodurch der gegenwärtige Papst angegriffen wurde, beseitigte; er meinte, Pius könne man außer dem fast allen Päpsten gemeinsamen Fehler des Nepotismus keine besonderen persönlichen Vorwürfe machen; andererseits will er nicht, daß die Protestanten als Häretiker bezeichnet werden, da sie von dem Concil noch nicht gehört seien. S. räth dem Kaiser entschieden ab, dem Concil maßgebenden Einfluß auf seine Regierung einzuräumen durch das Versprechen, er wolle alles abändern lassen, was bisher nach des Concils Urtheil verkehrt geschehen sei. S. deutet an, daß auf diese Weise vielleicht der Religionsfriede gefährdet werden könne. Er will das Dispensrecht der Päpste erhalten wissen und beanstandet die Forderung, die Zahl der Cardinäle herabzusetzen, weil dies mit der Reform der deutschen Kirche nichts zu thun habe; er will diesen Punkt nur belassen, wenn, was er nicht wisse, das Concil von Basel diese Forderung schon aufstelle. Auch trägt er Bedenken, den Psalmengesang in deutscher Uebersetzung zu begünstigen; er meint, die alten Gesänge „Christ ist erstanden“ u. s. w. reichten aus, man möge vermeiden daß, wie in den Kirchen der Sectirer, die Mißbräuche begünstigt würden, welche der Wettgesang von Weibern und Mädchen in den Kirchen hervorrufe. Mit der Wendung, daß der Kaiser nur bescheiden mahnen, keineswegs aber dem Concil Vorschriften machen wolle, rieth S. die kaiserliche Eingabe zu schließen, wie er denn bereits früher dem Kaiser vorgestellt hatte, er möge sich nicht allzu sehr in geistliche Dinge einmengen und stets einerseits mit Würde, andererseits mit kindlicher Ergebenheit reden. Dann werde die Nachwelt ihm das Zeugniß eines religiösen und vortrefflichen Kaisers auch dann nicht versagen, wenn seine Mahnungen nicht den Erfolg hätten, welchen sie haben müßten. Daß die verschiedenartigsten Ansichten über das, was schließlich die Curie von S. zu erwarten habe, durch eine solche theoretisch entschiedene aber praktisch schwächliche Haltung hervorgerufen wurden, ist begreiflich. Wir ersehen aus den Berichten des Nuntius Commendone aus dem Februar 1563, daß dem Papste von verschiedenen Seiten versichert wurde, S. und der Kaiser seien des festen Glaubens, der Papst stehe über dem Concil (vgl. dagegen Seld’s Rathschlag S. 22), der Kaiser werde nie hartnäckig auf einer Sache bestehen, welche dem Papste Anlaß zur Unzufriedenheit gewähre. Commendone selbst betheuerte dagegen, S. und der Hofmarschall Trautson wünschten dringend die Reform, um durch Milderung im positiven Recht die noch katholisch gebliebenen [678] der Kirche zu sichern, die Ketzer ihr wieder zu gewinnen, und der Nuntius ermahnte deshalb den Papst, die vom Kaiser geforderte Reform nicht hintanzusetzen. Nicht Commendone’s Rath, sondern jener anderen Ansicht folgte Pius IV. und da zeigte sich, daß diejenigen den Vicekanzler überschätzt hatten, welche ihm eine energische und consequente Haltung hinsichtlich der Reformforderung zugetraut hatten. Dem Cardinal Morone gelang es, die kaiserliche Politik zum Verzicht auf die Weiterführung des Concils und damit zum Verzicht auf ihre Reformpläne zu bestimmen. Während Trautson nicht selbst, sondern nur seine Frau beschenkt wurde, nahm S. bei dieser Gelegenheit von dem Legaten einen silbernen, in Frankreich gearbeiteten Pocal von 150 Ducaten Werth entgegen. Morone sagt in seinem Berichte nach Rom: „Es ist ein Wunder, daß er das angenommen hat.“ Der Grund des Staunens lag nicht sowohl darin, daß der hohe Beamte sich beschenken ließ, sondern darin, daß er eine Gabe von so geringem Werthe nicht ablehnte. Um den Gedanken an Bestechung abzuweisen, hat man darauf hingewiesen, daß derlei Gaben im 16. Jahrhundert etwa die gleiche Bedeutung hatten, wie die gegenwärtig ausgetauschten Ordensauszeichnungen; das ist wohl zuzugeben, aber dabei bleibt bestehen, daß die Annahme solcher Geschenke hinterher doch öfter Anlaß gab, die Empfänger zu verdächtigen, was hinsichtlich eines Ordens wohl Niemanden einfallen könnte. Sehr richtig ist, daß Morone’s Geschenk verhältnißmäßig unbedeutend war; vom Rathe von Augsburg erhielt S., der mit einem Nürnberger Rathe und dem bairischen Kanzler als kaiserlicher Commissar die Streitigkeiten der Stadt mit dem Bischof von Augsburg unter Max II. beilegte, 600 Goldgulden, während dem Nürnberger 300, dem allzu parteiischen Baiern aber nur 60 Goldgulden zugebilligt wurden. Daß S. von dem Herzog Albrecht von Baiern zur Belohnung für getreuliche Berichterstattung und andere Dienste mit Landgütern belehnt wurde, Menzing und Neuhofen, konnte bei den engen Beziehungen des Herzogs zu dem habsburgischen Hause keiner Mißdeutung unterliegen, zumal S. früher in bairischen Diensten gestanden hatte.

Der Rückzug des habsburgischen Kaisers in der Reformfrage hing damit zusammen, daß er die Unterstützung der Curie nicht entbehren konnte für die Wahl seines Sohnes Max. Hierin war S. thätig zusammen mit dem sächsischen Rathe Franz Kram, demselben, der 1552 mit ihm correspondirt hatte. Kurz nachher zog sich S. auf einige Zeit von den Geschäften zurück und begab sich nach Baiern auf seine Besitzungen. Ob Meinungsverschiedenheiten die Veranlassung boten? wir wissen das Nähere nicht. Pantaleon schreibt, daß Ferdinand vor seinem Tode dringend wünschte, daß „Vater Seld“ – so wurde S. vom Kaiser und auch von dessen Sohn Max und dessen Schwiegersohn Albrecht von Baiern angeredet – möge zurückkehren, erst unter Maximilian sei S. dann zurückgekehrt. Indessen betheiligte S. sich an den Religionsberathungen, welche auf Ferdinand’s Veranlassung 1564 stattfanden und einerseits die Einführung des Laienkelches, andererseits die Aussöhnung der Protestanten betrafen, über welche von Wicel und Cassander, sowie Villimos Gutachten erbeten wurden. Die in das Staatsarchiv zu Hannover verschlagenen Acten tragen mehrfach Bemerkungen von Seld’s Hand, er wird bei der Sitzung vom 6. Juni 1564 als persönlich anwesend genannt. Daß Pantaleon’s Erzählung also nicht so zu verstehen ist, als ob S. in den letzten Jahren Ferdinand’s überhaupt dem Hofe fern geblieben sei, dürfte somit feststehen. Als Maximilian seinem Vater folgte, blieb S. dann ruhig in seinem Amte. Aber nur kurze Zeit durfte Max sich seiner Dienste erfreuen. Am 26. Mai 1565 fuhr S. in seinem eigenen Wagen mit Dr. Zasius aus dem Prater in Wien, wo Max II. mit ihnen Rath gehalten, nach Hause, die Pferde scheuten, Zasius sprang zuerst aus dem Wagen, [679] blieb lange bewußtlos, dann sprang S., fiel auf einen Stein und starb in einer halben Stunde. So meldet Max II. an Herzog Albrecht mit lebhaftem Bedauern über den schwer zu ersetzenden Verlust, indem er zugleich bemerkt, daß weder Zasius noch Weber die Stelle ausfüllen könnten. Herzog Albrecht schrieb dem Kaiser auf dessen Anfrage, daß er keinen wisse, der alle die Eigenschaften des Verstorbenen besitze, ja nicht einmal einen, der viele derselben aufweisen könne. Herzog Albrecht fand, daß Max einen „frommen, treuen, redlichen, aufrichtigen, geschickten und katholischen Diener“ verloren habe und rieth den Zasius als Nachfolger an, indem er den Kaiser vor allem ermahnt, einen verus et purus catholicus zu nehmen, „dann was für weitschweiffe Gewissen die Neuen haben, das wissen E. Maj. selbst und haben’s zum Theil erfahren“. In Herzog Albrecht’s Augen erschien S. also damals als gut katholisch, trotz der scharfen Verurtheilung des römischen Wesens, von dem er schrieb, man kenne es in der ganzen Welt so gut, „daß schier männiglich, er sei gleich der alten oder neuen Religion, darüber ausspeiet“, trotz seiner Spöttereien über den Jesuiten Canisius. Dagegen urtheilten die Jesuiten sehr wegwerfend über den Vicekanzler und ihnen hätte sich Herzog Albrecht einige Jahre später auch angeschlossen. Andererseits wurde S. von den Protestanten lebhaft angefeindet. In einem gleichzeitigen Gedichte bei Raupach, Nachlese S. 95 erscheint der jähe Tod als Strafe dafür, daß S. stets Christum verfolget und geschändet habe.

S. starb kinderlos; die Verwaltung seines Vermögens führte 1552–1557 Christof S.; als dieser starb, wußte der Vicekanzler nicht, ob er zu fordern oder zu zahlen hatte; mit völligem Vertrauen hatte er dem Bruder alles überlassen. Später stand dem Vicekanzler besonders nahe sein Stiefbruder Johann Hegenmüller, welcher gleichfalls zuerst in bairische, dann in kaiserliche Dienste trat. Von ihm erwartete man die Veröffentlichung des Seld’schen litterarischen Nachlasses; eine Geschichte Karl’s V., Genealogien deutscher Fürstenfamilien, ein Repertorium juris wird genannt. Aber diese Erwartung erfüllte sich nicht. Nur die Abhandlung über Kaiserthum und Papstthum erschien 1612 unter dem Titel: „Außbündiger treweyfriger Rahtschlag, darinn von der Keyser vnnd Päbst Gewalt … gehandelt würd“ ohne Ort, dann mit dem Bedenken Schwendi’s zusammen in Frankfurt bei Peter Kopf, ebenfalls 1612. Ueber den Verbleib der Manuscripte Seld’s ist mir nichts bekannt.

Biographien von S. finden sich bei Pantaleon und Schardius, doch ist insbesondere der erstere sehr wenig zuverlässig. Eine gute Sammlung von Nachrichten bietet Veith in seiner Bibliotheca Augustana. In neueren Actensammlungen begegnet uns S. häufig, öfter ist sein Name seltsam verstümmelt, so in den State-papers als „Colt“. Sickel in seiner Abhandlung über das Reformationslibell und in den Beiträgen zur Geschichte des Concils von Trient. – Opel, Briefsammlung Christofs v. d. Straßen, bietet unter Nr. 15 einen werthvollen Brief Seld’s. – Stetten, Geschichte und Kunstgeschichte von Augsburg enthält mancherlei. – Handschriftliches im Adelsselekt und der Lieb’schen Sammlung des Reichsarchivs zu München, wo auch unter Oesterreich Bd. VII. die Briefe Max II. über Seld’s Tod.