ADB:Törring, Josef August Graf von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Törring, Josef August Graf von“ von Adolf Hauffen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 458–461, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:T%C3%B6rring,_Josef_August_Graf_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 03:01 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Törring, Christof
Band 38 (1894), S. 458–461 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Joseph August von Toerring in der Wikipedia
Joseph August von Toerring in Wikidata
GND-Nummer 118802399
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|38|458|461|Törring, Josef August Graf von|Adolf Hauffen|ADB:Törring, Josef August Graf von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118802399}}    

Törring: Josef August Graf v. T., Verfasser von Ritterdramen und bairischer Staatsmann um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. T. entstammte einem der ältesten bairischen Adelsgeschlechter und zwar der Jettenbacher [459] Linie dieses mehrfach verzweigten Hauses. Bis 1803 führte er nach einem reichsständischen Familienbesitz den Beinamen Gronsfeld. Sein Großvater war der in der Geschichte Baierns bekannte Feldmarschall Graf Josef Ignaz Felix v. Törring-Jettenbach († 1763, s. S. 461). Josef August wurde als der Sohn des Majoratsherrn Grafen August Josef (1728–1802) und der Gräfin Maria Elisabeth geb. Freiin v. Lerchenfeld am 1. December 1753 zu München geboren. Schon als Knabe gab er sich eifrigem Lernen hin, dann studirte er Jura und Philosophie auf der Ingolstädter Hochschule und trat 1773 in München als wirklicher Hofkammerrath und kurfürstlicher Kämmerer in den bairischen Staatsdienst ein. 1779 ward er Oberlandesregierungsrath. 1780 vermählte er sich mit einer Gräfin v. Sandizell, die ihm drei Söhne und zwei Töchter gebar. 1785 nahm er seine Entlassung, trat aber vier Jahre später wieder in den Staatsdienst ein und rückte zu immer höheren Würden auf; im J. 1817 wurde er Staatsminister und Präsident des Staatsrathes. Hochbetagt trat er in den Ruhestand, erst ein Jahr vor seinem Tode, der am 9. April 1826 erfolgte.

T. war eine ernste, edle Erscheinung von gesunder und tüchtiger Gesinnung. Neben der strengen Erfüllung seiner amtlichen Pflichten, war er mit einem Kreise gleichgesinnter Männer bestrebt, Wissenschaft und Kunst in Baiern von neuem zu erwecken. Seit dem Jahre 1775 war er Mitglied der bairischen Akademie der Wissenschaften. T. stand in anregendem mündlichen und brieflichen Verkehr mit Gelehrten und Schriftstellern, schrieb einen Aufsatz „Ueber den Ehestand“, ein Werk über Mineralogie und viele verschiedenartige Abhandlungen, hielt bereits 1776 eine „Akademische Rede von der Ehrsucht“ und verfaßte in seinem Jünglingsalter einige Gedichte und zwei Dramen. Seit dem Beginn der siebziger Jahre war bei den Aristokraten in Baiern (wie in Wien) das Dichten von Theaterstücken förmlich Modesache geworden. Gleichzeitig mit T. veröffentlichten Dramen in Baiern die Grafen Soden, Savioli-Corbelli, Morawizky, Daun und Anton v. Törring-Seefeld (geb.1725 in München, Kammerpräsident und Finanzminister, Oberhofmeister des Königs und Vicepräsident der bairischen Akademie, † 1812, seine dramatischen Arbeiten verzeichnet Brümmer, Dichterlexikon s. v.). Es waren zumeist bürgerliche Familienstücke und historische Dramen der älteren Gattung. Josef August T. aber wandte sich den Ritterdramen zu. Durch seine Vorliebe für die einfachen, natürlichen Sitten des Mittelalters, durch das rittermäßige Ceremoniell des Freimaurerordens (dem er selbst angehörte), durch seine Achtung vor der Bedeutung des deutschen Adels und vor der Würde des echten Ritterthums wurde er von selbst auf die Bahn gelenkt, die eben Goethe durch den Götz so erfolgreich eröffnet hatte. Als vornehmer Aristokrat beschäftigte er sich mit der Dichtung freilich nur in den Nebenstunden und in etwas herablassender Weise; trotzdem hatte er zu seinen Dichtungen in mehrfacher Beziehung ein stärkeres inneres Verhältniß, als die vielen Litteraten und Schauspieler der Zeit, die Ritterdramen verfaßten, nur weil es eben eine beliebte Neuerung war. T. ließ sich in der Wahl der Stoffe und in der Art der Behandlung durch seine vaterländische Begeisterung für Baiern beeinflussen: sein erstes Stück: „Kaspar der Thorringer“, entnahm er der Geschichte seines eigenen Geschlechtes; sein zweites: „Agnes Bernauerin“, schufen eigene schmerzliche Erlebnisse, „Unglück der Liebe“, wie er selbst eingesteht. Trotz den verhältnißmäßig großen Erfolgen der „Agnes“ schrieb er kein drittes Stück mehr, weil ihn weder ein heißer dichterischer Schaffensdrang, noch ein neues persönliches Erlebniß dazu trieb, weil er auf einem anderen, als dem dichterischen Wege der Nation besser zu nützen vermeinte und weil er endlich (laut einem Brief an den Intendanten Dalberg) die Ansicht vertrat, „daß auch eines Shakespears [460] Glorie einem deutschen Edelmann, einem zum hohen Dienste des Staats gebohrnen Bürger nicht rühmlich seye“.

T. schließt sich in dem ersten Drama: „Kaspar der Thorringer“, das im Anfang des 15. Jahrhunderts spielt und „wahrhaft Historisches mit viel Erdichtung“ enthält, sowol in den Hauptzügen der Handlung und in der freien Technik, ale auch in zahlreichen Einzelheiten an Goethe’s „Götz“ an. Wenn Goethe auf Götz Züge seiner eigenen Persönlichkeit, eigene Erlebnisse und Empfindungen überträgt, so ist dies bei T. freilich nicht der Fall, aber er theilt doch mit seinem Helden, den er zugleich als Vorfahren ehrt, die gleichen Gesinnungen als Edelmann und bairischer Patriot. Vor allem hat T. eigene sociale Ansichten seinem Ahnherrn in den Mund gelegt. Der kriegerisch gesinnte Kaspar und sein Kreis bilden einen Gegensatz zu dem üppigen Hof des von Schurken übel berathenen jungen Herzogs Heinrich von Baiern-Landshut. Kaspar stellt sich, nachdem er vergeblich in Frieden versucht hatte, den Herzog auf eine bessere Bahn zu bringen, an die Spitze der aufständischen Ritter und Bürger (erst nach langem Zögern, ähnlich wie Götz) und greift für „die gute Sache des unterdrückten Volkes“, für die Rechte „der beleidigten Stände“, für „Vaterland und Freiheit“ zum Schwert. Nachdem er im Verlauf des blutigen Kampfes seine Stammburg und sein Weib geopfert hatte, nachdem er durch die Vehme verurtheilt wurde, erscheint ihm von neuem der Ahnherr seines Hauses als Geist (die Gespensterscenen sind deutlich durch Hamlet angeregt) und verlangt, daß er mit dem reumüthigen, gebesserten, zu allen Zugeständnissen bereiten Herzog, Frieden schließen solle. Kaspar geht darauf ein und so schließt das Stück versöhnlich. Das Drama, das schon 1779 vollendet war, wurde erst 1785 ohne Wissen des Verfassers in Klagenfurt veröffentlicht und wiederholt (zuletzt Wien 1811) nachgedruckt. An Nachwirkung wurde es bei weitem übertroffen durch Törring’s zweites Drama: „Agnes Bernauerin“, das bereits 1780 zu München erschien und in Technik und Composition einen entschiedenen Fortschritt des Dichters erweist. Den Stoff nahm er aus der heimischen Geschichte des 15. Jahrhunderts; seine Quellen waren Oefele und Falckenstein. Albrecht, der Sohn des Herzogs Ernst von Baiern-München, hat sich insgeheim mit dem Augsburger Bürgermädchen Agnes Bernauerin vermählt. Das Stück beginnt in dem Augenblick, da das Paar von der Trauung kommt. Mitten in der ersten Schäferstunde wird Albrecht von seinem Vater zum Turnier nach Regensburg abberufen. Er eilt dahin, wird aber hier (was der Dichter zur Ueberlieferung glücklich hinzu erfunden hat) vor den Schranken wegen seiner Beziehungen zu Agnes schimpflich zurückgewiesen. Bald darnach wird er von Gesandten des Vaters besänftigt und in Regierungsgeschäften ausgesendet. Während seiner Abwesenheit nimmt der Vicedom Agnes gefangen und führt sie vors Gericht. Das Staatsverbrechen, dessen sie hier angeklagt wird, ist zugleich ihre tragische Schuld. Sie hätte der aufkeimenden Liebe widerstehen, dem Herzog entfliehen sollen; da sie nun sein Weib geworden ist, hat sie Gesetz und Herkommen übertreten. Harrt sie jetzt in Treuen beim Herzog aus, was ihr Recht ist, so säet sie Unfrieden zwischen Vater und Sohn, vielleicht den Bürgerkrieg. Es bleibt ihr nur ein Ausweg, ihr Leben dem Staatswohl zu opfern. Agnes weigert sich standhaft auf Albrecht zu verzichten. Sie wird vom Vicedom verurtheilt und in der Donau ertränkt. Zu spät, um sie zu retten, sprengen Albrecht und Ernst heran. Ernst betheuert, er hätte das Urtheil gemildert, bestimmt seinen Sohn zu vergeben und weist auf das gemeinsame Vaterland, als Trost, hin. Das von den Stürmern und Drängern oft behandelte Thema des Standesunterschieds bildet den Mittelpunkt des Stückes. Der Dichter versucht, besonders in der ersten Hälfte des Dramas, die Rechte des Herzens gegenüber [461] den Pflichten des fürstlichen Standes warm zu vertheidigen. Während der Abfassung des Dramas aber ist nach eigenem Geständniß „in des Autors Seele mancher wichtige Wechsel vorgegangen“ und nun bemüht er sich in der zweiten Hälfte auch die Ansichten der Gegenpartei (deren Wortführer des Herzogs Freund Kaspar der Thorringer ist), die Forderung der Unterordnung des empfindsamen Herzens unter das Staatswohl eindringlich vorzutragen. Der Stil des Dramas ist, wie im „Kaspar“, eine rhythmisch bewegte Prosa mit vielen Redefiguren und volksthümlichen, zuweilen derben Ausdrücken. Die „Agnes“ wurde bis 1791 wiederholt neu aufgelegt, sie erzielte bei der ersten Aufführung in Mannheim 1781 einen durchschlagenden Erfolg und erhielt sich bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts auf der Bühne.

Bemerkenswerth ist die litterarische Nachwirkung der „Agnes“, die nach drei Richtungen deutlich verfolgt werden kann: im Stoff, in einzelnen Scenen und Motiven und in der vaterländischen Tendenz. Der überaus poetische Stoff, der auch in einem Volkslied (Simrock Nr. 322 u. a.) besungen wird, wurde erst nach T. von zahlreichen Dichtern dramatisch behandelt, unter denen auch Hebbel und Otto Ludwig ihrem Vorgänger in den Hauptzügen folgen. Wiederholt wurde die „Agnes“ fortgesetzt, für verschiedene Bühnen neu bearbeitet und in Musik gesetzt, sie wurde in eine Novelle umgemodelt und von Giesecke 1798 parodirt. In einer großen Reihe von Ritterstücken, so in denen von Babo, Schikaneder, Soden, Spieß, Weidmann, Ziegler sind Figuren und Scenen des „Kaspar“ und der „Agnes“ (am häufigsten die Turnierscene) bis zu wörtlichen Entlehnungen nachgeahmt worden. Die Begeisterung für Baiern, die aus Törring’s Dramen ertönt, hat zahlreiche Nachahmungen hervorgerufen: eine bestimmt abgegrenzte Gruppe von bairisch-vaterländischen Ritterstücken, unter denen Babo’s Otto von Wittelsbach besonders hervorragt. Dem heutigen Geschmack gilt die Ausführung in Törring’s Dramen für veraltet; ihr ästhetischer Werth ist gering; sie sind darum mit Recht vergessen worden. Doch gebührt dem schlichten und liebenswürdigen Dichter zweifellos in der Gruppe des Ritterdramas jene litterarhistorisch bedeutsame Stellung, die ihm sein verdienstvoller Biograph O. Brahm zugewiesen hat.

Goedeke, Grundriß² 5, 262 f. – Neuer Nekrolog der Deutschen 4, 2, 1828, 850. – Otto Brahm, Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts. Studien über Josef August v. Törring, seine Vorgänger und Nachfolger. Straßburg 1880 (G. F. 40), 6–68. (Brahm’s bibliographische Anmerkungen, besonders zu Seite 37 u. 59 hätten in der neuen Auflage des Goedeke consequenter verwerthet werden können.) – O. Brahm, J. A. v. Törring, Im neuen Reich 1880, 1, 805–816. – A. Hauffen, Das Drama der classischen Periode (Deutsche Nationallitteratur, Band 138) I, 4–10. Mit dem Bildniß Törring’s und einem Neudruck der Agnes Bernauerin nach der Originalausgabe (15–70). – Ueber den Agnes Bernauer-Stoff: Brahm in Edlinger’s Litteraturbl., Wien 1878, Heft 20 f. und Julius Petri (Rostocker Dissertation), Leipzig 1892.