ADB:Theremin, Franz
Klopstock, der ihn in eine höhere Welt zog, ohne damals auch nur annähernd von ihm verstanden zu werden. Er selbst sah aber in diesen beiden Erinnerungen seine künftige Begabung, obgleich er sich als eine „überwiegend prosaische Natur“ bezeichnet. Eine ganze Reihe eigner poetischer Gaben, die er im Lauf seines Lebens brachte, sowie die schönen Uebertragungen aus dem Cervantes und der Byronschen „Hebräischen Gesänge“ ins Deutsche, könnten dies sein Urtheil widerlegen, aber er glaubte es darin zu erkennen, daß sich seine Muse nur von Zeit zu Zeit einstellte, während ihn schöne Prosa immer zu eigner Thätigkeit anregte. Jedenfalls hat sich der Sinn für das Schöne der Sprache in ihm mehr wie in den meisten Menschen entwickelt. – Nach bestandenem Abiturientenexamen bezog Th. die Universität Halle und studirte dort Theologie unter Knapp, Philologie unter Fr. A. Wolf, in dessen Seminar er auch aufgenommen wurde. Er nennt es selbst einen „Zauberkreis“ in den er durch letzteren gezogen wurde. Die Philologie nahm ihn aber so gefangen, daß er nachträglich darin eine Schädigung seines theologischen Studiums fand, da er die Zeit dafür nicht genügend auskaufen konnte; dennoch aber sah er es später als ein Glück an, daß äußere Umstände es ihm unmöglich machten, die philologische Laufbahn ganz [725] zu der seinigen zu machen. Die Kenntnisse aller Feinheiten der antiken Prosa und die Begeisterung, die Wolf nicht nur selbst hegte, sondern auch auf Andre übertrug, bannten seine Hörer in diesen Kreis. Und der große Besitz, den Th. speciell für sich aus dieser Zeit gewann, lag darin, daß Wolf den Schwerpunkt auf „die Beredsamkeit“ legte, und dies die Angel wurde, um die sich Theremin’s Entwicklung zunächst hauptsächlich drehte. Von Halle wandte er sich nach beendetem Studium nach Genf, um sich dort ein Jahr lang praktisch für den Dienst an einer französischen reformirten Kirche vorzubereiten, wie das in der Familientradition lag, und dort wurde er auch im Jahre 1805 ordinirt. Es folgten nun fünf Candidatenjahre, die er mit Unterbrechungen in der Heimath zubrachte. Zuerst aber ging er nach Paris. Nicht weit von der kleinen Stadt Chatillon am Canal de la Briare hatte ein Onkel von ihm, der sich in Petersburg und Berlin ein Vermögen erworben hatte, ein Landgut gekauft; dieser war es auch der ihn in Paris einführen wollte, und bei dem er zuerst einen Aufenthalt nahm. Derselbe lebte ohne Familie, ohne eigentlichen geselligen Verkehr, und in dieser ländlichen Stille und Abgeschiedenheit ordnete der junge Th. alle die Eindrücke der letzten Jahre, inbezug und im Hinblick auf seine Zukunft. Einer aus der Reihe der vortrefflichen damals in Genf lebenden Kanzelredner – Cellerier – hatte ihn durch seine Predigten zu höchstem Nachdenken angespornt, und von neuem durch ihn angeregt, drängte sich bei ihm wieder die Frage nach der Wichtigkeit der Beredsamkeit, speciell der Kanzelberedsamkeit, und auf welche Weise sie am reinsten zu lösen sei, in den Vordergrund; damit aber auch der Vorsatz, der Frage in Paris, wo der Kreis der Vergleichungen ein viel größerer war, näher zu treten. Bei dem Grübeln über diese Fragen, auf meilenweiten einsamen Spaziergängen – ob der Redner, um eine Wirkung auf den Hörer hervorzubringen, an die Vernunft oder das Herz appelliren solle, – ob es einem rechtschaffnen Manne und geistlichen Redner zustehe, sich solcher Mittel zu bedienen, welche auf die Rührung wirken, – kam er wie plötzlich eines Tages zu der ihm unumstößlichen Ueberzeugung, „daß die Beredsamkeit ein Handeln sei, und nur durch sittliche Grundsätze geleitet werden könne“. Er durchlief nun alle weiteren Folgerungen, daß – „wenn das Reden ein Handeln ist, dasselbe die Menschen zu einem gewissen Ziele führen müsse, und zwar, da man nach sittlichen Grundsätzen dabei verfährt, so muß das Ziel dasselbe sein, wie das, wohin die eigne sittliche Natur einen führt, zur Glückseligkeit, Heiligung und Pflichterfüllung; der Redner müsse also die Vernunft überzeugen und das Herz befriedigen.“ So kam er schon damals zu den später in einer Schrift von ihm niedergelegten Ansichten, auf denen sein ganzes Wirken basirte, „die Beredsamkeit ist eine Tugend, oder Grundlinien einer systematischen Rhetorik“ (Berlin 1814 bei Duncker & Humblot). – Sein Aufenthalt in Paris sollte ihn hierin noch befestigen und weiterbringen, als er in Massillon (dem Katholiken) und seiner eminenten Beredsamkeit und Predigtweise ein Vorbild fand, wie es ihm bis dahin als Ideal vorgeschwebt hatte. In einem Briefe schreibt er darüber wie zu seiner Rechtfertigung: „Niemand in Deutschland, wenigstens in unserer evangelischen Kirche, weiß etwas von seinen herrlichen Predigten; etwa weil er Katholik ist? Aber darum sind wir ja evangelisch, um alles Treffliche, wo es auch gefunden werden mag, schätzen zu können.“ – – – „Ach! daß er, weil er Katholik ist, größtentheils ein Gesetzesprediger ist, daß der Stellen so wenige sind, wo er mit der Innigkeit seines tiefen frommen Gefühls von der Gnade in Christo spricht! Hätte er immer das Evangelium von der Gnade in Christo gepredigt, hätte er die Liebe auf den frommen Glauben gegründet, so hätte ihm wenig oder nichts zur Vollkommenheit gefehlt!“ – Von wie tiefgreifendem Eindruck diese Zeit mit ihren Erfahrungen [726] war, sieht man daraus, daß die letzte mehr als 40 Jahre später am Ende seines Lebens von Th. verfaßte und veröffentlichte Schrift sich noch damit beschäftigt, „Demosthenes und Massillon, ein Beitrag zur Geschichte der Beredsamkeit“ (Berlin 1845 bei Duncker & Humblot). Während dieses Lehr- und Wanderjahres in Paris hatte er auch näheren Verkehr mit dem großen Tragöden Talma gesucht, welcher damals auf der Höhe seiner Leistungen stand. Daß dieser Verkehr seinen Grund darin hatte, auch von ihm in der Kunst des Vortrags zu lernen, ist sicher und glaubten seine Freunde auch Spuren dieses Verkehrs in Theremin’s späteren Reden zu finden. Im J. 1810 erging der Ruf an ihn, die Stelle des französischen Predigers an der französischen Gemeinde in der Werder’schen Kirche zu Berlin anzunehmen. Er war als Nachfolger Ancillon’s ausersehn, welcher als Erzieher des damaligen Kronprinzen, späteren Königs Friedrich Wilhelm IV., berufen war, die Kanzel deshalb verließ und später in die Diplomatenlaufbahn übertrat, in der er zuletzt Minister der auswärtigen Angelegenheiten wurde. Th. folgte diesem Rufe, aber fast vom Beginn seiner neuen Thätigkeit an verfolgte ihn der dringende Wunsch, in einer deutschen Gemeinde deutsch predigen zu können. Bereits nach vier Jahren, 1814, wurde ihm Erfüllung dieses Verlangens durch seine Berufung als Hof- und Domprediger in Berlin. Er erfreute sich von Anfang an wachsender Beliebtheit und hatte vom Beginn seiner Amtsthätigkeit an eine bedeutende Personalgemeinde um sich versammelt, die sich in seiner neuen Stellung noch mehrte. Seine Persönlichkeit hatte etwas edles, seine Haltung war würdig und die Predigten waren nicht nur dem Inhalt sondern auch der Form nach, ja selbst bis auf seine sehr maßvolle Gesticulation das Ergebniß strengsten sorgsamsten Studiums und der Ueberlegung. Theremin’s Bedeutung hat ihren Schwerpunkt entschieden in dem, was er für „die geistliche Redekunst“ in Theorie und Praxis geleistet hat. Das allein würde aber unmöglich seine Predigten und Schriften vor denen vieler seiner Zeitgenossen, die lange vergessen sind, noch heute zu Erbauungsschriften machen, wenn er nicht die Summe seiner christlichen Lebenserfahrung stetig vermehrt und darin niedergelegt hätte, und wenn sich in ihnen nicht die Innigkeit religiösen Gefühls mit sittlichem Ernst verschmolzen fänden. Noch heute liest man in vielen Häusern Theremin’s Predigten. Er hat im Lauf seines Amtslebens neun Bände derselben unter dem Titel: „Kreuz Christi“ (Berlin bei Duncker & Humblot, 1817–41) herausgegeben, von denen der 5. Band im besonderen Abdruck erschien, und den er „Zeugnisse von Christo in bewegter Zeit“ (1830, 31, 32 u. 37) nannte. Er war nie ein Parteimann gewesen; hatte er in seiner Jugend dem Rationalismus gegenüber in durchaus milder Form an den biblisch orthodoxen Lehren festgehalten, so blieb er den verschiedenen theologischen Richtungen und Phasen gegenüber, die sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auch in Berlin besonders aufthaten, auf derselben Linie, ohne sich in das Parteigetriebe hineinziehen zu lassen, oder weiter nach der orthodoxen Seite hinüber zu gehn. Mit all den namhaften damaligen Theologen Berlins: Schleiermacher, Hengstenberg, Neander, Marheineke u. s. w. (mit Ausnahme von Snethlage) hat Th. – vielleicht aus diesem Grunde – in keinem Verkehr gestanden, obgleich sie ihm alle die höchste Achtung zollten und entgegenbrachten. Einmal in seinen jungen Jahren scheint er im Begriff gewesen zu sein gegen Schleiermacher polemisch vorzugehn, hat es dann aber aufgegeben. Wenigstens liest man im 3. Bande von Schleiermacher’s Leben, daß derselbe an den Buchhändler Reimer schreibt am 12. Mai 1804: „Was macht Theremin? Ist ihm die Lust vergangen sich mit mir einzulassen?“ – Im J. 1824 wurde Th. zum Oberconsistorialrath und vortragenden Rath in der Unterrichtsabtheilung des Cultusministeriums ernannt und in demselben [727] Jahr verlieh ihm die Universität Greifswald die theologische Doctorwürde; im J. 1834 wurde er dann zum wirklichen Oberconsistorialrath befördert. Aber noch war der Ring seiner Thätigkeit nicht geschlossen, sondern das Jahr 1839 brachte ihm zu seinen andern Aemtem noch die außerordentliche Professur und 1840 endlich wurde er ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Berlin. Das war der Gipfel seiner Wünsche gewesen. Er las über Homiletik und richtete auch in seinem Hause ein homiletisches Seminar ein, dem er doppelte Liebe und Kraft widmete, als er sich in seinem geistlichen Amt schon längere Zeit große Beschränkung auferlegen mußte. Im Lauf der 30er Jahre hatte sich auf seinem einen Auge der graue Staar ausgebildet, und es lag die Befürchtung nahe, daß auch das andere angegriffen werde und er dem Schicksal der Erblindung entgegen gehen würde. Ein Arzt in Heidelberg, den er auf einer Durchreise consultirte, hatte ihm diese traurige Perspective eröffnet, und rührend ist ein Gedicht, welches er dort im Anblick der Herrlichleiten der Natur und in dem Gedanken des Abschiednehmens von derselben verfaßte. Dasselbe befindet sich in einer späteren Ausgabe seiner „Abendstunden“ (1. Auflage 1833–39 bei Duncker & Humblot, Berlin, 5. Auflage 1858). Dies Buch ist wol das von seinen Werken am meisten gelesene und ein Erbauungsbuch im besten Sinne des Worts. Ebenso fand seine Schrist „Die Lehre vom göttlichen Reich“ (Berlin 1823) s. Z. große Anerkennung. Weniger bekannt, aber für seinen theologischen Standpunkt bezeichnend sind „Adelbert’s Bekenntnisse“ (Berlin bei Duncker & Humblot. 1828), eine Art Werther aber mit einem versöhnenden Schluß. Schon im J. 1814, in dem Jahr, als Th. Hofprediger wurde, hatte er sich mit Ernestine Matthis geb. Conrad, einer Tochter des Hofpredigers Conrad zu Berlin und Wittwe seines nahen Freundes, des Justizraths Matthis, verheirathet. Ein Sohn und eine Tochter erblühten ihnen, die Ehe selbst aber, die eine überaus glückliche war, wurde schon am 14. Februar 1826 durch den Tod der Gattin gelöst. Dieser Verlust wirkte dauernd niederdrückend auf Theremin’s Gemüth, und wie ein dunkler Faden zieht sich die Erinnerung daran durch Alles, was sich nachher, auch besonders in seinen poetischen Aufzeichnungen findet. Treue Kindesliebe pflegte ihn bis zuletzt; die Besorgniß ganz zu erblinden erfüllte sich glücklicherweise nicht, sondern eine kurze acute Unterleibskrankheit endete sanft und ohne schweren Kampf am 26. September 1846 sein Leben. Auf dem alten Domkirchhof in Berlin ruht er neben seiner Gattin und seiner Tochter, welche ihm 1860 unverheirathet folgte. Ein Leichenstein mit den Stellen Offenbarung 21, 6 und Johannes 6, 37, die er sich noch am Abend vor seinem Tode hatte vorlesen lassen, schmückt das Grab. Auf seinen Wunsch unterblieb die Leichenrede bei seiner Bestattung, statt deren las sein College, Hofprediger Dr. Snethlage, eine Reihe dazu ausgewählter biblischer Stellen und Hofprediger Dr. Ehrenberg die Liturgie.
Theremin: Franz Th., geboren am 19. März 1780 in Gramzow in der Ukermark, † am 26. September 1846 in Berlin. Seine Familie, aus Frankreich stammend, war nach der Aufhebung des Edictes von Nantes nach Preußen ausgewandert, und war seither jeder älteste Sohn der Familie französisch reformirter Prediger geworden. Auch der Vater von Franz Th. war Geistlicher an einer solchen Gemeinde in Gramzow. Bis zu den Mittelclassen des Gymnasiums hatte er seinen Sohn selbst vorbereitet, dann brachte er ihn auf das französische Gymnasium, das Collége nach Berlin, wo derselbe bis nach absolvirtem Abiturientenexamen blieb. Wie aus seinen eigenen Aufzeichnungen hervorgeht, hatte er während dieser Jahre mit dem Stottern sehr zu kämpfen, das er nur mit großer Selbstüberwindung, aber völlig, überwand, und der Familientradition folgend sich auch zum Geistlichen vorbereiten konnte. Aus seiner Kinderzeit tritt neben der unbegrenzten Liebe und Verehrung, die er seinem Vater widmet, besonders die Liebe zur Natur und überhaupt die Empfänglichkeit für alles Schöne hervor. Die ersten Eindrücke schöner Prosa und Poesie empfing er in seinem vierzehnten Lebensjahre, als er schon das Gymnasium besuchte, und zwar war es in der Prosa kein deutscher, kein französischer, sondern ein lateinischer Schriftsteller, der Sallust, welcher ihn so hinriß, daß er trotz seiner damals noch sehr unvollkommenen französischen Sprachkenntnisse denselben in möglichster Treue mit dem Original in das Französische übersetzte. Es trug ihm dies freilich nichts als eine, wie er fand, ungerechte Züchtigung seitens des Lehrers ein, die aber seine Liebe für Sallust und seine weitere Arbeit, ihn für sich selbst zu übersetzen, nicht beeinträchtigte. In dieselbe Zeit fällt auch der erste tiefe Eindruck, welchen die Poesie auf ihn ausübte, und zwar war es hier