ADB:Velthem, Lodewijk van
Maerlant. Die IV. Partie dieser Bearbeitung des speculum historiale von Vincenz v. Beauvais hatte Maerlant (s. d.) nur bis auf Kaiser Heinrich V. führen können. V. setzte sie zunächst bis 1256 fort, wobei ihm Vincenz bis 1250 (IV. P. 8. B. 44. Cap. V. 17) als Vorlage diente. Er verstand weder das Lateinische hinreichend noch war er in Sprache und Vers so sorgfältig, wie Maerlant und dessen früherer Fortsetzer Utenhove (s. d.), welcher die II. Partie des sp. hist. nachgetragen hatte. V. schrieb die IV. Partie auf den Wunsch und für den Lohn einer Gönnerin in Antwerpen, Marie van Berlaer; er war am 3. August 1315 damit fertig. Von dieser Dichtung ist nur ein Theil erhalten und im Druck erschienen: in der großen Ausgabe des Sp. hist. von M. de Vries und E. Verwys, Leiden 1857–63. Wichtiger und anziehender ist allerdings die selbständige Fortsetzung des Sp. hist., die V. Partie, welche V. schon am Schluß der IV. angekündigt hatte und welche er, rasch arbeitend, am 14. August 1316 abschloß. Er widmete sie einem Herrn van Vorne, den er zwar nicht selbst kannte, von dem er aber zu Horne durch einen gewissen Jan Visier so viel Gutes gehört hatte, daß er wünschte, als Geistlicher in die Dienste dieses Herrn zu treten. Velthem’s V. Partie des Sp. hist. ist bereits 1727 zu Amsterdam von Isaak le Long mit Anmerkungen in den Druck gebracht worden, unter einem sehr langathmigen Titel: Spieghel Historiael, of Rymspiegel; zynde de Nederlandsche Rym-Chronik, van Lodewyk van Velthem u. s. w. Seitdem ist mancherlei zur Textbesserung und Erklärung geschehen, insbesondere in den Beilagen zu der großen Ausgabe des Sp. hist. von Maerlant. Die V. Partie umfaßt gegen 30 000 Verse und zerfällt in 8 Bücher, von denen das erste mit Kaiser Wilhelm von Holland 1248 beginnt, das zweite mit Kaiser Richard von Cornwall 1258, das dritte mit Adolf von Nassau 1292, das vierte mit Albrecht von Oesterreich 1298, das fünfte mit Heinrich von Luxemburg 1308, während das sechste die Anfänge des Thronstreits zwischen Ludwig von Baiern und Friedrich von Oesterreich von 1314–1316 zum Gegenstande hat. Das siebente umfaßt mehrere Prophezeihungen, insbesondere auch die der h. Hildegard, in ihrer Beziehung auf die Gegenwart. Das achte endlich enthält eine Schilderung des Weltendes und des jüngsten Gerichtes und schließt den ganzen Sp. hist., der mit der Erschaffung der Welt begonnen hatte, würdig ab. Vor den Widmungsepilog stellt der Dichter noch ein Gedicht auf die Jungfrau Maria: 5 dreizehnzeilige Clausulen, dann mehrere Strophen von verschiedenem Umfange und wechselnder Reimbindung, auch mit Binnenreimen in den vierhebigen Zeilen, das Ganze also in Sequenzen- oder Leichform. So hatte V. auch in die IV. Partie einige lyrische Stellen eingefügt. Die Jahresgrenzen der einzelnen Bücher werden übrigens nicht genau beobachtet und die Zeitereignisse überhaupt nur soweit angeführt als sie den [597] Dichter interessiren. Mißgeburten, Stürme, Kometen und andere Wunderzeichen führt er ebenso eingehend vor als die großen Geschehnisse auf politischem Gebiete. Vor allem berücksichtigt er die Heimathsverhältnisse; aber auch die Kaisergeschichte und die französisch-englischen Streitigkeiten. Die Kämpfe Heinrich’s III. und Eduard’s I. gegen die Barone unter Simon von Montfort schildert er mit entschiedener Parteinahme für die königliche Sache. Er spricht sich, obschon Geistlicher, gegen die Päpste aus; daß Heinrich VII. mit der Hostie vergiftet worden sei, habe ihm dessen Hausgeistlicher erzählt. Auch spottet er über manche Gegenstände volksthümlicher Verehrung, z. B. eine Eiche in Kreuzform, vor welcher wunderbare Heilungen geschehen sein sollten. Seine Feindseligkeit gegen die geldstolzen Bürger trennt ihn von Maerlant; dagegen benutzt er für den Krieg Jan’s I. von Brabant, der durch den Sieg bei Worringen 1288 entschieden wurde, in starkem Maaße das Gedicht Jan’s van Heelu (s. d.). Als geschichtliche Quelle verdient sein Werk wohl nur für die letzten 20 Jahre Beachtung, da er hier vielfach nach Berichten von Augen- und Ohrenzeugen berichtet, ja sogar selbst wichtigen Gesprächen der niederländischen Großen beigewohnt haben will. Anderwärts beruft er sich auf lateinische Quellen, so B. II C. 15–20 bei dem Bericht über ein Tafelrundefest bei der Vermählung König Eduard’s in London, auf welchem dieser seine Parteigenossen durch verkleidete Knappen, namentlich auch durch eine wunderhäßliche Gralbotin gegen seine Feinde unter dem englischen Adel aufgeboten haben soll. Auch erzählt er, daß Eduard in Wales die aus dem Iwein bekannte Zauberquelle und (3, 34) in einer Höhle die Waffen und Gebeine des Königs Artus aufgefunden habe, der von seiner Schwester in einem Schiffe dorthin geführt worden sei. Hier tritt ein romantischer Zug hervor, der es begreiflich macht, daß V. später auch Maerlant’s Merlyn fortsetzte und vollendete, wobei er eine französische Prosaschrift benutzte, die nach P. Paris, Les romans de la table ronde II (1868) S. 99 ff. le livre du roi Artus betitelt war. Das ganze Gedicht ist als Jacob van Maerlant’s Merlyn von J. van Vloten, Leiden 1880, herausgegeben worden. V. fügte zu dem etwa 10 400 Verse umfassenden Werke Maerlant’s noch gegen 26 000 hinzu; er beendete seine Arbeit am Gründonnerstage 1326. Maerlant war bis zur Krönung des Königs Artur gekommen; V. führte die Kämpfe Artur’s weiter bis zur Verzauberung Merlyn’s durch seine Geliebte. Dem verworrenen Gang der Erzählung, wie sie in der französischen Prosa vorlag, haben beide Dichter keine Einheit und keine Klarheit zu geben vermocht. Velthem’s Sprache ist noch weniger dichterisch als die Maerlant’s; sein Versbau ist übermäßig durch Doppelsenkungen ausgeweitet. Merkwürdig ist, daß die Sammlung von allerhand Romanen, welche unter dem Titel Lancelot überliefert ist und als Roman van Lancelot von Jonckbloet, Haag 1848–49, herausgegeben wurde, in der Handschrift am Schluß die Bemerkung enthält: Hier indet boec van Lancelote dat heren Lodewijks es ven Velthem. Ob V. die Romanserie nur gesammelt oder sie auch theilweise verfaßt oder interpolirt hat, ist eine Frage, welche Jonckbloet, Geschiedenis der nederlandsche Letterkunde, (1885) 2, 102 aufwirft, zu deren Lösung aber nur eine mühsame, zuletzt doch wohl unsichere Untersuchung führen könnte. Vgl. über V. noch Jan te Winkel, Geschiedenis der nederlandsche Letterkunde I, Haarlem 1887, S. 170 fg., 355 fg.
Velthem: Lodewijk van V., brabantischer Dichter aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts. Der Name deutet auf Zugehörigkeit zu einem adeligen Geschlecht, wie er sich auch selbst Heer nennt. Nach seinen sonstigen Angaben war er Priester, kam um 1294 nach Paris, wahrscheinlich als Student, bekleidete 1304 in Sichem, westlich von Diest ein geistliches Amt, vermuthlich das des Kaplans und lebte 1313 und in den nächsten Jahren zu Velthem, westlich von Löwen, als Pfarrer. Seine dichterische Thätigkeit eröffnete er, soviel wir wissen, mit der Vollendung und Fortsetzung des Spieghel historiael von