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ADB:Visscher, Römer

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Artikel „Visscher, Roemer“ von Ernst Martin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 72–74, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Visscher,_R%C3%B6mer&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:39 Uhr UTC)
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Visscher: Roemer V., holländischer Dichter aus dem Anfang der neueren Blüthezeit. Geboren 1547 zu Amsterdam, starb er am 11. Februar 1620, wahrscheinlich ebenda. Als angesehener Großkaufmann führte er ein gastfreies Haus, welches vor allem durch die Liebenswürdigkeit und vielseitige Kunst seiner Töchter sich das Lob der gleichzeitigen Dichter erwarb, aber auch Maler und andere Künstler anzog. R. V. selbst gehörte einer älteren Dichtergeneration an, welche in der Amsterdamer Rederykerkammer zum Eglentier (der Heidenrose) In [73] liefde bloeyende sich vereinigte. Besonders nahe stand ihm H. L. Spieghel (siehe A. D. B. XXXV, 161), mit dem er auch als Katholik mit freieren Ansichten verbunden war und an dessen grammatischen Untersuchungen er sich betheiligte. Als Dichtzer schloß er sich an Martial an und übertrug manches aus dem römischen Epigrammatiker, nicht immer mit feiner Wahl. Seinen eigenen Gedichten schien er nicht viel Werth beizulegen: er gab sie erst spät gesammelt heraus und unter absichtlich geringschätzigen Titeln. 1612 erschien zu Leyden „’t Loff van de Mutse ende van een blaeuwe scheen“ (wir würden sagen: Korb, es handelt sich um einen abgewiesenen Freier) „met noch andere ghenoeghelicke boerten ende quicken“ (Spässen und Schwänken), soo uyt het Griecks, Latyn en Franchoys in rym overgheset, als selffs Poëtelyck gedicht. Eine zweite, um mehr als die Hälfte vermehrte Auflage folgte zu Amsterdam 1614 unter dem Titel „Brabbelingh“ (Geschwätz). Diese Sammlung enthält 1) Quicken (Epigramme), in 7 Schocken mit Beigabe; 2) allerlei Kleinigkeiten als Rommelsoo (Mischsuppe); 3) Räthsel; 4) Sonette oder Tuyters; 5) Jammertjens oder Klaggedichte, 6) Vermischte Gedichte als Tepelwerken. Im gleichen Jahre erschienen Zinnepoppen von der Art der „Emblemata“ jener Zeit, Bilder, „Puppen“, zu denen R. Visscher’s Tochter Anna zweizeilige Verse beigesteuert hatte. Noch steht der Dichter am Eingang der goldenen Zeit der holländischen Litteratur: seine Werke sind mit gehäuften Senkungen überladen, sein Ausdruck derb, aber treffend. Auch in Hinsicht auf Versbau und Sprache zeigt sich der gewaltige Fortschritt jener Zeit in den Dichtungen zweier seiner drei Töchter. Diese beiden waren im Hause des Vaters geblieben, so viele Freier sich auch um sie bemüht hatten: erst nach seinem Tode vermählten sie sich. Des Vaters ausgezeichnete Erziehung hatte ihnen die Kenntniß des Italienischen und des Französischen gegeben; in Musik, in Malen, Glasschneiden und Sticken hatten sie es zu einer bewunderten Kunstfertigkeit gebracht. Selbst im Schwimmen, wozu ein Canal im Garten des Vaters Gelegenheit bot, hatten sie sich geübt.

Anna V. war geboren zu Amsterdam 1584, sie starb zu Alkmaer am 6. December 1651. Nach des Vaters Tode besuchte sie 1622 Seeland, was zu einer Reihe von Preisgedichten Anlaß gab: mit ihren Antworten sind sie abgedruckt in Zeevsche Nachtegael, Amst. 1633, S. 9 ff. Insbesondere war der breitfließende Cats ihr dichterischer Freund. 1624 heirathete sie Dominicus Booth van Wezel, einen angesehenen Bürger von Dordrecht, den sie bei Cats kennen gelernt hatte. Sie schenkte ihm zwei Söhne, welche sie 1640 in eine Unterrichtsanstalt der Jesuiten nach Brüssel brachte, wozu ihr der als Neulateiner berühmte Dichter C. van Baerle an Puteanus Empfehlungsbriefe mit gab. Den einen überlebte sie; der andere war später als Advocat im Haag ansässig und versuchte sich auch in der Dichtkunst. Anna schrieb namentlich kleinere Moralgedichte, etwas trocken aber gewandt. Die Gelegenheitsdichtung pflegte sie auch: ihr Gedicht auf die Befreiung des Hugo Grotius aus dem Kerker zu Loevestein wurde von dem großen Gelehrten selbst der Uebersetzung in das Lateinische für werth gehalten. Sie selbst übersetzte Honderd Christelyke Zinnebeelden naar Georgette de Montenay, welche von Schinkel, Haag 1854 herausgegeben worden sind. Gesammelt wurden Anna’s Gedichte mit denen ihrer Schwester erst 1881, in 2 Bänden, von N. Beets.

Frauenhaft zarter ist die Dichtung dieser um 10 Jahre jüngeren Schwester Maria Tesselschade. Den letzteren Namen hatte ihr Vater ihr zur Erinnerung an einen großen Verlust durch den Untergang mehrerer Schiffe bei Texel 1593 gegeben. 1594 geboren, starb sie am 20. Juni 1649 zu Alkmaar. In ihrer Jugend war sie das Entzücken des Kreises, der sich im Schloß zu Muyden um den Dichter Hooft versammelte. Huygens versuchte sie, aber vergeblich, [74] zum Uebertritt in die protestantische Kirche zu bewegen. Auch Vondel huldigte ihr; Brederoo soll um ihre Hand angehalten haben, mit demselben Mißerfolg, den später Baerle hatte, als er verwittwet um die Wittwe anhielt. 1623 heirathete sie den Seeofficier Albert Krombalch, dem sie nach Alkmaar folgte. Hochzeitsgedichte der berühmtesten Dichter feierten ihre Vermählung. Doch sie verlor 1634 ihr ältestes Töchterchen, und bald darauf ihren Gatten, der sich, wie Huygens sagte, an der Wunde „verblutet“ hatte. 1642 kehrte Tesselschade nach Amsterdam zurück. Hier erblindete sie auf einem Auge, in welches ein Funke aus einer Schmiede gesprungen war. Sie überlebte ihre Freunde Hooft und van Baerle und verlor 1647 auch ihr letztes Kind. Seit dieser Zeit hatte sie nur noch für geistliche Schriften Sinn. In den Jahren 1633–1639 war sie mit einer Uebersetzung des Befreiten Jerusalem von Tasso beschäftigt, etwas später mit der des Adonis von Marino. Erhalten ist von beiden Uebersetzungen Nichts; auch sonst nur Weniges, woraus jedoch ihr naher Anschluß an die italienische Manier Hooft’s deutlich hervorgeht. Einfach und innig ist das Gedicht, mit welchem sie die Preisfrage der Dichtergesellschaft „Akademie“ zu Amsterdam löste, welches die besten und welches die bösesten Zungen seien. Andere Gedichte haben die Liedform, die zu ihren zarten Gefühlen paßt. Doch mehr als ihre Dichtung wirkte ihr Leben auf Zeitgenossen wie auf Spätere: noch jetzt gelten die Schwestern als die Musen und Grazien Althollands.

Vgl. bes. Jonckbloet, Gesch. d. nl. Letterk. 3. Aufl. 3, 34 ff., 325 ff.