ADB:Winckler, Johann Joseph
Johann Caspar Schade’s und August Hermann Francke’s für die pietistischen Bestrebungen gewonnen. Schon im J. 1692 ward er in Magdeburg Prädicant am Hospital St. Georg, einem Siechenhause vor dem Sudenburger Thor, und Nachmittagsprediger zu St. Petri. Im J. 1695 ward er Feldprediger bei einem kurbrandenburgischen Regimente, das er nach Holland und nach Italien begleiten mußte. Nach dem Ryswicker Frieden (1697) machte er eine Studienreise durch Holland und England. Im J. 1699 (oder 1698?) wurde er zum Diakonus am Dom in Magdeburg erwählt; er ist dann bis zu seinem Tode am Magdeburger Dom geblieben. Nachdem er schon im J. 1703 im Nebenamt zum Inspector des Holzkreises ernannt war, ward er 1709 erster Domprediger und 1716 zugleich Consistorialrath. Er starb am 11. August 1722, noch nicht 52 Jahre alt. – W. war ein tüchtiger und begabter Prediger, der in seinem Amte unter reichem Segen gewirkt hat. Er gehört zu den ernsten und besonnenen Pietisten der ältern Schule, die sich die späteren Maßlosigkeiten und Geschmacklosigkeiten nicht zu Schulden kommen ließen. Wie mehrere seiner Gesinnungsgenossen trat auch er gegen das Theater auf. Als die Velten’sche Truppe nach Magdeburg kam und hier u. a. auch Molière’sche Komödien spielte, sprach er sich auf der Kanzel dagegen aus und veröffentlichte eine Schrift dagegen: „Des h. Paters Chrysostomi Zeugniß wider die Schauspiele, verdeutschet und in etwas erläutert“. Dadurch ward die Frau Catharina Elisabeth Velten (Velthemin), die damals als Wittwe die Truppe leitete, veranlaßt, die A. D. B. XXXIX, 584 (Zeile 5 v. u.) genannte Schrift gegen W. herauszugeben. (Die Darstellung dieses Vorganges bei Devrient, Geschichte der Schauspielkunst, 1. Bd.. Leipzig 1848, S. 385 ff., verwechselt ihn wahrscheinlich mit einem andern). – Bekannter ward W. durch seine Theilnahme an den kirchlichen Unionsbestrebungen des Königs Friedrich I. von Preußen. Als dieser im J. 1703 ein Unionscollegium einsetzte, das über eine Vereinigung der lutherischen mit der reformirten Kirche berathen sollte, ward als Vertreter der Lutheraner neben dem Propst zu Cöln a. d. Spree Julius Lütkens (s. A. D. B. XIX, 700) W. in dasselbe berufen. Die Verhandlungen hatten bekanntlich keinen Erfolg, wurden auch, nachdem Lütkens wegen des Uebergewichtes der Reformirten seine Theilnahme verweigerte, bald eingestellt. Unter den Schriften, die damals erschienen, die Union zu befürworten, hat keine solches Aufsehen erregt, als die unter dem Titel „Arcanum regium“ erschienene. Diese kleine Schrift ist ursprünglich von einem Prediger Johann Welmer (vgl. Historia bibliothecae Fabricianae, vol. IV, pag. 425), der zu Schermke bei Wanzleben stand († 1704), geschrieben; sie kam handschriftlich in Winckler’s Hände, der sie mit einigen einleitenden Sätzen vermehrte und sie bei einem Gespräche, das er während der Verhandlungen mit dem Könige hatte, diesem als einen Entwurf, wie etwa die gewünschte Union sich herbeiführen ließe, überreichte. Sie soll dann aus dem Cabinet des Königs entwendet sein und ist jedenfalls ohne Winckler’s Willen und Wissen gedruckt. Der Unterzeichnete kennt drei verschiedene Drucke aus dem Jahre 1703; aber es mag noch mehr geben. Der wahrscheinlich älteste hat aus dem Titel nur die Worte: „Arcanum regium. Anno 1703“ und besteht aus sieben unpaginirten Blättern in Octav; Name eines Verfassers oder Druckorts [374] ist nicht genannt. Ein zweiter Druck hat folgenden langen Titel, der auf den Inhalt hinweist: „Arcanum Regium, das ist ein königlich Geheimniß für einen regierenden Landesherrn, darinnen ihm entdeckt wird, wie er sich bei seinen über die Religion zertheilten Unterthanen nach Gottes Willen zu verhalten habe, damit er eine Gott wohlgefällige Vereinigung unvermerkt stifte und in kurzer Zeit befördere; ans Licht gestellt von Wincklero. Diacono an der Thum-Kirche zu Magdeburg“. Frankfurt [a. d. O.?] 1703, 8°. Ein dritter Druck erschien in 4°, 4 Blätter, s. l. 1703 unter dem Titel: „Johann Joseph Wincklers, Dohm-Predigers in Magdeburg, arcanum regium samt dem verthaidigten Wittenberg“; (das vertheidigte Wittenberg ist ein Gedicht zu Ehren Wittenbergs, die Zugabe desselben zeigt, daß dieser Druck des arc. reg. von einer Seite veranstaltet ist, die mit seinem Inhalt nicht übereinstimmt). Während in dem zu zweit genannten Druck W. nicht als der Verfasser des arcanum regium, sondern nur als der Herausgeber bezeichnet wird, was er aber auch nicht war, wie u. a. auch schon das Fehlen seiner Vornamen wahrscheinlich macht, wird in dem an dritter Stelle genannten W. gradezu als Verfasser bezeichnet; und als solcher galt er damals auch vielerwärts. Der Inhalt der Schrift, die aus thesenartigen Sätzen besteht, ist ein doppelter; zunächst wird das ius episcopale eines Fürsten so dargestellt, als ob vermöge desselben eine Union der beiden Kirchen ohne weiteres befohlen und durchgeführt werden könne; und sodann wird gezeigt, daß eine solche Union auch von Bestand sein werde, wenn man bei der Ausbildung der künftigen Geistlichen statt auf „Meinungen“ das Gewicht auf „Gottseligkeit“ lege; Privatbeichte, Meßgewänder, Hostien, Lichter auf dem Altar, aber auch eine Reihe von Festtagen, wie z. B. die dritten Feiertage, müßten abgeschafft werden; die Landeskinder sollen nicht in Wittenberg, sondern nur in Halle studiren dürfen u. dgl. m. Es ist begreiflich, daß diese Ansichten und Vorschläge, namentlich von Seiten der Lutheraner aufs heftigste bekämpft wurden; es erschien eine Reihe von Schriften und Gegenschriften, fast alle anonym oder pseudonym. Unter ihnen sind als besonders sachlich gehalten und deshalb als von hervorragenderer Bedeutung zu nennen: „Des Ministerii zu Hamburg christliches Bedenken über das sogenannte arcanum regium, die Religionsvereinigung der Lutheraner und Reformirten betreffend“ (Hamburg 1703) vom Senior Johann Winckler (soviel uns bekannt, mit unserm W. nicht verwandt, vgl. über ihn oben S. 365 ff.) verfaßt, eine Schrift, die um so mehr in Betracht kommt, als ihr Verfasser auch zu den Pietisten gehört, und: „Allerunterthänigste Adresse an ein großmächtiges Oberhaupt im Namen der evangelisch-lutherischen Kirche, die Religionsvereinigung betreffend nebst einem Vorschlage zum gesegneten Kirchenfrieden“, gleichfalls anonym 1703 erschienen, von Valentin Ernst Löscher verfaßt (s. A. D. B. XIX, 211). W. gab noch in demselben Jahre (?) seine Schrift heraus, in der er bezeugte, daß er das arcanum regium nicht verfaßt und nicht herausgegeben habe, die Ueberreichung desselben an den König als eine Uebereilung seinerseits bezeichnete und offen aussprach, daß er mit vielen Sätzen dieser Schrift garnicht übereinstimme u. s. f.; sie hat den Titel: „Johann Joseph Wincklers aufrichtige Entdeckung seines Herzens gegen alle Christen und insonderheit gegen die christliche Gemeinde im Dom zu Magdeburg bei der über einem gewissen Unionsproject entstandenen großen Unruhe aus dringender Noth zur Rettung seines heiligen Amts zum Druck gegeben“, und erschien zuerst Wernigerode s. a. [1703?], 24 Seiten 4°, und in einem zweiten Abdruck s. l., 24 Seiten 8°, „gedruckt im Jahre 1704“. In der That stimmen viele Sätze im arcanum regium und namentlich die in ihm sich aussprechende Gleichgültigkeit gegen die Lehre der lutherischen Kirche nicht zu Winckler’s sonst bekannten Ueberzeugungen; eine von ihm selbst anerkannte Uebereilung hat ihm [375] aber viele Unannehmlichkeiten bereitet. – Für uns kommt er nun aber hauptsächlich als Dichter geistlicher Lieder in Betracht. Zuerst erschienen Lieder von ihm in größerer Anzahl im Anhange zur zweiten Auflage von Heinrich Georg Neuß’ (s. A. D. B. XXIII, 556) Hebopfer zum Bau der Hütten Gottes (Wernigerode 1703). Der Anhang enthält 21 Lieder unter der Bezeichnung „auserlesene geistliche Lieder“; gewöhnlich werden diese Lieder sämmtlich W. zugeschrieben, doch können ihm völlig sicher nur diejenigen vier unter ihnen zugewiesen werden, die sich auch im Freylinghausen’schen Gesangbuch von 1714 befinden und in der von Kirchner herausgegebenen Nachricht über die Liederverfasser des Freylinghausen’schen Gesangbuches (Halle 1771) auf Grund des Zeugnisses seiner an den Consistorialrath Sucro verheiratheten Tochter als von ihm gedichtet bezeichnet sind. Hernach erschienen Lieder von W. in dem Schlechtiger’schen Gesangbuch (Berlin 1704) und in der ersten Auflage des Porst’schen Gesangbuches (Berlin 1708); das Freylinghausen’sche Gesangbuch von 1714 enthielt außer den vier schon erwähnten noch sechs andere Lieder von W., die hier zum Theil zum ersten Mal gedruckt sind. Außerdem wird ihm noch ein zuerst im Wernigeröder Gesangbuch von 1735 nachweisbares Lied (von Kirchner, vgl. Fischers Kirchenliederlexikon, 2. Hälfte, S. 348) zugeschrieben. Wenn er dieses und alle im Neuß’schen Anhange enthaltenen Lieder verfaßt hat, so kennen wir zum mindesten 28 Lieder von ihm, im anderen Falle wenigstens 10. Unter ihnen ist wol das verbreitetste und bekannteste das Lied: „Ringe recht, wenn Gottes Gnade dich nun ziehet und bekehret“, zuerst gedruckt 1714 (als Einzeldruck früher), ein besonders kräftiges Heiligungslied, das nur etwas zu lang ist, von dem die besten Strophen in keinem Gemeindegesangbuch fehlen sollten. Andere Lieder von W. sind: „Meine Seele senket sich hin in Gottes Herz und Hände“, bei Neuß 1703; „Jesu, Herr der Herrlichkeit, süßer Heiland frommer Herzen“, ebenda; „Der Geist, der von des Höchsten Thron mit Blitz und Licht und Kraft ausgehet“, bei Schlechtiger 1704 und Freylinghausen 1714.
Winckler: Johann Joseph W., einer der besten Liederdichter des älteren Pietistenkreises, wurde am 23. December 1670 zu Lucka in Sachsen-Altenburg geboten, wo sein Vater, Gottfried W., Stadtschreiber war. Er studirte zu Leipzig Theologie und ward hier durch die biblischen Vorlesungen- Wetzel, Hymnopoeographia III, 436 f. – Jöcher IV, Sp. 2010. – Goedeke, 2. Aufl., III, 297, Nr. 58. – Rambach. Anthologie IV, 234 ff. – Bode, Quellennachweis, S. 173 f. – Koch, Geschichte des Kirchenlieds u. s. f., 3. Aufl., Bd. 4, S. 383 ff. – Blätter für Hymnologie 1888, S. 170 f. – James Mearns in John Julian, a dictionary of hymnology, S. 1286. – Ueber das arcanum regium und den durch es veranlaßten Streit: Walch, Einleitung in die Religionsstreitigkeiten, welche sonderlich außer der evang.-luth. Kirche entstanden, Bd. 1, 3. Aufl., S. 509 ff.; Bd. 3, S. 1080 ff. – M. v. Engelhardt, Valentin Ernst Löscher, Dorpat 1853, S. 96 ff.