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ADB:Wyttenbach, Daniel (Philologe)

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Artikel „Wyttenbach, Daniel“ von Max Heinze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 429–431, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wyttenbach,_Daniel_(Philologe)&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:13 Uhr UTC)
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Wyttenbach: Daniel W., bekannter Humanist, Philolog und Philosoph, wurde geboren am 7. August 1746 zu Bern, als Sohn des dortigen Professors der Theologie Daniel W., der 1756 einem Ruf nach Marburg als Professor der Theologie, Consistorialrath und Kircheninspector folgte (s. o.). Während der Vater den Sohn mit einer gewissen Härte erzog, suchte die Mutter, Rosine, geb. Lombach diese durch Zärtlichkeit zu mildern. Schon in Bern wurde der Knabe zu eifrigem Studium des Lateinischen angehalten; in Marburg folgte dann unter der Leitung eines jungen talentvollen eigenartigen Hauslehrers, Jacob Jäger, nebst anderen Disciplinen Griechisch, worin W. später so hervorragendes leisten sollte. Schon in seinem vierzehnten Jahre wurde er in die Zahl der Marburger Studenten aufgenommen, hörte zuerst Vorlesungen über Logik und Mathematik, bald kamen Philologie und Geschichte dazu, deren Vertreter an der Universität Marburg, Schröder und Geiger, freilich auf den jungen Studenten nicht besonders einwirkten. Nach einer durch religiöse Scrupel verdüsterten Periode von einigen Semestern, wandte er sich besonders der Moral und Metaphysik zu, für welche letztere der Professor der theoretischen Philosophie, Koing, durch klare Darstellung seine lebhafteste Theilnahme zu wecken wußte. Im ersten Semester widmete er sich nach dem Willen seines Vaters, eifrig der Theologie, für die er sich durch vorhergehendes Studium des Hebräischen schon vorbereitet hatte, fühlte sich aber hierbei nicht befriedigt, so daß er sich bald wieder meistentheils mit dem Alterthum beschäftigte, d. h. jetzt vorzugsweise mit den griechischen Classikern, unter denen er für Platon eine besondere Vorliebe gewann. Dieser war, wie W. selbst in einem Briefe an Heusde erzählt, sein beständiger Begleiter auf seinen Streifereien durch Gebirge und Wälder, indem er sich oft im Schatten einer alten Eiche oder an einem leise dahin rauschenden Bache ganz in die erhabenen Gedanken des großen Philosophen versenkte. Ein treffliches Hülfsmittel zum Verständniß Platon’s waren ihm Ruhnken’s Anmerkungen zu dem Platonischen Lexikon des Timaeus. Um für seine Studien namentlich eine reichere Bibliothek als die in Marburg benutzen zu können, ging W. 1768 nach Göttingen, wohin ihn auch der Ruf des bekannten Philologen Heyne mit zog, zu dem er bald in ein näheres, für ihn sehr anregendes Verhältniß trat.

Durch seine Erstlingsschrift: „Epistola critica ad D. Ruhnkenium super nonnullis locis Juliani Imper., cui accesserunt animadversiones in Eunapium et Aristaenetum“, die im J. 1769 erschien, kam er in Briefwechsel mit dem von ihm höchst geschätzten Ruhnken und mit Valckenaer. Nachdem er noch besonders [430] auf den Rath Heyne’s sich mit lateinischen Schriftstellern eingehend beschäftigt hatte, reiste er im Frühjahr 1770 nach Leiden in fieberhafter Eile, um möglichst rasch in persönlichen Verkehr mit Ruhnken zu kommen. Von diesem sowie von Valckenaer aufs freundlichste aufgenommen, trieb er nun in Leiden unter der Führung dieser zwei hervorragenden Männer humanistische Studien. Im J. 1771 wurde er auf die Empfehlung seiner beiden Gönner hin, die lebhaft wünschten, den strebsamen, höchst talentvollen jungen Mann in Holland festzuhalten, Professor der alten Sprachen und der Philosophie an dem Remonstrantengymnasium in Amsterdam. In dieser Stellung, die er mit großem Erfolge bekleidete, fühlte er sich zwar durchaus befriedigt, nahm aber doch 1779 eine Professur am Athenaeum in Amsterdam an, einer Anstalt, die ungefähr den Universitäten gleich kam, abgesehen davon, daß sie keine Promotionen vornehmen durfte. Hier hatte er Vorlesungen über Logik und Metaphysik zu halten, denen er auch solche über Geschichte der Philosophie hinzufügte, bis er 1785 die Professur der alten Sprachen und der Geschichte an eben dieser Lehranstalt annahm, die durchaus seinen Neigungen und Wünschen entsprach, so daß er es sogar ablehnte, in eben diesem Jahre Nachfolger Valckenaer’s in Leiden zu werden, wozu ihn Ruhnken bewegen wollte. Ebensowenig gab er späteren Aufforderungen, 1795 eine Professur in Leiden anzunehmen, und 1788 und 1797 nach Bern als Professor überzusiedeln, nach. Erst als 1798 Ruhnken gestorben war, und ihm der Antrag gestellt wurde, dessen Nachfolger als Professor historiae cum universalis tunc litterariae ac philosophiae, antiquitatum, litterarum humaniorum et graecarum et latinarum in Leiden zu werden, ging er darauf ein, weil er zugleich in dieser Stellung für die Hinterlassenen Ruhnken’s nach seinem Wunsch zu sorgen Gelegenheit hatte. So verließ er sein ihm liebgewordenes Amt in Amsterdam, in dem er mit großem Segen gewirkt hatte, und hielt am 4. Mai 1799 seine Antrittsrede in Leiden. Hier hatte er in seinen Vorlesungen eine zahlreiche Hörerschaft, die ihn wegen seiner großen allgemeinen Gelehrsamkeit, seines die Gegenstände trefflichst behandelnden Vortrags und wegen der Selbstlosigkeit seines Charakters hoch verehrte. Im J. 1818 ließ er sich wegen geschwächter Gesundheit, namentlich wegen eines Augenleidens in den Ruhestand versetzen und starb am 17. Januar 1820 in Oegsgeert. In seiner stetigen angestrengten wissenschaftlichen Arbeit hatte er einmal eine längere Störung erfahren durch eine gewaltige Pulverexplosiou im J. 1807, bei der seine eigene Wohnung sowie seine Bibliothek stark mitgenommen wurden. Auch unter den politischen Verhältnissen litt er, wiewohl er Mitglied der von dem Könige Ludwig Napoleon gegründeten Akademie der Wissenschaften, sowie Ritter des von Napoleon gestifteten Ordens der Reunion wurde. 1814 ernannte ihn die französische Akademie der Wissenschaften zu ihrem auswärtigen Mitgliede, eine Ehre, die W. zu würdigen wußte. – Erst in seinem 71. Jahre vermählte er sich mit seiner Nichte, Johanna, geb. Gallien aus Hanau, einer hochgebildeten Frau, die 20 Jahre seinem Hauswesen schon vorgestanden hatte; er that diesen Schritt hauptsächlich wol, um ihr nach seinem Tode eine ausreichende Pension zu verschaffen. Sie lebte nach dem Tode ihres Gemahls in Paris und starb in der Nähe von Leiden im J. 1830. Schriftstellerisch ist sie auf ästhetischem und popularphilosophischem Gebiete thätig gewesen; von ihr rühren her: „Théagène“ (Par. 1815, deutsch Leipzig 1816); „Gastmahl des Leontis, ein Gespräch über Schönheit, Liebe und Freundschaft“, aus dem Franz. (Ulm 1821); ein Roman „Alexis“ (Par. 1817). Bei dem 300jährigen Jubiläum der Universität Marburg im J. 1827 erhielt sie von der philosophischen Facultät in Marburg die Doctorwürde honoris causa.

Wyttenbach’s wissenschaftliche Verdienste liegen namentlich auf dem Gebiete der griechischen Philologie. Sein eigentliches Lebenswerk ist die Ausgabe der Plutarchi Chaeronensis Moralia. Graeca emendavit, notationem emendationum [431] et Latinam Xylandri interpretationem castigatam subiunxit, animadversiones explicandis rebus ac verbis, item indices copiosas adiecit D. W., 8 Tom., Oxonii 1795–1830, in 15 Bänden; die letzten beiden Bände füllt der „Index Graecitatis“. Abdruck der ganzen Ausgabe Leipzig 1796–1835. Für die damalige Zeit war die Ausgabe, für die W. während eines längeren Pariser Aufenthalts im J. 1775 schon eine Reihe Handschriften verglichen hatte, sehr verdienstvoll, für die Gegenwart genügt sie nicht mehr. Von sonstigen philologischen Arbeiten Wyttenbach’s sind zu erwähnen: „Selecta principum Graeciae historicorum capita“ (Leiden 1793, 4. Ausg. ebd. 1807, auch Leipz. 1827), „Platonis Phaedon“ (Amsterd. 1810), „Vita Ruhnkenii“, Leiden 1800. Viel Philologisches von ihm ist auch enthalten in der „Bibliotheca critica“, von der er 12 Theile mit andern Gelehrten von 1777 bis 1808, Amsterd., herausgab; als eine Fortsetzung, von ihm allein besorgt, ist zu betrachten die „Philomathia sive miscellanea doctrina“, 3 Theile (Amsterd. 1809–1817). Außer in der Philologie hat er sich auch in der Philosophie einen Namen gemacht, deren Grundlehren nach Wolff’scher Auffassung er mit humanistischer Klarheit, sich auch mehrfach an die Alten anlehnend, vorzutragen verstand. Zeugniß davon sind seine „Praecepta philosophiae logicae“ (Amsterd. 1782, neue Ausgabe von Eberhard Halle 1794, und von Maaß ebenda 1821). Sonstige philosophische und philosophie-geschichtliche Abhandlungen Wyttenbach’s sind: „Disputatio de unitate dei“ (Amsterd. 1780), worin er sich gegen Kant’s einzig mögl. Beweisgrund zu einer Demonstration vom Dasein Gottes wendet, „Quae fuerit veterum philosophorum inde a Thalete et Pythagora usque ad Senecam sententia de vita et statu animorum post mortem corporis“ (Amsterd. 1786), „De coniunctione philosophiae cum elegantioribus litteris“, „De philosophiae Ciceronianae loco qui est de Deo“, „De philosophiae Kantiana“ u. a. Die letzterwähnten finden sich in den nach seinem Tode erschienenen „Opuscula varii argumenti“, 2 voll. (Leiden, Amsterd. 1821), einiges auch in den von Friedemann herausgegebenen „Opuscula selecta“, 2 voll. (Braunschw. 1820–28). In einen heftigen philosophischen Streit ließ er sich ein mit Paul v. Hemert, seinem Nachfolger in Amsterdam, der in seinen „Beginsels der Kantianische Wysgeerte“ (Amsterd. 1796) und in seinem seit 1798 erscheinenden „Magazin for de kritische Wysgeerte“ für die Kantische Philosophie mit Entschiedenheit eintrat. W. griff diesen in seiner „Bibliotheca critica“ sowie in dem Καδάριον betitelten Aufsatze seiner „Philomathia“ aufs heftigste an, indem er ihn als Horrearius (Magazinverwalter) bezeichnete, von dem ansteckenden Fieber der Kantischen Philosophie sprach und die „kentaurische Transscendentalphilosophie“ zu vernichten versuchte. Neben solchen Ausfällen brachte er auch wirklich erwägenswerthe Einwände gegen die Kantische Philosophie vor.

Vgl. Wyttenb. Epistolae selectae, herausgeg. v. Mahne, Gent 1830. – Epistolae VI ineditae, herausgeg. v. K. F. Hermann, Marb. 1839. – Guil. Leonard. Mahne, Vita Danielis Wyttenbachii, Gandavi 1823. – P. G. Heusde, Narratio de Dan. Wyttenbachio, Initia philos. Platon., Traj. ad Rhen., 1827, Vol. 1, auch in Dan. Wyttenbach Opusc. selecta, ed. Friedemann, Vol. 2. – Hnr. Albert, Dan. Wyttenbach, Biograph. Quartalschr. f. Jünglinge gebildeten Standes, 1. Bd., 1. Heft, Lpz. 1845. – A. J. van der Aa, Biographisch Woerdenboek der Nederlanden, 12. Deel, S. 156–158. – K. Prantl, D. Wyttenbach als Gegner Kant’s, in d. Sitzungsber. d. bayr. Ak. d. W. 1877.