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ADB:Zachariae, Karl Salomo

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Artikel „Zachariae, Karl Salomo“ von William Fischer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 646–652, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zachariae,_Karl_Salomo&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 13:03 Uhr UTC)
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Zachariae: Karl Salomo Z., am 14. September 1769 in Meißen als der erste Sohn eines geachteten Advocaten und Patrimonialgerichtsdirectors geboren, besuchte vom 15. Jahre ab die Fürstenschule zu St. Afra, welche er Ostern 1787 verließ, um sich auf der Universität Leipzig unter der Leitung seines Oheims, des Professors Klausing, zuerst zwei Jahre lang philosophischen, [647] philologischen, geschichtlichen und mathematischen, sodann juristischen Studien unter Biener, Erhard, Haubold, Siegmann, Schott, Sammet zu widmen. Seine Lieblingsschriftsteller waren damals und blieben es sein Leben lang: Kant und Tacitus. Freundschaftlichen Umgang pflegte er hauptsächlich mit den nachmaligen Professoren Clodius, dem Mediciner Heinroth und dem Philologen Gottfried Hermann. Ostern 1792 begleitete er als Hofmeister einen Grafen zur Lippe auf die Universität Wittenberg, wo er seine Studien eifrig fortsetzte und hauptsächlich mit v. Hardenberg (Novalis), Kühn und Winkler (Theodor Hell) verkehrte. Nach Ablauf seiner Stellung habilitirte er sich 1794 daselbst und versuchte seine Kraft sowol in philosophischen wie in juristischen Vorlesungen über verschiedene Theile der Rechtswissenschaft, um so das Fach zu suchen, für das er am tauglichsten wäre. 1795 promovirte er, 1798 wurde er zum außerordentlichen. 1802 zum ordentlichen Professor der Jurisprudenz und damit zugleich zum Beisitzer des Schöppenstuhls, sowie des Landgerichts zu Lübben ernannt. Trotz der vielen praktischen Arbeiten, welche er als solcher zu bewältigen hatte, entfaltete er hier eine sehr reiche litterarische Thätigkeit, die mit den Jahren mehr und mehr wuchs und den unermüdlich fleißigen Mann die Feder erst wenige Tage vor seinem Tode aus der Hand legen ließ. 1806 erhielt der talentvolle Lehrer und Schriftsteller auf Empfehlung des damaligen Prorectors der Universität Heidelberg, Thibaut, einen Ruf mit dem Titel als Hofrath an die damals neuauflebende berühmte Stätte der Wissenschaft und siedelte Ostern 1807 dorthin über. Das altsächsische, durch einen öden Bureaukratismus, durch feudale wie absolutistische Fesseln gleichzeitig beschränkte Wesen, dem er selbst, ein treuer Sohn seines engeren Vaterlandes, verfallen war, streifte er dort um so eher ab, als die schillernde Mannigfaltigkeit seiner Natur in dem Charakter der sorglosen, beweglichen und für neue Ideen überaus empfänglichen Alemannen und in dem frischen, ungebundeneren geistigen Leben der Universität verwandte Saiten fand. In Baden, dem künstlichsten und buntest zusammengewürfelten Staatengebilde der Napoleonischen Zeit, war und wurde alles modern, Volk wie Staat, Verfassung wie Gesetzgebung und Verwaltung. Die Trennung der Stände war weniger scharf als in Norddeutschland, religiöse Duldung einfach ein Gebot der politischen Klugheit; denn die Bevölkerung bildete ein buntes Gemisch von Katholiken, Reformirten, Protestanten. Baden wurde unter dem Einfluß der linksrheinischen Aufklärung die Heimath des politischen wie des religiösen Liberalismus, aber keine der süddeutschen Landschaften war auch so gut deutsch gesinnt wie Baden. Die Universität Heidelberg wurde damals von Studenten aus allen deutschen Gauen besucht; denn in allen Facultäten gab es Capacitäten ersten Ranges. Deshalb mußte Z. jetzt seinen Blick auf das für ganz Deutschland Brauchbare oder Anziehende richten und andrerseits hatte er mit bedeutenden Mitarbeitern, wie Gambsjäger, Heise, Klüber, Kübel, Martin, Thibaut, Wedekind, später noch Mittermaier, Rau, Roßhirt zu rechnen. Die neuen Verhältnisse regten Z. mächtig an. Baden hatte soeben ein neues bürgerliches Gesetzbuch erhalten, den Code Napoléon. Nach nur einjähriger Thätigkeit an der Universität veröffentlichte Z. schon 1808 sein „Handbuch des französischen Civilrechts“ und warf sich sodann auf das Feld, für welches er seine besondere Begabung entdeckt hatte, auf die Staatswissenschaften, denen er nun bis ans Ende seines Lebens treu blieb. 1816 erhielt er einen Ruf nach Göttingen, 1829 einen solchen nach Leipzig unter den glänzendsten Bedingungen, er schlug sie beide aus, ebenso eine hohe Stelle im badischen Staatsdienste; denn er tauge, meinte er selbst, am besten zum Professor. Als man 1817 an die Aufhebung der Universität Heidelberg dachte, trat er als Prorector durch die Schrift: „Für die Erhaltung der Universität Heidelberg. Im Namen der Lehrer der [648] Universität ausgearbeitet“, in überzeugender Weise für den Fortbestand derselben ein. Nachdem Baden 1818 eine constitutionelle Verfassung erhalten hatte, wurde Z. 1820 an Thibaut’s Stelle, der sein Mandat freiwillig niedergelegt hatte, für die Universität als Mitglied der ersten Kammer gewählt. Im Landtage von 1822 zum Secretair derselben ernannt, übte er als Mitglied verschiedener Commissionen einen bedeutenden politischen Einfluß aus. Im Gegensatze zu denen seines radicalen Freiburger Collegen, des warmherzigen Doctrinärs v. Rotteck waren seine politischen Anschauungen und seine gesellschaftlichen Sympathieen den Prärogativen der Krone und den Sonderrechten des Adels sehr günstig und wenig verfassungsfreundlich, obwol er im Principe ein Anhänger und Verfechter des constitutionellen Staatswesens war und in liberal-reformatorischem Sinne sogar für gewisse Errungenschaften der neueren Staatslehre eintrat, wie für mündliches und öffentliches Gerichtsverfahren, Schwurgerichte, Gewerbefreiheit, Freiheit in wirthschaftlichen Dingen. Gleichwol wurde er im Landtage von 1822 der Stimmführer der Aristokraten in der ersten Kammer, nachdem er den unvergessenen Ausspruch gethan, „daß Beförderung des hemmenden Princips recht eigentlich der Zweck der ersten Kammer sei und daß nur dadurch die Gefahren könnten beschworen werden, womit das bewegliche Princip der zweiten Kammer das Gemeinwesen bedrohe“, und eiferte gegen die Abschaffung der Herrenfrohnden, des Neubruchzehntens und anderer Ueberbleibsel der mittelalterlichen Hörigkeit und für die Wiedereinführung der Censur, trotzdem daß durch die Verfassung die Preßfreiheit gewährleistet worden war. Als Mitglied der Commission für eine neue Gesetzgebung vollendete er 1824 den Entwurf eines milden Strafgesetzbuches, der 1826 in etwas veränderter Form unter dem Titel: „Strafgesetzbuch. Entwurf. Mit einer Darstellung der Grundlagen des Entwurfs, Heidelberg“, erschien, und entwarf auch eine neue Redaction des badischen Landrechts. Als die Reaction alle Hebel in Bewegung setzte, um die Verfassung aus den Angeln zu heben, empfahl er in mehreren Gutachten eine Aenderung derselben im Sinne einer wesentlichen Einschränkung der Rechte der Stände, ja er wies sogar die Rechtmäßigkeit des geplanten Staatsstreiches nach, da die Verfassung mehrfach der Bundesacte widerspräche. 1825 wurde Z. vom Landwahlbezirke Heidelberg zum Mitgliede der zweiten Kammer gewählt, in ihr wurde er erster Vicepräsident und Mitglied der Direction der Gesetzgebungscommission. In dieser an und für sich schon loyalen Kammer war der allen demokratischen Velleitäten[WS 1] abgeneigte Z. oft noch loyaler als die Regierung selbst und trat häufig als geistreicher und witziger Redner hervor. Wegen seiner Verdienste um die Stärkung der Regierungsgewalt ernannte ihn deshalb der Großherzog Ludwig zum geheimen Rathe (1818 geh. Hofrath). Im Landtage von 1828 griff er wenig mehr ein. 1829 zog er sich ganz vom politischen Leben zurück, er wollte nicht mehr mit rathen und thaten, als dem parlamentarischen Liberalismus die Segel schwellten und Siege über Siege sich an seine Fahnen hefteten. Von da ab blieb sein Wahlspruch: bene vixit, qui bene latuit. Um so energischer und rastloser vertiefte er sich nun in seine staatswissenschaftlichen Studien. Seine Collegien erfreuten sich infolge seines klaren, fesselnden und geistreichen Vortrags immer größeren Beifalls. Im Laufe seines Lebens hat Z. in Heidelberg über alle Theile des philosophischen Rechts, über das öffentliche Recht und zwar über das Staatsrecht des Rheinbundes, Völkerrecht, deutsches Staatsrecht, die badische Verfassung, das Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, über das katholische und protestantische Kirchenrecht, das Lehnrecht, das Criminalrecht und den Proceß, das französische Civil- und Criminalrecht gelesen, in der späteren Zeit beschränkte er sich mehr auf die staatsrechtlichen Disciplinen. Sowol durch seine vielbesuchten Vorlesungen wie durch seine Thätigkeit als viel angegangener Consulent [649] in staatsrechtlichen Fragen (denn die glänzende und scharfe Dialektik Zachariae’s konnte alles beweisen, was sie wollte) gelangte Z. zu großem Reichthum, mit dem er größere Liegenschaften, unter anderen die Besitzung Lingenthal, erwarb. Nach letzterer wurde er 1842 für sich und seine männliche eheliche Descendenz nach dem Rechte der Erstgeburt in den Adelstand erhoben. Der Vorwurf der Geldgier ist ihm wohl mit Unrecht gemacht worden, der Besitz des Geldes war ihm nämlich nicht Selbstzweck, sondern nur insofern wünschenswerth, als er ihm Unabhängigkeit und Freiheit verlieh, ebenso der der Charakterlosigkeit, den er wol nur der ungemeinen Beweglichkeit seiner Natur zu danken hat. Nach kurzer Krankheit starb er am 27. März 1843. Durch seinen Tod verlor Heidelberg, ja ganz Deutschland einen großen Rechtsgelehrten, einen vielbewährten genialen Lehrer, einen gründlichen wissenschaftlichen Forscher und einen unermüdlich thätigen Schriftsteller. Seine Schriften zeichnen sich durch einen bestrickenden und glatten Stil, durch formvollendete Darstellung, durch scharfe juristische Logik, durch erstaunliche Wissenstiefe, durch überquellenden Ideenreichthum und Geist aus. Es giebt beinahe kein Fach der Rechtswissenschaft, in dem Z. nicht bewandert gewesen wäre. Im französischen Civilrechte war er die erste Autorität, im Staatsrechte eine der ersten Koryphäen seiner Zeit, er erforscht die letzten Gründe von Staat und Kirche und das Verhältniß der beiden zu einander, er behandelt die philosophischen Grundlagen aller Theile des Rechts, er erläutert vielfach positive Gesetzgebungen und systematisirt sie, er bereichert das Strafrecht, das Kirchenrecht, das Lehnrecht mit neuen Gedanken, er verfaßt verschiedene wichtige Gesetzentwürfe, er schreibt über Beredtsamkeit, Vertheidigungs- und Auslegekunst, er redigirt mit anderen hervorragende Fachzeitschriften, er verfaßt eine große Anzahl von kleineren Aufsätzen, Kritiken, Rechtsgutachten, er stellt geschichtliche, ja sogar nationalökonomische Untersuchungen an, in allem, er war einer der fruchtbarsten Schriftsteller seiner Wissenschaft und seiner Zeit. Ein Verzeichniß seiner Schriften (Biogr. und jurist. Nachlaß S. 63–77) umfaßt 148 Nummern, abgesehen von 11 noch nach seinem Tode herausgegebenen Abhandlungen, von einer Anzahl ungedruckter Schriften, von Anzeigen, von gegen 50 größeren Rechtsgutachten. Die wichtigsten, nach den verschiedenen Gebieten geordnet, mögen hier angeführt und kurz beleuchtet werden.

I. Z. betheiligte sich an der Herausgabe dreier Zeitschriften: mit Großmann an dem Journal für Philosophie (Leipzig 1797 ff.), mit Brauer an den Jahrbüchern der Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des Großherzogthums Baden (Heidelberg 1813, es erschien nur ein Band), mit Mittermaier an der Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, worin er besonders die englischen Rechtsverhältnisse und ihre Litteratur bearbeitete (1829 ff.), endlich gab er allein heraus „Annalen der Gesetzgebung und der Rechtswissenschaft in den Ländern des Churfürsten von Sachsen“ (Leipzig 1806 u. 1807). –

II. von seinen Werken über die Auslegungskunst, gerichtliche Beredsamkeit und Gesetzgebungswissenschaft sind folgende bemerkenswerth: 1. „Versuch einer allgemeinen Hermeneutik des Rechts“ (Meißen 1805); 2. „Anleitung zur gerichtlichen Beredsamkeit“ (Heidelberg 1810); 3. „Die Wissenschaft der Gesetzgebung. Als Einleitung zu einem allgemeinen Gesetzbuche“ (Leipzig 1806, noch ganz von rationalistischen Gesichtspunkten beeinflußt). –

III. Das philosophische Recht verdankt ihm: 1. „Anfangsgründe des philosophischen Privatrechts“ (Leipzig 1804); 2. „Anfangsgründe des philosophischen Criminalrechts. Mit einem Anhange über die juristische Vertheidigungskunst“ (Leipzig 1805, noch ganz auf Kantschem Standpunkte stehend); 3. „Die Einheit des Staats und der Kirche. Mit Rücksicht auf die Reichsverfassung“ (1797, ohne Angabe des Verfassers und Druckortes), welcher Schrift 1798 ein Nachtrag folgte: „Ueber die evangelische Brüdergemeine“; [650] 4. „Ueber die vollkommenste Staatsverfassung“ (Leipzig 1800); 5. „Ueber die Erziehung des Menschengeschlechtes durch den Staat“ (Leipzig 1802); 6. „Janus“ (Leipzig 1802). Die Hauptgedanken der letzten vier durch eine mustergiltige formelle Darstellung, seltene Selbständigkeit und Kraft des Denkens sich auszeichnenden Werke, in denen drei Systeme, das hierarchische, das territoriale und das collegiale unterschieden werden, sind kurz folgende: Staat und Kirche, unabhängig von einander, müssen sich gegenseitig unterstützen. Der Staat nimmt eine schutzrichterliche Stellung ein, die nur bei entsprechendem Stande der Gesittung und des Rechtsbewußtseins des Volkes möglich ist; deshalb ist es die Pflicht des Staates, das Volk theils mittelbar, theils unmittelbar durch alle seine Einrichtungen zu erziehen. –

Die unter II und III angeführten Schriften fallen fast alle in die Zeit des Wittenberger Aufenthalts, ebenso seine wichtigste Schrift IV. über das sächsische Recht: „Handbuch des Chursächsischen Lehnrechts (Leipzig 1796), 2. Aufl. von Weiße und v. Langenn 1823 unter dem Titel: „Handbuch des k. sächsischen Lehnrechts“ (auf lange hinaus das Hauptwerk über diesen schwierigen Gegenstand), während die übrigen meist der Heidelberger Periode angehören. – V. Epochemachend war das „Handbuch des französischen Civilrechts“ (2 Bände, Heidelberg 1808, 4. Aufl. in 4 Bänden 1837, 8. Aufl. von C. Crome, Freiburg 1894), die erste deutsche und erste wirklich wissenschaftliche Systematisirung dieses Rechts vermittelst der Anwendung der durchgebildeten Methode der deutschen Rechtsgelehrsamkeit und, obgleich in der kurzen Frist eines Jahres ausgearbeitet, durch die Ordnung und Kunst der Darstellung das Muster eines Handbuchs, voll eindringenden Scharfsinns, durchsichtiger Klarheit und bewundernswerther Reichhaltigkeit trotz aller Kürze, ja das beste systematische Werk über das bürgerliche Recht der Franzosen überhaupt und als solches auch in allen Ländern dieses Rechts anerkannt und deshalb auch mehrfach in die betreffenden Sprachen übersetzt. – VI. Ueber das positive deutsche Staatsrecht handeln: 1. „Geist der deutschen Territorialverfassung“ (Leipzig 1800, gehört zu dem Besten, was darüber geschrieben worden ist); 2. „Geist der neusten deutschen Reichsverfassung“ (in Woltmann’s Zeitschrift 1804, I, 34–66); 3. „Jus publicum civitatum, quae Foederi Rhenano adscriptae sunt“ (Heidelberg 1808); 4. „Das Staatsrecht der Rheinischen Bundesstaaten und das Rheinische Bundesrecht“ (Heidelberg 1810). 3 und 4 sind die besten juristischen Werke, die über den Bund erschienen sind, aber ohne tieferes patriotisches Gefühl, zu sehr dem Interesse der damaligen Machthaber dienend. – VII. Die Schriften über das Staatsrecht des classischen Alterthums zeigen Z. als einen der ersten und geistvollsten Kenner desselben. 1. „Staatswissenschaftliche Betrachtungen über Ciceros wiedergefundenes Werk vom Staate“ (Heidelberg 1823); 2. „L. Cornelius Sulla, genannt der Glückliche, als Ordner des römischen Freistaates“ (Heidelberg 1834); ersteres eine Vergleichung des antiken mit dem modernen Staate und eine Apologie für die constitutionelle Staatsverfassung mit aristokratischer Auffassung, „eine Perle der deutschen Litteratur“, die zweite eine Vertheidigung der aristokratischen Ideen Sulla’s von tiefer historischer Auffassung. – VIII. Staatswirtschaft, theoretische Staatskunst, Publicistik. 1. „Abhandlungen aus dem Gebiete der Staatswirtschaftslehre“ (Heidelberg 1835, darin die treffliche Abhandlung: Wirtschaftspolitik oder das Büchlein vom Reichwerden); 2. „Entwurf zu dem Grundvertrage des durch den Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 verhießenen deutschen Bundes“ (Heidelberg 1814, noch ungenügender als der später auf dem Wiener Congreß beschlossene und den Rechten des Volkes wenig freundlich); 3. „Ueber Europas Zukunft“ (in der Krit. Zeitschr. 1834. IV, 305–377 und als Sonderabdruck; prophezeit dem juste milieu die Herrschaft); 4. „Ueber den gegenwärtigen politischen Zustand [651] der Schweiz“ (ebenda VI, 1–60 und als Sonderabdruck; der Kantönligeist, nicht die Einheit sein Ideal). – IX. Dasjenige Gebiet, auf welchem Z. allgemein anerkannter Meister war, war das allgemeine Staatsrecht. Sein Hauptwerk sind die „Vierzig Bücher vom Staate“ (5 Bde., Heidelberg 1820–32, 2. Aufl. in 7 Bdn. 1839–43 und zwar: I. Buch 1–6: Vorschule der Staatswissenschaft; II. 7–14: Allgemeine politische Naturlehre; III. 15–19: Verfassungslehre; IV-VII: Regierungslehre, und zwar 20–26 innere Seite, 27–30: Völkerrecht, 31–35: Erziehung, Staatsdienst, 36–40: Wirthschaft). Seine Theorie des Staatsrechts ist kurz folgende: Der Staat ist nicht aus einem Vertrage (Rousseau-Kant), sondern aus einer Rechtspflicht, aus dem Rechtsgesetze entstanden. Er entsteht mit der Begründung der untheilbaren Machtvollkommenheit (Souveränetät). Diese ist ihm die Idee des Absoluten (Hobbes), angewendet auf das Recht einer bestimmten Person, und der Herrscher, die Incarnation des Rechtsgesetzes, ist der Urquell alles Rechts, der Herr des Volkes und des Landes, der Staat ist das göttliche All. Neben dieser pantheistischen Anschauung läuft eine theistische bei ihm einher, nach welcher die Machtvollkommenheit mittels göttlichen Rechts erworben werden kann, ja sogar die Begründung derselben nach menschlichem Rechte, („die Macht ist die conditio sine qua non, aber nicht ein titulus imperii“), die Rechtmäßigkeit der Herrschaft wird durch den Willen des Volkes, d. h. die Mehrheit der Staatsbürger bestimmt. Der Zweck des Staates ist ein erziehlicher. Die Unterthanen haben das Recht der Selbstverwaltung, soweit sie dies selbst auszuüben imstande sind, die Behörden eine gewisse Selbstständigkeit. In der allgemeinen politischen Naturlehre widmet er seit Bodin zum ersten Male wieder der physischen Anthropologie größere Aufmerksamkeit und weist auf die verschiedene politische Begabung und die nationalen Einwirkungen der einzelnen Rassen hin, ferner sucht er den Zusammenhang der psychologischen Kräfte der menschlichen Natur mit dem Staate nachzuweisen und endlich stellt er überaus geistreiche Betrachtungen über die Staaten- und Völkergeschichte an. In der Verfassungslehre werden die verschiedenen Verfassungsformen eingehend erörtert. Die Erbmonarchie, als eine natürliche Verfassung, ist ihm die beste aller Staatsformen, und zwar die constitutionelle, als eine Verbindung von Einzelherrschaft und Volksherrschaft. Der Hauptwerth der letzteren aber liegt darin, daß die besten Männer an die Spitze der öffentlichen Angelegenheiten kommen, und diesen vindicirt er, ganz in machiavellistischem Sinne, im Interesse des öffentlichen Wohls den Gebrauch jedes Mittels, ausgenommen des physischen Zwangs. Seine Auffassung in Bezug auf die drei Gewalten deckt sich mit der Montesquieu’s: Das Volk beschließt, der Fürst vollzieht. Die Krone hat nur ein Vetorecht. – Dies Buch war das Lieblingswerk Zachariae’s, sein wissenschaftliches und politisches Testament, die Summe der Erfahrung und des Wissens eines der arbeitsreichsten Leben. Was Machiavelli für die Italiener, Montesquieu für die Franzosen, das wollte Z. für die Deutschen sein; doch fehlt ihm der tiefe Patriotismus und die classische Ruhe des ersteren, dem letzteren ist er ebenbürtig an Scharfsinn und Geist, Reife des Urtheils und Kunst der Darstellung, er übertrifft ihn sogar durch einen ungeheueren Reichthum an Wissen auf allen Gebieten der Wissenschaft und des Lebens. Zu vermissen ist aber in dem großen Werke die strenge logische und einheitliche Consequenz der Durchführung, häufig muß das frühere Wissen der späteren besseren im Laufe der Arbeit errungenen Einsicht weichen und so finden sich vielfach verblüffende Widersprüche in seinem im strengsten Sinne des Wortes eigentlich nicht vorhandenen Systeme. Daß ihm aber deswegen das lebendige Bewußtsein von der Größe seiner Aufgabe gefehlt und er in der Forschung mehr ein angenehmes Spiel des Geistes als eine Bemühung im Dienste der Mitmenschen erblickt hätte, er, der treu, zuverlässig, uneigennützig, [652] aufopferungsfähig im höchsten Maße sein konnte, dieser Vorwurf ist wol viel zu scharf. Ursprünglich stand Z. auf dem Boden der Philosophie von Kant und Reinhard, aber er ist allmählich Eklektiker und Opportunist geworden und geht seine eigenen Wege. Seine Anschauung ist bald pantheistisch, bald theistisch, bald mittelalterlich, bald modern, bald absolutistisch, bald aristokratisch, bald demokratisch. So steht er fast als eine geistreiche Sphinx vor uns und daraus, wie aus dem Umstande, daß sein Staatsideal die repräsentative Erbmonarchie mit einigen aristokratischen und absolutistischen Zuthaten und einigen demokratischen Abstrichen zugleich das politische Ideal seiner gährenden Zeit war, erklärt sich auch der große Erfolg des noch heute lesenswerthen merkwürdigen Werkes bei allen Parteien, deren keiner er in ausgesprochenem Maße huldigt, und bei den Systematikern des Staatsrechts, für die es eine wahre Fundgrube anregender Gedanken ist.

Bluntschli, Gesch. des allgem. Staatsrechts u. der Polit. München 1864, S. 596–605. – Derselbe, Deutsches Staatswörterb. Artikel: Z. v. L. – Brocher, Karl Salomo Zachariae, sa vie et ses oevres, in der Revue hist. de droit franç. et étrang. Tome XIV, p. 433–477; XV, 295–347, 430–489. – Holtzendorff, Rechtslexikon. Artikel: Z. v. L. – v. Mohl, Gesch. u. Lit. der Staatswiss., I, 131–133; II, 512–528. Erlangen 1856. – Neuer Nekrolog der Deutsch. Jahrgang XXI, 245. – J. Orsier, Z., sa vie et ses travaux. Paris 1869. – v. Weech, Bad. Biographien, II, 524–532. Heidelberg 1875. – v. Weech, Gesch. der Bad. Verfass., S. 121–130. – K. E. Zachariä von Lingenthal, Biographischer und jurist. Nachlaß von Dr. K. S. Z. v. L. Stuttgart 1843. (Darin die reizend geschriebene Selbstbiographie bis 1823.) – Nekrolog für K. S. Zachariä von Lingenthal, Jahrh. der Litterat. 1844. Dazu Intelligenzblatt, Nr. 1 vom Jan. u. Febr. 1844, S. VI-X in der „Chronik der Universität Heidelberg“.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Äußerung des Wollens, die noch nicht zur Tat geworden, also bloße Willensregung ist bzw. kraft- und tatenloses Wollen geblieben ist.