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ADB:Zesen, Philipp von

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Artikel „Zesen, Philipp von“ von Karl Dissel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 108–118, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zesen,_Philipp_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 01:25 Uhr UTC)
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Zesen: Philipp von Z., Dichter und Schriftsteller. Er ist geboren am 8. October 1619 in dem sächsischen Dörfchen Priorau an der Mulde, unweit Dessau. Der Vater, der die Tochter seines Amtsvorgängers Paschasius heirathete, war lutherischer Prediger daselbst. Die freundliche Natur der Heimath, ihre Auen und Wälder, haben in dem empfänglichen Gemüthe des Knaben früh das poetische Empfinden geweckt; mit Wehmuth gedenkt noch der alte Mann der Zeit, wo er sich mit seinem Spielgefährten Johann Titus aus dem Winkel im Schatten der hohen Eichen tummeln durfte. Sonst ist von seinen ersten Knabenjahren nichts bekannt; er war das einzige Kind seiner Eltern, dem erst nach dem Tode der Mutter 1658 ein Stiefbruder geboren wurde. Lange, noch weit über die Schul- und Universitätsjahre hinaus, hat er die treue Fürsorge des Vaters erfahren, der ihm auch den ersten Unterricht ertheilt haben wird. Von seinem elften Lebensjahre ab besuchte er die lateinische Schule zu Halle, die seit 1617 unter des würdigen Gueintz Leitung blühte. Die orthographischen Studien des Rectors, der den strebsamen Schüler seines persönlichen Umgangs würdigte, haben, wie Z. selbst bezeugt, in ihm zuerst die Neigung zur Beschäftigung mit den gleichen Fragen entzündet; ein Reimlexikon, die Grundlage seines späteren Helikon, hat er schon im zwölften Jahre zu verfertigen begonnen, auch im geistlichen Liede und in Gelegenheitsgedichten hat er sich schon auf der Schule versucht. Aus dem Jahre 1639 hören wir von einer von ihm gehaltenen Schulrede, de belli calamitatibus, und als Valedictionsarbeit lieferte er eine „Disputatio de sale“, die unter Gueintz’ Schulschriften gedruckt wurde. – In Wittenberg setzte er seine Studien fort. Hier hat August Buchner, den er schon in Halle verehrte, den größten Einfluß auf ihn geübt; ihm verdankt er seine Vorliebe für das daktylische Versmaß, für dessen Berechtigung in der deutschen Sprache Buchner bekanntlich mit großem Eifer eintrat. Das innige Verhältniß zwischen Lehrer und Schüler erlitt auch später keine Trübung, als über Z. wegen seiner mißliebigen Neuerungen der allgemeine Unwille losbrach. Von andern Wittenberger Größen, denen er Dank schuldet, nennt Z. den Generalsuperintendenten Paul Röber, die Theologen Hülsemann und Sperling und den Prediger Scharff. – Ob Z. ausschließlich in Wittenberg studirt oder eine kürzere Zeit, im Sommersemester 1641, auch in Leipzig [109] gewesen ist, ist nicht ganz sicher. Sein Name fehlt allerdings in der Leipziger Matrikel, doch machen andere Zeugnisse es wahrscheinlich. Freilich erfahren wir nichts weiter über seinen Leipziger Aufenthalt als die Geschichte von seiner angeblichen Liebschaft mit einer Jungmagd Rosine, die mit merkwürdiger Beharrlichkeit in allen Gelehrtenlexica wiederkehrt. Ihre Quelle ist vermuthlich nur die Sausewindepisode in Rist’s Friedewünschendem Deutschland. So arg, wie es nach dieser Geschichte scheinen könnte, wird er es nicht getrieben haben, vielmehr haben wir uns den jungen Z. als einen äußerst fleißigen Studenten zu denken, der mit heiligem Ernst seinen Studien oblag, zumal er den Beruf in sich fühlte, in der deutschen Sprache und Poesie als Gesetzgeber aufzutreten. Die Erfolge seiner ersten Schriften steigerten seinen natürlichen Hang zur Eitelkeit, wodurch er schon damals Anstoß erregte. Gueintz wollte bald von dem ehemaligen Schüler nichts mehr wissen, und selbst der milde, treffliche Buchner hielt mit seinem Tadel nicht zurück; er schrieb Z., als dieser als Magister die Universität verließ, eine wohlgemeinte Mahnung in sein Album.

Nach Vollendung seiner Studien trat Z. die peregrinatio academica an. Diese führte ihn zuerst nach Hamburg, wo er im Herbst 1641 eintrifft. Hier machte er gleich die persönliche Bekanntschaft des Wedeler Pastors Johannes Rist, mit dem er schon von Halle aus in brieflichem Verkehr gestanden hatte. Die Beziehungen wurden bald recht herzlich, was durch einen lebhaften Briefwechsel und die Ehrengedichte bezeugt wird, die Z. zu den verschiedenen Serien von Rist’s Triumphliedern beisteuerte. Auch mit der Schlesierin Dorothea Eleonore v. Rosenthal, die er schon in Halle kennen gelernt und die ihm ihre Poetischen Gedanken gewidmet hatte, kam er hier wieder in Berührung. Sie ist die erste von den Frauen, die Z. als Dichter zu schätzen wußten, doch ist ihr Verhältniß zu ihm schwerlich über das des gemeinsamen poetischen Interesses hinausgegangen. Der Aufenthalt in Hamburg dauerte ungefähr ein Jahr. Es scheint, daß er während dieser Zeit vorübergehend bei einem Buchdrucker (Rebenlein) Beschäftigung gefunden hatte, die ihm auch Veranlassung gab, bei Einführung eines Druckergesellen eine gebundene Lobrede von der hochnütz- und löblichen zweihundertjährigen Buchdruckereikunst zu halten. Habichthorst hat es allerdings später entschieden bestritten, daß er je Correctordienste gethan habe. Im Herbst 1642 trat er seine erste Reise nach den Niederlanden an, die ihm bald eine zweite Heimath werden sollten. Hier finden wir ihn theils in Leyden, theils in Amsterdam, im Frühjahr 1643 aber schon wieder in Hamburg. Als er hier in Gemeinschaft zweier Freunde, Dietrich Petersohn aus Hamburg und Hans Christoph v. Liebenau aus Preußen, am 1. Mai in einem Rosengarten seinen Namenstag beging, faßte man den Plan zur Stiftung einer Genossenschaft, die nach dem Orte der Stiftung die Rosengesellschaft, später gewöhnlich die deutsch-gesinnte Genossenschaft, genannt wurde. Eine Erweiterung war zunächst nicht ins Auge gefaßt, vielmehr sollte sie „dem ersten Entschließen nach unter diesen drei verbrüderten Gemüthern“ bleiben. Indeß wurde diese anfängliche Absicht bald aufgegeben, denn im J. 1645 zählte die Gesellschaft bereits 35 Mitglieder. Unter den ersten war Harsdörffer, dem Z. die Mitgliedschaft angetragen hatte und der für die Ausgestaltung der äußeren Formen der Genossenschaft lebhaftes Interesse kundgab. Rist erhielt keine Einladung. Der Aufenthalt in Hamburg war nur von kurzer Dauer, im Juli 1643 ist Z. in London, von wo er noch vor Ende des Monats nach Holland zurückkehrte. Ueber die Absichten, die ihn wieder dahin führten, finden wir nirgends bestimmte Angaben, wir sind auf Vermuthungen und Schlüsse aus seinen Gedichten und seinem Roman, „Die adriatische Rosemund“, angewiesen, welcher Wahrheit und Dichtung aus Zesen’s eigenem Leben enthält. Darnach hatte er ursprünglich nicht die Absicht in [110] Holland zu bleiben; er wollte nur die übliche Bildungsreise machen und über Frankreich und Italien in die Heimath zurückkehren, um sich dort um ein Amt zu bewerben. „Aber das Verhängniß ließ es nicht zu.“ Wahrscheinlich waren es Beziehungen zu angesehenen schwedischen Würdenträgern, die ihm den Aufenthalt in diesem Lande aussichtsreich erscheinen ließen. Wir finden nämlich in dieser Zeit unter seinen vertrautesten Freunden die Brüder Dionysius und Matthias Palbitzky von Nemitz und Warbelow, der erstere schwedischer Kammerherr, der andere Gesandter im Dienste der Königin Christine, ferner den Grafen Heinrich v. Thurn, den schwedischen Leibarzt Niclas Witte und die schwedischen Obersten Johann v. Holtzheim und Heinrich v. Delwich. Diese gewährten ihm ihre Protection und haben ihn wol hie und da in ihren Diensten verwendet. Der Graf v. Thurn, den er öfter als seinen gnädigen Herrn anredet und zu dessen Vermählung mit Baner’s Wittwe, einer gebornen Markgräfin von Baden, er ein Hochzeitgedicht lieferte, hat ihn später auch noch nach Livland mitgenommen. Z. hatte in diesen Kreisen Gelegenheit, sich weltmännische Umgangsformen anzueignen; einer seiner Freunde, der Freiherr v. Alewein, der unter seinem Zunftnamen, der Schmeckende, den er in der deutschgesinnten Genossenschaft führte, 1649 eine Anleitung zur Höflichkeit herausgab, rühmt darin den Färtigen (d. i. Zesen) als einen, der durch Gewohnheit und Erfahrung so weit gekommen sei, „daß er an zierlichen Reden, höflichen Sitten und anmuthigen Geberden keinem Höflinge weichet“. Daß Z. bei den Frauen so viel Anerkennung und Theilnahme fand, ist vielleicht nicht zum wenigsten auf die hier gerühmten Eigenschaften zurückzuführen. Die Frauen spielen überhaupt während der ersten Jahre seines holländischen Aufenthalts eine große Rolle in seinem Leben. Die Gedichte aus dieser Periode geben uns über den Umfang seiner weiblichen Bekanntschaften und Liebschaften ziemlich genauen Aufschluß; die „allertiefste Wunde“ hat ihm „die übermenschlich schöne“ Rosemund zugefügt; ihr ist er in inniger, tiefer Herzensneigung zugethan gewesen, an sie hat er seine besten Gedichte gerichtet und nach ihrem frühen Tode hat er mit ihrem Namen einen förmlichen Cultus getrieben; sie war ihm Diotima und Laura zugleich.

Von den Romanen, die Z. in den ersten Jahren seines holländischen Aufenthalts schrieb, widmete er den „Ibrahim“ der Fruchtbringenden Gesellschaft. Nicht ohne Absicht. Er hegte den Wunsch in diesen angesehenen Orden aufgenommen zu werden. Harsdörffer, der durch seine Theilnahme an der deutsch-gesinnten Genossenschaft, Z. nahe getreten war, hatte ihn empfohlen, aber „sonderlicher Erheblichkeiten wegen“, d. h. wegen seiner Neuerungen in der Orthographie, hatte ihn der Nährende beanstandet. Dieser erkannte zwar an, daß Z. „in seiner Verdeutschung leuffig und in der Feder flüssig sei“, doch müsse er zuvor zur „rechtmäßigen Gleichförmigkeit“ gebracht werden. Den Hauptanlaß zu dieser ablehnenden Haltung gab wol die ungünstige Auskunft, die Zesen’s ehemaliger Lehrer Gueintz, dessen Gutachten der Nährende eingefordert, über seinen „Lerner“ gegeben hatte. „Sein Witz habe sich“, so schrieb er, „niemals so erwiesen. daß man was Sonderliches bei ihm verspüret, außer, daß er alle Zeit was Neues in dem Deutschen ohne Grund und beliebte Wahrheit ihme eingebildet“. Es bedurfte erst längerer Verhandlungen, bis Fürst Ludwig auf Fürsprache Buchner’s und Schottel’s endlich die Aufnahme gewährte; die letzten Bedenken hatte erst Z. selbst in einer persönlichen Besprechung, die 1648 gelegentlich eines Besuchs in der Heimath stattfand, zu zerstreuen vermocht. Er erhielt den Namen des Wohlsetzenden und einen Reimspruch, der eine nicht mißzuverstehende Warnung vor gezwungenen Neuerungen in der Sprache enthielt. – Lange dauerten aber die guten Beziehungen zu dem Oberhaupte der Fruchtbringenden nicht. Allerlei kleinliche Streitigkeiten und die Weigerung [111] Zesen’s, des Nährenden Ausstellungen in seinem Helikon zu berücksichtigen, führten bald zu einem Bruche. Zwar wurde die in einem Briefe des Nährenden ausgesprochene Androhung der Ausstoßung aus dem Orden nicht ausgeführt, aber der offenkundige Zwiespalt zwischen Z. und der Fruchtbringenden Gesellschaft, bewirkte doch, daß der lang angesammelte Groll gegen den jungen erfolgreichen Schriftsteller, der sein Haupt so hoch trug, sich in einer wahren Fluth der albernsten Verleumdungen und Verdächtigungen Luft machte. Allen voran that es sein früherer Freund Rist, der mit einem Male – noch 1648 hatte ihn Z. freundschaftlich in Wedel besucht – als sein erbitterter Feind auftritt. In seinem 1647 erschienenen Friedewünschenden Deutschland hatte er eine lächerliche Figur, einen Junker Sausewind geschaffen, eine Verkörperung prahlhänsischen Wesens, ohne dabei etwa an Z. zu denken. Diese Anwendung macht er zum ersten Male in der Vorrede zum deutschen Parnaß. Die Figur kehrt wieder in dem 1653 erschienenen Friedejauchzenden Deutschland, hier aber als eine unverkennbare Caricatur Zesen’s. Die Scenen, in denen dieser Junker Sausewind auftritt, sind an sich nicht übel und verspotten recht geschickt, theilweise sehr derb, die den Spott herausfordernden Seiten seines Wesens. Aber nicht genug damit. In seinem Hasse gegen den ehemaligen Freund ließ er sich auch zu boshaften Verleumdungen hinreißen, die dem Manne wenig Ehre machen. Z. hat zu allem geschwiegen und erst spät einmal in seinem Sendschreiben an den Kreuztragenden (Albrecht v. Brunckhorst) seinem gerechten Zorne Worte geliehen. Die erbaulichen Geschichten, die Detlef v. Ahlefeld in seinen Memoiren über den Wedeler Pastor berichtet, liefern den Beweis, daß Z. ihn nicht mit Unrecht einen „großen Balken-, Zottel- und Lumpenträger“ nennt.

1649 kehrt Z. nach Holland zurück. Dort lebte er, ohne eigentlich ein Amt zu bekleiden, eifrigst mit poetischen und wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, zunächst bis Mitte 1652 in Amsterdam. Mit wenigem zufrieden, bestritt er seinen Unterhalt von den Honoraren seiner schriftstellerischen Arbeiten, den Zuwendungen und Geschenken hoher Gönner, auch wol von der Bezahlung für Dienste, die er der Stadt Amsterdam leistete. Dort hatte er besonders an dem Bürgermeister Bakker, dessen Leutseligkeit Z. nicht genug zu rühmen weiß, einen einflußreichen Gönner gefunden. Eine Reise, die er 1652 im Auftrage der Stadt Amsterdam an den Hof zu Dessau unternahm, brachte ihn mit der Heimath wieder in nähere Beziehungen. Er fand in Anhalt die freundlichste Aufnahme, und besonders die hohen Damen überhäuften ihn mit Gunstbezeugungen. Seine Beschützer waren insbesondere Johann Kasimir von Dessau, der Nachfolger Johann Georg’s I., dessen Gemahlin Sophie Margarete und seine beiden Schwestern Eva Katharine und Eleonore Dorothee, letztere die Gemahlin des Herzogs Wilhelm von Sachsen-Weimar, der als der Schmackhafte Fürst Ludwig’s Nachfolger in dem Vorsitze der Fruchtbringenden Gesellschaft geworden war. Die fürstlichen Damen gewährten ihm auch 1653 die Mittel zu einer Reise auf den Reichstag zu Regensburg, die er mit hohen Erwartungen antrat. Seine Hoffnungen wurden auch nicht getäuscht. Der Kaiser Ferdinand erhob den erst 33jährigen in den Adelstand. Z. dankte für die Auszeichnung in einem allegorischen Gedicht „Güldner Regen über die deutsche durch den göttlichen Ferdinand itzund in Regensburg, berufene Danae von oben herab ausgegossen, an S. Kaiserliche Majestät“, worin er den Friedensbringer Kaiser Ferdinand und nebenbei auch die Königin Christine von Schweden mit Lobsprüchen bedachte. Der Kaiserin Eleonore, der dritten Gemahlin Ferdinand’s, huldigte er zugleich in einem Maienlied. Uebrigens hörten die Beziehungen zum kaiserlichen Hofe mit dieser einen Begegnung nicht auf und als Z. später in Noth gerieth, gewährte ihm die Kaiserin eine Unterstützung. Von Regensburg kehrte [112] Z. nach Anhalt zurück; die nächsten Jahre verlebte er theils hier, theils in den Ostseeprovinzen, wohin er den Grafen Thurn begleitete, der jetzt zum Gouverneur von Esthland befördert worden war. Von dort ist er 1655 nach Holland zurückgekehrt und hat hier elf Jahre ohne längere Unterbrechung gelebt. Daß man ihn zu schätzen wußte, geht daraus hervor, daß die Stadt Amsterdam ihm ihr großes Bürgerrecht verlieh; durch seine ausführliche Beschreibung der Stadt Amsterdam (1664) stattete er seinen Dank ab. Zu den bedeutenden Männern, mit denen er in diesen Jahren in angeregtem persönlichen und litterarischen Verkehr stand, gehörte außer Salmasius und Vossius auch Comenius, zu dessen Vestibulum er eine deutsche Uebersetzung lieferte. Verschiedene für Frauenzimmer bestimmte Gebetbücher sind um diese Zeit entstanden, die fürstlichen und anderen Frauen gewidmet wurden. Sie existiren in vielen Auflagen, und mehrfache unberechtigte Nachdrucke, in denen zum großen Aerger Zesen’s nicht allein sein Name unterdrückt, sondern auch die Gebete, ihrer Bestimmung entgegen, für das Mannsvolk eingerichtet waren, zeigen, wie sehr er damit einem Bedürsniß der Zeit entgegenkam.

Eine neue Periode ruhelosen Wanderns beginnt mit dem Jahre 1667. Kurze Zeit nach dem Tode Rist’s (31. August 1667) kehrte er nach Hamburg zurück, wo er im folgenden Jahre die Freude hatte, bei Gelegenheit der 25jährigen Wiederkehr des Stiftungstages seiner Rosengesellschaft von den Genossen hoch geehrt und gefeiert zu werden. Seine Ernennung zum kaiserlichen Pfalzgrafen, die ihm das Recht gab, selbst den Dichterlorbeer zu verleihen, erfolgt um dieselbe Zeit. In das folgende Jahr, in dem er wieder nach Amsterdam übersiedelte, fällt seine Vermählung mit einer Marie Beckerin aus Stade. Aber mit der Ehe kam nicht das Glück. Hatte er bisher zur Noth von seiner Schriftstellerei leben können, wie sollte er jetzt Frau und Schwiegermutter noch obendrein ernähren können, selbst wenn ihm nach dem Tode des Vaters (1668) eine kleine Erbschaft zugefallen war. In der That fühlte er denn auch, mehr als je, jetzt das Bedürfniß, endlich eine „anständige Bedienung“ zu bekommen, denn der Rathstitel, den er 1671 von mehreren anhaltischen Fürsten erhielt, brachte ihm nur den leeren Namen, keine Besoldung. Seine Briefe, die er an seinen Mitgenossen unter den Deutschgesinnten, den Bibliothekar Hanisius in Wolfenbüttel schrieb, sind voller Klagen über sein Verhängniß und voller Sehnsucht nach einer Beförderung. Da es ihm in Holland nicht mehr glückte, verlegte er bald nach der Verheirathung seinen Wohnsitz nach Hamburg, von wo er bald hier bald dorthin reiste, um ein Amt zu finden. Aber alle Bemühungen waren vergeblich, auch die Hoffnung, bei dem Herzoge von Gotha oder einem andern Fürsten eine Bestallung zu erhalten, schlug fehl. So finden wir ihn bald hier bald dort; 1674 in Wolfenbüttel, 1675 in Jena, 1676–1679 meist in Hamburg, aber zwischendurch 1677 wieder in der Heimath, von wo er einen Abstecher zu Klinger in Jena machte. Hier trieben die Studenten ihren Ulk mit ihm, indem sie ihm feierlichst ein langes Gedicht überreichten, in dem sie seine sprachlichen Schrullen übertreibend verspotteten. Er soll die Wahrheit nicht bemerkt und den Spott für baare Münze genommen haben. Kein Wunder, war er doch überschwängliche Huldigungen gewohnt! In Hamburg besonders ließen die dort ansässigen Deutschgenossen keinen Geburtstag oder Namenstag ihres Oberhauptes vorübergehen, ohne ihn feierlichst zu beglückwünschen. Selbst der Hamburgische Rath befand sich einmal 1677 unter den Gratulanten und ehrte und erfreute Z. durch eine Spende edlen Rheinweins. Noch einmal, im Frühjahr 1679, ging er mit seinem ganzen Hausstande nach Holland; fast wider seinen Willen hatte er sich „durch seiner Liebsten Mutter dorthin schleppen lassen“, aber ein angefangener Leinwandhandel wollte nicht von statten gehen und längere Krankheit [113] drückte ihn schwer darnieder. So kehrte er 1683 wieder nach Hamburg zurück. Hier hat er sich mit schriftstellerischen Arbeiten mannigfaltigster Art beschäftigt und die Geschäfte des Rosenordens unermüdlich weiter führend noch bis 1689 gelebt. Am 13. November dieses Jahres ist er gestorben.

Z. ist ein ungemein fruchtbarer Schriftsteller; in einem Verzeichniß seiner Schriften, das Philipp v. Bährenstät, in der D. G. der Dringende, 1672 herausgab, wurden dieselben schon auf 9 in Folio, 10 in Quart, 31 in Octav, 25 in Duodez und Sedez angegeben; Gabler, der Stützende, Zesen’s Nachfolger als allgemeiner Erzschreinhalter der Genossenschaft, der dasselbe Verzeichniß 1687, um die inzwischen erschienenen Schriften vermehrt, herausgab, zählt neben den zahlreichen gedruckten noch 36 ungedruckte oder unvollendete, 13 angefangene auf. Kaum ein Gebiet des damaligen Wissens ist darin unvertreten. Ein großer Theil, besonders die Uebersetzungen, sind natürlich des Gelderwerbs wegen verfaßt, wie sich bei einem Mann, der für seinen Lebensunterhalt hauptsächlich auf den Ertrag seiner Schriftstellerei angewiesen war, eigentlich von selbst versteht. Die Beurtheilung hat sich auf die litterarisch werthvollen Leistungen zu beschränken.

Wir sprechen zuerst von dem Lyriker. Die Sammlungen der Gedichte, obwohl großentheils wiederholt aufgelegt, sind äußerst selten geworden; ganz verloren zu sein scheint die 1642 in Hamburg erschienene „Frühlingslust“, obwol diese gerade die meisten Auflagen erlebt hat. – Er begann mit geistlichen Gedichten. 1638, als er noch das Gymnasium in Halle besuchte, gab er eine „Melpomene oder Trauer- und Klagegedichte über das unschuldigste und bitterste Leiden und Sterben Jesu Christi“ heraus, 1641 im zweiten Theil des Helikons Salomons des Hebräischen Königs geistliche Wollust oder Hohes Lied in Daktylische und Anapästische Verse gebracht; es folgt 1642 die „Frühlingslust oder Lob-, Lust- und Liebeslieder und Poetischer Rosenwälder Vorschmack“, eine Schäferei nach dem Vorbilde von Opitz’ Hercynie, 1645 „Lustinne, d. i. gebundene Lust-Rede von Kraft und Wirkung der Liebe“; 1651 „Dichterische Jugendflammen in etlichen Lob-, Lust- und Liebesliedern zu Lichte gebracht“; 1653 „Gekreuzigter Liebesflammen oder geistlicher Gedichte Vorschmack“; 1687 „Geistliche Seelenlust d. i. Wechselgesänge zwischen dem Himmlischen Bräutigam und seiner Braut“; 1670 „Dichterisches Rosen- und Lilienthal mit mancherlei Lob- Lust- Scherz- Schmerz- Leid- und Freudenliedern gezieret“; endlich 1677 „Reiselieder zu Wasser und zu Lande, für Schiff-, Fuhr- und Handelsleute, wie auch andere über Land und Wasser Reisende“ und 1680 „Prirau oder Lob des Vaterlandes“; dazu kommen die verschiedenen Auflagen seines Helikons, von denen die späteren fast zu einer Anthologie seiner lyrischen Schöpfungen erweitert sind; außerdem zahllose Gelegenheitsgedichte, die nur theilweise in jenen Sammlungen Aufnahme gefunden haben.

Wie die meisten Dichter und Dichterlinge der Zeit ging Z. von Opitz aus; seine frühsten Gedichte verrathen in jeder Zeile das Vorbild des Meisters. Später hat er sich die Niederländer, Franzosen, Italiener zum Muster genommen, er kennt die altdeutsche Minnelyrik, deren Tagelied er mit Vorliebe nachbildet, auch der Einfluß des Volksliedes ist in einzelnen Wendungen zu verspüren. Im großen und ganzen wirthschaftet er zwar mit den abgebrauchten Motiven und Wendungen der Renaissancelyrik, die Nacht und der Morgen, der Mond und die Sterne, Winter und Frühling spielen bei ihm dieselbe conventionelle Rolle, wie bei den andern, doch bricht bei ihm nicht selten ein wärmerer Ton durch, der den Leser ahnen läßt, daß nicht alles Phrase und herkömmliche Redensart ist, daß oft echte wahre Empfindung dahinter steckt. Denn im Grunde war Z. eine lyrisch beanlagte Natur, sein regsames und bewegliches Gefühlsleben, seine Freude [114] an der Natur und der Musik bestimmten ihn zum Lyriker. Am besten gelingen ihm in seiner guten Zeit die Lieder, in denen er Selbsterlebtes frisch und ohne „Wortgepränge“ darstellt. Dies gilt besonders vom Liebeslied. Hier trifft er oft einen leichten und gefälligen Ton, man merkt es ihnen an, daß sie nicht am Schreibtisch ausgeklügelt sind, sondern persönlichen Herzenserlebnissen ihren Ursprung verdanken. – Im Preise der Frauen kann er sich nicht genug thun. Zart und keusch, wie seine Verehrung für sie, sind auch seine Lieder zu ihrem Ruhme; da findet sich kaum eine störende Derbheit, alles sanfte, innige Empfindung, mag er das Glück erwiderter Liebe, schmachtende Sehnsucht oder den Kummer getäuschter Liebeshoffnungen schildern. Diese Lieder hat er im Gegensatz zu Rist und Andern auch im spätern Alter nicht verleugnet, wenn er auch einmal als Entschuldigung anführte, „daß er vieles im allzu hitzigen Praddel der vollblütigen Jugend“ geschrieben habe. Aber grade diese sind die besten. Zwar hält es schwer, die chronologische Ordnung seiner Gedichte festzustellen, da er Gedichte, die ihm gefielen, öfter abdrucken ließ und noch in seiner letzten Sammlung Junges und Altes bunt durcheinander bot, doch ist es unverkennbar, wie mit dem zunehmenden Alter seine Neigung wächst, durch äußere Mittel des Reims und des Versmaßes zu wirken; Spielereien und Reimgeklingel nehmen da überhand, die Sprache wird gekünstelter, die Bilder nebelhafter, eine unnütze Gelehrsamkeit macht sich breit und nicht selten verirrt er sich zu groben Geschmacklosigkeiten. Sein letztes größeres Gedicht, „Prirau oder Lob des Vaterlandes“ ist ein ganz ungenießbares Product, mit dem nur die innige Liebe zur Heimath, die daraus spricht, einigermaßen versöhnen kann.

Die Zahl der eigentlichen Gelegenheitsgedichte ist natürlich bei seiner Schreiblust außerordentlich groß; in einzelnen bewegt er sich frei und natürlich und läßt selbst, wenn fürstliche Personen die Empfänger sind, die sonst übliche steife Etikette bei Seite; die meisten setzen sich aus den landläufigen Wendungen und üblichen Redensarten zusammen; in den späteren liebt er es, mit einer oft confusen Gelehrsamkeit zu prunken, die in langathmigen Anmerkungen öfter noch weiter ausgesponnen wird.

Einen durchweg erfreulichen Eindruck machen seine religiösen Lieder. Sie sind der Ausdruck der tiefen, echten Frömmigkeit eines gottergebenen Herzens, einfach, wahr und ungekünstelt in Form und Sprache, inhaltlich freilich über das Mittelmaß nicht hervorragend. Häufig sind die Klagen über die Flüchtigkeit und Nichtigkeit menschlichen Lebens, in denen sich eigene trübe Erfahrungen widerspiegeln. In die Sammlungen hat keins Aufnahme gefunden, wozu die Unbeliebtheit, deren sich der Verfasser erfreute, nicht wenig beigetragen haben mag, sind doch geringwerthigere aufgenommen.

Neben dem Lyriker verdient der Romandichter Z. Beachtung. Seinen selbstständigen Romanen gingen Uebersetzungen voraus; 1644 die „Liebesbeschreibung Lysanders und Kalisten“ nach Daudiguiers, zuerst 1606 zu Paris erschienener „Histoire des amours de Lysandre et de Caliste“; 1645 „Ibrahims oder des Durchleuchtigen Bassa und der beständigen Isabellen Wundergeschichte“, nach dem gleichnamigen Roman der Scudery. In demselben Jahre gab er unter dem Pseudonym Ritterhold von Blauen die „Adriatische Rosemund“, seine erste Erzählung eigener Erfindung heraus. Letztere ist später entstanden als der Ibrahim, dessen Widmung an die fruchtbringende Gesellschaft vom 1. December 1644 datirt ist, während die zur Rosemund das Datum des 30. Juni 1645 trägt. 1647 folgte die „Afrikanische Sosonisbe“, ebenfalls eine Uebersetzung, deren Original noch zu ermitteln ist; dann nach langer Pause 1670 „Assenat, d. i. derselben und des Josef’s heilige Staats- Lieb- und Lebensgeschichte“, und endlich 1679 „Simson, eine Helden- und Liebesgeschicht“. Alle die Uebersetzungen [115] sowohl als die selbst erfundenen Romane, mit Ausnahme des „Simson“, sind wiederholt aufgelegt worden.

Z. zeigt als Romandichter Selbständigkeit und das Bestreben, neue Bahnen einzuschlagen. Mit der Amadispoesie war es zu Ende. Statt fahrender Ritter wählte man geschichtliche Persönlichkeiten zu Helden. Allerlei Betrachtungen über Religion, Staatsverfassung, Sitten und Gebräuche, geistreiche Gespräche wurden in den Gang der Erzählung eingeflochten. Diese neue Richtung hatte damals in Holland, wie alles Französische, schnell Eingang gefunden. In der Schäfergenossenschaft, die Z. dort um sich gesammelt hatte und der auch Frauen angehörten, hat er die Anregung gefunden, zuerst die beiden französischen Romane zu übersetzen, dann die „Rosemund“ zu dichten. Obwohl diese den Einfluß der französischen Vorbilder und der Schäferdichtung deutlich verräth, so ist sie doch in mancher Beziehung selbständig und eigenartig und für ihre Zeit eine recht merkwürdige Erscheinung. Die Prosa wird auch bei Z. hie und da von Gedichten unterbrochen, langathmige Gespräche und eingestreute Beschreibungen finden sich in der „Rosemund“ ganz wie in den fremden Vorbildern. Aber während die Weltgeschichte den Schauplatz der französischen Dichtungen bildet, entnimmt Z. den Stoff seines Romans großentheils eigenen Erlebnissen und verlegt ihn in die Gegenwart. Statt zahlreicher Abenteuer bietet er die Erzählung eines einfachen Vorgangs, eine Liebesgeschichte von äußerst einfacher, ja dürftiger Erfindung. Der Vereinigung der Liebenden, die alle Phasen der Liebe, Sehnsucht, Eifersucht und frohen Genuß des Augenblicks durchmachen, steht die Verschiedenheit der Religion hindernd entgegen. An diesem unlösbaren Conflict geht „Rosemund“ zu Grunde, sie verzehrt sich im Gram und stirbt. Der Autor hat offenbar das ehrliche Bestreben, ein Seelengemälde zu entwerfen, aber dabei versagt ihm die Kraft und er kommt über die Ansätze nicht hinaus, es ist ein Unternehmen, das nicht nur über das Können Zesen’s, sondern überhaupt seiner Zeit hinaus ging; aber daß er es versuchte, zeugt von der frischen Strebsamkeit, die Z. in jener Zeit auszeichnet. – Die Darstellung in diesen ersten Romanen verdient alles Lob; sie ist meist gewandt und klar; der Stil, obwol längere Perioden nicht vermieden werden, doch einfach und durchsichtig; auch die Bilder und Gleichnisse halten sich in bescheidenen Grenzen; Fremdwörter vermeidet er durchaus, ja er fängt jetzt damit an, auch völlig eingebürgerte Lehnworte zu ersetzen, aber die Veranlassung ist nicht allein sein Purismus; er will die Sprache der Dichtung über die Rede des alltäglichen Lebens erheben und gebraucht deshalb Worte und Wendungen, die an die Redeweise der französischen Precieusen erinnern. Freilich muß man dabei manche Wunderlichkeit mit in den Kauf nehmen, aber man braucht nur Stil und Sprache dieser ersten Romane Zesen’s mit den wenig älteren Schriften gleicher Art zu vergleichen, um zu sehen, welch großer Fortschritt in Bezug auf Reinheit der Sprache und Flüssigkeit der Darstellung von ihm gemacht wird.

Ein kräftigeres, männlicheres Können zeigt sein zweiter selbständiger Roman, die „Assenat“, mit der er sich dem großen Helden- und Liebesromane zuwandte. Als seine Quellen nennt er selbst, außer der Bibel und Schriften der Araber, Hebräer und des „weltberühmten Athanasius Kircher“, die Testamenta XII Patriarcharum und die Historia Asseneth, filiae Potipharis (beide abgedruckt in F. A. Fabricius, Codex Pseudepigraphus Veteris Testamenti (1713). – Die Handlung in diesem Roman scheint zwar nicht unbeeinflußt durch Grimmelshausen’s Joseph, darf aber doch als durchaus selbständige Leistung angesehen werden, auf die er viele Jahre angestrengten Fleiß verwandt hat. (Schon 1651 spricht er von seinen Vorstudien dazu.) Er ist ohne Frage das Beste, was Z. auf diesem Gebiete geschaffen hat. Der Gegenstand ist anziehend und glücklich gewählt, die [116] Hauptcharaktere, besonders Josef, sind trefflich geschildert und zeigen wirkliches Leben; die Erzählung großentheils fließend, oft von bemerkenswerther Kürze, hält sich frei von den üblichen Weitschweifigkeiten und geschnörkelten langweiligen Reden. Auch in gelehrten Ausführungen aus Mythologie und Geschichte hat er Maß gehalten; so sind die Beschreibungen von berühmten Stätten des ägyptischen Alterthums an ihrer Stelle wohl motivirt und nothwendig, um Ort und Zeit der Begebenheit zu veranschaulichen. Inbezug auf den Stil haben sich Zesen’s Anschauungen gewandelt. Statt langer Perioden bevorzugt er jetzt kurze Sätze, ohne aber diese Manier zu übertreiben. – Ein ganz verfehltes Werk ist sein „Simson“. In diesem Romane, dessen Stoff theils der Bibel, theils dem Josephus und dem Pallavicini entnommen ist, sind alle seine Verkehrtheiten, alle Wunderlichkeiten, die ihm den Spott der Mit- und Nachwelt in so reichem Maße eintrugen, gleichsam auf die Spitze getrieben. Die lange, durch Zuthaten eigener Erfindung zu unendlicher Breite ausgesponnene Erzählung ist unüberwindlich langweilig, die zahllosen eingeflochtenen Reflexionen und gelehrten Notizen machen sie völlig ungenießbar; dazu kommt ein Stil, der in Geschmacklosigkeit und Uebertreibung seines Gleichen sucht. Es scheint, daß Alter und Krankheit in den seit Herausgabe der Assenat verflossenen 9 Jahren seine Schaffenskraft völlig gelähmt haben.

Dagegen fallen noch in die Zeit seiner ungeschwächten Kraft seine historischen Schriften: 1660 „Leo Belgicus, Hoc est succincta ac dilucida Narratio Exordii Progressus etc. Reipublicae foederatarum Belgii Regionum“ Amstelodami. Apud Elzivirios. (Die deutsche Uebersetzung erschien unter dem Titel „Niederländischer Leue: Das ist, kurzer doch grundrichtiger Entwurf der innerlichen Gestalt und Beschaffenheit des Staatswesens der sieben vereinigten Niederländer“ … Nürnberg 1677.) 1661 „Die verschmähete doch wieder erhöhete Majestät, d. i. Karls des Zweiten, Königs in Engelland, Wundergeschicht“; 1664 „die Beschreibung der Stadt Amsterdam“. Die Arbeiten sind von ungleichem Werthe, aber im allgemeinen rechtfertigen sie nicht das ungünstige Urtheil, das man über sie gefällt hat. Die Sprache zeichnet sich vortheilhaft vor gleichzeitigen Prosaschriften aus, und besonders die beiden zuletzt genannten Schriften verdienen wegen ihres tüchtigen, von aufmerksamer Beobachtung zeugenden Inhalts und wegen der lebendigen, flüssigen Darstellung und des von aller Manier freien Stils rühmende Erwähnung.

Seine metrischen, grammatischen und sprachlichen Ansichten hat Z. außer in den Vorreden und Anmerkungen zu den verschiedensten Büchern niedergelegt in der „Hochdeutschen Sprachübung“ (1643), den vier Auflagen seines „Helikon“ (1640–56), nebst der „Scala Heliconis Teutonici“ (1643, deutsch 1656), dem „Rosen-mând“ (1651) und der „Hochdeutschen Helikonischen Hechel“ (1668). Diese Schriften zeigen einen unendlichen Fleiß, eine oft erstaunliche Gelehrsamkeit, umfassende Sprachkenntniß und nicht selten ein recht gesundes Urtheil. In seinem metrischen und poetischen Lehrgebäude findet sich manches Neue und Richtige, wie z. B. die scharfe Aussprache des Betonungsgesetzes; die von ihm aufgestellten Sätze sind von vielen angenommen, wenn auch die Ehre der Citirung meist nicht ihm, sondern Buchner, Schottel oder Harsdörffer zu Theil wurde. Seine Ansichten über Stil und Satzbau sind verständig und oft die Ergebnisse feiner und denkender Beobachtung. Wunderlich und verschroben ist nur, was er über die Verwandtschaftsverhältnisse der Sprachen und über Etymologie auftischt. Aber hierin darf man nicht allzu streng mit ihm zu Gericht gehn. Harsdörffer und selbst Schottel haben auf diesem Gebiete gleich ungereimtes Zeug zu Tage gefördert. Die Sprachforschung stak eben damals noch in den Kinderschuhen.

Den meisten Widerspruch haben seine orthographischen und puristischen [117] Lehren gefunden; diese haben neben manchen Angriffspunkten, die Zesen’s Persönlichkeit bot, es hauptsächlich verschuldet, daß Mit- und Nachwelt so ungünstig und gehässig über ihn geurtheilt haben. Bei einer gerechten Würdigung seiner Bestrebungen muß das Urtheil wesentlich anders lauten. Das jammervolle Elend der deutschen Nation ging ihm zu Herzen, wie nur der Besten einem, die Ueberzeugung, daß die deutsche Sprache, wenn es so weiter ginge, wie bisher, völliger Verwälschung anheimfallen müsse, theilte er mit allen Einsichtsvollen, aber während die Mehrzahl sich damit begnügte, gegen das Unwesen der Fremdwörter zu predigen, im übrigen aber lustig mit dem Strome schwamm, suchte er nicht allein durch Lehre, sondern auch durch Beispiel eine Besserung herbeizuführen. Dabei hat er vielfach über das Ziel hinausgeschossen (und seine Anhänger Bellin, Hövelen u. A. noch weit mehr), aber doch auch Erfolge von bleibendem Werthe erzielt. – Um die sehr im Argen liegende deutsche Rechtschreibung auf einer sichern Basis aufzubauen, versuchte er das phonetische Princip strengstens durchzuführen und um sie ganz deutsch zu gestalten, wollte er die undeutschen Buchstaben und Lautverbindungen c, q, y, ph ganz aus dem Alphabet verbannen. Natürlich geriet er dabei auf Irrwege und in Uebertreibungen, ohne die es nun einmal bei ihm nicht abgeht, aber ist er darum so sehr zu verdammen, zumal er später, als er sah, daß er gegen die herrschende Meinung nicht durchdrang, sich mehr und mehr wieder der herkömmlichen Schreibweise anbequemte? „Ich bin keineswegs“, sagt er von sich selbst, „so eigensinnig geartet, daß ich meine in der ersten Jugendhitze mir gleichsam entschossene Fehler nunmehr, da ich alles besser weiß, mit Gewalt verteidigen und gut heißen wollte, wie etliche aus Ehrgeiz und Hartnäckigkeit zu thun pflegen …“

Am übelsten beleumundet ist Z. durch seinen Purismus, und in der That hat er auf diesem Gebiete viel gesündigt, so daß der Spott der Gegner nicht unverdient war; aber man darf über seinen Uebertreibungen und argen Geschmacklosigkeiten auch das Gute, was er hier geleistet, nicht vergessen. Anzuerkennen ist die Gründlichkeit, mit der er verfährt, wo es gilt, ein Fremdwort auszumerzen. Er hat zu diesem Zwecke nicht allein die Schriften seiner Zeitgenossen, sondern auch zurück die Hauptschriftsteller bis auf Luther abgesucht. So hat er zur Verbreitung älterer und jüngerer Neubildungen und zur Erhaltung alter Worte nicht wenig beigetragen. Neue Worte bildet er erst, wo ihn jene Quellen im Stich lassen. Von seinen Neubildungen sind viele recht verfehlt, aber manche auch glücklich, was schon daraus hervorgeht, daß noch der jetzige deutsche Wortschatz manches enthält, das auf ihn zurückzuführen ist. Zu billigen war es auch, daß er statt der gebräuchlichen fremdländischen Vornamen auf die guten deutschen Namen aufmerksam machte. Dagegen war es freilich schlimm, daß er die antiken Götternamen durch neu erfundene deutsche Worte wie Liebinne, Schauminne, Lachmund für Venus, Kluginne oder Blauinne für Athene u. dgl. ersetzen wollte; aber ist der Grundgedanke, der diesem Versuch zu Grunde lag, nicht ein ganz gesunder? Daß man später, ebenfalls in der Absicht, den antiken Olymp aus unserer Dichtung zu verbannen, die nordische Mythologie zu Hülfe nahm, war zwar weniger lächerlich, aber darum doch nicht weniger verfehlt. Uebrigens muß man, um seinen praktischen Standpunkt zu verstehen, auch den Umstand berücksichtigen, daß er in Holland lebte und schrieb, wo man die Reinigung der nationalen Sprache von allen fremden Bestandtheilen mit rücksichtsloser Strenge durchgeführt hatte. Was hier gelungen war, hielt er auch in Deutschland für möglich und so ist es zu begreifen, daß er, unbeirrt durch Hohn und Spott, seinem früh gefaßten Vorsatze, die Muttersprache, der er in schwärmerischer Verehrung ergeben war, in ihrem echten und wahren Wesen wiederherzustellen, unerschütterlich treu geblieben ist.

[118] Trotz aller Irrthümer und unleugbaren Verschrobenheiten ist Z. eine der merkwürdigsten Gestalten des 17. Jahrhunderts. Hat er auch als Dichter und Gelehrter nichts wahrhaft Großes geschaffen, so hat er doch für seine Zeit Bedeutendes geleistet; kann man ihn auch von dem Vorwurfe der Eitelkeit und Selbstgefälligkeit nicht freisprechen, so verdienen doch anderseits sein außerordentlicher Fleiß und seine rastlose Thätigkeit im Dienste einer guten Sache unsere Bewunderung; muthet uns auch die übertriebene Ernsthaftigkeit seines Wesens und das Fehlen jeden Humors in allem, was er that und schrieb, oft seltsam an, so muß ihm doch wieder wegen der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit seiner ganzen Persönlichkeit und der Festigkeit seiner wissenschaftlichen Ueberzeugung, die ihn sogar Fürstengunst verschmähen ließ, unsere Hochachtung zu Theil werden. Die Art, wie er zum Beispiel Fürst Ludwig begegnete, will viel besagen in einem Jahrhundert, in dem elende Kriecherei und Bettelei um die Gunst der Großen eine gewöhnliche Gelehrteneigenschaft war. Um noch seinen religiösen Standpunkt zu berühren, so gehörte er in einer Zeit des Glaubenshasses und der kirchlichen Verfolgungssucht zu den wenigen, die für Gewissens- und Glaubensfreiheit ihre Stimme zu erheben wagten, unbeschadet einer wahrhaft frommen, ja streng gläubigen Gesinnung. Als Narren und lächerlichen Phantasten, für den ihn seine Feinde ausgegeben haben, können wir ihn heute nicht mehr ansehen, wohl aber begreifen, warum ein solches Urtheil über ihn so viele Gläubige finden konnte. Um zu allgemeiner Anerkennung zu gelangen, fehlte es ihm, bei allem ehrgeizigen Streben nach Ruhm an einer wesentlichen Eigenschaft, der Weltklugheit. Die Fähigkeit, im Wechsel und Streit der Meinungen, die seinige stets der herrschenden anzupassen, ging ihm völlig ab. Er war und blieb ein kindlich harmloses Gemüth, das in unbeirrbarem Optimismus immer wieder an den Sieg des Guten und der Wahrheit glaubte. Da er als ehrlicher und aufrichtiger Mann andere nach sich selbst beurtheilte und die Bosheit der Welt nicht zu durchschauen vermochte, so wurde er leicht ein Opfer derselben und mußte für eigene und fremde Sünden mehr, als er es verdiente, büßen.

Max Gebhardt, Untersuchungen zur Biographie Philipp Zesen’s, Straßburger Diss. 1888. – Karl Dissel, Philipp von Zesen und die Deutschgesinnte Genossenschaft. Hamburg 1890.