Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen II. Section/H04
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Am Fusse der reizenden Golberoder Höhe, in einem der vielen lieblichen Gründe, welche unterhalb Dresdens die Ufer der Elbe durchziehen, liegt an einem kleinen Bache das Rittergut Nickern, sammt dem Dorfe gleichen Namens. In einem Diplom vom Jahre 1288, worin der Custos des Bisthums Meissen, Conrad von Boruz, die Umgegend Dresdens mit ihren Ortschaften beschreibt, wird auch nebst sechsundzwanzig andern Dörfern „Nicur“ genannt; im siebzehnten Jahrhundert hiess es Nicorn. Der Ort hat in dreiundsechszig Feuerstätten etwa dreihundertzwanzig Einwohner, welche unter gewissen Beschränkungen das Recht haben, freien Mehl- und Brodhandel nach dem eine und eine halbe Stunde entfernten Dresden zu treiben, und sich hauptsächlich von Feldbau, Handwerk, Strohflechten, Strohnähen und Handel mit diesen Fabrikaten nähren. Den freien Verkauf von Mehl und Brod erlangten die Bewohner Nickerns und des nahen Dorfes Lockwitz dadurch, dass sie im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts, wo die Hauptstadt Dresden von einer furchtbaren Pest heimgesucht und von allem äusseren Verkehr abgesperrt war, den unglücklichen Bürgern Brod und Mehl über die Stadtmauer reichten, und durch diese Leben und Gesundheit gefährdende Aufopferung einer Hungersnoth in der verpesteten Stadt vorbeugten. Georg der Bärtige damaliger Landesherr, schenkte und bestätigte ihnen in den Jahren 1522 und 1527 das Recht des freien Brod und Mehlhandels nach Dresden. Im dreissigjährigen Kriege begleiteten Weiber aus Lockwitz und Nickern, die Schürzen mit Steinen gefüllt, die Mehl- und Brodwagen, welche nach Dresden fuhren, und sobald Streifpatrouillen herankamen, um die Wagen anzuhalten, flüchteten sich die Weiber auf und hinter diese, und begrüssten die Soldaten so lange mit einem heftigen Steinregen, bis Bauern oder befreundete Truppen herbeieilten und die Plünderer vertrieben.
Als im Jahre 1680 Dresden abermals von einer Seuche heimgesucht wurde, verbot zwar der Rittergutsbesitzer auf Lockwitz und Nickern den Freihandel nach Dresden zu betreiben, das dortige Gouvernement aber verlangte ihn, und weil es mit Entziehung des Privilegiums drohte, musste man sich fügen und die Brodlieferungen fortsetzen. Da nun aber die Vortheile, welche dieser Handel brachte, die Zahl der Theilnehmer unaufhörlich vermehrte und die dadurch sehr beeinträchtigten Innungen der Dresdner Müller und Bäcker beim Churfürsten mit einer Beschwerde einkamen, so wurde am 15. October 1682 verordnet, dass Lockwitz und Nickern gemeinschaftlich dreissig Freizeichen, und zwar ersteres sechsundzwanzig, letzteres vier, haben sollten. Wird durch Todesfall ein solches Freizeichen vakant, oder auch nur verloren, so muss bei der Herrschaft ein neues gelöst werden. Es besteht in einem kleinen, mit dem Königlichen Wappen und dem Namen des Inhabers gestempelten Bleche. In der Regel überlässt die Herrschaft ein vakantes Zeichen dem Meistbietenden, und der Preis steigt oft bis zu achtzig Thalern, auch ist an die Herrschaft ein Speciesthaler Handelszins abzugeben.
Nickern und das bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts damit vereinigte Lockwitz hatten in dem dreissigjährigen Kriege ungemein zu leiden, und wurden bald von Sächsischen bald von Kaiserlichen Truppen heimgesucht und geängstigt. Der damalige Rittergutsbesitzer, Amtshauptmann von Osterhausen, traf alle nur möglichen Anstalten, die Dörfer vor Raub und Plünderung zu schützen. Er liess eine grosse Schanze aufwerfen, umgab dieselbe mit einem Graben, über welche Zugbrücken führten, verpallisadirte die Eingänge zum Dorfe, liess in die Mauern der Gärten und Häuser Schiessscharten einschneiden und selbige mit Musketen und Doppelhaken besetzen. Die Einwohnerschaft übte der Amtshauptmann selbst in den Waffen, wobei ihm der Rittmeister von Neitschütz auf Röhrsdorf behülflich war, und so gelang es auch wirklich einige Male, streifende Partheien, die einen Anfall wagten, abzutreiben. Endlich mussten jedoch die Bewohner der befestigten Dörfer wegen zu starken feindlichen Andrangs über die Elbe flüchten, so dass nur drei Personen in Lockwitz zurückblieben. Als Pirna von den Schweden eingenommen worden war, kamen die Kriegsvölker in dichten Massen angezogen, so dass der Amtshauptmann sich zu eiliger Flucht veranlasst sah, und nur mit einem Stiefel an den Füssen das Schloss verlassen musste. Während der Schlossherr das Weite suchte, fand ein Reitergefecht zwischen Schwedischen und Oesterreichischen Dragonern, nahe bei dem Lockwitzer Weinberge und der Krähenhütte, [26] statt. Die noch vorhandenen Rechnungen besagen, dass die Soldaten Kirche, Pfarre, Schule und Wohnhäuser gräulich zurichteten, und 1639 wird berichtet, dass vom Sonntage in der Fasten bis auf Pfingsten wegen Kriegsunruhen nichts eingekommen sei, weil das Volk sich verlaufen habe und zerstreuet worden. In derselben Jahresrechnung wird auch der „verfluchten Trautzischen Räuber“ gedacht, die alle Kirchenschlösser zersprengten, (so dass dieselben von dem Schlosser zu Dohna wieder hergestellt werden mussten) und den Gotteskasten ausräumten. So erwähnt auch die Ortschronik einiger Hinrichtungen, die auf dem nahen Galgenberge vollzogen wurden. Im Jahre 1668 starb Anna Maria Müller, die Tochter des Schenkwirths aus Leuben, die ihr uneheliges Kind ermordet hatte, den Tod durch das Schwert, und 1687 erlitt ein gleiches Schicksal eine Müllerin, die ihren Mann mit einem Brodmesser erstochen. 1765 wurde Heinrich Schuster, der Mörder eines Sattlers aus Lockwitz, auf dem Galgenberge gerädert, und 1809 der Brandstifter Richter auf derselben Stelle enthauptet.
Bemerkenswerth ist, dass 1739 zu Nickern der berühmte Instrumentmacher Gottfried Joseph Horn geboren wurde, ein gelernter Müller, dessen Klaviere und Fortepianos häufig nach Russland, Liefland und Amerika, ja selbst nach Afrika gingen. Sein mechanisches Talent entwickelte sich durch Erwerbung der Werkzeuge, Risse und Mensuren des Dresdner Instrumentmachers Schwarze, welche Horn in einer Auction erstand. So baute er im Jahre 1772, ohne die geringste Anleitung, sein erstes Klavier, und während seines Lebens hat er deren fünfhundert hergestellt, die zum Theil noch vorhanden und sehr geschätzt sind. Er starb zu Nickern, wo er stets gewohnt hatte, am 25. December 1797. – – Nickern und Lockwitz gehörten im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert den Herren von Ziegler, welche in Dresdens Umgegend bedeutende Besitzungen hatten. Paul von Ziegler wird im Jahre 1411 genannt, und von seinem Enkel kamen die Güter an die Alnpecke, eine Ungarische Familie, welche sich um das Jahr 1450 wegen des Bergbaues nach Sachsen gewendet hatte. Stephan Alnpeck, 1458 Rathsherr und von 1473 bis 1488 Bürgermeister zu Freiberg, stiftete in der dasigen Domkirche nebst etlichen geistlichen Lehen die Alnpeckische Capelle, in der er auch Freitag nach Kunigunden 1489 zur Ruhe gebracht wurde. Georg Alnpeck auf Lockwitz und Nickern war ebenfalls Bürgermeister zu Freiberg, Fürstlicher Rath, Münzmeister und Zehndner. Im Jahre 1520 gab er sein Bürgerrecht auf, zog auf sein Freihaus und starb 1523. Er liegt in der Alnpeckschen Capelle zu Freiberg begraben. Seine Muhme, Ottilie Alnpeck, Tochter des Freibergischen Amtmanns Stephan Alnpeck, wurde von dem Junker Martin von Minkwitz während der Predigt entführt und auf das Schloss Brix gebracht, wo er sich unverzüglich mit ihr vermählen liess, und dadurch die erbitterte Familie der Braut zur Versöhnung zwang.
Wenzel Alnpeck war 1536 Fürstlicher Zehndner und führte die Rechnungen bis 1542, wo Hans Röling an seine Stelle kam. Nach ihm wird Andreas Alnpeck genannt, der das Amt eines Münzmeisters bis 1556 versah, (in welchem Jahre die Münze nach Dresden kam) und auch das Bürgermeisteramt verwaltete. Bei einem Aufruhr in Freiberg war er in grosser Gefahr sammt einigen anderen beim Volke nicht beliebten Rathsherren aus dem Fenster des Rathhauses herabgestürzt zu werden. Peter Alnpeck starb 1563, und wurde ebenfalls in der Erbgruft seiner Familie begraben. Valentin Alnpeck war Vorsteher des Almosenkastens und Schulinspector zu Freiberg und ging 1599 im siebenundsiebenzigsten Jahre seines Lebens mit Tode ab. Der letzte Besitzer von Lockwitz und Nickern aus dem Geschlecht der Alnpecke, war Ernst Albrecht Alnpeck, von dem die Güter 1620 an Johann Georg von Osterhausen auf Reinhardsgrimma, Churfürstlich Sächsischen Hofmarschall, Oberkammer- und Bergrath, gelangten. Dieser Herr hat sich um Nickern und Lockwitz viele Verdienste erworben und ist Erbauer der Ortskirche, welche er zugleich aus eigenen Mitteln anständig dotirte und mit allen Nothwendigkeiten versah. Er starb am 1. November 1627, und fand seine Ruhestätte in der Sophienkirche zu Dresden. Von den beiden Söhnen Johann Georgs von Osterhausen bekam Oberlockwitz der Kammerherr und Amtshauptmann der Aemter Dippoldiswalde, Tharand und Altenberg, Johann Georg von Osterhausen, ein Mann, der durch Reisen und Studien seinen Geist vielfach gebildet und den Churfürsten Johann Georg I. häufig auf Feldzügen begleitet hatte. Von ihm rühren einige Stiftungen her und sein Tod erfolgte am 12. Juni 1670; Niederlockwitz und Nickern erbte sein Bruder Hans von Osterhausen, Churfürstlich Sächsischer Kammerherr, der 1683 durch Kauf in den Besitz von Oberlockwitz kam, nachdem er Niederlockwitz 1680 und Nickern 1682 verkauft hatte. Er starb am 14. September 1686.
Nickern war durch Kauf an den Dr. Gottfried Wiessner, Churfürstlich Sächsischen Rath und Leibmedicus zu Dresden gelangt, der hier ein sogenanntes Gesundheitsbier braute, das weithin verfahren wurde und in der Gegend sehr beliebt war. Wiessner starb im rüstigsten Mannesalter, sechsundvierzig Jahre alt, am 2. November 1686, und liegt in der Nickernschen Erbgruft in der Kirche zu Lockwitz begraben. Nach ihm besass Nickern, Carl Rudolph von Karlowitz, Kaiserlicher Majestät, wohlbestallter Hauptmann und Churfürstlich Sächsischer Kriegscommissarius, der indessen das Gut nicht lange behielt, indem er es bereits 1691 an den Königlich Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Geheimen Staatsrath Christoph Dietrich von Bose auf Mölbitz und Frankenleben verkaufte, welcher nach einer vierundfunfzigjährigen Dienstzeit 1708 im achzigsten Lebensjahre verschied. Nickern kam jetzt an des verewigten Staatsraths ältesten Sohn, den Königlich Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Oberhofmeister und Domprobst zu Meissen, Hans Balthasar von Bose, der jedoch schon 1712 seinem Vater in das Grab folgte, und Nickern seinem Bruder dem Königlich Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Obristlieutnant, Gottlob Sigismund von Bose hinterliess, welcher im fünfundvierzigsten Jahre seines Alters 1723 an einem Schlagfluss starb. So erhielt Nickern der dritte Bruder, Wolf Dietrich von Bose, Königlich Polnischer und Churfürstlich Sächsischer Appellationsrath und Assessor des Oberhofgerichts in Leipzig, wie auch Fürstlich Sachsen-Merseburgischer Geheimerath, welcher um das Jahr 1740 mit Tode abging. Fast ein Jahrhundert noch blieb Nickern im Besitz der Boseschen Familie, und gehörte sogar bis in die neueste Zeit zu den Majoratsgütern derselben; jetzt aber ist Eigenthümer von Nickern, Herr Georg Ernst Wilhelm Rühle.
Bis zum Anfange des siebzehnten Jahrhunderts waren Nickern und Lockwitz in das eine Stunde entfernte Leubnitz eingepfarrt. Bis zur Reformation stand zwar in Lockwitz, nahe am Schlosse eine mit zwei Altären versehene [27] uralte Capelle, in welcher der Pleban der Leubnitzer Kirche bisweilen Meses zu lesen verpflichtet war; dieselbe lag aber vom Jahre 1538 an wüst, bis 1623 der Hofmarschall von Osterhausen sie zu renoviren beschloss. Er suchte daher beim Oberconsistorium um Auspfarrung der Gemeinde aus Leubnitz nach, und als er dieselbe erhalten hatte, wurde ein Recess aufgerichtet. Die Capelle erhielt neuen Kirchenschmuck, und der Hofmarschall legirte zur Unterhaltung des Pfarrers und Schullehrers ein Kapital von dreitausend Gülden. Am 1. October 1623 wurde das erneute Gotteshaus eingerichtet, wobei der Superintendent zu Dresden, Dr. Aegidius Strauch, in Gegenwart einer grossen Anzahl von Geistlichen und Adelspersonen die Festrede hielt, und der Gemeinde ihren neuen Pfarrer M. Gabriel Ursinus vorstellte, einen Geistlichen der wegen religiöser Verfolgung aus Böhmen nach Sachsen geflohen war.
Obgleich nun damals die neue Kirche hinreichenden Raum bot, so veranlasste doch die anwachsende Bevölkerung einen Anbau, welcher 1667 nach dem Schlossgarten hin vorgenommen wurde. Aber auch diese, freilich unbedeutende Vergrösserung der Kirche reichte nicht aus, deshalb entschloss man sich zu einem gründlichen Neubau. Man begann mit Abtragung des alten steinernen viereckigen Thurmes, welcher hinter der Kirche stand, und erbaute einen neuen auf dem hartanstossenden Herrenhause. Im Jahre 1703 war das neue Gotteshaus vollendet. Bei dem Bau machten sich der Geheimerath von Schönberg, welcher sich seit dem Jahre 1692 im Besitze von Ober- und Niederlockwitz befand, sowie dessen Gemahlin, Sabine Elisabeth geborne von Maxen, durch vielfache Unterstützungen und Spenden an die Arbeitsleute sehr verdient, und gestatteten zugleich, dass bis zur Vollendung der Kirche der Gottesdienst in einem grossen Zimmer des Schlosses abgehalten werden durfte. Von einem Legate, welches die Geheimräthin von Schönberg damals stiftete, beziehen die Zinsen der Pfarrer und Schulmeister zur einen und die Kirche zur anderen Hälfte.
Die Furie des siebenjährigen Krieges schwang ihre Jammer und Elend verbreitende Geissel auch über die hiesige Gegend. Durch den Uebermuth Preussischer Soldaten gingen nebst einigen Bauerngütern 1756 Pfarre und Schule, und mit ersterer alle kirchlichen Nachrichten in Flammen auf. Die Pfarrwohnung war ursprünglich ein Bauerngut, welches bei Gründung der Kirche von dem Hofmarschall von Osterhausen angekauft, baulich verändert und dem Pastor überlassen wurde.
Die Kirche zu Lockwitz ist ein schönes Gebäude, das mit dem Schlosse zusammenhängt, und eine von dem berühmten Silbermann erbaute Orgel besitzt. In derselben hängt das Bildniss des am 1. November 1627 verstorbenen Hofmarschalls, wie er auf dem Paradebette liegt. Neben den Bilde ist eine Tafel angebracht, welche Nachrichten über die Erbauung der Kirche enthält. – Der Gottesacker befindet sich hinter der Kirche und zeichnet sich durch treffliche Denkmäler aus: 1673 wurde er durch Ankauf eines Stücks Feld vergrössert. – Der Collator der Kirche und Schule ist der jedesmalige Rittergutsbesitzer auf Lockwitz. Unter den Legaten befindet sich eines vom Jahre 1703, nach dem die Zinsen eines von Martin Heger in Nickern geschenkten Capitals von hundertfunfzig Gülden an die Ortsarmen ausgetheilt werden.
Zwischen den Städten Riesa und Strehla, am rechten Ufer der Döllnitz, liegt in sehr angenehmer Gegend das unregelmässig gebaute Dorf Merzdorf, welches ausser einem nicht unbedeutenden Rittergute, ein Mühlgut, sechs kleinere Bauergüter und mit Einschluss des Wirthshauses und Gemeindehauses zwölf Häuser umfasst. Der Ort zählt gegen einhundert und funfzig Einwohner von denen Viele sich mit Handwerken, die übrigen aber mit Landbau beschäftigen. In früherer Zeit hatte Merzdorf seine eigene Gerichtsbarkeit, unter welche auch verschiedene Bewohner des nahen Dorfes Pochra gehörten; 1836 trat jedoch der damalige Besitzer des Rittergutes Merzdorf die Gerichtspflege an den Staat ab, und ist nun dieselbe dem Amte Oschatz überwiesen. Am 7. April 1742 wurde Merzdorf sammt dem dazu gehörigen Vorwerke Pochra für schriftsässig erklärt, doch behielt das Amt Oschatz die Eintreibung der erblichen Gefälle und die Besorgung anderer Obliegenheiten ohne Requisition des Erbherrn.
Das Rittergut Merzdorf, in Urkunden des funfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts bisweilen ein Vorwerk genannt, besteht aus vierzehn Scheffeln Gärten, dreihundert dreiundachtzig Scheffeln Feld, achtundzwanzig Scheffeln Wiesen, neununddreissig Scheffeln Waldung, vierundzwanzig Scheffeln Trift und zwölf Scheffeln Teichen. Zu ihm gehört ferner eine Schäferei und Thongrube. Nahe beim Wirthschaftshofe erhebt sich in einem mit englischen Anlagen verzierten Garten das schöne Herrenhaus.
Merzdorf war einst Besitzthum des alten reichen Geschlechts der Pflugke dessen altersgraues Stammschloss Strehla auf einem Felsen des nahen Elbstromes thront. Georg Pflugk auf Zabeltitz besass Merzdorf im Anfange des [28] sechszehnten Jahrhunderts und überliess es Heinrich Pflugk, den am Mittwoch nach dem Aschermittwochtage 1540 Herzog Heinrich der Fromme mit Schloss und einem Theile der Stadt Strehla, dem vierten Theile des Elbgeleites, mit Görzig und Bleyditz, Lausa, Casa, Grossrügeln und Merzdorf belehnte. Die Lehnserben Heinrichs von Pflugk behielten Merzdorf bis zum Jahre 1590, wo es an Christian von Holzendorf kam, der um 1627 mit Tode abging. Nach ihm besass Merzdorf Haubold von Starschedel, der 1600 auf dem nahen Rittergute Borna geboren, und am 12. October 1639 in die Frauenkirche zu Dresden begraben wurde. Um das Jahr 1660 gehörte Merzdorf einem Innocenz von Starschedel, welcher auch ein Haus am Markte zu Oschatz, der grosse Christoph genannt, besass, und um 1670 zwei Brüdern Hans Georg und Innocenz von Starschedel, von denen Ersterer 1672 starb und das Gut seinem Bruder hinterliess. Dieser scheint noch vor 1674 gestorben zu sein, denn in diesem Jahre war Herr auf Merzdorf und Gersdorf Adam Heinrich von Starschedel, der von Andreas Dietrichs von Schleinitz Söhnen das Dorf Weida kaufte und am 13. August 1695 mit Tode abging. Er war vermählt mit Marie Sophie Pflugk, Otto Pflugks auf Frauenhain, Churfürstlichen Kammerjunkers, Amtshauptmanns und Obersteuereinnehmers, Tochter. Nach ihm besass Merzdorf Haubold Otto von Starschedel, der am 18. August 1664 auf dem Hause Merzdorf geboren war und sich am 15. Januar 1689 mit Anna Eleonore aus dem Winkel, des Hauses Wettin, vermählte. Von 1682 bis 1684 bereiste er das Reich, Elsass, Frankreich, England, Holland und die Niederlande, und als er 1694 sich auf dem Landtage zu Dresden befand, bekam er die Kinderblattern, auch war er in den letzten Jahren seines Lebens durch die Gicht an Händen und Füssen gelähmt. Dieser Besitzer baute das Stammhaus der Starschedel, das Schloss Borna, aus Asche und Schutterde wieder auf, welche Absicht bereits sein Grossvater Innocenz von Starschedel gehegt, aber wegen der Kriegsbeschwerden und einer ausgebrochenen Seuche nicht ausgeführt hatte. Allein auch Haubold Otto konnte, durch die Schwedische Invasion und andere Umstände gehindert, den Bau nicht ganz vollenden. Er starb zu Borna am 9. October 1710 und ward in dem dasigen Erbbegräbnisse beigesetzt. Ihm folgten als Besitzer von Merzdorf die Brüder Adam Heinrich und Friedrich Heinrich von Starschedel. Adam Heinrich von Starschedel, Haubolds von Starschedel auf Merzdorf zweiter Sohn, kaufte um 1752 zwei Hufen Land zu Pochra für 568 fl. 12 gl. die vom Rentamte als ein Capital gegen 4% ausgeliehen und bis in die neueste Zeit verzinst wurden. Innocenz Heinrich von Starschedel, des vorigen Sohn, zu Borna am 19. Juni 1742 geboren, vermählte sich am 24. April 1764 mit Amalie Wilhelmine von Schönberg aus dem Hause Bornitz und nach deren Tode mit Christine Charlotte von Seidlitz aus dem Hause Zschaiten, von der er sich ein Jahr vor seinem Tode trennen liess. Er starb kinderlos am 14. Januar 1801, und das Rittergut Merzdorf welches zweihundert Jahre lang Eigenthum der Starschedel gewesen war, kam an den Commerzienrath Dr. Johann Christoph Hanisch, späteren Baron von Odeleben, welcher 1808 in Riesa mit Tode abging. Des Barons von Odeleben Erben konnten das Gut nur bis zum Jahre 1824 behaupten, wo es Heinrich Rittner an sich brachte, der am 7. Mai 1835, innig betrauert von Allen die ihn kannten, zu Dresden das Zeitliche segnete. Ein unvergängliches Denkmal stiftete sich dieser edle Mann dadurch, dass er testamentarisch einen Theil seines Vermögens zu milden Stiftungen bestimmte. Es werden nämlich an seinem Sterbetage unter die zehn ärmsten und ältesten Personen Dresdens hundert Thaler vertheilt, wozu er ein Capital von zweitausend fünfhundert Thalern auf zwei ihm vormals zugehörigen Häusern (Schlossgasse No. 328 und Schössergasse No. 357) hypothekarisch versicherte. Die drei ärmsten und ältesten Einwohner des Theiles von Pochra, welcher früher unter die Gerichtsbarkeit des Rittergutes Merzdorf gehörte, empfangen an des Testators Sterbetage die Zinsen eines Capitals von fünfhundert Thalern, das auf dem Rittergute ruht. Tausend Thaler empfingen die Gesellschaft zu Rath und That das Waisenhaus und die Armenkasse in Dresden. Dem Krankenhause zu Altbrandenburg an der Havel, seiner Vaterstadt, oder wenn das Krankenhaus nicht mehr vorhanden sein sollte, irgend einer dasigen Erziehungsanstalt schenkte der edle Mann dreihundert Thaler. Und so hat der wackere Rittner noch viele Vermächtnisse und Schenkungen gestiftet, die ihm ein stets dankbares Andenken sichern. Der jetzige Besitzer von Merzdorf ist des Vorigen Sohn, Herr Carl August Rittner, seit 1829 vermählt mit Fräulein Louise Wilhelmine von Egidy.
Pochra, in Urkunden auch Vochra und Pucher genannt, liegt nicht weit von Merzdorf, in hügelicher angenehmer und fruchtbarer Gegend. Das hiesige Vorwerk, welches, wie schon erwähnt, zu Merzdorf gehört, war in früherer Zeit ein selbstständiges Rittergut, und wurde 1742 mit Merzdorf schriftsässig gemacht. In dem Dorfe dessen Inneres mit Weiden bepflanzt ist, befinden sich dreizehn Bauergüter, eine Schenke, ein Gemeindehaus und sieben Häuser. Die Gerichtsbarkeit über Pochra steht theils dem Amte Oschatz theils dem Rittergute Bornitz zu. Vor Zeiten gehörten von den in diesem Dorfe befindlichen Einwohnern zwei Mann dem Herrn von Nitzschwitz auf Gröba, und sechs Mann dem Amte. Churfürst August überliess jedoch am 13. Juli 1556 Sebastian Pflugken auf Strehla für den kleinen Spitalteich im Amte Hayn zwei gute Schock vierundvierzig Groschen bei sechs Mann im Dorfe Pochra, ein gutes Schock elf Groschen Zinsen bei drei Mann zu Reussen, fünfundvierzig Groschen Erbzinsen bei etlichen Bürgern in Strehla, fünfundvierzig Groschen zehn Pfennige Zinsen zu Görzig, vier Groschen bei einem Manne zu Saalhausen, drei gute Schock zwölf Groschen Zinsen, dritthalb Scheffel Korn und dritthalb Scheffel Hafer im Dorfe Canitz. Der Amtsvoigt Wolf von Bobritzsch musste diese Censiten mit genannten Zinsen, der Lehn und den Gerichten an Sebastian Pflugken verweisen. Als nun später zwischen Heinrich Pflugk auf Merzdorf, wohin diese sechs Mann geschlagen worden waren, und dem Amte wegen der Obergerichte Streit entstand, so wurden diese unter dem 12. December 1567 dem ersteren zugesprochen. Im Jahre 1622 wurden zwei Bauergüter an Haubold von Starschedel für zweihundert Gülden vererbt. – Im dreizehnten Jahrhundert war Pochra der Sitz eines adeligen Geschlechts von Bochere, von dem Conrad von Bochere, 1221 in einer Urkunde als Zeuge genannt ist.
Merzdorf ist nebst Pochra, Oberreussen, Forberg, Bobersen und Lessa in die Kirche zu Gröba eingepfarrt. Dieselbe wird schon sehr frühzeitig erwähnt, denn 1168 schenkte der Bischof Udo von Naumburg dieselbe dem Bosauischen Kloster Riesa. Das jetzt vorhandene Gotteshaus wurde im Jahre 1720 neu erbaut, und war Anfangs ohne Thurm, zu dem man erst am 29. [29] April 1732 den Grundstein legte, und zwei Jahre darauf die Fahne aufsetzte. Auch die innere Ausschmückung der Kirche kam erst in diesem Jahre zu Stande, und 1754 erhielt der Thurm eine neue Uhr, die hundert Thaler kostete. Zum Thurmbau musste jede Hufe einen Beitrag von vierzehn Thalern erlegen. Das Innere des Gotteshauses ist zwar einfach, aber dabei hell, freundlich und geräumig. Das Geläute wurde am 12. September 1733 auf den Kirchthurm gebracht.
Der Kirchhof zu Gröba hat vier Eingänge, und wird bei hohem Wasserstande der Elbe bisweilen überschwemmt, so dass man weder Gottesdienst halten noch Leichen bestatten kann. Eine zu Gröba am 6. März 1746 verstorbene Frau konnte erst am 12. März begraben werden, und eine am 7. März desselben Jahres verschiedene Jungfrau musste man auf den Kirchhof nach Borna bringen. Wegen des hohen Wassers hielt der Pfarrer am Sonntage Estomihi den Gottesdienst in der Schenke, die damals auf dem höchsten Punkte des Dorfes lag, und an demselben Tage hielt er eine zweite Predigt im Schlosse. – Die Collatur über die Kirche zu Gröba stand früher dem Kloster Riesa und nach dessen Säkularisirung dem dasigen Rittergute zu, im Jahre 1708 wurde jedoch dieselbe mit Bewilligung des Oberconsistoriums von der damaligen Herrschaft auf Riesa, einer Wittwe Felgenhauer, an den Besitzer von Gröba, den Kammerherrn Johann Georg von Arnim, verschenkt.
Der Fluss Döllnitz, welcher sich in schattigen Gebüschen durch die Fluren von Pochra, Merzdorf und Gröba hinschlängelt, und an welchem die zu den beiden letzteren Orten gehörigen Mühlen liegen, von denen sich ganz besonders die herrlich gelegene Feldmühle auszeichnet – die 1795 abbrannte – ist bei hohem Wasserstande sehr gefährlich, und hat bei seinem raschen Austreten schon häufig die Heuerndten vernichtet. Noch gefährlicher aber sind die Ueberschwemmungen der Elbe, wo schon oft eine grosse Anzahl Vieh ertrinken musste und die Einwohner in der grössten Lebensgefahr schwebten.
Eine der furchtbarsten Elbüberschwemmungen war die von 1746, wo eine Anzahl Bewohner Gröbas eine ganze Nacht hindurch in grösster Todesangst in den höchsten Räumen der Häuser zubringen mussten, bevor die Nachbarn im Stande waren, ihnen Hülfe zu leisten. Gleich schreckliche Wasserfluthen brachten die Jahre 1784, 1804, 1820 und 1845. – Noch ist zu bemerken dass die Leipzig-Dresdner Eisenbahn sich von Merzdorf aus durch die Gröbaer und Merzdorfer Fluren hindurchzieht, theils auf einem Damme mit zwei Durchfahrten, theils auf ebener Fläche, theils in einer Vertiefung, über welche auf dem Wege von Gröba nach Pausitz eine Brücke für die gewöhnlichen Wagen führt.
Zu den festen Burgen, welche Kaiser Heinrich der Vogelsteller nach Bezwingung der Slaven zum Schutze des eroberten Landes längst dem linken Ufer des Elbstromes erbaute, gehört auch das auf einem Felsen unterhalb Meissen gelegene Schloss Hirschstein. Obgleich der Felsen, welcher das Schloss trägt, nur funfzig Ellen hoch ist, ragt doch das stattliche Gebäude wegen der hier beginnenden Senkung des Landes so hoch empor, dass es überall schon aus weiter Entfernung sichtbar ist. Aber nicht blos grossartig und reizend ist die Aussicht von Hirschstein, sie bietet auch historisches Interesse, denn von hier aus überschaut man die ferne Gegend des Königsteines wo die Sächsische Armee 1756, gleich im Anfange des siebenjährigen Krieges, nachdem sie von der stärkeren Preussischen vier Wochen lang umzingelt und ausgehungert war, gefangen und zu den Fahnen der letzteren zu schwören gezwungen wurde. Doch entliefen die meisten untergesteckten Soldaten und sammelten sich in Ungarn unter dem Prinzen Xaver. Ebenso erblickt man von hier die Umgegend von Maxen, wo am 11. November 1759 der Oesterreichische General Daun den Preussischen General Fink von Finkenstein mit 15,000 Mann gefangen nahm, welchen Sieg man scherzweise den Finkenfang nannte. Südöstlich liegt das Dorf Kesselsdorf, berühmt in der Kriegsgeschichte durch die furchtbare Entscheidungsschlacht am 15. December 1745, wo die vereinigte Sächsische und Oesterreichische Armee von der Preussischen, unter dem sogennnnten alten Dessauer, oder dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, eine schreckliche Niederlage erlitt. Nach Westen hin erhebt sich der waldige Kolmberg, an dessen Fusse Hubertusburg liegt, woselbst der bekannte Frieden von 1763 den siebenjährigen Krieg beendigte, und nach Norden zeigen sich die Anhöhen von Siptitz bei Torgau, denkwürdig durch die mörderische Schlacht zwischen den Preussen und Oestreichern am 3. November 1760. Die nahe Mühlberger Gegend erinnert an die Schlacht, welche dem Churfürsten Johann Friedrich dem Grossmüthigen Thron und Freiheit kostete.
[30] Das Schloss Hirschstein erfuhr im Laufe der Jahrhunderte mannigfache bauliche Veränderungen, doch steht dasselbe noch auf den uralten Grundmauern, welche vor einem Jahrtausend Kaiser Heinrich emporthürmen liess. Es hat in der Anlage eine auffallende Aehnlichkeit mit den Schlössern Sachsenburg an der Zschopau und Friedland in Böhmen. In demselben befindet sich eine Capelle, worin der Pfarrer des nahen Dorfes Boritz zum kirchlichen Dienste verpflichtet ist. Zum Schlosse gehören die Dörfer Neu- und Althirschstein mit Gosa, ein Vorwerk zu Böhla, Bahra, Kobbeln, Leckwitz, Mertitz, Dennschütz, die goldene Hufe, und Antheile von den Dörfern Marschütz, Nassenböhla, Delmschütz, Ibaniz, Arntiz, Berntitz, Boritz, Garfebach, Glaucha, Lützschnitz, Nimtiz, Nünchritz, Fichtenberg, Ottewich, Weissig, Wuhnitz und das Gut Winndorf. Bei Althirschstein befindet sich eine grosse Elbfähre, auf der man nach dem gegenüberliegenden Merschwitz gelangt. Der Strom kommt aus Süden, schlägt unter dem Schlosse einen Bogen, umfliesst einen ansehnlichen Heger und geht nordwestwärts weiter. Die Hirschsteiner Fluren rainen mit Boritz, Bahra, Ober- und Niederlommatzsch und sind grösstentheils sehr fruchtbar. Bei Althirschstein befindet sich eine Schiffmühle und in Neuhirschstein ein Gasthaus, auch treiben beide Dörfer gleich dem Rittergute etwas Weinbau. Die Zahl der Unterthanen beträgt in 247 Feuerstätten etwa 1600.
Im dreizehnten Jahrhundert besassen das Schloss die Ritter von Hirschstein oder Hersteynn, von denen unter anderen Wigand von Hersteynn in einer Urkunde von 1262 erwähnt wird. Sie trugen das Schloss (vermuthlich seit 1065 durch Kaiser Heinrich IV.) beim Bisthum Naumburg zur Lehn. Die Herren von Hirschstein überliessen das Schloss gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts denen von Carlowitz, doch blieben sie in der Gegend noch längere Zeit begütert, denn im vierzehnten Jahrhundert werden sie als Besitzer von Zabeltitz und einigen andern Edelhöfen genannt. Wie lange die Carlowitze auf Hirschstein sassen ist nicht mit Genauigkeit zu bestimmen, zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts gehörte es bereits der Familie von Haugwitz, aus welcher 1497 Johann von Haugwitz als Herr auf dem Hirschstein genannt wird. Da die Freiberger einen Edelmann des Geschlechts von Carlowitz, welcher an der Elbe ein Schloss besass und der von der Stadt verzellet war, 1493 enthaupten liessen, weil er „aus frevlem Gemüth mit einer gespannten Armbrust durch die Stadt ritt und den regierenden Bürgermeister Jacob zu erschiessen drohte“, so ist die Annahme nicht unwahrscheinlich, dass dieser Edelmann der letzte Carlowitz auf Hirschstein gewesen sei. Nach der Familie von Haugwitz ward im sechszehnten Jahrhundert Johann Gottfried von Kessel mit Hirschstein belehnt, und 1612 gehörte es Hartmann Pistorius auf Seusslitz und Riesa, einem Sohne des berühmten Kanzlers Dr. Simon Pistorius, des ehrwürdigsten Patrioten und gelehrtesten Staatsmannes seiner Zeit, welcher von Herzog Georg dem Bärtigen und Churfürst Moritz in den wichtigsten Staatsangelegenheiten, von Letzterem namentlich bei kirchlichen Fragen, zu Rathe gezogen wurde, vom Churfürsten August 1550 das Gut Seusslitz kaufte und daselbst am 2. December 1562 starb. Von Hartmann Pistorius kam Hirschstein an den reichen, aus den Niederlanden gekommenen und 1606 in Sachsen geadelten Christoph Felgenhauer. Derselbe war Churfürstlicher Kammerrath und Flossdirector, Herr auf Riesa, Radeburg, Emselohe, Branderode und Hirschstein und starb auf dem Schlosse Riesa um das Jahr 1630. Sein gleichnamiger Sohn starb 1679 auf Hirschstein und ihm folgte in dem Besitze der Güter Hans Christoph von Felgenhauer der 1705 mit Tode abging und nicht weniger als zwanzig lebende Kinder hinterliess, wodurch das bedeutende Familienvermögen gänzlich zersplittert wurde. Der älteste Sohn des kinderreichen Mannes, Heinrich Christoph von Felgenhauer, verkaufte Hirschstein 1722 an einen Grafen vom Loss, in dessen Familie das Schloss mit Zubehör geblieben ist bis jetzt. Zur Zeit gehört dasselbe dem Herrn Bogislav Adolph Leopold Grafen von Kleist vom Loss, Königl. Preuss. Regierungsrath.
Auf dem Schlosse zu Hirschstein war es, wo 1291 an einem Sächsischen Fürsten ein schändlicher Mord verübt wurde. Es regierte damals in Meissen Bischof Witigo I., ein Sohn Bernhards von Camenz aus dem alten ritterlichen Geschlechte der Herren von Greifenstein und Vesta. Dieser Prälat war ein Mann von grossen Geistesgaben und ungemeiner Kühnheit, so dass er nach der Versicherung seiner Zeitgenossen den Harnisch viel häufiger trug als das Gewand des Friedens. Es schien, sagen sie, als ob er nicht leben konnte ohne sich mit Mund und Schwert herumzustreiten, und so gerieth er selbst in Zwistigkeiten mit seinen Amtsbrüdern, dem Erzbischof von Magdeburg und den Bischöfen von Brandenburg und Lübeck; ja er wagte es, seinen eigenen Landesherrn und Gönner, den Markgrafen Heinrich den Erlauchten, sowie den Grafen Albrecht zu Brena öffentlich in den Bann zu thun, weil sie sich des Bischofs Eingriffe in ihre landesherrlichen Rechte nicht wollten gefallen lassen, und ihm mit gewaffneter Hand entgegentraten. Ebenso lag er in Fehde mit Friedrich dem Stammelnden (Tutta) einem Enkel Heinrichs des Erlauchten, der ihm jedoch Scharfenberg, Pirna und Stolpen abnahm und diese Schlösser nicht eher wieder herausgab, bis ihm Bischof Witigo eine ansehnliche Summe Geldes zahlte. Man kann sich denken, dass der Bischof einen tiefen Groll gegen Friedrich Tutta fasste, und darauf sann, sich an ihm zu rächen. Als nun der Fürst einst in der Gegend um Hirschstein jagte und auf dem Schlosse seine Wohnung nahm, gewann der erbitterte Bischof gegen grosse Versprechungen einen Diener auf dem Hirschstein, welcher sich verpflichtete, den unglücklichen Markgrafen zu vergiften. Die Schandthat gelang. Als Friedrich an einem heissen Tage aus dem Walde nach dem Schlosse zurückkehrte, setzte ihm der bestochene Diener einen Teller mit schönen rothen Kirschen vor, die mit starkem Gifte bestreut waren. Der Markgraf verzehrte die dargebotene Erfrischung und war bald darauf eine Leiche.
Schloss Hirschstein hat, wie schon erwähnt wurde, eine eigene Capelle in der bei den Ueberschwemmungen der Elbe in den Jahren 1776, 1777, 1784 und 1799 der Gottesdienst für die Gemeinden gehalten werden musste, welche, wie die Dörfer Alt- und Neuhirschstein in die Kirche zu Boritz eingepfarrt sind. Diese Kirche, welche unter Collatur des jedesmaligen Dompropstes vom Stifte Meissen steht, ist sehr alt, denn schon im Jahre 1259 hatte Boritz unter dem Namen „Boruz“ seinen eigenen Pleban, und bereits 1269 stand die Collatur dem Meissner Dompropste zu. Von 1772 bis 1796 versah das hiesige Pfarramt der um Sachsens Geschichte vielfach verdiente M. Ursinus, welcher ein mühsam ausgearbeitetes historisches Manuscript zum Schutze gegen Feuersgefahr in einem unterirdischen Gewölbe der Kirche verbarg, wo es leider bei der Ueberschwemmung der Elbe 1784 durch das einströmende Wasser vernichtet wurde. Die Kirche zu Boritz, welche für die angewachsene Zahl ihrer [31] Besucher nicht mehr hinreichenden Raum darbot, wurde vom September 1754 bis zum Sommer des nächsten Jahres neu aufgebaut, so dass am 2. August darin zum ersten Male Gottesdienst gehalten werden konnte. Aus dem alten Gotteshause nahm man den Altar in das neue herüber, auch liess man den alten im Verhältniss zur neuerbauten Kirche viel zu niedrigen Thurm stehen. Im Jahre 1767 wurde hier eine Giftmischerin, Johanne Regine Günther aus Löthain hingerichtet, welche funfzig Personen vergiftet hatte. – Das Dorf Boritz, welches in Ober- und Niederboritz, oder auch Alt- und Neuboritz eingetheilt wird, ist Präbende des jedesmaligen Dompropstes zu Meissen. Ehedem erstreckten sich sämmtliche Gehöfte und Wohnungen an den Ufern der Elbe hin, die Ueberschwemmungen des Stromes nöthigten aber den grössten Theil der Einwohner ihr Obdach weiter von demselben aufzuschlagen, und so entstand für diesen aufgebauten Dorftheil der Name Neuboritz. Nur die Kirche, Pfarre und Schule nebst einigen Bauergüter stehen noch auf ihren ursprünglichen Stellen.
Dallwitz, ein von den Slaven angelegtes Dorf, liegt etwa eine und eine halbe Stunde entfernt von der Stadt Grossenhain, am Ufer des Naunhofer oder Lenzer Baches, dicht bei den Dörfern Lenz und Döbritzchen. Der Name Dallwitz bedeutet soviel als ein entfernt liegendes oder an der Grenze erbautes Dorf.
Das Rittergut, in dessen Nähe das Dorf Dallwitz mit drei Bauergütern, einer Mahl- und Schneidemühle nebst einigen Drescherwohnungen liegt, gehörte in den ältesten Zeiten der reichbegüterten Familie von Nischwitz, die es noch im sechszehnten Jahrhundert besass. Abraham von Nischwitz wird 1575 als ein sehr frommer um die Kirche des nahen Dorfes Lenz sehr verdienter Mann erwähnt. Von ihm kam das Gut an die Herren von Milkau, von denen Hiob von Milkau 1612 ein Ritterpferd zum Defensionswerke stellte. Die Milkaus verkauften Dallwitz um 1670 an den Oberconsistorialpräsidenten Gottfried Hermann von Beichlingen auf Zschorna, der es seinem Sohne, dem bekannten Grafen Wolfgang Dietrich von Beichlingen, Churfürstlich Sächsischen Oberkanzler und Premierminister hinterliess. Dieser Herr war der Schwager der schönen Sibille von Neitschütz, der Geliebten des Churfürsten Johann Georg IV. von Sachsen, und befand sich eben am kaiserlichen Hofe in Wien um die Gräfin von Rochlitz, zu welchem Range der Churfürst Sibillen von Neitschütz erhoben hatte, durch den Kaiser Leopold in den Reichsgrafenstand erheben zu lassen, als er die Nachricht von dem Tode seiner Schwägerin erhielt, die an den schwarzen Blattern erkrankt und schnell gestorben war. Wenige Tage nach Sibillens Tode starb auch der Churfürst, der mit Gewalt von der Leiche seiner Geliebten entfernt werden musste, an derselben schrecklichen Krankheit. Trotz des merkwürdigen Prozesses, in den die Verwandten der verstorbenen Gräfin von Rochlitz nach deren Tode verwickelt und zum Theil bestraft wurden blieb der Kanzler von Beichlingen bei des Churfürsten Johann Georg IV. Nachfolger, August dem Starken, in Gnaden, und genoss seines Fürsten Vertrauen in so hohem Grade, dass er eine unumschränkte Gewalt besass und Alles sich vor ihm beugte. In diesen glänzenden Verhältnissen blieb der zum Reichsgrafen erhobene Minister von Beichlingen bis zum Jahre 1703, wo er gemeinschaftlich mit seinem Mignon, dem Bürgermeister Romanus zu Leipzig in Ungnade fiel und auf die Festung Königstein gebracht wurde.
Das Aufsehen, welches des allmächtigen Ministers Fall verursachte, erstreckte sich über ganz Deutschland. Jetzt zeigte es sich, dass der gestürzte Günstling mehr gefürchtet als beliebt gewesen war, und von allen Seiten erhoben sich seine Feinde, um gegen ihn die schmachvollsten Vorwürfe auszusprechen. Die Churfürstliche Kanzlei selbst publicirte ein Manifest, welches die schwersten Beschuldigungen enthält. Es waren namentlich zwölf Punkte wegen deren man ihn verdammte. Er sollte zu den Sechspfennigern Consilia gegeben, den Profit aber behalten haben, Falschmünzer gewesen sein, Gelder nicht an den Kaiser bezahlt, sondern unterschlagen und Heyneswerde zu verkaufen beabsichtigt haben. Weiter wurde ihm vorgeworfen, er hätte falsche Blanquets und Vollmachten ausgestellt, des Landesherrn Petschaft nachstechen lassen, hoher Potentaten Schreiben an den König nicht abgegeben, Moskowitische und Dänische Gesandte verächtlich tractirt, den Prinzen stehlen und Selbigen an Churbaiern liefern wollen, ohne des Landesherrn Erlaubniss den Hugenotten das Exercitium Religionis einräumen wollen auch Incandation verübt und gegen Personen vorgehabt, sowie Staatsgelder an sich gezogen, und solche alsdann dem König geliehen. Eben so wurde ihm der Vorwurf gemacht, er hätte auf seinem Grafenwappen einen Fürstenhut geführt, statt des Landesherrn Unterschrift die seinige gebraucht, endlich einen Stammbaum anfertigen lassen, worin er nachweisen wollen, dass seine Vorfahren aus dem Wittekindischen Stamme und Sächsischen Hause entsprossen seien, und ausserdem noch eine [32] Menge Verbrechen begangen von denen jedes einzelne den Tod verdiente. Auch an Spottgedichten der gemeinsten Art fehlte es nicht. In einem derselben heisst es:
Wo ist nun deine grosse Pracht!
Wo bleiben deine Pfeifer?
Die dir so lustig aufgemacht,
Wo sind die vielen Läufer?
Mich däucht, man wird nun hören dich
Anstatt der sechs Trompeter
Anstimmen also jämmerlich:
Ein stetes Ach und Zeter!
An diesem Haman kann sich noch
Ein jeder Höfling spiegeln,
Dass er nicht steige allzuhoch
Mit seinen stolzen Flügeln.
Sonst wird er auch so kahl bestehn
Wie dieser arme Teufel
Und in den Kerker müssen gehn
Daran ist gar kein Zweifel.
Der unglückliche von der Höhe seiner Macht herabgestürzte Günstling starb in einem Kerker der Festung Königstein in seinem siebenundvierzigsten Jahre am 12. August 1713.
Nach des Ministers Tode besassen Dallwitz dessen zwei Söhne. Einer seiner Brüder, der Königlich Polnische und Churfürstlich Sächsische Oberfalkenmeister, Kammerherr und Oberst Gottlob Adolf Reichsgraf von Beichlingen starb auf dem Schlosse zu Dallwitz, und liegt in der Kirche zu Lenz begraben. Seine Gemahlin, Elisabeth Juliane Philippine von Haxthausen, vermählte sich später mit einem Freiherrn von Seyffertitz, und liess ihrem ersten Gatten ein schönes noch vorhandenes Denkmal setzen.
Um das Jahr 1760 gehörte Dallwitz dem Hof- und Justizrath von Schmidt, von dem es 1768 ein Baron von Kessinger erkaufte, der das Gut jedoch nur bis 1771 behielt, und nicht hier sondern in Grödel wohnte. Von ihm kam Dallwitz an den Churfürstlich Sächsischen Holzverwalter und Hoftrüffeljäger, Hans Sigismund von der Pforte, der zugleich auch Unterkommandant der Festung Königstein war. Nach dessen Tode gehörte das Gut eine kurze Zeit einem seiner Söhne, Alexander Sigismund von der Pforte, der es an Gustav Adolf Görne verkaufte. Von diesem Herrn kam Dallwitz an den jetzigen Besitzer Herrn Eduard von der Becke.
Seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts war das nahe Dorf Döbritzchen stets mit Dallwitz vereinigt. Ein Wallgraben und etwas Grundgemäuer deuten an, dass einst hier ein Schloss stand, welches, wie aus einigen Kennzeichen zu schliessen ist, durch Feuer vernichtet wurde. Im sechszehnten Jahrhundert gehörte Döbritzchen, wie Dallwitz den Herren von Nischwitz, 1618 Hans Friedrich von Schleinitz und später dessen Wittwe, von welcher es an einen Herrn von Poigk überging. Dieser verkaufte das Gut an den Oberconsistorialpräsidenten von Beichlingen und seit dieser Zeit blieb es stets mit Dallwitz vereinigt. Der Sage nach soll Döbritzchen einst durch Feuer eingeäschert und das Feld mehrerer nicht wieder aufgebauten Bauergüter zum Rittergute geschlagen worden sein. Das Schloss hatte einst eine Capelle, in welcher der Lenzer Pfarrherr den Kirchendienst verrichtete, auch steht dem Rittergute Döberitzchen eigentlich das Patronat über Kirche und Schule zu.
Dallwitz und Döberitzchen sind nebst den Ortschaften Altleis, Neuleis, Geisslitz mit Kleingeisslitz, Zschauitz und Mülbitz in die Kirche des nahegelegenen Dorfes Lenz eingepfarrt. Dieselbe wurde in den Jahren 1700 und 1701 neu erbaut, und ist ein zwar einfaches aber stattliches und geräumiges Gotteshaus. Auf dem Fussboden der Kirche befinden sich noch eine Anzahl alter mit verwischten Inschriften versehener Grabsteine, und unter den Monumenten zeichnet sich namentlich das des Oberfalkenmeisters etc. Reichsgrafen von Beichlingen aus, welches ihn in Lebensgrösse und im vollen Schmucke seiner hohen Stellung zeigt, worunter sich eine rühmende Inschrift befindet. Ausser andern Legaten besitzt Lenz auch eins vom Jahre 1614, hundert Gülden stark, welches von einem Schuhmacher aus Dahlen, Johann Jacob Alber herrührt, der in der Nähe von Lenz verunglückte und von den Einwohnern dieses Ortes freundlich aufgenommen und verpflegt wurde. Aus Dankbarkeit übergab er dem Rathe zu Grossenhain eine Summe von hundert Gülden mit der Bestimmung, den Armen in Lenz alljährlich einen Gülden der Zinsen zu überweisen. Dieser Gülden wird noch jetzt ausgezahlt.
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