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Athen (Meyer’s Universum)

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XX. Eaton Hall in Cheshire Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XXI. Athen
XXII. Die grosse Terrasse in Brighton in England
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ATHEN,
von den Ruinen des JUPITER-TEMPELS aus.

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XXI. Athen.




Wir betreten geweiheten Boden. GriechenlandAthen sind für jeden edlern Menschen heilige Namen! –

Zwei Völker strahlen am Firmamente der Geschichte der Menschheit als Sterne erster Größe. Es sind die Stifter und die Erhalter jener Kultur, deren Früchte die Gegenwart genießt und welche den Geschlechtern der fernsten Zukunft noch reiche Aerndten verheißt. Die Griechen und die Römer sind diese Völker. Das edle Gewächs der Civilisation, – die Letztern hatten es sich angeeignet, bewahrt, gepflegt, als Beherrscher der halben Welt über Europa verbreitet; aber in Hellas war es heimischda hatten jene es gefunden, da hatte es gekeimt, da war es groß geworden und zur schönsten Blüthe entfaltet.

Der Boden, auf dem die Pflanze gedieh, – allein gedeihen konnte, – er war die Freiheit! Kein Volk der Erde besaß je so viel Freiheit, als die Griechen, keins war ihrer so würdig, keins auch hat sie so zu schätzen gewußt. Es war nicht jene Freiheit, die blos in der Verfassung besteht; – jene höhere, reinere, göttlichere war’s, welche des Menschen, der sie erworben, ganze Denk- und Empfindungsweise durchdringt; welche, jeder vorgeschriebenen Entwickelung Feind, keine Kraft, weder der Seele noch des Körpers, unentwickelt läßt; welche jedem Bürger, jeder Gemeinde, jedem Volksstamm selbstständige Ausbildung sichert; welche, als Produkt des Gemisches der von ihr scharf und eigenthümlich ausgeprägten Charaktere, die schaffende, gewaltige Regsamkeit, die Vielseitigkeit und das stolze Selbstgefühl erweckt, das rastlose Streben Aller nach Veredlung und Vervollkommnung hervorbringt, – kurz, alle die Eigenschaften, welche wir im Volke des alten Hellas anstaunen und bewundern, aber entmannt und gefangen im Labyrinthe der Vorurtheile und des Wahns, uns unmöglich aneignen können. –

Unter allen griechischen Freistaaten war Athen derjenige, in welchem das Licht ächt-menschlicher Geistesbildung am hellsten, am freundlichsten und am längsten leuchtete. Diese alte Metropole des Reiches der Kunst und des Wissens führt ihre Entstehung in die Fabelzeit des Cekrops, eines Colonistenhäuptlings aus Aegypten (1500 Jahre vor Christo) zurück, der auf dem Felsen der heutigen Akropolis sich eine Burg erbaute, welche, so wie die werdende Stadt an ihrem Fuße, den Namen Cekropia erhielt. Später verwandelte sich dieser, zu Ehren der Schutzgöttin des Orts, der Minerva, die bei den Hellenen Athenǎ hieß, in denjenigen, welchen sie noch trägt. Einige Jahrhunderte [46] lang war die Stadt auf den Umfang des Felsens eingeschränkt, der die Ebene überragt; später überbaute man diese und von jener Zeit an unterschied man die Akro- und Katopolis als obere und untere Stadt. Als Athen an Einwohnerzahl, an Macht und Größe immer mehr zunahm, wurden (es liegt vier Stunden vom Meere) durch ungeheure Mauern die Häfen Piräus, Munychia und Phalerus mit ihm vereinigt.

Die Geschichte Athens zerfällt in drei Hauptperioden. Die erste reicht von den ältesten Zeiten bis zum Perserkriege. – 300 Jahre lang nach seiner Erbauung, unter des Cekrops Nachfolgern, unumschränkten Königen gehorchend, erhielt es durch Theseus die Grundlage seiner nachherigen republikanischen Verfassung. Gleichwohl hießen die Regenten des Staats noch eine Zeitlang Könige, bis nach des tugendhaften Codrus Aufopferung (1070 vor Christo) die Königswürde, der nach ihm keiner sich werth glaubte, abgeschafft und die Regierung dem Wahl-Rathe der Archonten anvertraut wurde. Innere Zwistigkeiten, Ursache der Bedrückungen der Geldaristokraten, brachten Athen an den Rand des Verderbens; neu geboren und kräftig erhob es aus dieser gefährlichen Lage sein Bürger Solon, dessen Name unter den Edelsten und Weisesten aller Zeiten glänzt. Er gab den Atheniensern die freieste Verfassung und Gesetze (um 590 v. Chr.) welche, die reinste Humanität athmend, das Glück seiner Mitbürger auf späte Zeiten begründeten und deren bildender Geist auch dann noch segnend fortwirkte, als der Einfluß der Zeit und die Stürme des Kriegs die Formen seiner Verfassung längst zerschlagen hatten. – Noch zu Solon’s Lebzeiten warf sich zwar Pisistratus, der Häuptling einer der durch den Weisen versöhnten Bürgerparteien zum Alleinherrscher auf; aber klug achtete er die republikanischen Formen und Gesetze, und schon unter der Regierung seiner Söhne, von denen der eine erschlagen wurde, der andere, vertrieben, zum Perserkönige Darius floh, gelangten die Athenienser wieder zum Genuß der vollen Freiheit. – Athen erhob sich zur ersten Stadt in Attika. Künste und Wissenschaften blüheten auf, der Handel bereicherte seine Einwohner und vermehrte seine Macht. Es baute Flotten und durch seine Colonieen und Faktoreien an den Küsten des mittelländischen Meeres legte es die Keime der griechischen Kultur im ganzen Abendlande.

Aber jetzt erhob sich im Osten ein Kriegswetter, welches Athen, das Griechenvolk und seine Kultur zu vertilgen drohte. – Das größte damalige Reich der Erde, vom unumschränkten Willen eines Einzigen bewegt, stand in Waffen, um eine Schmach zu rächen, welche ihm republikanischer Uebermuth der Athener zugefügt hatte. Diese hatten einen Aufstand der griechischen, persischer Botmäßigkeit unterworfenen Pflanzstädte in Kleinasien unterstützt, die Boten Persiens, welche Genugthuung forderten, beschimpft und verhöhnt; eine neue Gesandtschaft, welche dem Völklein als Buße Unterwerfung befahl und von ihm, als Zeichen derselben, Erde und Wasser forderte, in stolzem, gräßlichen Hohne, ersäufen und lebendig begraben lassen. Darius Hystaspes entsendete seine Myriaden über [47] den Hellespont, Vertilgung den Hochmüthigen und der ganzen Stammverwandtschaft schwörend. Der persische Krieg hatte begonnen.

Mit ihm hebt die zweite der drei Hauptepochen der atheniensischen Geschichte an. Sie reicht von 584 bis 450 v. Chr. – bis auf Perikles. Es ist die Zeit der höchsten Gefahr, des höchsten Ruhms, der höchsten Glorie für Athen und ganz Hellas. – Es gibt gewiß überhaupt keinen erhebendern Anblick, als den eines kleinen Volkes, das mit Heldenmuth und Todesverachtung für sein köstlichstes Gut, die Freiheit, gegen äussere Uebermacht kämpft; aber im ganzen Laufe der Weltgeschichte zeigt kein Kampf dieser Art ein so ungeheures Mißverhältniß zwischen den Kräften der Streitenden, eine so erhabene Begeisterung, solche Ausdauer und Beständigkeit von Seiten der Schwächern und in keinem war an seine Entscheidung eine so unermeßliche Folgenreihe geknüpft. Was wären wir, was Europa jetzt, hätten die Perser gesiegt, die Pflanze der griechischen Kultur bei ihrem ersten Knospentreiben mit dem Volke selbst ausgerottet, und die Abendländer mit ihren Heeren überzogen? „Alsdann,“ sagt unübertrefflich der größte Historiker unserer Zeit, „hätte kein Phidias und kein Praxiteles den Marmor beseelt, kein Pindar hätte durch hohe Gesänge entzückt, kein Euripides süße Thränen entlockt. Kein Herodot, kein Xenophon hätte mit ferntönender Stimme große Thaten verkündet, kein Plato, kein Aristoteles hätten Schätze der Weisheit gegraben, kein Sokrates, kein Epaminondas durch hohe Tugend geglänzt. Die schönsten Vorbilder freier Verfassungen wären, bevor sie Früchte trugen, von der Erde verschwunden, und der damals noch rohe, wilde Römer – wäre er aufgekommen gegen die Persermacht – hätte keine Sänftigung durch der griechischen Muse Lied, keine Milde durch griechische Kunst und Wissenschaft und Sitte erhalten. Wohl hätte er dann die Erde erobern, aber nicht civilisiren mögen und – es wäre denn, daß ein freundliches Geschick auf einem ganz andern Wege, doch immer viel später, dieß Wunder gewirkt – selbst die neuere Kultur, die mit der alten, ungeachtet der zwischen Beiden gelegenen Nacht, durch so viele und so innige Bande zusammenhängt, wäre nicht entstanden. So Vieles lag daran, daß bei Marathon und bei Salamis und bei Platäa die Freiheit siegte.“

Aber auch, wäre gar kein Krieg der Perser gewesen – so setzen wir mit ihm hinzu, – hätte die gemeinsame Gefahr die Griechen nicht zur Vereinigung gezwungen, die Flamme der höchsten Begeisterung und der heldenmüthigsten Resignation alles Irdischen, des unbeugsamsten Selbstgefühls bei ihnen entzündet und jede menschliche Kraft in höchster Potenz entfaltet, dann hätten sie das Größte nicht geleistet und wohl nur langsam, vielleicht niemals, die Bahn des Ruhmes erfüllt, deren Schranken sich jetzt für sie aufthaten. – Sichtbar lenkte eine solche Verkettung der Umstände für den höchsten Zweck der Menschheit der Arm der ewigen Weisheit! –

Dem Heere des Darius, zur Züchtigung und Unterjochung Griechenlands gesendet, gingen Schrecken und Entsetzen voraus. Die Völker Thraciens, Macedoniens, Thessaliens unterwarfen sich – siegesstolz betraten die [48] Perser das kleine Attika. Widerstand mit Erfolg schien unmöglich; Furcht und Muthlosigkeit ergriff die hülflos preisgegebenen Gemeinden an den Marken; manche bot, Verderben abzuwenden, schon freiwillig zum Joch sich dar. In diesem kritischen Momente erhob sich Athen. Höchster Begeisterung voll, wenn Sieg nicht möglich, doch frei zu sterben entschlossen, zogen alle seine Bürger, 9000 an der Zahl aus, dem zwanzigmal stärkern Feinde, und, aller menschlichen Berechnung nach, dem sichern Tode entgegen. Das große Beispiel weckte in Platäa und andern Städten Attika’s gleichen Heldenmuth. Bei Marathon traf der Griechen kleine Schaar auf des Darius zahlloses Heer. Miltiades, der athenische Feldherr, griff die erstaunten Perser an und deren vollständige Niederlage bewies, daß die Gewalt hoher, feuriger Begeisterung zuweilen vermag, was der berechnende Verstand nie wagen darf; und die moralische Kraft undisciplinirter Haufen im Kriege gegen die physische Uebermacht wohltressirter Massen manchmal Wunder thun kann. – Der Sieg bei Marathon, der schönste den jemals ein Volk errungen und dessen Ruhm den Athenern fast ausschließlich gebührte, war der strahlende Anfang jener Reihe von Großthaten, welche die Griechen in ihrem ewig denkwürdigen, langen Kampfe mit den Persern verherrlicht haben. Seine erste Frucht war eine kurze Waffenruhe; doch war vorauszusehen, daß die Perser die Schmach der Niederlage furchtbar zu rächen mit um so größerer Macht wiederkommen würden. Bald wälzten sich auch die ungezählten Schaaren des Xerxes, Darius Nachfolgers, dräuend heran. Sieben Tage und Nächte währte der Zug der Krieger, welchen das große Reich gegen das kleine Griechenland aussendete, über die Brücke, die der Perserkönig über den Hellespont geschlagen; einen Monat dauerte der Zug des Trosses und Heergeräths. Eine ungeheure Flotte, größer als sie je das Meer getragen, folgte den Bewegungen der Landmacht. Nie, zu keiner Zeit, weder früher noch später, hat man wieder von einem solchen Zuge gehört, der groß genug schien, die Welt zu erobern, aber zu klein war, ein Heldenvolk, das für seine Freiheit in den Tod zu gehen bereit ist, zu unterjochen. Langsam ergoß er sich in die Fluren Thessaliens Verwüstung, Mord und Entsetzen, die Begleiter seiner Schritte. Am Oeta führt ein enger Gebirgspaß von Thessalien nach Attika; – die Thermopylen. Ich schweige von des Leonidas und seiner dreihundert Spartaner That, der für alle Zeiten gepriesenen, gethan an dieser Pforte des alten Hellas. Jeder weiß sie. O, ihre Wirkung war größer, als die des glorreichsten Sieges! Vergebens überschwemmten die Perser Hellas. Die Mauern seiner Städte mochten sie wohl brechen, aber nicht den Heldensinn des griechischen Volkes. Als großes Beispiel für alle in gleicher Lage faßten die berathschlagenden Bürger Athens den Entschluß, ihre Häuser, Tempel, die Gräber ihrer Vorfahren zu verlassen, sich aus der unhaltbaren Stadt auf ihre Schiffe zurückzuziehen und dort, mit den andern hellenischen Geschwadern vereinigt, zu berathen, was zur Rettung des Vaterlandes zu thun sei. Greise, Weiber und Kinder, die zurückblieben, dem Tode geweiht, wurden von den Persern erwürgt; Athen selbst verwüstet und verbrannt. Herrlich lohnte sich diese heldenmüthige Aufopferung den Griechen, unter Themistokles Leitung, durch den großen Seesieg bei [49] Salamis, der den Perserkönig mit solchem Entsetzen erfüllte, daß er Griechenland mit dem größten Theil seiner Macht eiligst verließ, seinen Feldherrn Mardonius mit 200,000 Mann im Lande, zu dessen Verwüstung beauftragt, zurücklassend. Die Vernichtungsschlacht bei Platäa befreiete bald darauf Athen und Griechenland auch von dieser Gefahr und gab ihnen die ganze Beute der Perser zurück, zugleich Schätze in Menge und unermeßliches Heergeräth.

Jetzt veränderte sich der Charakter des Krieges. Es war nicht länger ein Vertheidigungskrieg für die Griechen; er wurde nun ein Angriffs- und Rachekrieg. Auch in diesem war Athen die Seele und spielte es die Hauptrolle. Befreiung aller griechischen Colonien in Kleinasien von persischer Herrschaft, Vertreibung der Perser von allen Inseln des mittelländischen Meeres, gänzliche Vernichtung ihrer Seemacht, Unfähigmachen derselben für immer zu künftigen Angriffen auf Griechenland, war der Zweck des kleinen Freistaatenbundes und er wurde unter der Anführung der Athenienser Aristides und Cimon glorreich errungen. Der Friede, den letztgenannter Feldherr mit Artaxerxes Longimanus, der Sohn jenes Xerxes, welcher ganz Hellas Fesseln zugedacht, schloß, sicherte allen im Umfange seines großen Reichs gelegenen griechischen Colonien völlige Freiheit und Unabhängigkeit zu; kein persisches Kriegsschiff sollte mehr in den griechischen Gewässern erscheinen, kein persischer Heerhaufe sich auf drei Tagereisen den Ionischen Küsten nahen. So endete nach 50jähriger Dauer ein Krieg, für die Hellenen der gefahr- und ruhmvollste, der je zwischen Volk und Volk auf Erden gekämpft worden.

Den Athenern, als es Todesgefahren zu bestehen und Alles aufzuopfern galt, stets die Vordersten in diesem Kriege, wurde auch der reichste Antheil an seinen Früchten. Die unermeßliche Perserbeute machte sie reich, und bald stieg die Stadt der Minerva wieder weit schöner, größer, prächtiger aus ihrem Schutte hervor, als sie früher gewesen. Athens schönste Blüthenzeit hatte begonnen. Die reichen Bürger, mit der Kraft und dem Selbstgefühl der Helden, strebten jetzt nach höhern Dingen. Themistokles, der Sieger von Salamis, im Bürgerrathe der Erste, wie er es im Kriege gewesen, vereinigte den dritten Hafen Phalerus mit Athen und führte die von den Persern niedergestürzten Mauern, welche die Stadt mit jenen in Verbindung setzten, von so ungeheurer Stärke neu auf, daß die Trümmer noch nach Jahrtausenden als Cyklopenwerke erscheinen. Zwei Wagen konnten sich auf ihrer Stirne ausweichen, so breit waren sie. Der Handel, die Seemacht Athens erreichten eine kaum glaubliche Größe. Mit jenem in gleichem Verhältniß wuchs die Stadt, die Zahl ihrer Einwohner. Alle Länder des mittelländischen und schwarzen Meeres, an deren Küsten sie, oder ihre Verbündeten, die Herren spielten, ergossen die Schätze des Verkehrs in die Hauptstadt Attikas, jetzt, neben Tyrus und Carthago, der größte Stapelplatz der damals bekannten Erde. Tempel, Amphitheater, Rennbahnen, die herrlichsten Gebäude für öffentlichen Unterricht, erhoben sich mit unübertroffenem Geschmack und gleich unübertroffener Pracht in allen Theilen der Stadt. Die Küste rings umher war mit Gebäuden bedeckt, deren Glanz mit denen der Stadt wetteiferte. Die Akropolis wurde unter dem Primat des Perikles eine [50] Stadt von Tempeln, und selbst die sie umgebenden Werke kriegerischer Abwehr wurden, mit unerhörter Verschwendung von Blöcken des kostbarsten Marmors und mit den herrlichsten Werken der Bildhauerkunst geschmückt, aufgeführt. Sie schlossen das Erhabenste, Vortrefflichste ein, was die bildende Kunst unter irgend einem Volke und zu irgend einer Zeit hervorgebracht hat. Hier stand das Parthenon, oder der Tempel der Minerva, dieses Gebäude, welches noch in seinen Trümmern, (die auf unserm Bilde, die Festungsmauern überragend, sichtbar werden) die Bewunderung der Welt ist; in ihm die Bildsäule der Minerva von Phidias, dem Homer der Kunst, nebst seinem Jupiter, das erhabenste Werk der Bildhauerei aller Zeiten, von Elfenbein gebildet, 46 Fuß hoch, ganz mit gediegenem Golde, für mehr als eine Million Thaler an Werth, überzogen. – Das Parthenon hatte sich bis vor anderthalb Jahrhunderten fast unversehrt erhalten. Im Kriege der Türken mit den Venetianern diente es erstern zum Pulvermagazin; eine Bombe sprengte es in die Luft und hinterließ nichts als die herrliche Trümmer.

Die Propyläen, majestätische Säulenhallen von Phrygischem Marmor, von denen noch 6 Colonnen, zum Theil vermauert, zum Theil außerhalb der Mauern (vergl. den Stahlstich) aus tiefem Schutte sich erheben, bildeten zum Parthenon den dem Hauptgebäude würdigen Eingang. Nördlich von diesem (die hintere, die Akropolismauern überragende Ruine auf unserm Bilde) stand das Erechtheum, – ein Doppeltempel, Ionischer Bauart, von Alabaster, – der eine der Minerva Polias, der andere dem Pandrosus geheiligt. Die südliche Fronte dieses bewunderten Gebäudes wurde durch weibliche Säulenstatuen (Caryatiden) von 25 Fuß Höhe, jede aus einem Marmorblock gebildet, getragen, noch jetzt, obschon verstümmelt und durch den 2000jährigen Einfluß der Zeit und der Elemente verwittert, die Bewunderung der Kunst. Auf der vordern Seite der Akropolis, an jedem Ende derselben, standen zwei Theater, das eine von Phrygischem buntem Marmor, das andere aus Alabaster errichtet. Letzteres (das Odeum) war den Singspielen, jenes dem eigentlichen Schauspiel gewidmet und dem Bacchus geweiht. Von beiden ist jetzt keine Spur mehr vorhanden. Noch vor 300 Jahren waren die kolossalen Trümmer Gegenstände des Staunens für alle Reisenden; sie wurden von den Türken bei Aenderung der Festungswerke, welche die Einführung des Geschützes der neuern Kriegskunst nothwendig machte, abgebrochen und als Baumaterial benutzt. Die schönsten Basreliefs, Fragmente der kostbarsten Bildhauerarbeit, sind in den damals aufgerichteten Mauern überall noch sichtbar. In der untern Stadt zeichneten sich zur Zeit des Perikles eine Menge kaum weniger prachtvollen Gebäude aus, von denen aber meistens nur dürftige Anzeichen, – einzelne aus dem Schutte, oder aus neuern Gebäuden hervorragende Säulen, und hier und da Theile von Substruktionen, auf unsere Zeit gekommen sind. Am bemerkenswerthsten sind die Laterne des Demosthenes, ein wunderschöner Tempel, jetzt im Hofe des Kapuzinerklosters stehend und von den Mönchen als Heumagazin benutzt: – vor allen aber das Hauptthor der Minervenstadt, mit seinem herrlichen Portikus, vom Kaiser Hadrian erneuert, das best-erhaltene Bauwerk der atheniensischen [51] Vorzeit – nach 16 Jahrhunderten des Kriegs und der Zerstörung Staunen und Bewunderung jedes Beschauers erweckend. Das Thor ist aus Marmorfelsblöcken von so ungeheurer Größe gewölbt, die Wölbung selbst ist von solcher Kühnheit, die Arbeit so vortrefflich, daß man nicht begreift, wie Menschenhände solches Werk aufrichten konnten. Und wenn nach künftigen Jahrtausenden selbst die Wunderbauten der Akropolis bis zur letzten Spur verschwunden sind, dieses Thor wird noch der erstaunten Nachwelt sagen, wo Athen gestanden. –

Die Hügel außerhalb der Stadtmauern waren mit großartigen Werken der Baukunst, meistens öffentlichen Zwecken geweiht, gekrönt. Die alten Philosophen und akademischen Lehrer pflegten sich bekanntlich nicht in dumpfige Hörsäle einzuschließen, sondern hielten sich am liebsten im Freien auf. Sie lehrten unter freiem Himmel, auf mit Säulenhallen zum Schutz gegen üble Witterung umgebenen anmuthigen Hügeln. Ein solcher war die berühmte Akademie, wo Plato lehrte, das Lyceum, wo Aristoteles Weisheit vortrug, der Hügel des Cynosarges, des Stifters der Cynischen Schule und andere mehre. – Andere Partien der reizenden Umgebungen der Stadt dienten zu politischen Versammlungen und waren mit angemessenen Gebäuden im erhabensten Style geziert. Hierher gehören der Hügel des Areopagus, (jetzt der Begräbnißplatz der Türken) wo der oberste Rath der Richter seine Entscheidungen aussprach; das Haus des Senats, das Pyrtaneum, der Pnyx, eine Anhöhe, auf welcher das freie Volk von Athen seine Urversammlungen hielt und rathschlagte. Von allen diesen Gebäuden und Hallen sind nichts oder nur halb vergrabene, aus Gestrüpp und Dornen hervorragende, zerschlagene Säulen und Fragmente von den verschiedensten Bildhauerarbeiten, die zu ihrer Verzierung dienten, übrig; von vielen ist selbst der Ort, wo sie gestanden, ungewiß. Am besten erhalten ist der Pnyx, der Versammlungsort des Volks. Noch sieht man den im Fels gehauenen Rednerstuhl, die Sitze der Schreiber, und an den Enden die Sitze derjenigen Beamten, welche Stillschweigen geboten und über Anstand und Ordnung bei den Berathungen zu wachen hatten. Keins aller übrigen Denkmäler des Alterthums außerhalb der Stadtmauern fesselt aber so sehr das Auge und erregt Staunen und Bewunderung in solchem Grade, als die, einen Hügel ½ Stunde von der Stadt krönenden Trümmer des Tempels des olympischen Jupiter. Dieses weltberühmte Gebäude, der Stolz der Athener und das größte Meisterwerk der Architektur, übertraf alle übrigen, das Parthenon selbst nicht ausgenommen, an Pracht und an Schönheit. Unermeßliche Summen wurden fünf Jahrhunderte hindurch (erst zur Zeit Hadrians wurde der Ausbau vollendet) auf seine Vergrößerung und Verschönerung verwendet. Es wurde getragen von 120 kanellirten Säulen aus parischem Marmor, jede 60 Fuß hoch und 6 Fuß im Durchmesser haltend. Den geheiligten Boden umzog eine Mauer aus Marmorblöcken, nach innen eine runde Säulenhalle von unendlicher Schönheit darstellend. Das ganze Gebäude hatte über eine halbe Stunde im Umfang. Auf seiner Zinne stand die berühmte Statue des olympischen Jupiters, 60 Fuß hoch, gleichfalls von Phidias aus Gold und Elfenbein gebildet. Das Innere des Tempels schmückten [52] die schönsten Gemälde und Statuen der größten Meister Griechenlands. Von diesem Wunderwerke (dessen Ueberreste unser treffliches Bild auf das Treueste vergegenwärtigt), stehen jetzt noch 16 Säulen aufrecht; Trümmer anderer Bruchstücke von Capitälern und Verzierungen liegen umher; einzelne Fußgestelle, mit Gras und rankigem Gestrüpp überwachsen, sind noch sichtbar; aber von den zahllosen Bildwerken, die ihn schmückten, ist keine Spur mehr vorhanden. – Besser erhalten ist der Tempel des Theseus – an dem in neuester Zeit die Baukunst in Wien und München sich in Nachbildungen versucht hat. – Vom herrlichen Pantheon, dem allen Göttern geheiligten großen Tempel, ist fast nichts mehr übrig; eine Copie desselben ist das Pantheon zu Rom. –

Wir kehren zurück zu dem Versuche der gedrängtesten Darstellung der Lebensschicksale des Volks, das so Herrliches geschaffen; wenige Züge werden für unsern Zweck genügen.

Die Perserkriege hatten, wie wir gesehen, Athen auf den Gipfel der politischen Größe erhoben und zum Besitz unermeßlicher Reichthümer gebracht. Sein Einfluß gebot in ganz Attika, sein Glanz stellte die übrigen griechischen Freistaaten in Schatten; selbst der Spartaner Ruhm wurde durch den Athens überstrahlt. Alles dieß erregte den Neid der übrigen Stämme eines Volks auf, das mit dem erhöhten Gefühl der Kraft auch unbändigere Leidenschaften bekommen hatte. Collisionen der Interessen entstanden, und als allmählich unter dem Einfluß des durch den Reichthum geschaffenen Luxus die republikanischen Tugenden der Selbstverleugnung und reinen Vaterlandsliebe mehr und mehr verdrängt wurden, führte, in den Verhältnissen der Freistaaten zu einander, eine von der Selbstsucht geleitete gemeine Politik die Zügel. Intriken entspannen sich, Spaltungen entstanden, die Furie der Zwietracht entzündete endlich die Fackel, welche in dem Lande der Solone, Miltiades, Leonidas und Aristides einer fast ununterbrochenen Reihe innerer Kriege leuchtete, in welchen das Herzblut der Griechen, das Mark ihrer Kräfte bis zur Erschöpfung dahin strömte, und die ihren Untergang vorbereiteten. Mit diesem, dem großen Peloponnesischen Kriege, in welchem Athen und Sparta um das Primat Griechenlands stritten, beginnt die dritte und letzte Epoche der Geschichte Athens als Staat; sie wird durch die Eroberung und Zerstörung von Korinth durch die Römer (146 Jahre vor Chr.) von welcher Zeit an ganz Hellas bis zur Auflösung des Reichs durch die Barbaren als römische Provinz erscheint, geschlossen.

Jener Krieg demüthigte Athen, und erhob Sparta auf den Platz, den es eingenommen. Dagegen mußte sich bei des Kampfgeschickes Wechsel Sparta unter Thebens große Männer beugen. Entkräftung war bereits in allen Freistaaten fühlbar geworden, als im Norden, in Macedonien, unter Philipps Zepter, sich ein erobernder Staat bildet, der seine Ausdehnung im schönen Hellas suchte. Die Schlacht von Chäronea (338 v. Chr.) gab ihm die Oberherrschaft über ganz Griechenland. Vergebens waren die Versuche der Hellenen, sich nach Philipps Tode wieder frei zu machen. Sie scheiterten an der Klippe des innern Zwiespalts, und der mächtige Genius des jungen [53] Alexander schlug sie zu Boden. Thebens Zerstörung war dem unruhigen, immer unzufriedenen Griechenvolke ein Warnungsmal vor ähnlichen Versuchen, so lange Alexander lebte. Nach seinem Tode flackerte das Streben nach Freiheit abermals auf. Die meisten Städte Griechenlands vereinigten sich, im achäischen Bunde, zum Kriege gegen Macedonien, als dessen Beherrscher, der jüngere Philipp, im Kampfe mit Rom verwickelt war. Macedonien unterlag und wurde römische Provinz, der achäische Bund von den siegenden Römern anerkannt. Noch einmal genossen die Griechen der Freiheit; aber sie waren ihrer nicht länger würdig. Den Heldencharakter des Volks hatten Luxus, Verweichlichung, die Laster des Orients, die es auf seinen Kriegszügen kennen gelernt und bis zur höchsten Verfeinerung gepflegt hatte, bis auf wenige Spuren verwischt. Verrätherei und Treulosigkeit gaben den mächtigen Römern bald herrschenden Einfluß in allen Angelegenheiten und Händeln der Griechischen Staaten unter sich und mit dem Auslande. Die Römer, dem Namen nach Bundesgenossen, spielten die Diktatoren. Zu spät erkannten jetzt die Hellenen den Abgrund, in den sie versunken. Zum letztenmale auf 2 Jahrtausende entflammete der alte Geist – das kleine Hellas erhob den Schild gegen das allmächtige Rom. Aber die alte Kraft, die solchem Kampfe eine Möglichkeit des Gelingens geben konnte, war längst dahin. Die Verbündeten, in Corinth eingeschlossen, erlagen der Uebermacht; sie fielen unter dem Schwerdte der Ueberwinder; das herrliche Corinth selbst ging in Flammen auf. Griechenland versank in römische Knechtschaft und sogar sein Name erlosch. Es wurde, unter dem Namen Achaja, eine römische Präfektur.

Hellas hatte politisch aufgehört zu seyn; aber griechische Kunst und griechisches Wissen eroberten jetzt auf den Fittigen des römischen Adlers die Welt. Das Volk der Griechen, das entartete, kroch vor seinen Ueberwindern demüthig im Staube; aber vor dem Throne der Hellenischen Wissenschaft und Kunst beugten die stolzen Sieger das Haupt. Sie verschmäheten es nicht, Schüler der Besiegten zu werden und römische Imperatoren kamen und hörten in den Hörsälen der Philosophen zu Athen die Lehren des Plato und Aristoteles. Von den zahllosen Kunstschätzen wanderten viele, als Weihgeschenke, oder als Trophäen, nach Rom, und von da in die Provinzen des römischen Westens, überall lehrend, bildend, Nacheiferung erweckend. Die griechische Sprache wurde römische Hofsprache, ihre Kenntniß dadurch allen Gebildeten Bedürfniß, und eben dadurch Geschmack an griechischer Literatur überall geweckt und genährt. Athen war zur Hochschule des Wissens für das römische Weltreich geworden. Als solche erhob es sich noch einmal, unter Hadrian und den beiden Antoninen, in Herrlichkeit. – Aber diese verging schnell und nun für immer, als die Glorie des Römerreichs selbst zu erbleichen anfing, in deren Strahlen Athen allein noch glänzen konnte. Der gänzliche Verfall der Sitten und der Kunst in Italien, die sich von da an datirende Unfähigkeit, Höheres selbst hervorzubringen, veranlaßte Verschleppungen der herrlichsten athenischen Denkmäler im Großen, und die spätere Ausschmückung Constantinopels, (nachdem es Kaiserresidenz geworden), mit den Werken griechischer Kunst, half die Plünderung vollenden. Die bald darauf folgenden [54] Einfälle der Barbaren, die Griechenland verheerend durchzogen; – das Christenthum endlich, abhold dem heidnischen Wissen, und dem heidnischen Kultus bis auf die äußern Zeichen seines Daseyns verfolgend, gaben der Stadt der Minerva den Todesstoß. Im fünften Jahrhundert wurden die Schulen der Philosophen in Athen geschlossen, die noch übrigen Tempel in Kirchen verwandelt. Unter wechselnder Herrschaft, bald den Byzantinern, bald den Venetianern, bald den Lateinern, bald Genua unterworfen, konnte sich Athen nie wieder erheben; als es endlich nebst ganz Attika 1456 in türkische Hände fiel, war sein Zustand kaum noch ein Schatten des frühern. Aber erst unter dem vierhundertjährigen Joch der Osmanen erfuhr die Stadt des Theseus, zum Leibgedinge des Harems erniedrigt und der Verwaltung von Eunuchen preisgegeben, die größte irdische Schmach. Kein Gesetz, keine Ordnung bestand mehr, weder für den Gewalthaber, noch für die Unterdrückten. Es gab in Athen keine Bürger mehr, nur noch Knechte der verworfensten Sklaven. Verschnittene, des Harems entmannte, fühllose Wächter, der Menschheit Auswurf, waren ihre Herrscher und deren Laune und Wille die Fäden, an denen der Athener Wohl und Wehe, Leben und Tod hingen. Elende Fristung des Lebens unter Verachtung, unter täglichem niederschlagenden Spott und Hohn, war unter diesem Joche ihr einziges, erreichbares Ziel. – Also stieg jenes Volk, das auf der Bildungsleiter der Menschheit der Staffeln höchste erreicht, anderthalb Jahrtausende lang abwärts, hinunter zum tiefsten Abgrund menschlicher Erniedrigung, Angesichts der rastlos mahnenden Erinnerungsmale seiner einstigen Größe. Die Mythe des Tantalus hat es auf die grauenvollste Weise verwirklicht.

– Aber, wunderbar! es hat durch alle Jahrhunderte der Schmach, aus dem tiefsten Schlamme der moralischen Verwilderung und Verdorbenheit den Funken gerettet, der unter bessern Verhältnissen wieder zur schönen Flamme werden kann. Es gibt keine Römer mehr, aber es gibt noch Griechen. Das Griechenvolk hat im letzten fünfjährigen Heldenkampfe gegen seine Unterdrücker, in einem Kampfe, dem der Ahnherren gegen die Perser ähnlich und an Großthaten wahrlich nicht ärmer! die Würdigkeit seines Namens besiegelt und gezeigt, daß – trotz der entsetzlichsten moralischen Ausartung – der Heroengeist nicht von ihm gewichen. – Hellas Volk steht wieder da, selbst eine Trümmer, fürwahr! aber – eine Trümmer wie die des Jupitertempels auf dem olympischen Hügel, ehrfurchtgebietend und voll Hoheit. Wer, der in den Thaten, welche dieses Volkes Verzweiflungskampf gegen die gesammte Macht der Osmanen verherrlichen, den Maaßstab der Kräfte sucht, die in ihm schlummern, wer möchte vorbestimmen, welche Rolle ihm in der Bildungsgeschichte der Menschheit dereinst noch beschieden?

Athen ist jetzt nur noch ein Haufe meist verödeter Hütten unter Ruinen mit kaum 1000 armen Einwohnern. Es ist zur Metropole des neugriechischen Königreichs erklärt worden. – Manchem klingt’s wie Scherz; Manchem wie eine Weissagung großer, glänzender Zukunft.