BLKÖ:Stahl, Ignaz

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Staffler, Hilarion
Band: 37 (1878), ab Seite: 88. (Quelle)
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Stahl, Ignaz (Schauspieler, geb. in Wien 20. October 1790, gest. ebenda im Spital der barmherzigen Brüder am 10. Jänner 1862). Eine der groteskesten Gestalten des Bühnenlebens, die mit den Reformen des heutigen Theaters immer mehr und mehr verschwinden; ohne zu wollen, oft eine Quelle unauslöschlicher Heiterkeit und ein aus dem Grunde des Herzes guter und, wo er sich sehen ließ, beliebter Mensch. Sein wahrer Name ist Frech von Ehrinnfeld. Er erhielt im Elternhause eine gute Erziehung und frühzeitig entwickelte sich in ihm die Liebe zum Theater. Er fand bald Gelegenheit, auf Wiener Dilettanten-Theatern aufzutreten. Auf einem solchen sah ihn Director Hensler [Bd. VIII, S. 312] spielen, erkannte das Talent des jungen Mannes und überredete ihn, auf einer öffentlichen Bühne aufzutreten. Am 28. Juni 1814 trat der 24jährige Mann unter dem angenommenen Namen Stahl zum ersten Male auf dem Leopoldstädter Theater auf. Er spielte den Karl in Contessa’s einactigem Lustspiele „Das Räthsel“ und gefiel. Der Würfel war gefallen, er blieb beim Theater und behielt den selbstgewählten Namen Stahl bei. Auch in den folgenden Antrittsrollen fand er Beifall, aber sachkundige Freunde riethen ihm, sich vorerst auf Provinzbühnen auszubilden und die erforderliche Bühnen-Routine zu verschaffen. Stahl befolgte diesen Rath und spielte 14 Jahre auf fremden Bühnen; erst im Jahre 1828 kehrte er nach Wien zurück und wurde vom Director Carl engagirt. Von diesem Jahre ab verließ er die Kaiserstadt nicht mehr. Als Antrittsrolle gab er am 22. August 1828 auf dem Theater an der Wien den Bethlen im bekannten Schauspiele „Dreißig Jahre aus dem Leben eines Spielers“. Nun spielte er die Väterrollen in den Local-, die Intriganten in den Conversations-Stücken, und obgleich selbst ein durchaus ehrenhafter, gemüthlicher, ja edler Charakter, gelang ihm in vorzüglichster Weise die Darstellung der bösen Leidenschaften, wie des Geizes, der Habsucht, des Neides, der Schadenfreude u. s. w. Er bewies dadurch ein tieferes Studium der menschliehen Natur, dessen Ergebniß er nie durch Uebertreibung störte. In Darstellung gemüthlicher Rollen konnte er lange Zeit hindurch seines Gleichen suchen; freilich änderte sich dieß mit den Jahren, und vornehmlich durch Umstände, die nicht in, sondern außer ihm lagen. Seine an’s Unglaubliche grenzende Gutmüthigkeit reizte nämlich den Uebermuth seiner Collegen, und so wurde Stahl, ehe er es erkannte – oder richtiger er hat es nie erkannt – das ens fopabile seiner Collegen. Daß er aber eine tüchtige Kraft auf der Bühne war, beweisen mehrere Umstände. Nestroy schrieb eigens für ihn den Hobelmann im „Lumpazivagabundus“, den Mehlwurm im „Eulenspiegel“, den Spund in „Talisman“, den Zangler im „Einen Jux will er sich machen“ und noch mehrere andere Rollen. Als S. im Jahre 1848 unter dem Director Pokorny im Theater an der Wien spielte, gab er das hohe Alter in Raimund’s [89] „Bauer als Millionär“, den Bettler im „Wiener Freiwilligen“, den Todtengräber in Raupach’s „Müller und sein Kind“ in virtuoser Weise. Aber weniger seine Leistungen auf der Bühne machten seinen Namen so bekannt, als seine Gutmüthigkeit, die ihn im Privatleben zum gemüthlichsten und herzigsten aller Polterer machte. Und das war nicht theatralische Maske, das war angeborene Natur, so daß S. bald zu den bekanntesten Typen der Wiener Gemüthlichkeit zählte, welche den Ausdruck: „Wieder ein alter Wiener weniger“ erklärt, als man seine Leiche zu Grabe trug. Wie diese seine Gutmüthigkeit von seinen Collegen ausgebeutet, und wie er namentlich von Nestroy und Scholz auf und außer der Bühne geneckt wurde, entzieht sich hier einer näheren Schilderung. Im „Lumpazivagabundus“, in welchem Stücke er den Hobelmann spielte, wurde die Scene, in welcher er seinen beiden Kameraden Zwirn (Scholz) und Knieriem (Nestroy) die Nachricht mittheilt, daß der dritte im Bunde, der Tischler Leim, ihnen 10.000 fl. geschickt habe, von Nestroy und Scholz immer improvisirt, und Stahl unwillkürlich anfangs ganz gutwillig, dann aber mit so schlechtverhehltem Ingrimm, daß es das Publicum merkte, mit hineingezogen. Der Beifall im Publicum steigerte sich mit dem immer deutlicher werdenden Zorne Stahl’s. Man schien in die extemporirte Komödie in ihrer Glanzzeit versetzt. Ein ander Mal mußte er über Nacht eine viele Bogen starke Rolle für eine Aufführung am folgenden Abend lernen, um auf der Probe, wo Niemand erschien und nur der eigens deßhalb bestellte Souffleur sich eingefunden, zu erfahren, daß an diesem Abend gar nicht gespielt werde und ihm die Rolle nur aus Jux zugeschickt wurde. Wieder einmal erhielt er eine Einladung zu einem Balle, und als er von den in diesem Scherze verschworenen Freunden so lange aufgehalten wurde, daß es die höchste Zeit war, sich anzukleiden, fand er, als er Toilette zu machen begann, die Aermel seines Ballhemdes, ebenso die Beinkleider an den unteren Enden zusammengenäht, die Ballstiefel an den Fußboden angenagelt, die Weste hatte mitten an der Brust einen ungeheueren Fleck u. s. w., und indessen wurde er von den ihn erwartenden Freunden immer mehr und mehr gedrängt, sich doch zu beeilen. Und solche Juxe mit ihm gab es immer wieder, und immer wieder versöhnte sich der „gute Kerl“ mit seinen Widersachern, die er im höchsten Zorne die „St. Annabuben“ schimpfte, da er mit ihnen zusammen die Schule zu St. Anna in Wien besucht hatte. Eine seiner Glanzrollen war die des Theatersecretärs Fein, in Kaiser’s Stück „Die Theaterwelt“, in welcher Rolle er den allgemein verhaßten Vertrauten des Directors Carl, den Theatersecretär Franz, bis zum Verwechseln copirt, so den grimmigen Haß desselben auf sich geladen und nicht wenig von ihm zu leiden hatte. Die letzten Jahre seines Lebens war S. ohne Engagement und wurde von verschiedenen Bühnenfreunden unterstützt; bei einem derselben, einem reichen Handelsagenten, hatte er freien Tisch und erhielt auch sonst noch von demselben eine Unterstützung. Als aber auch dieser starb, war Stahl hilflos, versank in die bitterste Armuth und folgte wenige Monate später seinem Wohlthäter ins Grab. Nach seinem im Spital der barmherzigen Brüder im Alter von 72 Jahren erfolgten Ableben [90] erfuhr man, welch guter Mensch er gewesen. Von seiner nicht bedeutenden Gage erwies er armen Collegen Wohlthaten. Seinen greisen Freund Brinke, seiner Zeit der berühmteste Harlekin Wiens, später ein Armer, der von Almosen lebte, unterstützte Stahl seit Jahren und lud ihn jede Woche zweimal im Gasthause „Zum Weingarten“ auf der Laimgrube, wo er zu speisen pflegte, zu Tische. Als der Nestor der Wiener Bühne mittellos starb, bestritten die Mitglieder des Theaters an der Wien die Kosten für die Beerdigung, welche auf dem Schmelzer Friedhofe statthatte. Die unten angeführten Quellen enthalten ein reiches Material zu einer heiteren Studie aus dem Leben eines honnetten Schauspielers der guten alten Zeit.

Der Zwischenact (ein Wiener Theater-Blatt), 1860, Nr. vom 19. October. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.), 1862, Nr. 10, 13, 14, in der Rubrik: „Theater und Kunst“. – Wiener Abendblatt. Beilage der Wiener Zeitung, 1867, Nr. 18 und 22: „Der Wiener Parnaß vor einem Vierteljahrhundert“. Von Doctor Hermann Meynert. – Kaiser (Friedrich), Unter fünfzehn Theater-Directoren. Bunte Bilder aus der Wiener Bühnenwelt (Wien 1870, R. v. Waldheim, 12°.) S. 55, 60 bis 72 und 104. – Seyfried (Ferdinand, Ritter von), Rückschau aus dem Theaterleben Wiens seit den letzten fünfzig Jahren (Wien 1864), S. 266.