BLKÖ:Wiesinger, Albert

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 56 (1888), ab Seite: 71. (Quelle)
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Wiesinger, Albert (kirchlicher Publicist, geb. in Wien 1830). In seiner Vaterstadt beendete er das Gymnasium, den philosophischen Curs und das Studium [72] der Theologie. Zum Priester geweiht, trat er in die Seelsorge, und zwar zunächst in der Wiener Vorstadtpfarre Matzleinsdorf. Indessen setzte er seine Studien auf dem Gebiete der Sprachen, der Geschichte und Literatur, auch auf jenem der Kunst und in dieser in der musicalischen Richtung fort und erlangte um die Mitte der Sechziger-Jahre die theologische Doctorwürde. Aus Matzleinsdorf wurde er von Cardinal Rauscher zunächst an die Hofpfarre bei St. Augustin, 1866 aber an die Stadtpfarre zu St. Peter berufen, wo er dem Predigtamte oblag und am 6. März 1867 seinen ersten Fastenvortrag hielt. Er ist erzbischöflicher Consistorialrath, päpstlicher Kämmerer und bekleidet gegenwärtig die Stelle eines Domherrn am Domcapitel des siebenbürgischen Bisthums zu Carlsburg. Dies sind die Umrisse seiner priesterlichen Laufbahn, die, wie sich zeigt, in ihrem Verlauf eben nichts Außergewöhnliches darbietet. Für dieses Werk gewinnt Wiesinger aber als Homilet, als theologischer Schriftsteller und Journalist literar- und culturgeschichtliche Bedeutung. Frühzeitig interessirte er sich für Literatur, trat mit Bäuerle, Saphir und Anton Langer noch im Vormärz in Verkehr, aber auf dem journalistischen Felde als Publicist erschien er erst, als Ende 1859 Chowanetz das conservativ-politische Tagblatt „Die Gegenwart“ gegründet hatte. Nachdem nämlich einige Nummern desselben herausgegeben waren, theilte er seine Ansicht über diese Zeitschrift Chowanetz brieflich mit, und Letzterer machte ihm den Antrag, der Redaction beizutreten. Wiesinger nahm das Anerbieten auch an, und am 11. December 1859 erschien sein erster, mit vollem Namen unterzeichneter Artikel in diesem Blatte. Später, als Chowanetz ganz aus demselben ausschied, trat Wiesinger die Stelle des Chefredacteurs an, legte sie aber aus zwingenden Gründen nach kurzer Zeit nieder, um die „Wiener Kirchen-Zeitung“ zu übernehmen, von welcher nach zwölfjähriger Leitung Dr. Sebastian Brunner im August 1861 ausgeschieden war. Von dieser Zeit bis zum 26. December 1874 führte er nun die Redaction der „Kirchen-Zeitung“, welche schon unter Dr. Brunner eine politische Macht war und diese Stellung unter Wiesinger behauptete. Die Parteistellung, welche die „Wiener Kirchen-Zeitung“ und ihre beiden Redacteure einnahmen, mehr aber noch deren Person, bildeten den steten Angriffspunkt der übrigen Wiener Journale. In einem „Ueberblick der fünfundzwanzig Jahre aus seinem Journalistenleben“, der übrigens Enthüllungen enthält, die für die Geschichte der Parteiverhältnisse des österreichischen Parlamentarismus und namentlich der Stellung, welche Cardinal Rauscher in der Politik einnahm, höchst instructiv sind, schreibt Wiesinger: „Es war ein schwerer und bitterer Kampf, den ich in diesen dreizehn Jahren durchfocht, denn ich hatte den Kampf nach jenen zwei Richtungen begonnen, die ich bis zum heutigen Tage (11. December 1884) nicht verlassen habe, und ich hatte auf diesen Wegen eine ganze Masse der erbittertsten Feinde gegen mich getroffen. Nach der einen Seite galt mein Kampf dem verdorbenen und verderbenden Zeitungswesen in Wien, dem Judenthum in der Journalistik, nach der zweiten Seite dem unzertrennlichen Alliirten des Preß-Judenthums, nämlich dem Geldsack-Judenthum.“ Dabei verwahrt er sich ausdrücklich und entschieden, je in seinem Kampfe die Waffen gegen [73] die Religion der Juden gerichtet zu haben. Als er in der Nummer vom 28. August 1861 den Kampf gegen Ignaz Kuranda begann, der eben in Sachen des Concordates als dessen erbittertster Gegner auftrat, mehrten sich die Angriffe der Wiener Presse gegen Wiesinger, und nur noch heftiger, als er in der Nummer seines Blattes vom 25. September 1861 einen geharnischten Artikel gegen die Civilehe und das Abgeordnetenhaus geschrieben. Als dann in der Wiener Presse die Hetze gegen die geistlichen Krankenwärterinen im Wiedener Spitale und danach gegen die Schulbrüder im Waisenhause losging, trat er für beide ein. Erstere fielen der Hetze zum Opfer, für Letztere aber stand er mit seiner Feder siegreich ein. Er schrieb die Brochure „Hinaus mit den Schulbrüdern“ ohne Angabe seines Namens. Eine Fluth von Ausfällen ergoß sich über den ungenannten Verfasser, so daß dieser endlich in der Nummer der „Kirchen-Zeitung vom 4. December 1861 seine Maske fallen ließ und offen seine Autorschaft bekannte mit der Aufforderung, das in seiner Brochure Gesagte zu widerlegen. Nun versuchte dies wohl der Gemeinderath Della-Torre [Band XLVI, S. 157] in einer Schrift, als aber Wiesinger darauf mit der Gegenbrochure „Hinaus aus dem Gemeinderathe, aber nicht: Hinaus mit den Schulbrüdern! Eine Widerlegung der Brochure des Gemeinderathes Adalbert Della-Torre: Der Wahrheit ihr Recht“ (Wien 1862) erwiderte, war der Kampf aus, und die Schulbrüder blieben im Waisenhause. 1864 machten zwei Preßprocesse großes Aufsehen. Im Jahrbuch der Israeliten war ein Angriff gegen die Person Christi enthalten, und von anderer Seite gegen die geistlichen Hüterinen der Strafanstalt in Neudorf ein Angriff erfolgt. P. Wiesinger erklärt in seinem erwähnten „Ueberblick der 25 Jahre“, daß er es gewesen, der den Urhebern der Angriffe den Proceß an den Hals gehetzt. War er nun in den erwähnten Fällen der Angreifende, so sollte die Vergeltung nicht ausbleiben. In der „Wiener Kirchen-Zeitung“ vom 13. August 1864 stand der Ausspruch: „Die Reformation des 16. Jahrhunderts war eine Revolution“. Wegen dieses Ausspruches, der als eine Beleidigung des Protestantismus angesehen wurde, erhob der Staatsanwalt Klage. Nun wies aber Wiesinger nach, daß diesen Ausspruch schon in den Tagen der strengsten Censur Hormayr in seiner „Geschichte Wiens“ gethan, und wenn derselbe damals zulässig gewesen, müßte er doch in den Tagen der Preßfreiheit nicht minder ertaubt sein. In einer späteren Nummer der „Kirchen-Zeitung“ vom 10. September 1864 wies er auf eine Stelle im Talmud hin, worin man wieder eine Beleidigung des Judenthums erkennen wollte. Da citirte er, in der Kenntniß der orientalischen Sprachen wohl bewandert, in der Nummer der „Kirchen-Zeitung“ vom 15. October 1864 wörtlich die Stelle aus dem Talmud. Nun bekämpften die Gegner die Auslegung, welche er dieser Stelle gegeben. Der Kampf hatte begonnen; es wurde das Gutachten der Universität eingeholt, welche die Auslegung Wiesinger’s bestätigte, und dieses Gutachten der Universität ward dann einem Rabbinercollegium vorgelegt, welches wieder gegen den Ausspruch der ersteren nichts einwenden konnte. So zog sich die Angelegenheit von Monat zu Monat resultatlos hin und verlief endlich im Sande. Als das 1864 erschienene „Leben [74] Jesu“ von Renan eine Aufregung in allen Kreisen hervorbrachte, welche weit jene übertraf, die seinerzeit das „Leben Jesu“ von Strauß hervorgerufen – war doch dieses nur für wissenschaftliche Kreise berechnet, jenes aber für das Volk geschrieben – und als, um es unter das Volk zu bringen, eine Uebersetzung des Werkes die andere jagte, schrieb Wiesinger in seiner „Kirchen-Zeitung“ eine Folge von Artikeln, die er später ergänzte und als Ganzes in einem Buche unter dem Titel: „Aphorismen gegen Renan’s Leben Jesu“ (Wien 1864, Mayer, 8°.) herausgab. Im März 1865 begann er seinem oben ausgesprochenen Programm getreu die Veröffentlichung seiner „Ghetto-Geschichten“. Er leitete dieselben mit der Erklärung ein, daß er sie nur als eine Nothwehr gegen die steten Angriffe von jüdischer Seite herausgebe. Diese „Ghetto-Geschichten“ erregten in den getroffenen Kreisen eine peinliche Stimmung. Aber er fuhr in der Veröffentlichung derselben unbehindert auch im Jahre 1866 fort, als eben die preußische Armee nicht mehr zu fern von Wien stand. Die Aufregung war eine ungeheuere, und die Israeliten drückte bei der bedenklichen Situation die Sorge, daß bei einer zu befürchtenden Störung der öffentlichen Ruhe sich der durch die „Ghetto-Geschichten“ nicht zu ihren Gunsten gestimmte Pöbel gegen sie richten konnte. Die Sache stand mit einem Male so, daß, wie Wiesinger selbst berichtet, er eines Tages zur Staatsanwaltschaft gebeten wurde, welche ihm mittheilte, die Wiener Judengemeinde habe sich an den Justizminister gewendet mit der Bitte, derselbe möge in diesen gefährlichen Zeiten auf Wiesinger einwirken, daß er mit seinen „Ghetto-Geschichten“ nicht weiter fortfahre, denn die Juden seien besorgt, es könnte etwa die Ruhe in irgend einer Weise gestört werden. In Hinsicht auf die augenblickliche Situation stellte auch der Autor die Fortsetzung seiner „Ghetto-Geschichten“ ein. Unter dem Bürgerministerium, in welchem Dr. Giskra und Dr. Berger saßen, schien sich die Situation für Wiesinger bedenklicher zu gestalten, und dies umsomehr, da beide Minister als frühere Advocaten in den oberwähnten Preßprocessen ihm als Gegner gegenüber gestanden. Da wollte sich denn Wiesinger in Anbetracht der ministeriellen Machtsphäre nicht in die Defensive versetzt sehen und ergriff in ziemlich wirksamer Weise die Offensive, wie er dies in dem wiederholt citirten „Ueberblick“ ausführlich erzählt. In der Zeit, als unter Giskra die berühmten Edicte gegen den Clerus erlassen wurden und diesen als praktische Illustration die Einsperrung manches Priesters folgte, ward er als Fastenprediger bei St. Peter angestellt. Am 6. März 1867 hielt er seinen ersten Fastenvortrag, und schon in den nächsten Tagen begann aufs Neue der Kampf der Journalistik gegen den „Kanzeljournalisten“, wie er genannt wurde, und dieser Kampf dauerte an, so lange Wiesinger seine Vorträge fortsetzte – bis 1871. Die illustrirten Wiener Witz- und Spottblätter „Kikeriki“, „Bombe“, vor allen aber „Der Floh“, brachten eine Fratze um die andere, in welcher P. Wiesinger in allen nur denkbaren Gestalten und Attitüden abkonterfeit war. Es war ein ungleicher Kampf: Alle gegen Einen, und ein solcher alles Maß übersteigender, daß selbst ein Journalist, der nicht zum Anhange Wiesinger’s zählt, Don Spavento, in seinen unten citirten „Typen und Silhouetten“ denselben gegen dessen Widersacher – und das ist [75] die Gesammtpresse – nicht allein in Schutz nehmen, sondern sogar vertheidigen muß. Freilich blieb auch Wiesinger die Antwort nicht schuldig. Er gab sie den Vertretern der sogenannten sechsten Großmacht in einer Brochure, welche als erstes Heft des zweiten Bandes der in Wien bei Sartori erschienenen „Katholischen Stimmen aus Oesterreich“ mit dem besonderen Titel: „Die Lohnbedienten der öffentlichen Meinung. Ein Beitrag zur Geschichte der kirchenfeindlichen Journalistik“ (Wien 1868) herauskam und innerhalb Jahresfrist nicht weniger denn vier Auflagen erlebte. Alle diese Vorgänge, welche einen nicht uninteressanten Beitrag zur Geschichte der Wiener nachmärzlichen Presse bilden, spielten sich ab, während Wiesinger die Redaction der „Wiener Kirchen-Zeitung“ führte. Am 19. April 1873 feierte diese das 25. Jahr ihres Bestandes, und im folgenden, am 26. December, legte er die Redaction, die er 13 Jahre geführt hatte, nieder. Doch leitete er, während er die „Wiener Kirchen-Zeitung“ redigirte, noch andere Blätter, so den „Volksfreund“, dann den 1867 von ihm angeregten und in Gemeinschaft mit dem Buchhändler Mayer sen. herausgegebenen „Kapistran“ – betitelt nach dem berühmten Volksprediger Johannes Kapistran – dessen erste Nummer am 5. Jänner 1867 erschien und dessen Redacteur er noch im Jahre 1884 war. Zugleich mit diesem Blatte besorgte er die Redaction der von dem Buchhändler Sartori in Wien begründeten „Weckstimmen“, welche er aber nur etwas über ein Jahr behielt. 1872 übernahm er auch noch das ebenfalls für das Volk bestimmte „Volksblatt für Stadt und Land“, mit welchem zugleich er einen Roman „Das Crucifix des Juden“ veröffentlichte. Die Redaction dieses Blattes legte er nieder, als ihm Cardinal Rauscher 1872 die bis dahin von Joseph Pia geführte Leitung des „Volksfreund“ übertrug. An demselben war Wiesinger bereits 1862 Mitglied der Redaction gewesen, da er jedoch mit dem damaligen Redacteur nicht gemeinschaftlich zu arbeiten vermochte, trat er schon nach kurzer Zeit aus, bis er nun, zehn Jahre später, als Chefredacteur an die Spitze des Blattes kam. Aber noch zur Zeit, da er als Chefredacteur des „Volksfreund“ thätig war, übernahm er die Leitung der „Gemeinde-Zeitung“ in der Doppeleigenschaft als Redacteur und Eigenthümer. Beim „Volksfreund“ blieb er dann noch so lange, bis wunderbarer Weise der bisherige Redacteur der „Bösen Zungen“, Adolf Stamm [Band XXXVII, S. 113, in den Quellen] in die Redaction des Blattes hineingeschmuggelt wurde. Das war gewiß ein Unicum. Der Redacteur des berüchtigtsten Revolverblattes Wiens Mitredacteur des conservativsten und für ultramontan angesehenen „Volksfreund“! „Das ging nichts schreibt Wiesinger, und darum ging ich.“ Seitdem redigirt er die „Gemeinde-Zeitung“, ein starkverbreitetes Volksblatt, in dessen Redaction er im December 1884 das 25jährige Journalistenjubiläum feierte, bei welchem es nicht an sympathischen Kundgebungen für den von der Wiener Presse mit Schrecken erregender Einmüthigkeit verfolgten Redacteur fehlte. Wie bemerkt, war er in seiner priesterlichen Eigenschaft viele Jahre im Predigtamte thätig, und diese Vorträge, welche nicht selten eine Abwehr der gegen ihn in der Wiener Zeitungspresse vorgebrachten Angriffe enthalten, sind nicht bloß vom homiletischen, sondern auch vom culturgeschichtlichen Standpunkte bemerkenswerth. Sie [76] erschienen in verschiedenen Sammlungen im Druck, und ihre Titel sind: „Die sechs Sünden wider die Heiligen, dargestellt nach dem Leben der Gegenwart. Fastenpredigten“ (Wien 1865, Mayer, 8°.); – „Das Kreuz Christi und das Kreuz der Welt. Vierzehn Fastenvorträge, gehalten während der Fastenzeit des Jahres 1867 in der L. F. Stadtpfarrkirche zu St. Peter in Wien“ (ebd. 1867, Sartori, 8°.); – „Leidensweg und Lebensweg. Vierzehn Fastenvorträge, gehalten während der Fastenzeit 1868 in der L. F. Stadtpfarrkirche zu St. Peter in Wien“ (ebd. 1868, 8°.); – „Die Kanzel, die Juden und die Judengenossen. Zur Abfertigung für jüdische Predigtschnüffler und nicht jüdische Predigtkritiker“ (ebd. 1869, 8°.); – „Das Geschwornengrricht und die Liguorianer. Bericht über die Schwurgerichtssitzung, welche den 22. und 23. October (1869) bei dem k. k. Landesgerichte in Wien über eine Ehrenbeleidigungsklage der Redemptoristen gegen den Verfasser[WS 1] eines Artikels der „Vorstadt-Zeitung“ gehalten wurde. Unter Mitwirkung dreier Stenographen herausgegeben“ (ebenda 1870, gr. 8°.); – „Vierzehn Fragen aus der Leidensgeschichte beantwortet in vierzehn Fastenvorträgen. Gehalten während der h. Fasten 1869 in der L. F. Stadtpfarrkirche zu St. Peter in Wien“ (ebd. 1869,8°.); – „Die vierzehn Nothhelfer mit ihren Bildern und Gegenbildern aus der Leidensgeschichte. Vierzehn Fastenvorträge, gehalten während der Fastenzeit 1871 in der L. F. Stadtpfarrkirche zu St. Peter in Wien“ (ebd. 1871); – „Geschichte der Peterskirche in Wien. Mit einem Abriss der Kirchengeschichte Wiens und der Geschichte der Kirchen von Wien, nebst einer Abbildung der alten und neuen Peterskirche. Mit 2 Holzschn.“ (ebd. 1876, 8°.). Seiner übrigen im Druck erschienenen Schriften wurde bereits in der Lebensskizze gedacht. Don Spavento in seiner unten benannten Schrift schreibt in der Charakteristik Wiesinger’s: „Einer gegen Alle! Das ist ein großer Ausspruch, der vielen Sünden Verzeihung gewähren muß. Kann man es dem Knirpse David verargen, daß er sich die schwächste Seite des Riesen Goliath zum Ziele seines Steinwurfes ausersah? Sicherlich nicht. Und die schwache Seite des Wiener Journalismus ist nun einmal zweifelsohne das Uebergewicht des Judenthums in demselben. Darf man es also dem gegen die ganze Presse kämpfenden Manne vorwerfen, daß er stets dahin zielt, wo er sicher ist, immer einen zu treffen? Nein, wahrlich nicht! – Und befolgen die anderen Blätter nicht dieselbe Kampfart? Sind nicht alle, ja sogar die großen Blätter nicht augenblicklich darüber einig, wenn der gerichtliche Theil der „Wiener Zeitung“ einen Baron oder Grafen wegen eines verfallenen Wechsels sucht, diese Notiz unter zehn anderen herauszusuchen und mit einer geistreichen Ueberschrift, wie: „Schon wieder ein Graf, der nicht zahlt“ zu versehen? Und kann man es da Herrn Wiesinger verdenken, wenn er augenblicklich replicirt, indem er irgend eine Geschichte aus einem Kronlande mit der Ueberschrift bringt: „Schon wieder, ein Jude, der betrügt“ ? Wer in diesem widerlichen Streite diese Kampfart eingeführt hat, ist gleichgiltig – sie aufgeben kann der Einzelne nicht. Ja, sie ist widerlich – sie ist erbärmlich, diese Art der Polemik; sie ist mehr als das – sie ist dumm! Will man etwa beweisen, daß es Cavaliere gibt, die ihre Wechsel nicht zahlen oder Juden, die Betrüger sind? Ebenso geistreich wäre es, den Beweis zu führen, daß das Wasser der Donau naß ist! Und dann, wie würdigt dies das Ansehen der Presse bis zum Niveau des Straßenpflasters bei Regenzeit herab! – Herrn Wiesinger müssen wenigstens mildernde Umstände gewährt werden, daß er dieses traurige System [77] befolgt, aber daß Blätter von großer politischer Bedeutung es nachahmen, scheint uns unverzeihlich. Was das Capitel der allzu großen Anzahl jüdischer Journalisten in einer Hauptstadt betrifft, so müssen wir dabei einer wunderbaren Prophezeiung gedenken, welche wir in einem seitdem längst verschollenen norddeutschen Blatte vom Jahre 1837 oder 1838 lasen. Es war ein Aufruf an die preußische Regierung, und eine Stelle lautete wörtlich: „„Gebt den Juden ihre bürgerliche Freiheit, ihr Recht, jede Carrière zu ergreifen, jedes Amt zu bekleiden; aber gebt ihnen das, ehe es zu spät wird, denn sonst wirft sich ihre nie rasten könnende Intelligenz auf die Presse, und in wenigen Jahren wird diese und mit ihr die öffentliche Meinung verjudet sein.““ Hätte sich Herr Consistorialrath Wiesinger, wenn er die Prophetengabe und mit ihr freisinnige Instincte besäße, vielleicht anders ausgedrückt? Nein – und doch war der Artikel, den wir citiren, von einem der Heroen der deutschen Literatur unterzeichnet, von einem Manne, der sogar das Judenthum dramatisch idealisirt hat – von einem der Gründer Jungdeutschlands ... von Karl Gutzkow.“ – „Was Herrn Wiesinger selbst betrifft“, schreibt Don Spavento, „so ist er so achtenswerth, wie ein Mann es verdient zu sein, der seiner Ueberzeugung zuliebe selbst das Opfer des gesellschaftlichen Anstandes bringt. Er ist einer der talentvollsten Journalisten Wiens und besitzt ein Quantum von positivem Wissen, welches, in Geschichte besonders, das der meisten seiner Wiener Collegen überragt.“

Gemeinde-Zeitung (Wien, gr. 4°.) Jahrgang XXIII, 11. December 1884, Nr. 285: „Fünfundzwanzig Jahre aus meinem Journalistenleben. Eine biographische Skizze von Dr. Albert Wiesinger“. – Don Spavento. Wiener Schriftsteller und Journalisten. Typen und Silhouetten (Wien 1874, gr. 8°.) S. 65.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verfassser.