Benutzer:Sinuhe20/Illustrirte Zeitung (1843)/Heft 2
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Nr. 2.] | Leipzig, Sonnabend den 8. Juli. | [1843. |
Das Jubelfest der Schul-Pforta. – Unser Wochenbericht. – Das Erdbeben auf Guadeloupe. – Die heutige Lage der gewerblichen Industrie in Deutschland. – Henson’s Luftdampfwagen.
Bach’s Denkmal. – Gartencultur in Frankreich. – Karl VI., Oper in fünf Aufzügen. – Ein Reisemärchen. (Fortsetzung.) – Literarische Anzeigen. – Modebericht. – Aufruf.
I.
Die königliche Landesschule Pforta hat in diesen Tagen ihr dreihundertjähriges Stiftungsfest gefeiert, und die Theilnahme, welche Tausende von ehemaligen Schülern und deren Angehörige einem so denkwürdigen Ereignisse widmeten, fordert uns dringend auf, der Beschreibung des Festes eine kurze historische Nachricht vorausgehen zu lassen. In der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts lebte Graf Bruno, Herr der Landschaft Pleißen im jetzigen Altenburgischen. Als er das Unglück gehabt hatte, seinen einzigen Sohn Oetwin auf der Jagd zu verlieren, beugte ihn dies so tief, daß er, um seine ansehnlichen Güter zu dem, im Sinne der Zeit, besten Zwecke zu benutzen, im Jahre 1127 zu Schmölln im Altenburgischen ein Nonnenkloster stiftete. Aber eben so wenig als die Nonnen wollten hier Benedictiner-Mönche gedeihen, und da das Kloster überdies den Angriffen der umwohnenden slavischen Stämme ausgesetzt war, so gestattete Bischof Udo von Naumburg, daß sich im J. 1132 die Mönche in der Gegend zwischen Kösen und Naumburg, wo jetzt die Gebäude der Landesschule Pforta stehen, ansiedeln durften. Nachdem sich die Mönche von 1137 – 1140 in Kösen aufgehalten hatten, ohne daß hier jemals ein Kloster gestanden hatte, wie häufig gesagt wird, ward im J. 1140 das Cisterzienserkloster Pforte gegründet, Porta Beatae Mariae geheißen. Dadurch soll nach der gewöhnlichsten, obschon urkundlich nicht hinlänglich begründeten Meinung eine „Pforte zum Himmel“ angedeutet sein, woher das Kloster auch Porta coeli genannt wird. Das Kloster ward übrigens bald sehr reich, „fast wie eine Grafschaft“ nach den Worten eines alten Chronikenschreibers, und die Mönche genossen ihre Reichthümer in großer Behaglichkeit, bis die Reformation sie aus ihren Zellen trieb und 1541 der letzte Abt aus dem Kloster zog. In Folge dieser Kirchenveränderung bestimmte Kurfürst Moritz durch das Patent vom 21. Mai 1543, daß die ansehnlichen Klöster zu Pforta, Meißen und Merseburg sollten in Landesschulen verwandelt werden, von denen die letztere späterhin nach Grimma verlegt worden ist. Hundert Zöglinge sollten hier unentgeldlich unterrichtet und verpflegt werden, wozu noch außer den frühern Besitzungen die des Klosters Memleben angewiesen und ein Rector, Pastor, Conrector und Tertius zu ihren Lehrern bestimmt wurden. Am 1. November 1543 ward der erste Schüler oder Alumnus, Nicolaus Lutze aus Kindelbrück, aufgenommen, aber nicht vom Rector, sondern vom Schulverwalter. Dieser Tag ist bis jetzt als Stiftungsfest der Anstalt begangen worden; es ist jedoch durchaus richtiger, den 21. Mai als solchen zu betrachten, wie dies in diesem Jahre zuerst geschehen ist und ferner geschehen wird. Der erste Rector war Johann Gigas, ein auch als geistlicher Liederdichter (er ist z. B. Verfasser des schönen Liedes „ach, liebe Christen, seyd getrost“) nicht unrühmlich bekannter Mann.
Die Nachfolger des Kurfürsten Moritz, namentlich August und Christian II. im sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderte, und Friedrich August im achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderte, bewiesen der Pfortaischen Schule vielfache Huld und Unterstützung. Freilich ward diese auch von den Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges und von pestartigen Krankheiten heimgesucht, namentlich in den Jahren 1637 – 1647, und scheint damals ihrer völligen Auflösung nahe gewesen zu sein. Auch der Einfall der Schweden in Sachsen im J. 1706 und später der siebenjährige Krieg nahmen die Pforte durch Erpressungen und Lieferungen vielfach mit. Dagegen blieb sie im Kriege von 1806, obgleich in der Nähe der größten Gefahr, und bereits vor der Schlacht von Auerstädt von französischen Schaaren ganz umringt, fast unberührt; nur Lebensmittel wurden verlangt und die Verpflegung der Verwundeten gefordert. Auch im Jahre 1813 waltete, trotz der in ihrer Nähe gelieferten Schlacht bei Freiburg und der Gefechte bei Kösen, eine besondere Gnade der Vorsehung über ihr; sie erhielt von den Generalen Thielemann und Schwarzenberg Sicherheitswachen, und der Staatskanzler Hardenberg verwendete sich dafür, daß der Pforte alle nur mögliche Erleichterung in Hinsicht der Kriegslasten zu Theil wurde.
Seit dem Jahre 1815[WS 1], wo die Pforte mit dem Herzogthume Sachsen an die Krone Preußen übergegangen ist, hat die friedliche Ruhe im Innern und Aeußern keine Störung erfahren. Eine neue Organisation fand im Jahre 1820 Statt, wodurch fühlbare Mängel beseitigt wurden, aber die alten Sprachen fortwährend als das erste und vorzüglichste Bildungsmittel an der Spitze des gesammten [18] Unterrichts blieben. Daneben ist der Muttersprache, der Geschichte u. Mathematik die nöthige Zeit gewidmet worden, die ihnen früher in einem fast zu kärglichen Maße gegönnt war. Die Zucht und Ordnung hält sich fortwährend an die alte bewährte Disciplin, die eine vernünftige Beschränkung der Freiheit als Wohlthat für einen jungen Menschen betrachtet. Die Humanität und der Liberalismus in der modernen Erziehung mag nun gegen solche Beschränkungen eifern, so viel er will – Anstalten, wie Pforta, müssen eine strenge Disciplin haben; will man diese aus übergroßer Zärtlichkeit für die heutige Jugend aufheben, so ist es auch mit der Blüthe und mit dem Nutzen solcher Anstalten vorbei.
Welche treffliche Erfolge die Pfortaische Disciplin unter trefflichen Rectoren und Lehrern – es genüge hier aus der Zahl der Verstorbenen die Namen eines Freytag, Geißler, Barth, Heimbach, Ilgen, Lange und Schmidt zu nennen – erzeugt hat, beweist die große Anzahl gelehrter und tüchtiger Männer, welche in derselben aufgewachsen sind. Wir nennen aus den frühern Jahrhunderten die Namen des Leipziger Kanzlers v. Pfeifer, der Philologen Erasm. Schmid, Aug. Buchner, J. G. Grävius, des geistlichen Dichters Erdm. Neumeister; aus der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Gebrüder Joh. Ad. und Joh. Elias Schlegel, Klopstock, Fichte, I. A. Ernesti; aus der letztern Hälfte und aus dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts den Philosophen Krug, die Theologen Heubner, Großmann, Nitzsch, Thilo; die Veteranen unter den Philologen Mitscherlich und Eichstädt, und die jüngern Böttiger, Huschke, Thiersch, Spohn, Dissen, Ph. Wagner, Döderlein, Rich. Lepsius; den Historiker Leop. Ranke; die Staatsmänner v. Könneritz, Nostiz und Jänckendorf (sächsische Minister) und den Oberpräsidenten von Posen, v. Beurmann; die Rechtsgelehrten Zachariä und Schilling; die Mediciner v. Ammon und Hedenus; die Naturforscher Ehrenberg und Thienemann. Und wie viele Tausende sind sonst noch aus Pforta hervorgegangen, die in den verschiedensten Aemtern und Lagen das Erbtheil Pfortaischer Erziehung, die Liebe zu gründlicher Kunst und Wissenschaft, mit Eifer und Fleiß weiter zu verbreiten bemüht gewesen sind. Ueber sie alle hat König Friedrich Wilhelm III. von Preußen ein ehrendes Wort gesprochen: „Habe viel Gutes von Schulpforta gehört, und sollen die Beamten, die auf derselben gebildet sind, vergleichungsweise die gründlichsten und besten sein.“ Und dazu setzte der würdige Herrscher die Worte: „mag wol mit der geistigen Speise gehen, wie mit der körperlichen, – es kommt nicht darauf an, daß man viel genießt, sondern daß man das, was man genießt, gut verdaut und in Kraft und Gesundheit verwandelt.“ Diese Worte dürfen weder von denen vergessen werden, die mit der Einrichtung oder Beaufsichtigung Pfortaischer Angelegenheiten beauftragt sind, noch von denen, die über sie reden und urtheilen.
Es wird hiernach nicht überflüssig sein, auch von den äußern Verhältnissen der Landesschule Pforta das Wichtigste aus den sichersten Quellen beizubringen. Dieselbe ist mit einer zwölf Fuß hohen steinernen Mauer umgeben und gegen Abend mit einem gewölbten doppelten Thore, gegen Morgen und Mitternacht mit Eingangsthüren versehen. Innerhalb der Ringmauer befindet sich eine eigne Kirche, an welcher zwei Prediger angestellt sind, und zu welcher die Bewohner des Dorfs und der Saline Kösen nebst den Vorwerken Fränkenau und Cuculau gehören. Ferner das in den Jahren 1803 und 1804 neuerbaute massive Schulhaus, in welchem die Wohnungen mehrer Lehrer und der Schüler sich befinden; das sogenannte Fürstenhaus, von Kurfürst August von Sachsen erbaut, in welchem die Wohnungen des Rectors, jetzt des Dr. theol. Kirchner, und zweier andrer Familien sich befinden, dann die Häuser des Schularztes und Schulchirurgus nebst den Krankenstuben für die Schüler, ansehnliche Oekonomie- und Wirthschaftsgebäude, Wohnungen für die übrigen Lehrer und Beamten, ein Brauhaus, eine eigne Mahlmühle, ein Backhaus und eine in Erbpacht gegebene Papiermühle; vor dem Thore liegt das Forsthaus mit Wirthschaftsgebäuden.
Die Zahl der in Pforta befindlichen Schüler darf nicht über 180 steigen. Von diesen Stellen, die fast alle ganze Freistellen sind, werden 100 vom königlichen Ministerium der Geistlichen-, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten und vom Provinzial-Schul-Collegium in Magdeburg vergeben, 80 von den Städten des Herzogthums Sachsen, vom Dom-Capitul zu Naumburg vom Rector und von einigen adligen Familien, jedoch nur an Inländer. Ausländer aber wie Inländer können bis 20, als Extraner, von den einzelnen, ordentlichen Lehrern in ihr Haus und in ihre Pflege genommen werden. Sie genießen ebenfalls wie die Alumnen freien Unterricht, stehen aber unter denselben Gesetzen, wie die Alumnen; die Bevorzugungen einer frühern Zeit sind seit 1820 ganz aufgehoben. Demnach können überhaupt bis 200 Schüler in Pforta sein; es ist indeß diese Anzahl nicht immer vollständig da, was für die wissenschaftlichen und pädagogischen Zwecke der Anstalt gar nicht als ein Nachtheil angesehen werden darf. Die Speisung und Verpflegung der Alumnen, welche jährlich zwischen 11 bis 12,000 Thaler kostet, führt der Pachter der Pfortaischen Oekonomie; die Kost ist seit beinahe zwölf Jahren unverändert gut, schmackhaft und reichlich gewesen, und kann jede Vergleichung mit der Kost in ähnlichen Instituten aushalten.
Zum Unterhalt der Schüler, zur Besoldung der Lehrer und Beamten und zur Bestreitung sonstiger Bedürfnisse besitzt die Landesschule Pforta einen sehr bedeutenden Umfang von Ländereien, Triften, Waldungen, Gütern, Mühlen und Vorwerken, von denen nur die Waldungen unmittelbar unter einem königl. Oberförster und vier Förstern stehen, alles Uebrige aber theils in Erbpacht, theils in Zeitpacht gegeben ist. Von den frühern Weinbergen besitzt die Pforte jetzt noch einen, die übrigen wurden im Jahre 1820 aus administrativen Gründen verkauft. Die jährlichen Einkünfte der Anstalt belaufen sich auf etwa 42,000 Thaler, und diese Summe kommt dem Ausgabe-Etat in der Regel gleich. Was von den außerordentlichen Reichthümern der Pforte und von der ausgezeichnet guten Stellung ihrer Beamten seit Jahren geredet und gefabelt wird, ist zum großen Theile übertrieben. Allerdings genießen einige Lehrer gute Besoldungen, aber die übrigen sind keineswegs so reich besoldet, als man gemeiniglich urtheilt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Leben in Pforta durchaus nicht wohlfeil, und die Anschaffung der gewöhnlichen Lebensbedürfnisse theurer als an andern Orten ist.
Es gehören endlich zum Schulamte Pforta 21 Ortschaften mit 17 Kirchen, 9 Pfarr- und 13 Schullehrerstellen, worüber der Rector der Pforte nebst dem Hausinspector das Patronat, und, in Verbindung mit dem betreffenden königl. Superintendenten, auch die Kircheninspection führen. Eine bedeutende Menge der frühern Lehne, Zinsen, Dienste und Frohne aus den genannten 21 Ortschaften sind in den letztern Jahren auf dem Wege der Ablösung aufgehoben und von der preuß. Regierung fortdauernd Alles gethan worden, um diese herrliche Stiftung im Geiste ihrer Stifter und Bewohner zu erhalten und ihre Segnungen einer künftigen Zeit ungemindert zu überliefern.
Die Illustrirte Zeitung soll nicht blos ihrem Namen, sondern auch der Sache nach eine Zeitung sein. Sie wird daher in ihrem „Wochen-Bericht“ eine Uebersicht der Tagesereignisse, so wie es der Charakter einer Wochenschrift bedingt, in möglichst gedrängter Form liefern. Sie kann in der raschen Mittheilung von Neuigkeiten mit ihren täglich erscheinenden Schwestern natürlich nicht rivalisiren wollen, aber sie will noch viel weniger sich darauf beschränken, bloße Betrachtungen über die Ereignisse anzustellen, oder eine karge Nachlese zu halten, wo Andere schon reichlich und vollständig geerntet.
Unser Zeitungsbericht wird sich vielmehr bestreben, die Begebenheiten der Woche in einer selbständigen Darstellung zusammenzufassen, und so hofft er in Gemeinschaft mit dem illustrirten Theile des Blattes eine historische Bildergallerie der Gegenwart und zugleich eine raisonnirende Uebersicht derselben zu liefern.
Vor Allem soll jedoch unsere illustrirte Zeitung in diesem ihrem referirenden Theile eine Deutsche Zeitung sein, und wie sehr sie sich auch befleißigen wird, Alles zu daguerreotypiren, was in der civilisirten wie in der uncivilisirten Welt Erfreuliches und Erschütterndes, Großes und Burleskes sich zuträgt, wird doch ihr Wochenbericht hauptsächlich auf die Vorgänge des Vaterlandes den Blick gerichtet halten. Das wäre auch eine schlechte Deutsche Zeitung, die heutzutage noch, wie es leider seit dem letzten Frieden viele Jahre lang geschah, Deputirtenkammer und Parlament in den Vordergrund stellen, Deutschland dagegen und seine Sprechsäle in eine Ecke des Blattes verweisen wollte! Nein, immer allgemeiner wird jetzt die Ueberzeugung, daß kein rechtschaffener Deutscher mehr, ohne ein Verbrechen an sich und an der Zukunft seiner Kinder zu begehen, unbekümmert um das bleiben kann, was den innern, gesunden oder kranken Organismus seines Landes und dessen Berührungen mit dem Auslande betrifft. Nicht mehr ist es jetzt, wie noch im vorigen Jahrhundert, wo der deutsche Bürger sagte:
„Nichts Bess’res weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei
Die Völker auf einander schlagen. …
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag Alles durcheinander geh’n,
Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten!“
Er hat es seitdem nur zu gut erfahren, daß wenn sie draußen erst sich schlagen und die Köpfe spalten, bald auch zu Hause der Friede bedroht sei, wie es im Jahre 1840 der Fall war, wo die Kriegsflamme da hinten, weit in der Türkei und in Syrien, beinahe am Rhein und in ganz Europa ein gefährliches Feuer entzündet hätte. Und wer weiß, ob uns, trotz aller Rheinlieder und patriotischer Zeitungsartikel, der Krieg damals nicht eben so innerlich theilbar und schwach gefunden haben würde, wie uns die Kämpfe des 17. und 18. Jahrhunderts trafen, wie uns Napoleon zu Anfang unseres eigenen Jahrhunderts und wie uns endlich die französische Juli-Revolution im Jahre 1830 fand!
Nein, mögen wir uns über unsere innere und äußere Kraft nicht täuschen! Mögen wir nicht gar zu zuversichtlich auf die Macht des deutschen Bundes vertrauen, die ja ihre erste Probe noch zu bestehen hat! Alle Achtung vor dem Bunde der deutschen Fürsten, aber seine wahre Bedeutung wird er erst dann erhalten, wenn auch die deutschen Völker innig verbunden sind, und damit sie es im Geiste und in der Wahrheit, unauflöslich und mit Vertrauen einflößender Sicherheit seien, müssen sie sich gegenseitig von Grund des Herzens achten lernen, müssen sie sich sagen können, daß ihre Institutionen nicht blos eben so hoch, sondern höher stehen, als die jedes fremden Volkes, und müssen sie fühlen, daß des einen deutschen Stammes Leid auch den andern trifft, wie des einen Wohlfahrt auch der andere theilt.
Das aber ist zunächst nur durch die offenste Besprechung der gegenseitigen Zustände zu erlangen; nur was sich redlich kennt, das liebt sich auch redlich. Ein Anfang dazu, uns gegenseitig zu begreifen und zu durchdringen, ist freilich durch Niederreißung der Zollschlagbäume im Innern Deutschlands gemacht, aber noch fehlt viel dazu, um auch nur diese Seite der Ganzheit vollständig zu machen. Hat doch der deutsche Zollverband noch nicht einmal das deutsche Meer erreicht, und wie viele Zollgrenzen sind noch zu beseitigen! Aber was so deutlich und allgemein als Nationalbedürfniß sich ausspricht, das kommt auch unvermeidlich!
Und hiermit wäre der Gesichtspunkt gegeben, von welchem aus unser „Wochenbericht“ geleitet werden soll. Deutschland wird den Ausgangs- und zugleich den Mittelpunkt unserer Betrachtungen bilden. Deutschland nimmt ohnehin so ziemlich die Mitte von Europa ein und Leipzig [19] liegt fast im Centrum von Deutschland, so daß wir von der hier errichteten Warte aus, eine eben so wenig vom Norden und Osten als vom Westen und Süden influenzirte Umschau in Europa halten können. Daß unser Blick nicht getrübt sei, daß wir keiner nach falschen Principien gefertigten Instrumente uns bedienen, dafür werden unsere Beobachtungen dem aufmerksamen Leser bald ein Zeugniß sein. Und sollen wir die Fahne bezeichnen, die wir auf unserer Warte aufpflanzen, so bezeichnen wir sie allerdings als die Fahne einer Partei, einer entschiedenen Partei, die weder eine bloße Vermeinung noch eine sogenannte richtige Mitte duldet, aber diese Partei wird keine andere, als die des Rechtes und der Wahrheit sein!
Trotz dem, daß das Jahr 1843 in unserm Vaterlande durch einzelne Erscheinungen als ein rückwärtsgehendes sich ankündigte, ist doch der Fortschritt des Landes in materieller, wie in geistiger Beziehung, nicht zu verkennen. Es ist im Ganzen so viel gesunder Sinn in Deutschland verbreitet, und die Achtung vor jeder vernunftgemäßen Tendenz so sehr in das Volk eingedrungen, daß selbst das Prinzip des Beharrens, wo es sich geltend macht, doch eben nur bei dem Vernünftigen zu beharren vermag, während alles der Vernunft Widerstrebende mit dem Augenblicke, der es geboren, auch wieder untergeht. Eine deutsche Zeitung, die für konservativ gilt, hat kürzlich diese Bezeichnung dahin zu erklären versucht, daß sie allerdings konservativ sei, aber nur, indem sie stets den ruhigen Fortschritt wolle und sich darin weder durch die Zurück-, noch durch die übereilt Vorwärtsdrängenden beirren lasse. In diesem Sinne sind auch wir konservativ und ist es das gesammte deutsche Volk, denn die Wenigen, die unter dem Konservativsein ein Konserviren mittelalterlicher Ueberlieferungen verstehen, sind ein eben so geringfügiger Theil der Nation wie diejenigen, die mit Verleugnung des Bodens, auf welchem die gesammte europäische Bildung ruht, das Christentum zugleich mit dem Königthum vernichten möchten, um auf der tabula rasa das Luftschloß ihrer neuen Socialeinrichtungen aufzuführen.
Mit Freuden reihen wir den beharrlich fortschreitenden Staaten jetzt auch Oestreich an, dessen Staatsmänner eine Zeitlang den Fortschritt für ganz unverträglich mit dem Heile dieses aus so verschiedenartigen Elementen zusammengesetzten Staates hielten. Wie sollte auch Oesterreich allein zurückbleiben können, wenn die verschiedenen Nationalitäten, die ihm gemeinsam mit andern Ländern angehören, wenn die germanischen, romanischen und slavischen Volksstämme außerhalb Oestreichs in beständiger Wiedergeburt sind, und, wie ganz unvermeidlich, einen direkten oder indirekten Einfluß auf ihre stammverwandten Brüder im Kaiserstaat üben? Außerdem wohnt in Oesterreich mitten unter jenen Volksstämmen, die es mit dem übrigen Europa gemein hat, ein besonderes Volk, das, für sich allein dastehend, durch Sprache und Abstammung auch seinen eignen Weg in seiner politischen und socialen Ausbildung geht. Obwol nur etwa 41/2 Million Seelen zählend, übt das Volk der Magyaren zunächst allerdings auf den slavischen, walachischen und deutschen Theil der Bevölkerung Ungarns, indirekt aber auch auf die Gesammtbevölkerung Oestreichs den Einfluß eines fortwährend thätigen Ferments. Besonders seit einem Jahrzehend ist dieser Einfluß mit dem unter den Magyaren lebhafter als je angeregten Eifer für ihre Nationalität und Sprache, sowol durch den Widerspruch, den er einerseits hervorrief, als durch die Theilnahme, die andererseits ein so patriotisches Streben finden mußte, zur Erscheinung gekommen. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, auf diese Bewegungen in Ungarn – und zwar unter der Rubrik Ausland, da dieses Königreich zwar einem deutschen Fürsten, aber doch nicht Deutschland, nicht einmal in dem Sinne wie Kur- und Liefland, angehört – ausführlicher zurückzukommen und haben hier nur darauf hinzuweisen für nöthig gehalten, weil Ungarn eine Erklärung mehr für den Umstand abgiebt, daß der Kaiserstaat in den letzten Jahren von seinen frühern Verwaltungsgrundsätzen wesentlich abzuweichen angefangen.
Zunächst sind es allerdings die materiellen Interessen, denen in Oestreich Vorschub geleistet wird, aber es geschieht dies in einer Weise, daß dadurch auch nothwendig die geistigen Interessen gefördert werden. Besonders sind es Eisenbahnen und Posten, diese beiden Vermittler des innern Verkehrs, wie des internationalen Austausches der Werke des Gewerbfleißes und des Geistes, für welche die Regierung in der neuesten Zeit mehr als irgend ein anderes europäisches Land gethan. Nachdem die kaiserl. Regierung am 3. August d. J. den Bau von Staatsbahnen angeordnet, ist dieses Werk sogleich mit großer Energie angefangen worden und nach beiden Richtungen hin, sowol nach Prag als nach Triest, ist vom Mittelpunkt aus bereits im vorigen Herbst und den Winter hindurch gearbeitet worden, so daß der Unterbau von Olmütz bis Böhmisch-Triebau in einer Länge von 111/4 Meilen und (gegen Triest) von Mürzzuschlag bis Neudorf in einer Länge von 15 Meilen schon in diesem Frühjahr vollendet sein dürfte. Alle Eisenbahn-Bestandtheile für den im Sommer d. J. vorzunehmenden Oberbau konnten im Inlande bestellt und geliefert werden. Mit der königl. sächsischen Regierung ist im vorigen Herbst ein Vertrag abgeschlossen worden, demzufolge die Bauten beider Staaten im Elbthale zusammenstoßen und dergestalt eine einzige Bahn von Dresden über Prag nach Wien bilden werden. Eine Folge dieser Regierungsmaßregeln war, daß sich die bis dahin im Vertrauen der Kapitalisten außerordentlich gesunkenen Privat-Eisenbahnen wieder bedeutend gehoben, so daß die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn-Actien, die schon unter 70 pCt. ausgeboten wurden, jetzt wieder über pari bezahlt werden. Gegenwärtig hat die östreichische Regierung ein Anlehn von 50 Millionen Gulden zur Vollendung der Staatsbahnen eröffnet, und dasselbe den Bankhäusern Arnstein und Eskeles, Rothschild, und Sina, in zwölfmonatlichen Raten einzahlbar, zu 5 pCt. Zinsen überlassen.
Was die Posten betrifft, so hat zunächst ein Erlaß vom 31. März d. J. den Tarif für die Fahr- sowol als für die Briefposten regulirt und ermäßigt, so daß das Briefporto für die nahen Touren 6 und für die entferntesten nur 12 Kreuzer beträgt. Ferner wurden Unterhandlungen mit dem Auslande eröffnet, um den so lästigen Frankaturzwang auf die nach Oestreich gehenden und von dort nach dem Auslande bestimmten Briefe abzuschaffen und eine gleiche Ermäßigung des Portos auf transistirende und andere Briefe herbeizuführen. Bereits sind Verträge dieser Art mit Bayern, Sachsen, den fürstlich Thurn- u. Taxisschen und den Schweizer Posten zu Stande gekommen, und es ist zu erwarten, daß auch Preußen bald einen ähnlichen Vertrag mit Oesterreich abschließen werde, weil ihm sonst der Post-Transit nach dem nördlichen Deutschland, nach England und den skandinavischen Ländern, den es bisher mit den Thurn- und Taxisschen Posten theilte, gänzlich entgehen möchte.
Das Kaiserhaus ist in diesem Frühjahre mit der ganzen Monarchie durch die schwere Erkrankung des präsumtiven Thronerben, Erzherzogs Franz Karl, einzigen Bruders des regierenden Kaisers (geboren im Jahre 1802) in tiefen Kummer versetzt worden, der jedoch durch göttliche Fügung nach einigen Wochen wieder beseitigt wurde. Die ersten ärztlichen Bülletins wurden am 3. März ausgegeben und ließen sogleich auf ein intensives, Gefahr drohendes Leiden schließen, was sich auch bestätigte, indem sich die Krankheit als Typhus abdominalis auswies. Das letzte Bülletin (vom 31. März) kündigte jedoch die Wiederherstellung des Erzherzogs an, so daß er schon am 16. April zum ersten Male wieder ausfahren konnte.
Zur Freude über diese glückliche Wendung hat sich dem Kaiserhause auch noch eine andere gesellt, an der die Bevölkerung ebenfalls großen Antheil genommen. Am 5. April nämlich feierte der deutsche Held, der Sieger von Neerwinden und Aspern, der greise Erzherzog Karl, den Tag, an welchem er vor funfzig Jahren, zur Anerkennung seiner in den ersten Monaten des Jahres 1793 bewiesenen Tapferkeit, das Großkreuz des militairischen Marien-Theresien-Ordens erhalten hatte. Die Brust des Helden wurde durch neue Diamanten-Insignien jenes Großkreuzes geschmückt, und der Kaiser hat die Pensionen der sämmtlichen Ritter des Marien-Theresien-Ordens, die, einer frühern Verordnung zufolge, um etwa den vierten Theil ihres Betrages ermäßigt worden waren, von jenem Tage ab wieder um eben so viel erhöhen lassen. Sämmtlichen Großkreuzen, Commandeuren und Rittern des Marien-Theresien-Ordens, deren Anzahl sich nur auf etwas über hundert beläuft, und unter denen sich die Könige von Schweden, Belgien und Sardinien, die Herzöge von Wellington und von Angoulème befinden, sind goldene und silberne Exemplare einer zu Ehren jenes Tages geprägten schönen Denkmünze übersandt worden.
Preußen, das, als derjenige Staat, welcher bei weitem die meisten deutschen Einwohner zählt – denn Oesterreich hat nach Abrechnung der Slaven in Böhmen, Mähren, Steyermark und Illyrien kaum halb so viel der deutschen Nationalität angehörende Unterthanen – und weil es fast mit allen übrigen deutschen Staaten in Gränzberührung ist, auch hauptsächlich das Augenmerk der Vaterlandsfreunde auf sich zieht, hat den Erwartungen, die es seit dem Jahre 1840 erregte, freilich nur in sehr geringem Maße entsprochen. Gleichwol ist auch hier, wenn wir nicht eben an denjenigen Staat, der allen ubrigen vorangehen sollte, die höchsten Forderungen stellen, bei der Regierung sowol wie beim Volke eine Bewegung wahrzunehmen, die wir als Fortschritt anerkennen müssen. Vergleichen wir das, was uns über die Wirksamkeit der heutigen Provinzialstände Preußens bekannt wird, mit den vor 1840 erlassenen Landtagsabschieden, welche bis dahin das einzige Merkmal bildeten, an dem die Thätigkeit jener Ständeversammlungen zu erkennen war, so machen sich Veränderungen bemerklich, die wir allerdings als Uebergänge – wenn auch als sehr allmälige – von einer absoluten zu einer verfassungsmäßig beschränkten Regierungsweise ansehen dürfen. Nicht minder hat die Presse in Preußen, trotz der vielen Schwankungen in der Gesetzgebung über dieselbe, doch von dem Boden, der ihr zu Ende des Jahres 1841 eingeräumt wurde, noch ein gutes Theil übrig behalten, und besonders die rheinländischen Blätter wissen denselben mit Freimüthigkeit, wiewol nicht ohne Klugheit und Vorsicht, zu benutzen.
Am 5. März d. J. traten in den sieben Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen, Sachsen und Westfalen die Provinzialstände zu einer Session zusammen, wie sie nach des Königs im Jahre 1841 ertheilter Zusage unabhängig von den in Berlin sich versammelnden ständischen Ausschüssen, von zwei zu zwei Jahren wiederkehren soll. Die Stände der Rheinprovinz treten, einem von ihnen selbst ausgesprochenen Wunsche zufolge, gewöhnlich erst im Monat Mai zusammen. Sämmtlichen Provinzial-Landtagen wurden 12–14 königl. Propositionen vorgelegt, die, obwol nicht überall gleich, doch nur in unwesentlichen oder lokalen Dingen in den verschiedenen Provinzen verschieden lauteten. Ganz gleich für sämmtliche Ständeversammlungen war die wichtigste Proposition, nämlich die eines Strafgesetzbuches, mit dessen Entwurf zur bessern Uebersicht des Gesetzes und zur vereinfachtern Darlegung der Ansichten 64 verschiedene Fragen vorgelegt waren. Die übrigen Propositionen betreffen die Bearbeitung der Provinzialrechte, die Bedingungen des Grundbesitzes zur Ausübung ständischer Rechte und zum Landraths-Amte, die bürgerlichen Rechte bescholtener Personen, und andere Gegenstände von meistens untergeordnetem Interesse.
Von den genannten Provinzialversammlungen gehören – um ein in der politischen Sphäre einmal recipirtes Bild zu gebrauchen – Brandenburg und Sachsen zur rechten Seite, Pommern, Westfalen und Schlesien zum Centrum, Preußen und Posen dagegen zur linken. Der zu einem großen Theil aus Gutsbesitzern von polnischem Adel bestehende Landtag von Posen hat gleich in seinen ersten Sitzungen eine Adresse votirt, wie sie kaum entschiedener und oppositioneller von irgend einer nach einer freien Verfassung gewählten reichsständischen Versammlung ausgehen kann. Drei Beschwerden bildeten den Gegenstand dieser Adresse, und zwar 1) über die angeblich bedrohte polnische Nationalität der Einwohner des Großherzogthums Posen; 2) über die geringfügige Wirksamkeit, die dem nach Berlin berufenen ständischen Ausschuß eingeräumt worden, und 3) über die Beschränkungen der Presse durch die neueste Censurverordnung. Auf diese unterm 8. März erlassene und unregelmäßigerweise dem Könige direkt eingesandte – statt dem Oberpräsidenten und königl. Kommissarius übergebene – Adresse erfolgte bereits unterm 12. desselben Monats die vom Könige und vom Staats-Ministerium unterzeichnete Antwort, in welcher den Ständen ihr Verfahren streng verwiesen und ihnen zugleich gedroht wird, sie, falls sie dabei beharrten, nicht mehr regelmäßig mit den übrigen Provinzialständen einzuberufen. Der weitere Verlauf des Posener Landtages ist jedoch minder stürmisch gewesen, als sein Beginn, und wiewol die meisten zur Verhandlung gekommenen Fragen in liberalem Sinne beantwortet wurden, hielt man sich doch überall in den Schranken einer blos berathenden Versammlung. Ja, das königl. Schreiben vom 27. März, wodurch der Provinz das Anerbieten gemacht wurde, sie vom Jahre 1844 ab funfzehn Jahre lang mit 40,000 Thalern jährlich zur Erbauung von Kunststraßen zu unterstützen, wenn die Provinz in dieser Zeit eben so viel zu demselben Zweck aufbringen wolle, hat sogar sehr günstig gewirkt und die Gemüther ungemein versöhnlich gestimmt.
Eins jener furchtbaren Ereignisse, die besonders seit dem Unglücksjahr 1842 die Welt mit Trauer und Schrecken erfüllen, hat neuerdings Frankreich in seiner blühendsten Colonie betroffen.
Am 8. Februar 1843, genau neun Monate nach dem beispiellosen Unglück auf der Versailler Eisenbahn und dem [20] Brande von Hamburg erschütterte ein Erdbeben die Antillen. Pointe à Pitre, die bevölkertste und reichste Stadt auf Guadeloupe, wurde in einem Augenblick von Grund aus umgestürzt.
Das Erdbeben dauerte 70 Secunden. Solch’ ein flüchtiger Augenblick, der in einem glücklichen und thätigen Leben fast für nichts genügt, war dort hinreichend, eine ganze Stadt zu zerstören, die Trümmer in Brand zu stecken und mehre Tausend Menschen zu tödten. Was das Erdbeben verschont hatte, verschlang sogleich eine andere Geißel. Vier Tage lang zehrte die Flamme davon und verbrannte Alles, was unter den Trümmern lag: Lebendige, wie Leichen! Nur Eins verschonte die allgemeine Vernichtung: eine Uhr, die bei der ersten Erschütterung stehen blieb und genau den Augenblick anzeigte, in welchem das Unglück die Stadt überraschte.
Guadeloupe galt übrigens stets als ein gefährlicher Boden. Es besteht aus zwei, durch den Salzfluß, eigentlich einen Arm des Meeres, getrennten Inseln: Grande Terre im Osten, Basse Terre oder das eigentliche Guadeloupe im Westen. Basse Terre ist durchaus vulcanisch. Der gegen 5000 Fuß hohe Schwefelberg (La Soufrière) dampft fortwährend. An verschiedenen Stellen des Bodens dringen erstickende Dünste hervor. Auf einer bedeutenden Strecke des Meeres in der Nähe des Ufers ist das Wasser beständig siedend heiß. Dennoch hat diesmal Basse Terre mit seiner Hauptstadt gleiches namens weniger gelitten. Der Hauptstoß traf Grande Terre und besonders dessen Hauptstadt Pointe à Pitre.
Pointe à Pitre ward 1763 erbaut und hieß damals Morne Renfermé – der eingeschlossene Hügel. Siebzehn Jahre später, im Jahr 1780, legte eine Feuersbrunst fast die ganze Stadt in Asche. Damals ging sie aus ihren Trümmern bevölkerter, regelmäßiger, schöner und reicher wieder hervor. Mit Hülfe Frankreichs und bei der Thätigkeit und der Entschlossenheit ihrer Bewohner ist zu hoffen, daß sie auch dieses Mal wieder neu erstehen, daß sich eine dritte Stadt als treue Hüterin ihrer Mutter und Großmutter auf deren Grabe erheben werde.
Vor der Zerstörung zählte Pointe à Pitre 16–20,000 Einwohner, ganz Guadeloupe, auf einem Flächenraume von 30 Quadratmeilen, etwa 110,000 Einwohner, worunter 87,000 Negersklaven, 13,000 Weiße, 9000 freie Farbige waren. Es bildet mit den kleinen dazu gehörigen Inseln Desirade, Marie Galante und Les Saintes, nebst Martinique die französischen Besitzungen in Westindien, und bringt besonders Zucker, Kaffee, Indigo, Cacao und Baumwolle hervor. Columbus entdeckte es 1493; französische Flibustier nahmen es 1635 in Besitz; 1691 und 1705 griffen die Engländer es vergeblich an, 1759 gerieth es in deren Gewalt, kam aber 1763 beim Abschlusse des Friedens wieder an Frankreich; 1793 eroberten die Engländer es von neuem, wurden 1794 vertrieben, besetzten es 1810 abermals, und traten dasselbe 1813 an Schweden ab, von dem Frankreich es im Pariser Frieden zurückerhielt.
Am gedachten Tage um 10 Uhr 25 Minuten Morgens, bei einem Thermometerstande von nur 22°, vernahm man ein unterirdisches Tosen, worauf ein Erdstoß folgte, der, wie schon erwähnt wurde, 70 Secunden dauerte und alle steinernen Häuser umstürzte. Dann brach sogleich an 2–300 Stellen Feuer aus, welches auch die hölzernen Häuser verzehrte. Die Anzahl der von den Mauern Erschlagenen oder im Feuer Umgekommenen wird auf 6000 geschätzt. Der Verlust an Waaren etc. soll 30 Mill. Fr. betragen. Den Werth der zerstörten Gebäude gibt [21] man auf 40 Mill. Fr. an. Alle Documente, Archive, Obligationen etc. sind vernichtet. Der Hauptgewerbzweig des Landes ist unterbrochen. Von 56 Zuckerfabriken in der Nähe von Pointe à Pitre blieben nur 3 stehen. Das reife Zuckerrohr in den Pflanzungen verdarb. Auch auf dem Lande richtete das Erdbeben großen Schaden an. Mehre Ortschaften wurden dort ebenfalls ganz oder theilweise zerstört. Ungeheure Erdspalten thaten sich auf und spieen Wasserströme, Flammen und Asche.
„Wie dunkel die Schilderung unsers Unglücks auch gefärbt sein mag“, schreibt ein Geistlicher auf Guadeloupe einem Amtsgenossen in Paris, „stets wird sie noch weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Während wir bei einem Pfarrer in Pointe à Pitre, den ich besuchte, beim Frühstück waren, vernahmen wir ein Geräusch, ähnlich dem Wirbeln vieler Tambours, oder als ob Karren um das Haus führen. Es war das unterirdische Tosen des Erdbebens, das sogleich drei Viertel der Stadt zertrümmerte. Aber jetzt welch’ ein gräßliches Schauspiel! Noch lebende Wesen, in Stücken zerrissen, nach Hülfe rufend, wenn sie es vermochten, oder um den Gnadenstoß bittend; Tausende von Stimmen um Erbarmen flehend; der Staub all’ der Trümmer die Augen blendend und die Stimme erstickend; überall das Bild des Todes, der Verzweiflung! Nie wird die menschliche Sprache solche Scenen zu schildern vermögen! Und dies war erst der Anfang unserer Leiden; uns stand noch größeres Unglück bevor. Es brach Feuer aus, griff, von einem starken Winde angefacht, rasch um sich, und verzehrte Alles, was das Erdbeben übrig gelassen hatte. Binnen zwei Stunden hatte es seine Verheerungen überall verbreitet, neue Opfer gefordert, den frühern Beistand zu leisten verhindert und die Trümmer in einen Aschenhaufen verwandelt. Die Feuerspritzen waren von einstürzenden Häusern zerschlagen, und während die Fluthen des Oceans zu unsern Füßen strömten, hatten wir nicht ein einziges Gefäß, sie zu schöpfen und auf die verzehrenden Flammen zu gießen. Fast alle Kirchen auf der ganzen Insel sind eingestürzt etc.“ In einem andern Schreiben heißt es: „Dieses furchtbare Ereigniß erinnert an das Unglück auf der Versailler Eisenbahn. Allein es ist viel größer und hat außerdem den Todeskampf der unter den Trümmern eingschlossenen Opfer zum Voraus.“
Ueberall auf den Antillen rührte Guadeloupe’s Unglück Aller Herzen, regte es allgemeine Theilnahme an. Die Insel Martinique, welche vor vier Jahren ebenfalls von einem Erdbeben furchtbar heimgesucht worden, fühlte den Boden unter den Füßen zittern und ahnete sogleich das ungeheure Unglück. Mit Ungeduld, ängstlich wartete man auf Nachrichten. Endlich erscheint ein Schiff. Seine Flagge zeigt Trauer. Sogleich bilden sich Hülfsvereine; Geld, Brot, Kleider, Geräthe, Alles wird dargeboten, Alles wird gesammelt, und gleich geht ein erstes Schiff mit diesen ersten Hülfeleistungen ab.
In allen Colonien, die Frankreich in Westindien besitzt, [22] benahm sich die Bevölkerung bewunderungswürdig. Die Behörden ordneten und leiteten die gemeinsamen Anstrengungen mit Ordnung und Thätigkeit.
Die französische Regierung beantragte sogleich eine Unterstützung von 21/2 Mill. Fr. bei den Kammern, und diese bewilligten sie ohne alle Berathung. Ueberall bildeten sich Hülfsvereine, und eine Commission, in welcher der Minister der Marine und der Colonien den Vorsitz führt, vereinigt alle Gaben und überwacht deren Verwendung. Die Schulen, der Handelsstand, die Nationalgarde, die Presse, die Geistlichkeit, kurz ganz Frankreich schloß sich in großmüthiger Theilnahme an. Gegenwärtig sind durch freiwillige Beiträge bereits über drittehalb Millionen Franken zusammengebracht und zum Theil abgesendet worden.
Berichte aus Guadeloupe geben ein sehr düsteres Bild von dem moralischen und materiellen Zustande der Bewohner des von dem Erdbeben heimgesuchten Theiles der Insel. Der Anblick, den die verwüstete Stadt darbietet, wird mit dem einer Ruine verglichen, über welche schon Jahrhunderte hinweggegangen. Der Boden, auf welchem Pointe à Pitre stand, ist von großen Spalten zerrissen, welche ganze Massen von Schlamm ausgespieen haben. Die Quais haben sich an mehren Punkten anderthalb und zwei Fuß tief gesenkt. Der auf das Erdbeben gefolgte Brand der Stadt wird hauptsächlich unterirdischem Feuer zugeschrieben. Die Spitzen der meisten Berge der Insel sind eingestürzt. Die beiden Flüsse Lamentin und Moustique führen statt des Wassers nur noch Schlamm. Auf die fieberhafte Thätigkeit, mit welcher die Ueberlebenden in den ersten Tagen an der Rettung von Menschen und Eigenthum arbeiteten, ist, seitdem sich der ganze Umfang des Unglücks deutlicher übersehen läßt, Abspannung und Entmuthigung gefolgt. Alle durch die Umstände nothwendig gemachten Arbeiten werden durch den Mangel an baarem Gelde gelähmt. Man hat vergebens in den Gouverneur gedrungen, eine Summe von 11/2 Mill. durch Ausstellung von Wechseln auf den französischen Schatz zu realisiren und sie als Darleihe an die Verunglückten zu vertheilen. Auch die Einberufung der Colonialrepräsentation ist von dem Gouverneur zum großen Misvergnügen der Bevölkerung abgelehnt worden. Indessen müssen die ersten Geldsendungen von Paris bereits eingetroffen sein, und ohne Zweifel eine wohlthätige Wirkung hervorgebracht haben.
Das Departement der Marine rüstet mit löblichem Eifer fortwährend Schiffe aus, welche den Opfern des Erdbebens in Guadeloupe Hülfe bringen sollen. Die öffentliche Theilnahme spricht sich außerdem in Concerten, Lotterien, Benefizvorstellungen der Theater und selbst in Billardpartien aus, welche in den Cafés gespielt werden, und deren Einsatz demselben wohlthätigen Zwecke gewidmet ist; die bedeutendste Unterstützung hat jedoch der große Bazar im Palais Royal gewährt, der, von den ersten Damen von Paris gehalten, über 100,000 Fr. eingebracht hat.
Die deutsche Gewerbsthätigkeit ist kein Ergebniß, welches man anregenden und fremde Mitbewerbung ausschließenden Staatsmaßregeln verdankt, denn von jeher haben die Zölle in Deutschland mehr den Charakter einer Quelle für Staatseinnahmen, als den eines Schirms für eine sich entwickelnde Industrie an sich getragen. Jener Schirm war in den frühern Zeiten, in die wir uns zurückversetzen wollen, auch schlechterdings ohne alle Bedeutung, und würde eher von schädlichen als nützlichen Erfolgen begleitet gewesen sein, da er den deutschen Handel, der zur Zeit der Hansa so blühend war, nur hätte beschränken können. Wer erinnert sich nicht der deutschen Tuchgewerkschaften, der Rasch- und Zeugmacher, der Leinweber im Mittelalter; wer wüßte nicht, daß der Stammvater des mächtigen Geschlechts der Fugger ein Weber war, und daß jene großen Kaufleute deutscher Gewerbsthätigkeit ihren Aufschwung verdankten. Deutsche Waaren fand man in allen Häfen der damals bekannten Welt, wohin sie auf deutschen Schiffen geführt wurden. Jene festen Formen in der Betreibung der Gewerbe, welche wir jetzt noch unter dem Namen Zünfte, Innungen und Gewerke kennen, sowie die größte Freiheit des Handels, unterstützt durch die Geschicklichkeit, den Fleiß und die Rührigkeit der Deutschen, brachten in Deutschland einen Wohlstand hervor, von dem der damalige Flor der Städte, wir nennen hier nur Nürnberg und Augsburg, zeugen mögen. Dieser Zustand wurde uns von Frankreich und England beneidet; das durch ersteres hauptsächlich genährte Feuer des dreißigjährigen Krieges, während in Frankreich und England verhältnißmäßig Ruhe herrschte – zerstörte die friedlichen Werkstätten und vernichtete den Handel; die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien und die von Amerika hatten dem westlichen Europa mit seinen ausgedehnten Küsten einen unendlich großen Vortheil gegen Deutschland in die Hand gegeben. Die mit entschiedener Willenskraft begabte Staatseinheit Frankreichs und Englands benutzte, während Spanien von reichen Schätzen unthätig zehrte, ihre günstige Handelslage und die großen Vortheile, welche diese gewährte, um so viel als möglich, nicht allein die Natur-, sondern auch die Kunsterzeugnisse Deutschlands nicht nur von ihren eigenen Grenzen, sondern auch von neutralem Boden auszuschließen. Es bildete sich das englische und bald darauf das französische Absperrungssystem, nach dem unter den größten Strafen keine fremde Waaren die Grenzen überschreiten durften.
Daß unter solchen Umständen nach und nach eine sehr bedeutende Gewerbthätigkeit in England und Frankreich, wo übrigens schon sehr tüchtige Keime vorhanden waren, hervorgerufen werden mußte, liegt am Tage. Indessen brauchte hunderte von Jahren lang Deutschland die fremde Thätigkeit nicht zu scheuen. Allmälig aber, zur Zeit der französischen Revolution, machten sich die Folgen der englischen Maßregeln bemerklich. Englische Manufakturwaaren kamen zuerst nach Deutschland, als, einige Zeit nach der Einführung der Spinnmaschinen, sie besser als deutsche Waaren geliefert wurden. Napoleon wollte durch das Continentalsystem England mit seinen eigenen Waffen schlagen –; deutsche Manufakturen fingen an, sich mächtig zu entwickeln; indessen die darauf folgenden Befreiungskriege zerstörten wieder sowol Arbeitskräfte, als Capital. Während jener Zeit war die größte Ruhe in England; dasselbe aber beherrschte das Meer, schloß alle Handelsschifffahrt außer der seinigen aus, und versorgte die reichen überseeischen Länder und durch Paschhandel auch Deutschland mit den Erzeugnissen seiner Manufakturen, welche nun, unterstützt durch eine sich mächtig entwickelnde Mechanik, Riesenschritte vorwärts that, während Deutschlands Boden mit dem Blute der eigenen Söhne und der erschlagenen Feinde getränkt wurde, die Brandfackel über den Städten loderte und die bleiche Seuche ganze Bevölkerungen vernichtete. Nachdem der Friede wieder hergestellt war und die losgelassenen Fluthen der Völker in ihre Dämme zurückgetreten waren, verschloß sich England luftdichter denn je gegen das Eindringen fremder Gewerbserzeugnisse; ja es belegte fremdes Korn und Fleisch mit dem Bann und behielt seine eigennützigen Schifffahrtsgesetze bei. Frankreich folgte diesem Beispiele theilweise aus gerechter Nothwehr gegen England, theilweise zur Abwehr des Fremden, um das Eigene sich schneller erkräftigen zu lassen. Rußland säumte nicht, sich nach und nach mit Schlagbäumen zu umgürten. – Nun glaubte auch Oestreich nicht zurückbleiben zu dürfen. Das übrige Deutschland aber zersplitterte seine Kraft und verlor die Zeit durch halbe Maßregeln, durch ein System, in dem man die Grundsätze des durch keine Zölle beschränkten Handels mit dem Schutz der Landesindustrie gegen fremdes Übergewicht zu vereinigen suchte, ein System, bei dem das Land mit Schlagbäumen und Mauthbeamten überdeckt wurde, und wo dennoch die Grundsätze des freien Handels als maßgebend angenommen wurden. Den nie genug anzuerkennenden Bemühungen Preußens gelang es, dieser Verwirrung durch die Bildung und allmälige Erweiterung des Zollvereins im Wesentlichen ein Ende zu machen. – Die Unvollkommenheit des Tarifs trägt die Schuld, daß der deutsche Zollverein bis jetzt noch nicht sämmtliche deutschen Lande umschließt. Die hohe Besteuerung derjenigen Naturprodukte, welche wir mit weniger Ausnahme nur aus der Fremde beziehen können, wie Kaffee, Zucker, Reis, Tabak etc. beschränkt den Handel und den Austausch unserer Erzeugnisse, während die zu niedrigen Zölle auf Waaren, die wir durch unserer Hände Arbeit machen können, unsere Gewerbthätigkeit zu vernichten drohen. Statt daß wie früher Deutschlands Gewerbserzeugnisse alle Märkte erfüllten, hat gegenwärtig Englands mit furchtbarer, niederschmetternder Maschinenkunst ausgerüstete Fabriksindustrie auf allen Märkten den deutschen Handel und dem zufolge auch die deutschen Waaren verdrängt. Die deutschen Eisenwerke, statt eigene Erze zu verschmelzen, müssen englisches Roheisen verfrischen; die deutschen Zinnbergwerke stehen still, weil das Bancazinn zu wohlfeil ins Land kommt; die deutschen Spinnereien zerlegen ihre Maschinen, und durch die leeren Säle, die zertrümmerten Fenster pfeift der Wind. Die Spitzenklöpplerinnen des Erzgebirges tragen englische Spitzen und essen Baumrinde. Das ist das Schicksal deutscher Gewerbthätigkeit. Sie ist in vieler Hinsicht ein Fluch geworden für die Bevölkerung und ein bedrohlicher Geist für die Staatsgewalt. Und ist es etwa in England und Frankreich nicht noch viel schlimmer? – Aber das sind die Folgen jener verderblichen Maßregeln, durch Beschränkung der Handelsfreiheit gewerbliche Thätigkeit gewaltsam hervorrufen und zeitigen zu wollen. Daraus entstehen verkünstelte Verhältnisse innerhalb der Staaten selbst und in ihren Beziehungen zu einander, welche zusammenfallen beim leisesten Anstoß von außen. Englands erleuchtete Staatsmänner haben dies längst erkannt und arbeiten darauf hin, sich aus den unnatürlichen Zuständen herauszuwickeln. Da aber die Zugeständnisse, welche sie den handelsfreiheitlichen Grundsätzen machen, nicht frei von Rückhalten sind, über die sie nicht hinwegkommen können : so wäre es in der That unklug, gegen einen schwer bewaffneten Feind die eigene Wehr, und noch dazu eine sehr leichte, aus der Hand zu legen. – Sowol Oestreichs wie des Zollvereins – möchte bald des hochherzigen östreichischen Fürsten Wort in Erfüllung gehen: „Ein Deutschland“ – Fabriksindustrie – der Riesengeist, der auf Englands Ruf zu Ende des vorigen Jahrhunderts in die Welt getreten ist – ist noch nicht so gekräftigt, daß sie Stand zu halten vermag gegen die sorgsam genährte, scharf bewehrte, englische und selbst die französische Industrie. – Hier gilt es Nothwehr und gerechte Wiedervergeltung. Wir glauben, daß endlich die Völker dahin kommen werden, die Industrie- und Handelskriege aufzugeben, um sich versöhnt die Hände zu reichen. Zur Zeit aber, wo nicht allein Rußland und Frankreich ihre Zölle erhöhen und gegen Deutschland zu Felde ziehen, England nicht ehrlich zu Werke geht, vielmehr uns Deutschen nur das Bild des Fleisches im Wasser zeigt; so sogar die amerikanischen Staaten, welche sonst nie daran gedacht haben, und zu ihrem eigenen Wohl auch nicht hätten daran denken sollen, zu fabrizieren, hohe Zölle auflegen, um Spinnereien und Webereien zu zeitigen; zu dieser Zeit ist es wol nicht gerathen, die Grundsätze eines durch keine Zölle beschränkten Handels ins Leben einzuführen, wenigstens in so weit nicht, als dieselben die deutsche Gewerbthätigkeit zu vernichten im Stande sind.
Unter den Einflüssen, deren geschichtliche Entstehung wir soeben mit einigen scharfgezogenen Umrissen zu verdeutlichen gesucht haben, unter eigenen und fremden Zoll- und Schutzmaßregeln, unter dem Druck, der auf der deutschen Schifffahrt lastet, unter der Ruthe der übermächtigen, englischen Fabrikindustrie leidet jetzt im Allgemeinen die deutsche Gewerbthätigkeit. Im Besonderen aber auch durch den schlechten Ausfall der vorjährigen Ernte und durch die hohen Preise der Lebensmittel, wodurch die Käufer verhindert werden, viel Waaren zu kaufen, die Arbeiter vermehrten Lohn erhalten oder schlechter leben müssen. Mit geringer Ausnahme befinden sich sämmtliche deutsche Fabrikzweige in einem kränkelnden Zustande.
Von den Geschäftszweigen, über die wir im Laufe unserer Mittheilungen über Handel, Industrie und Technik Gelegenheit nehmen werden, uns zu verbreiten, erblicken wir zunächst die Spinnereien, welchen Stoff sie auch verarbeiten mögen – mit Ausnahme der Streichgarnspinnerei, welche in Folge des Aufschwunges blüht, den die lange im Argen gelegene deutsche Tuchmanufactur vornämlich durch die Bemühungen Chemnitzer Maschinenfabrikanten genommen –, in sehr leidender Verfassung. Die Baumwollspinnerei zu allermeist, da die Preise so gedrückt sind, daß das werbende Capital bis auf ein Fünftel zusammengeschmolzen ist und Niemand es noch wagt, wider die Engländer in die Schranken zu treten, [23] die ihr Garn fast zollfrei einführen dürfen. Für 40 Millionen Thaler englisches Garn sind im Jahr 1842 in die Zollvereinsstaaten importirt worden. – Dagegen haben seit drei Jahren allein in Sachen 40 Baumwollspinnereien liquidirt, ihre Maschinen nach Böhmen verkauft, oder sind bankerott geworden. –
Die Maschinen-Flachsspinnerei kränkelt sehr, obgleich vielleicht nur 4 Spinnereien in den Vereinsstaaten in Thätigkeit sind. Die Handspinnerei verschwindet täglich mehr und mehr. – England producirt Maschinen-Flachsgarn schon über eigenen und fremden Bedarf; früher wurde deutsches Handgespinnst nach England eingeführt. Die Kammwollspinnerei ist gedrückt, da unsere Thibets und Merinos von den englischen halbwollnen, höchst billigen Waaren, von den sogenannten Orleans, Moheirs, Alpakas verdrängt werden und die Ausfuhr nach Amerika ganz und gar stockt. Die Leinweberei siecht überall in Deutschland; theils wird ihr der entferntere und sogar mehrfach auch der innere Absatz durch die irländischen Leinenzeuge verkümmert, theils beschränkt die vermehrte Verwendung baumwollener Zeuge den Verbrauch der leinenen, besonders verderblich wirkt endlich die Vermischung leinener und baumwollener Faden in einem und demselben Stoffe, da der gute Glaube dadurch erschüttert wird. Die Baumwollenmanufaktur in allen ihren verschiedenartigen Ausläufern: der Kunstweberei, Färberei, Druckerei würde in Deutschland ein sehr gutes Absatzfeld finden, wenn nicht die englische Concurrenz in manchen Artikeln entgegenstünde. Inzwischen breitet sie sich dennoch aus und veredelt sich; auch ist nicht zu leugnen, daß die Baumwollweberei starker, schwerer Zeuge durch den Zoll sehr begünstigt ist. Die Strumpfwirkerei liegt darnieder nicht in Folge englischer Concurrenz, sondern der eigenen und der zerrütteten überseeischen Handelszustände, auf die das Strumpfgeschäft sich im Allgemeinen mehr gestützt hatte, als anzurathen war. Viele Tausende von Strumpfwirkern sind brotlos und suchen Beschäftigung beim Straßenbau, zu der ihre Körperkräfte nicht im Verhältniß stehen. Die Zeugdruckerei steht auf einem gesunden Boden und, wenn auch von einigen Seiten das Geschäft übertrieben und dadurch verdorben wird, so erholt sich dasselbe doch jederzeit wieder durch Entfaltung eines neuen Geschmacks und Erfindung schöner Muster. Die Wollenweberei besitzt besonders in den leichteren gemischten Streichgarnzeugen die Füglichkeit zu einer recht vielseitigen Geschäftsentwicklung. Die Tuchmanufaktur, wie bereits erwähnt, hat sich aus einem längern Versunkensein zu sehr erfreulicher Rührigkeit emporgerafft und überall zeigen sich die erfreulichsten Erfolge sowol in Bezug auf Schönheit, als auch auf Preiswürdigkeit der Tücher. Wir werden uns vorbehalten, diesen interessanten Aufschwung, seine Ursachen und Folgen näher zu beleuchten. – Nur durch ausgezeichnete Kammgarngewebe in Verein mit Seide, Druck und Broschirung wird sich dem Uebergewicht Englands einigermaßen begegnen lassen. Deutschland leistet darin bereits Vorzüglichstes, wird und muß weiter darin vorschreiten. – Die allmälige Verbreitung der Seidenweberei in Sachsen, es sind hier vielleicht 800 Stühle gangbar, die Thätigkeit der rheinischen und berliner Fabrikanten geben von der tüchtigen Grundlage dieses Gewerbes Zeugniß, die nur wegen der Liebhaberei der Frauen für fremde Moden und der hohen Ausbildung der lyoner Manufaktur nicht so fortschreiten kann, wie es unter anderen Voraussetzungen wol geschehen dürfte. – Die Band-, Franzen- und Posamentierfabrikation ist, was Modeband betrifft, sehr von den Schweizern in Schach gehalten – einfachere Bänder liefert das Bergische in großer Fabrikvollkommenheit, – während die Bänder des sächsischen Obergebirgs fast ganz verschollen sind. – Wien, die Schweiz und Frankreich insbesondere liefern die Bänder, mit denen die Frauenwelt sich vorzugsweise gern schmückt. Die Posamentierfabrikation des Erzgebirgs erfreut sich der Gunst der Mode; dahingegen ist es Deutschland bekannt, wie über alle Beschreibung die gebirgischsächsische und böhmische Spitzen- und Nähwaarenfabrication darniederliegt und dies allerdings aus dem Grunde, weil die englischen Spitzen bei ziemlich gleicher Schönheit um das zehn- bis fünfzehnfache billiger sind. – Vor 15 Jahren machte der Fabrikant F. G. Wieck, in Verein mit einer Gesellschaft, welche gegen eine halbe Million Thaler disponirte, in Sachsen große Anstrenungen, die englische Art der Spitzenfabrication einzuführen; sie waren vergeblich, da wider England kein Schutz zu erlangen war. Die Maschinen wurden nach Oestreich verkauft, der Unternehmer ging zu Grunde und 40,000 Arbeiterinnen, die dadurch einer neuen Beschäftigung hätten zugeführt werden können, sind gegenwärtig fast ganz ohne Verdienst. Für feine, theure Spitzen, für ausgezeichnete Stickereien kann sich das Verhältnis zu Gunsten der Hand wenden, für den Hauptartikel, schmale und Mittelwaare, niemals.
Der Maschinenbau nimmt in der modernen Industrie einen sehr bedeutenden und bezeichnenden Platz ein; es ist dies auch ganz natürlich, da die Industrie in ihrer Allgemeinheit vorzugsweise auf Maschinenkraft und Maschinenentwickelung beruht. Nach dem Stande und dem Bestehen des Maschinenbaues ist ein zurückschließendes Urtheil auf den Zustand der Manufakturthätigkeit desselben Landes mit größter Wahrscheinlichkeit zu fällen. Selten geht der Maschinenbau einer günstigen Fabrikthätigkeit hinterdrein, sondern gemeiniglich voraus. Der Maschinenbau ist die Wurzel der Industrie. Wir haben das Drehrad bei Seite gestellt und uns die Dampfmaschine zugesellt, welche eigens geschaffen scheint, die unermüdliche Sklavin des Menschen zu sein. Und das ist ein offenbarer Gewinn und eine Wiedereinsetzung des Menschen in seine Würde, der doch nicht dazu geschaffen ist, rundum in der Mühle zu treten und gedankenlos sein ganzes Leben lang den Schützen zu schießen. Weniger die Wasserkraft, die unzuverlässig ist und noch andere Dinge, z. B. Berieselung, zu verrichten hat, sondern die Dampfkraft ist die Kraft, der Deutschlands Industrie mehr und mehr zu vertrauen anfängt, wohl belehrt, daß sie es hauptsächlich ist, der England seine großen Erfolge, sein derzeitiges Uebergewicht zu danken hat. Daher schreitet der Dampfmaschinenbau, neben dem der Industriemaschinen mächtig vor, und wird unsere Gewerbthätigkeit unter den nothwendingen Voraussetzungen dahin bringen, daß, Wind u. Sonne getheilt, wir mit England und Frankreich in den Schranken stehen können. In der großen Mannichfaltigkeit der Waaren gefällt sich die fortschreitende Ausbildung der Metallwaarenfabrikation in all ihren unendlich verschiedenen Verzweigungen und Eigenthümlichkeiten. Die Begünstigung, welche im Durchschnitt der Tarif jenem Betriebszweige angedeihen läßt, hat zu seiner naturgemäßen Entwickelung beigetragen, denn uralt sind die Gewerke der Metallarbeiter in Deutschland. Eisen ist neben den Lebensmitteln überall die Grundlage der Existenz; wenn seine Erzeugung im Lande gefährdet wird, heißt dies die Nation mit der Beraubung des Pflugs und des Schwertes bedrohen. – Solches ist jetzt in den Zollvereinsstaaten der Fall, wo das englische Roheisen zu einem so wohlfeilen Preise eingeführt wird, daß die Hüttenwerke nach und nach zu schmelzen aufhören müssen, wodurch viele Capitalien und Existenzen vernichtet und ein bedeutendes Grundeigenthum entwerthet wird. – Aller Orten bilden sich ephemere Gießereien und Frischereien, welche zu ihrem Betrieb sich des englischen Roheisens bedienen. Dahingegen werden von Tage zu Tage mehr Hohöfen in Schlesien und am Rhein ausgeblasen.
Aus der gegebenen Schilderung, so wünschen wir, mögen unsere lieben Leser den Zustand unserer deutschen Fabrikindustrie wohl erkennen und es ihnen deutlich werden, daß eine große Umsicht im Einzelnen und im Ganzen oben und unten dazu gehört, das lebendige Getriebe so in Gang zu halten, daß Alles sich neben und unter einander bewege, ohne sich gegenseitig zu stören. Sie werden nach einigem Nachdenken inne werden, daß die Interessen des Handels und der Industrie, sogar einiger Industriezweige unter einander, zuweilen auch die des Landbaues und der Industrie einander entgegen zu stehen scheinen, und es zu einem Kampfe den Anschein habe. Auch ist dies wirklich der Fall und wird solches durch die verkünstelten Verhältnisse herbeigeführt, in welche prakticirende Staatsärzte nach und nach alle Staaten gebracht haben, so daß von einer natürlichen Regung und Bewegung gar nicht mehr die Rede sein kann und man aus gegenseitigen Übergriffen, Misverständnissen und nothgedrungenen Zugeständnissen, damit nur eben ein äußerlicher Friede hergestellt werde, gar nicht herauskommt. Wäre die Regung und Bewegung in natürlicher Freiheit möglich und es scheint dies kaum der Fall zu sein, da selbst die jüngsten Staaten sich Zollfesseln anlegen, so würde kein Zusammenstoß zwischen den Interessen der Gewerbthätigkeit, des Handels und des Landbaues geschehen können, sondern diese Entwickelungen und Entfaltungen menschlicher Arbeit würden neben einander zu allseitigem Nutzen und ohne gegenseitige Beeinträchtigung vor sich gehen. – Einen solchen Zustand zu erträumen, da er ihn nicht herbeizuführen vermag, gefällt dem Menschenfreunde; wir haben uns die Aufgabe gestellt, für das Erreichbare nach besten Kräften thätig zu sein.
Es hat zu keiner Zeit an menschlichen Versuchen gefehlt, den Vögeln die Kunst des Fliegens abzulernen, oder auf ähnliche Art in der Luft zu schwimmen, wie die Fische im Wasser. Alle dergleichen Versuche haben entweder ein trauriges Ende genommen, wie z. B. die von Degen in Wien, oder zu keinem bemerkenswerthen Resultate geführt, wie die von Zachariä in Kloster Roßleben. Man verlor dabei aus den Augen, daß es nicht genügt, einen Apparat zu construiren, welcher in der Form dem Fisch oder Vogel ähnlich und mit beweglichen Flügeln oder Rudern von einer dem zu hebenden Gewichte, der Rechnung nach, mathematisch entsprechenden Widerstandsfläche versehen ist; man müßte auch ein Material haben, welches bei der größten Leichtigkeit dieselbe Elasticität und Widerstandsfähigkeit hat, wie die Vogelfeder, man müßte dem Menschen eine Muskelkraft ertheilen können, welche jener des Vogels gleicht. Beides ist nicht möglich, und indem der Körper des Menschen an sich schon etwas schwerer ist, als der Vogelkörper und auch der bekannten Vorrichtungen entbehrt, wodurch sich der Vogel leichter und schwerer machen kann, befinden wir uns in der unangenehmen Lage, Flügel von ungeheurer Widerstandsfläche haben zu müssen, denen man durchaus nicht die erforderliche Festigkeit geben kann, wenn sie nicht zu schwer werden sollen, und die sich überhaupt durch Menschenkraft mit der erforderlichen Geschwindigkeit nur auf Augenblicke bewegen lassen. – Henson’s neuerfundene, in England und Frankreich patentirte, aber, trotz allen Zeitungslügen und Puffs noch in keinem großen Versuche praktisch bewährte Maschine, soll die unzureichende Menschenkraft durch eine Dampfmaschine ersetzen. Man sieht aber leicht, daß die Widerstandsfläche der Flügel, welche eine kleine Dampfmaschine von 600 Pfund, einen Wagen und eine Anzahl Personen schwebend in der Luft erhalten sollen, so ungeheuer sein muß, daß die Bedingung einer nur einigermaßen genügenden Festigkeit unmöglich erfüllt werden kann. Sollte man also auch, was immer noch zu bezweifeln ist, sich mittels dieser Vorrichtung auf eine Strecke erheben und in der Luft erhalten können, so ist doch so gar keine Garantie für eine Verbiegung, einen Bruch der Flügel u. s. w. gegeben, daß von praktischer Benutzung keine Rede sein kann. Uebrigens ist, so weit man aus den beistehenden, obgleich in wesentlichen Beziehungen undeutlichen Zeichnungen sehen kann, die Construction immer noch sehr roh. Fast ganz undeutlich ist die Angabe englischer Journale, daß der Apparat sich nicht selbst erheben könne, sondern durch eine äußere Kraft auf einer schiefen Ebene seine Anfangsgeschwindigkeit empfangen müsse; dieser Umstand allein, wäre derselbe begründet, und nicht wenigstens ein Ausgleichungsmittel angegeben, würde die ganze Sache zu einer aller Berücksichtigung unwürdigen Charlatanerie stempeln. Von den nachstehenden Figuren giebt die eine nur eine hypothetische Ansicht des hoch über Stadt u. Land schwebenden Ungethüms, die beiden andern sollen die Construction versinnlichen. A sind die beiden Flügel, jeder 150 Fuß lang und 30 Fuß breit, aus eisernen Rahmenwerke construirt, über welche ein seidener oder leinerner Ueberzug gespannt ist; letzterer besteht aus 3 Theilen, welche durch eine Schnur ausgespannt und zusammengerafft werden können, um den Widerstand zu mehren und zu mindern. Als Ganzes sind die Flügel nicht beweglich (!?), sondern werden durch die eisernen Stützen BB, sowie durch darüber gespannte Seile festgehalten und sind mit dem festen Mittelstück CC unveränderlich verbunden. Man sieht also, daß diese Flügel nur die Wirkung der Schwere aufheben und das Fahrzeug horizontal schwebend auf der gegebenen Höhe erhalten sollen. Als forttreibende Theile sind die beiden Windräder DD anzusehen, welche durch die Dampfmaschine G – mit welcher zugleich der Wagen für Personen u. s. w. in Verbindung steht – in schnelle Bewegung versetzt werden. Die Veränderung der Richtung in der Horizontalebene wird theils durch das Steuer H, theils durch den aus einzelnen Stangen fächerförmig zusammengesetzten, mit Zeug bespannten, um das Gelenke F frei beweglichen Schwanz E bewirkt. Die Dampfmaschine selbst soll manche sehr gute Einrichtungen
[24]haben, die besonders große Ersparung an Raum und Gewicht mit sich führen, und also vielleicht einen bleibenden Gewinn geben werden, wenn auch die Anwendung für Luftschiffe ein frommer Wunsch bleiben sollte. Die Maschine ist zweigliedrig, hat einen aus beziehentlich 41/2 und 1 Zoll weiten und 50,3 Zoll langen, abgestumpften Kegeln zusammengesetzten Röhrenkessel und einen aus Röhren gebildeten Condensator, in welchem die Condensation durch die Luftströmung geschieht. – Hat nun auch Henson die großen Flügel nur zu passiver Gegenwirkung gegen das Bestreben zu sinken bestimmt, und nur die Windräder u. den Schweif beweglich gemacht, so daß allerdings die Kraft der Dampfmaschine für die Bewegung ausreichen möchte, so ist doch in dieser Gestalt die Maschine höchstens geeignet, in ruhiger Luft sich auf einer bestimmten Höhe – auf die sie sich selbst aber nicht erheben kann – zu erhalten und in horizontaler Richtung beliebig zu bewegen; sie wird aber nicht beliebig steigen können, und gewiß nicht im Stande sein, Windstößen zu widerstehen. –
Das Verfehlte aller frühern und auch dieses Versuchs liegt wol zum Theil darin, daß man ganz von einer Verbindung mit einem Luftballon abgesehen hat. Besonders durch Green’s Bemühen sind wir dahin gekommen, daß man mit Sicherheit hoffen darf, durch Anwendung von Metallblech Ballons zu construiren, welche ziemlich bedeutende Lasten tragen und sich ohne Gasverlust wochenlang in der Luft erhalten können. Ein solcher Ballon erfüllt also die Bedingung des vollkommenen Schwimmens, d. h. des vollständigen Aufhebens der Last an und für sich; bei guter Regulierung ist man auch bekanntlich im Stande, ihn auf jeder beliebigen Höhe zu erhalten, ihn sinken und steigen zu lassen; aber es fehlt ihm noch das Vermögen, seine Richtung unabhängig von der Richtung der Luftströmungen zu bestimmen, wozu in diesem Falle eine verhältnißmäßig viel geringere und also den oben gemachten Einwürfen weniger ausgesetzte Widerstandsfläche nöthig ist. Es sind auch dazu manche verfehlte Vorschläge gemacht worden, und man hat keinen Grund, den Versicherungen öffentlicher Blätter zu glauben, daß es in Frankreich gelungen sei, diese Schwierigkeit zu überwinden. Aber jedenfalls ist von Directionsapparaten in Verbindung mit einem Ballon mehr zu erwarten, als von Flugmaschinen, welche jede Mitwirkung eines Ballons verschmähen.
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Zu allen Zeiten hat es Geister gegeben, die so weit über ihre Mitwelt hinausragten, daß sie von ihr zwar angestaunt und bewundert wurden, aber nicht ganz verstanden werden konnten. Für sie ist dann immer früher oder später, nachdem Generationen vorübergegangen waren, welche ihre Schöpfungen fast unbeachtet gelassen und ihrer Größe nur eine historische Pietät gewidmet hatten, eine Zeitepoche eingetreten, mehrentheils von geistesverwandten Männern herbeigeführt, in welcher ihr Ruhm von Neuem ein lebendiger geworden, in welcher das innigere Verständniß für die Werke jener ihrer Zeit vorausgeeilten Geister an die Stelle der bloßen Anstaunung getreten ist, in welcher also erst ihre Größe wahrhaft erkannt und recht gewürdigt worden ist. So ist es mit dem größten aller dramatischen Dichter, Shakspeare, geschehen, so geschieht es auch in der Jetztzeit mit Johann Sebastian Bach, dem Kirchencomponisten von bis jetzt noch immer unerreichter Größe. Auch seine von urkräftigem und reichem Geiste durchwehten Werke sind über ein Jahrhundert lang von andern, mit der vorübergegangenen Zeit gekommenen und größtentheils wieder verschwundenen verdrängt gewesen. Erst in der neuesten Zeit haben sich einige Männer, gleich ausgezeichnet durch Geist, Kenntniß und Kunstgeschmack, unter ihnen namentlich Fr. Rochlitz und Mendelssohn-Bartholdy, selbst ein würdiger Geistesgenosse Bach’s, das hohe Verdienst erworben, die Werke des großen Tonmeisters wieder an das helle Licht zu ziehen und die Zeit herbeizuführen, wo Bach’s Tonschöpfungen in ihrer ganzen Größe empfunden und immer mehr erkannt werden.
Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit, auf das Leben und Schaffen Bach’s, ehe wir Weiteres darüber sagen und ehe wir aus den letzten Tagen die Feier, womit ein der Stadt Leipzig von Mendelssohn-Bartholdy ihm errichtetes Denkmal übergeben wurde, zu schildern unternehmen.
Johann Sebastian Bach wurde zu Eisenach am 21. März 1685 geboren, wo sein Vater Johann Ambrosius Bach, Hof- und Raths-Musikus war. Von seiner Mutter ist weder der Name noch sonst etwas Näheres bekannt. Die Bach’sche Familie, deren Mitglieder mehre Generationen hindurch alle mit vorzüglichem musikalischen Talent begabt waren, stammt aus Preßburg von einem Bäcker, Veit Bach, welcher in Folge der ausgebrochenen Religionsunruhen im 16. Jahrhundert von Ungarn nach Thüringen übersiedelt war und dort in dem Dorfe Wochmar bei Gotha sich niedergelassen hatte.
Nur 10 Jahre alt, verlor er bereits seine Eltern durch den Tod; wie aber so oft das scheinbare Wehe durch die Vorsehung zum Wohle sich gestaltet, so mag auch hier der Umstand, daß in Folge der Verwaisung Bach’s sein älterer Bruder Johann Christoph Bach, Organist zu Ohrdruff, ihn zu sich nahm, viel dazu beigetragen haben, daß der unwiderstehliche Drang nach Beschäftigung mit Musik, welcher sich bei Bach schon im elterlichen Hause kund gegeben hatte, bei dem Bruder, einem tüchtigen Orgelspieler, eine geregelte Nahrung, namentlich dadurch fand, daß ihm sein Bruder selbst Unterricht im Clavierspiele ertheilte. – Bach’s Liebe zur Musik gab sich hier als eine so leidenschaftliche und feurige zu erkennen, daß sein Bruder, wahrscheinlich fürchtend, es möge etwa der sonst dem Knaben nöthige Schulunterricht darüber vernachlässigt werden, ihm hin und wieder Einhalt thun zu müssen glaubte. So hielt er ihm einst ein Buch Musikalien vor, wonach der junge Bach besonders lüstern war, weil es Compositionen von Frohberg, Knel, Pochelbel und andern der berühmtesten Componisten der damaligen Zeit enthielt. Da wußte aber der Schüler heimlich dazu zu gelangen und die ersehnten Werke sich dadurch anzueignen, daß er sie nach und nach des Nachts im Mangel des Lichtes bei Mondschein abschrieb, was er sechs Monate hindurch fortsetzte, bis der Bruder dahinter kam und auch die so mühevoll erlangte Abschrift ihm wegnahm. Nur kurze Zeit kann der Aufenthalt bei seinem Bruder gewährt haben, da er nach dessen Tode auf die Michaelisschule zu Lüneburg kam und noch als Diskantist in das dortige Sängerchor aufgenommen wurde. Wie sehr auch hier der junge Bach, der seine schöne Diskantstimme bald verlor, mehr auf das Clavierspiel hingewiesen, auf seine weitere musikalische Ausbildung bedacht war, geht unter anderm daraus hervor, daß er mehrmals nach Hamburg reiste, nur um den damals berühmten Orgelvirtuosen, den Organist Joh. Adam Reincke zu hören, sowie er auch oft nach Celle wanderte, um in der dortigen herzoglichen Kapelle den französischen Geschmack in der Musik kennen zu lernen.
Erst 18 Jahre alt wurde er im Jahre 1703 als Hofmusikus in Weimar angestellt, welche Stellung er jedoch schon im folgenden Jahre 1704 wieder verließ, um eine Organistenstelle zu Arnstadt einzunehmen. Auch hier weilte er nicht lange, er wechselte vielmehr in rascher Folge noch mehrmals Aufenthalt und Stellung, ehe er diejenige fand, welche ihn sodann auf Lebensdauer fesselte. So kam er 1707 als Organist nach Mühlhausen, 1708 abermals nach Weimar, wohin er als Hoforganist berufen und 1714 Concertmeister wurde, endlich nach Köthen, wo er als fürstlicher Kapellmeister bis 1723 wirkte.
In diesem Jahre berief ihn der Stadtrath zu Leipzig zur Kantorstelle an der Thomasschule, nachdem Johann Kuhnau, welcher diese Stelle zuletzt eingenommen hatte, am 25. Juni 1722 gestorben war, und diesem Rufe folgte Bach. Er trat die Stelle am 30. Mai 1723 an und erfüllte treulich und gewissenhaft die von ihm geforderten Pflichten, die zunächst dem aus etwa 50 Alumnen gebildeten Thomanerchor gewidmet waren, bis zu seinem Tode. Bei seinem Unterrichte sah er besonders auf Tüchtigkeit in der praktischen Ausführung, und seine Lehrgabe, verbunden mit unerschütterlicher Wahrheitsliebe und der ihn in allen Verhältnissen auszeichnenden Humanität, gewann ihm den Ruf eines eben so strengen und gefürchteten als inniggeliebten und treuverehrten Lehrers. Allein dieses einzige Feld der Thätigkeit genügte seinem rastlos strebenden Geiste nicht.
Als einer der bedeutendsten Orgelspieler nach Leipzig berufen, errang er hier seinen Ruhm als Kirchencomponist. Zwar hatte er schon vor 1723 eine große Anzahl Tonwerke, zum großen Theil für Clavier und für Orgel, componirt, da ein ununterbrochener Fleiß ihn vor manchen andern genialen Menschen auszeichnete; aber keines derselben war durch den Druck verbreitet. Erst 1725 erschien ein gedrucktes in Kupfer gestochenes Werk von ihm, und diesem schlossen sich dann in rascher Folge eine große Anzahl anderer an. Der Mechanik des Spiels durch rastlose Uebung seit seinen Kinderjahren in jeder Beziehung Herr, konnte er nun, durch nichts mehr an der vollkommen freien Bewegung im ganzen Bereiche der Kunst gehindert, aus seinem reichen Genius, der eine unversiegbare Quelle bot, schöpfen. Seine jetzige Stellung enthielt für ihn überdies nahe Veranlassung, mit größeren Kirchen- und Gesangcompositionen aufzutreten, und sein Ruhm als Kirchencomponist verbreitete sich mit raschem Flügelschlage über die ganze musikalische Welt.
Alle Bewunderung und Ehrerbietung aber, die ihm deshalb täglich und überall gezollt wurden, vermochten seine bei ihm als wirkliche Tugend erscheinende ächte Bescheidenheit, die er überall im Leben bewies, nicht wanken zu machen. Er glaubte, wie er sich oft darüber aussprach, Alles seinem Fleiße zu verdanken zu haben und daß jeder andere, der eben so fleißig sei, wie er, es auch dahin bringen könne; er schien dabei auf die hohen Gaben, die er von der Natur empfangen, nichts zu geben. Diese Tugend, verbunden mit geselligen Vorzügen, die er außerdem besaß, machten seine persönliche Erscheinung zu einer liebenswürdigen und überall gern gesehenen. So blieben ihm nach Forkel’s, seines Biographen, Zeugnisse die Fürsten, bei denen er früher gelebt hatte, der Fürst Leopold von Köthen, der Herzog Ernst August von Weimar, so wie der Herzog Christian von Weißenfels stets mit herzlicher Liebe zugethan und so erwarb er sich auch in Leipzig sehr viele wahre Freunde. Seine Gastfreundschaft war eine so große, daß nach Angabe desselben Schriftstellers, der aus unmittelbarer Quelle schrieb, sein Haus fast nie von Gästen leer wurde.
Nicht minder war Bach, zweimal verheirathet, das Muster eines guten Familienvaters, eine Tugend, die ihn ebenfalls über manchen seiner Geistesverwandten stellt. Er war der treueste Gatte und Vater; der Pflege und Bildung seiner Kinder widmete er die größte Sorgfalt. Von [26] seinen 11 Söhnen haben sich besonders vier in der Kunst ihres Vaters, dessen Unterricht sie von Kindheit an genossen, einen guten Namen erworben; außerdem hatte derselbe noch 9 Töchter, allein von seinem ganzen Hause ist nur noch ein Enkel, Sohn Johann Christoph Friedrich Bach’s, nach seinem Aufenthaltsorte der Bückeburger genannt, am Leben, und, obschon über 70 Jahre alt, als Musikdirector in Berlin thätig.
Wie seinen großen Zeitgenossen Händel, traf den Meister in späteren Jahren das Schicksal der Erblindung, und doch blieb seine Schöpfungskraft die frühere. Noch kurze Zeit vor seinem Tode dictirte der blinde Vater Bach seinem Schüler und Schwiegersohne Altnikol die kunstreiche achtstimmige Motette: „Komm Jesu, komm! mein Leib ist müde, der saure Weg ist mir zu schwer“, die seine schwer gebeugte Gemüthsstimmung, aber zugleich seine unerschütterliche religiöse Glaubensstärke in tiefergreifender Weise in Tönen aussprach. Seine Leiden nahmen jedoch in dem halben Jahre, das er nach der so übel ausgefallenen Augenoperation noch erlebte, immer mehr zu und wurden immer schmerzvoller. Die scheinbar erfreuliche Erscheinung, daß er am 18. Juli 1750 des Morgens wie durch ein Wunder plötzlich wieder sehen und das Licht vertragen konnte, war nur der Vorbote eines Schlagflusses, der ihn wenige Stunden später traf und welchem, da er noch überdies ein hitziges Fieber nach sich zog, der einst so kräftige Körper am 28. Juli 1750 unterlag. Seine letzten Stunden waren schmerzlos.
Sein entseelter Körper wurde am 30. Juli zur Erde bestattet. Aber fragt man jetzt nach dem Grabe des großen Joh. Seb. Bach, kein Mensch in Leipzig vermag, wie es Jeder mit Stolz können sollte, auf seine Ruhestätte hinzuweisen und zu sagen: Siehe, hier liegt unser Bach! –
Von den Schülern Joh. Seb. Bach’s sind besonders die insgesammt berühmt gewordenen Johann Caspar Vogler, Joh. Ludw. Krebs, Gottfr. Aug. Hömilius und Joh. Philipp Kienberger zu nennen.
Während aber die leibliche Nachkommenschaft des Gefeierten bis auf einen Enkel ausgestorben ist, sind die Kinder seines Geistes noch von so urkräftiger Frische belebt, daß die Vergänglichkeit kaum einigen Theil an ihnen zu haben scheint. Bach’s Compositionen sind so außerordentlich zahlreich, daß noch keiner seiner Biographen sie auch nur vollständig zu nennen vermocht hat. Nur ein geringer Theil derselben ist durch den Druck veröffentlicht worden, und von den im Manuscripte gebliebenen mögen unzählige ganz verloren gegangen sein, während leider unter den mit dem Bach’schen Namen auf uns gekommenen Compositionen nicht wenige ihm gar nicht angehören. Unter diesen Umständen dürfte es hier um so mehr genügen, nur die bekanntesten seiner Tondichtungen anzuführen. Wir nennen von denen fürs Clavier eine Sammlung von 148 Präludien und Fugen in allen Tonarten: das wohltemperirte Clavier; ferner 6 kleine Präludien, 15 zweistimmige und eben so viel dreistimmige Inventiones – damals auch Symphonien geheißen –; mehre Phantasien, darunter eine vorzugsweise s. g. chromatische; 12 Suiten für Clavier allein; Konzerte für den Flügel, für zwei und ein Clavier, Sonaten für Violinbegleitung. Die Werke für die Orgel bestanden namentlich in Präludien und Fugen, gegen 100 Choralvorspielen u.s.w. Fast für alle Instrumente des Orchesters hat Bach Solos und Konzerte geschrieben, sie sind aber meistens verloren gegangen, und nur 6 Violin- und 6 Violoncellsoli sind uns erhalten worden. Die Gesangwerke sind vor Allen zahlreich; so schrieb Bach fünf vollständige Jahrgänge von Kirchenstücken auf alle Sonn- und Festtage, fünf Passionsmusiken nach den Evangelisten, Oratorien, Messen und andere Kirchen- und Gelegenheitsstücke, ein- und zweichörige Motetten in großer Anzahl, und 400 vierstimmige Choralgesänge.
Wer sollte nicht staunen über die Kraft der Production, welche eine so reiche Ausbeute gab? Und alle diese Compositionen sind nicht blos hingeworfene Geistesblitze, noch viel weniger Erzeugnisse, die ihre Masse nur der Geübtheit des Tonsetzers im Mechanischen seiner Kunst zu verdanken haben – nein, Bach hat nichts geschaffen, was nicht durchweg den Stempel der Originalität im vollsten Sinne des Wortes an sich trüge. Er war für die Kunst des Tonsatzes Autodidact, und von Nachahmung der Werke Anderer nach dem Ideengange, der Harmonienfolge, der Struktur des Ganzen oder Einzelnen, wie viel weniger von Melodienreminiscenzen ist in seinen Werken nicht eine Spur zu finden. Seine Werke sind vollkommen sein geistiges Eigenthum.
Wenn die Formen einiger seiner Instrumentalsachen jetzt veraltet genannt werden und bei der Umgestaltung der Technik der Instrumentalmusik veraltet erscheinen müssen, obwol ein frischer Geist auch aus diesen veralteten Formen die Hörer der Jetztwelt noch anweht, so wird doch Niemand versucht, eine ähnliche Behauptung auf Bach’s übrige Compositionen, die eigentlichen Tongebilde auszudehnen. Hier hat sich der große Tondichter in Formen bewegt, welche so eng und untrennbar dem durch die auszusprechenden geistigen Produkte sich anschließen, daß sie keiner Vergänglichkeit unterliegen.
„Bach’s Kirchencompositionen sind freie Schöpfungen eines großen Genius“, sagt Stallbaum, der dermalige Rector der Thomasschule, in den biographischen Nachrichten über die Kantoren an der Thomasschule, „bei ihm ist Harmonie in weiterem Sinne des Wortes und fromm und ernst erfaßter Gedanke, Eins; beides zusammen aber vereint wird durch seine kolossale Kraft zu einem kühnen großartigen Dome, dessen Herrlichkeit dem betrachtenden Freunde, Bewunderung und Staunen abnöthigt, ohne daß sie jemals ganz begriffen werden kann.“
Die Zeit ist gekommen, haben wir oben eingeleitet, welche dazu bestimmt ist, dem Bach’schen Geiste nun den vollen Raum zu geben, den er einzunehmen geschaffen war.
Die Passionsmusik nach dem Matthäus ist das Meisterwerk gewesen, in welchem, zuerst in Berlin und dann in Leipzig zur öffentlichen Aufführung gebracht, die musikalische Welt die ganze Größe des alten Bach wieder lebendig erkannt hat.
Während wir aber an den Pforten der nahen Zukunft stehen, die uns durch Aufführung derselben das volle wahre Licht erschließen sollen; da hat in der neuesten Zeit Mendelssohn-Bartholdy dem großen Vorvordern ein sichtbares Zeichen der Anerkennung an dem Orte, wo dieser wirkte und starb, aufgestellt. Dieses Zeichen besteht in einem Monumente, welches am 23. April d. J. in den schönen Umgebungen Leipzigs, wenige Schritte von Bach’s einstmaliger Kantorwohnung in dem Gebäude der Thomasschule, enthüllt worden ist. Der edle Stifter hat die Mittel zu diesem Denkmale theils durch einige zu diesem Behufe veranstaltete Konzerte herbeigeschafft, theils aber auch als edles Opfer für seine Kunst selbst gewährt. Das letzte dieser Konzerte gab dem Tage der Enthüllung des Monuments selbst die Weihe. Es fand unmittelbar vor derselben, Vormittags halb 11 Uhr, im Konzertsaale des Gewandhauses statt, und war aus den Bach’schen Werken so sinnreich ausgewählt, daß dem Hörer ein überraschender Gesammtblick in die verschiedenartigen reichen Gefilde der Tonwelt des Gefeierten geboten wurde.
Das Fach der Instrumental-Soli war vertreten durch eine Prelude für die Violine allein, vorgetragen von dem Konzertmeister Ferd. David und ein Konzert für den Flügel mit Orchesterbegleitung von Mendelssohn-Bartholdy meisterlich gespielt. An dem Vortrage einer ebenfalls zur Aufführung bestimmten Phantasie wurde derselbe leider durch Unwohlsein behindert. Bei dem Vortrage dieser Sachen bewährte sich von Neuem Das, was in Bezug auf sie schon oben angeführt worden ist; eine in der Zeit des Componisten s. g. Suite für ganzes Orchester in vier Theilen nahm das Interesse der Hörer durch die Einfachheit der angewandten Mittel und die Wirkungskraft der kunstreichen Rhythmen so vollkommen in Anspruch, daß der Kritik kein Raum blieb; wahrhaft und unwandelbar schöne Melodien durchziehen das Ganze.
Von den Gesangstücken nennen wir zuerst eine Cantate auf die Rathswahl in Leipzig 1723, also aus den ersten Jahren der Wirksamkeit Bach’s daselbst; außerordentlich schön ist namentlich das in diese Cantate eingeflochtene Altsolo, nicht minder ein Baßsolo, ersteres von Madame Bünau, letzteres von dem eben anwesenden Hrn. Hauser gesungen; kräftigen Geistesschwung athmen vorzugsweise der Chor und der den Beschluß ausmachende Choral; doch aber wurde das befangene von den Erscheinungen der Jetztzeit gleichsam verwöhnte Ohr von einigen für uns fremd gewordenen Formen fremd berührt.
Nicht so bei den übrigen für das Konzert gewählten Kirchen-Gesangswerken, einer Arie mit obligater Oboe aus der Passionsmusik nach dem Matthäus, mit innigem Verständniß von Hrn. Schmidt gesungen, einer doppelchörige Motette a capella „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn, mein Jesu“ etc. und dem Sanctus aus H moll Messe für Chor und Orchester. Hier dringt die ganze Kraftfülle des gewaltigen Genius in das Herz und Gemüth des Hörers. Wer sollte von sich sagen können, es seien diese Tonbilder an seinem Innern vorübergegangen, ohne den Eindruck zurückzulassen, den nur wahrhaft Schönes hervorbringen kann?! Unerreichbar sagen wir nicht, weil es Frevel an dem Menschengeiste wäre, aber unübertrefflich für alle Zeiten stellen sich uns diese Werke dar, durch das volle Maß aller nur den Schöpfungen der Genialität inwohnenden Eigenschaften.
So zum rechten Verständniß der Feier des Tages und zur rechten Empfänglichkeit für dieselbe hingeleitet, verließen die Hörer das Konzert, um von der unmittelbar nach demselben stattfindenden Enthüllung des Monuments Zeugen zu sein. Die Feier derselben fand in einfacher aber würdiger Weise statt. Zahlreich hatte sich das Publikum, diesmal vorzugsweise durch Personen aus den gebildetern Ständen vertreten, eingefunden und umgab das Denkmal, in dessen unmittelbarer Nähe mehre hochgestellte Männer und Beamte, Mendelssohn-Bartholdy, so wie auch der schon genannte letzte Sproß des Bach’schen Mannsstammes, der Sohn des Bückeburger Bach, welcher von Berlin deshalb nach Leipzig gekommen war, ihr Plätze gefunden hatten.
Das Thomaschor stimmte einen Choral mit Posaunenbegleitung an und nach dessen Schlusse hielt der Regierungs- und Stadtrath Demuth an der Spitze einer vom Collegium des Stadtrathes gesendeten Deputation, eine kurze, der Feier entsprechende Anrede, für den Rath der Stadt das Denkmal in Besitz und Schutz nehmend. Seinen Worten schloß sich noch ein Choral an, worauf die Feier damit endete, daß das Thomanerchor die achtstimmige Motette Bach’s: „Singet dem Herrn ein neues Lied“ etc. ausführte.
Das Denkmal selbst ist eine neue Zierde der südlichen Anlagen Leipzigs. Idee und Zeichnung desselben sind von Bendemann und Hübner, die gelungene Ausführung ist das Werk eines jungen, in Leipzig lebenden, und zur Zeit auf einer Kunstreise nach Italien begriffenen Künstlers, C. Knauer.
Die in Sandstein, wie das ganze Monument ausgeführten Basreliefs an demselben sind, eben so sinnreich erfunden als künstlerisch trefflich verkörpert. Der Kopf Joh. Sebastian Bach’s von etwas kolossaler Größe bildet die vordere Ansicht. An den beiden Seiten sind die Beziehungen auf des Meisters Lehramt und auf sein Orgelspiel bildlich dargestellt. Die hintere Fläche aber ist der Verbildlichung der Tondichtungen Bach’s gewidmet. Ein Genius mit einem Palmzweige und den Kelch in der Hand und ein anderer Genius, die Dornenkrone darbringend, beide unter einem Kreuze stehend, drücken in einfacher Weise, die Feier des Palmsonntag, des grünen Donnerstag und des Charfreitag andeutend, den besondern Bezug auf die Passionsoratorien Bach’s und den allgemeinen auf die von tiefer Religiosität durchdrungene Kirchenmusik Bach’s aus. Der Würfel, an dessen Seiten diese Embleme sich befinden, ruht in der Mitte auf mit einander verbundenen Säulenbüscheln, und an den vier Ecken auf freistehenden, gewundenen kleinen Säulen. Die Totalform ist in Vergleichung mit den meisten andern im Freien aufgestellten Denkmalen eine ungewöhnliche, indem sie sich mehr der Form nähert, welche nur bei Monumenten für Kirchen und begränzte Räume bis jetzt angewendet worden ist.
Erschien die Errichtung eines Monuments für Bach an dem Orte seines Aufenthalts und seiner Wirksamkeit in dieser Beziehung nur als eine örtliche Angelegenheit, so wird, glauben wir, auch bald die Zeit kommen, wo man unserm großen Tonmeister ein Nationaldenkmal dadurch stiften wird, daß man seine Werke sorgfältiger und vollständiger als bisher sammelt und, in ihrer würdigen Weise ausgestattet, dem kunstliebenden Publikum übergiebt.
Die Liebhaberei der Pflanzenzucht hat in neuern Zeiten fast in allen Länderstrichen Europas Riesenschritte gemacht. Es gibt jetzt kaum eine Stadt von einigem Belang, die nicht einen botanischen Garten besäße. Deutsche Regierungen wetteifern unter sich und mit Nachbarstaaten, ihre Residenzen durch geschmackvolle Parkanlagen zu verschönern [27] und mit dem Neuesten aus Flora’s Gebiet prächtige Glashäuser zu schmücken. In Frankreich regt sich dieser Trieb auf andere nicht minder lebendige Weise. Englische Gärten haben die Franzosen von jeher wenig geliebt; noch immer scheinen sie an den geradlinigen Hecken, den Marmorstatuen und Fontainen Geschmack zu finden, womit Le Nôtre die weiten Alleen des prächtigen Versailles und der Tuileriengärten ausstattete. Le Nôtre brachte diesen Styl der Gärten aus Italien, wo Heckenwände aus immergrünen Bäumen, Quercus Ilex L. Laurus regia L. Arbutus Unedo L. gebildet, allerdings einen majestätischen Anblick gewähren und durch kühlende Schatten die Hitze des Klimas dämpfen. Aber auch die Italiener scheinen ihn nicht erfunden, vielmehr von den Bewohnern der griechischen Kolonien geerbt zu haben, wie man denn noch heute an einigen Wänden ausgegrabener Häuser von Pompeji ähnliche Gartenanlagen mit Hecken, Fontainen und Pergolas angemalt findet. Die Alten wußten vermuthlich wenig von den landschaftlichen Gärten, wie sie seit vorigem Jahrhunderte in England zuerst entstanden. Bei der Vorliebe der Franzosen für das Antike mag es erklärlich gefunden werden, daß dieses Volk zeither fest an dem Geschmack hielt, den ihr Landsmann aus dem Lande des klassischen Alterthums, namentlich aus dem Garten Boboli zu Florenz an den Hof Ludwig XIV. verpflanzte, und für die großartigen Anlagen seines Monarchen als Norm annahm. Gleichwol würden, seitdem das Klassische dem Romantischen dort überhaupt mehr Raum zu geben angefangen, auch die Franzosen englische Gärten anlegen, wenn sie als industrielle Nation den Boden nicht lieber mit Runkelrüben und andern ökonomischen Pflanzen bebauten als ihn zu Prachtgärten verwendeten, die viel zu unterhalten kosten und keine Renten geben. Wie kostbar von Tage zu Tage das Land in der nächsten Umgebung von Paris wird, ist begreiflich. Tivoli ist längst nicht mehr und bald wird auch der Park von Monceaux oder Mousseaux, einer der schönsten in ganz Frankreich, verdrängt durch die Fortifikationen, nur noch in der Erinnerung leben. Wie sehr aber auch der Grundbesitz an Zerstückelung leide, immer wird der Blumenliebhaber noch ein Plätzchen finden, wo er sich ein Parterre für seine Lieblinge und das zu ihrer Pflege nöthige Frühbeet und Orangeriehaus in gemächlicher Lage schaffen kann. Daher mag es kommen, daß in Frankreich von allen Zweigen der Gartencultur in jetzigen Tagen die Blumenzucht die anziehendste geworden ist.
Der, ländlichen Beschäftigungen fremde, ja oft in der Pflanzenkunde völlig unwissende Stadtbewohner liebt es, sich von Blumen umgeben zu sehen. Eine mit Blumen jeder Jahreszeit malerisch dekorirte Jardiniere ist zum unentbehrlichen Meuble der Salons geworden. Auf allen Punkten Frankreichs gewinnen die bestehenden Gartenvereine an Einfluß, ältere breiten sich aus, neue entstehen. Die zu Lille, Strasburg, Rouen, Angers, Orleans geben an Eifer und Thätigkeit den besten englischen nichts nach, nur daß letztere über größere Kapitale disponiren, deren Mangel gar oft das Talent französischer Blumenzüchter beeinträchtigt.
Der Geschmack an Sammlungspflanzen, der zuweilen in wahre Leidenschaft ausartet, ist über Belgien, Holland nach England und von dort auch nach Frankreich gewandert. Sammlungspflanzen (plantes de collection) nennen die französischen Gärtner solche, die, obgleich einer Gattung, ja oft nur einer Art angehörend, viele hundert Varietäten geben, von denen jede einzelne durch Farbe oder Habitus sich von der andern unterscheidend, ein eignes Individuum bildet. Im Deutschen hat das Wort keinen Klang, wir möchten dafür lieber den Namen: Varietäten-Gruppen vorschlagen. Dahin gehören, unter den Zwiebelgewächsen die Tulpen, die Hyazinthen, die Krokus, die Amaryllis; unter den Knollengewächsen: die Ranunkeln, die Anemonen, die Päonien, die Dahlien; unter den Pflanzen des halbwarmen Hauses: die Camelien, die Pelargonien, die Mesembrianthemen, die Cactus; unter den Sträuchern: die Rosen, die Azaleen, die Rhododendren.
Alle Jahre durchstreifen auf Kosten reicher Gartenliebhaber oder großer Handelsgärtner, mit Lebensgefahr reisende Botaniker die Urwälder entfernter Himmelsstriche, um der Gartencultur neue Pflanzen zuzuführen und die Kataloge der alten und bekannten zu vermehren. Die Samen, welche auf diesem Wege nach Europa kommen, geben oft die köstlichste Ausbeute. Wir wollen hier nur zwei Pflanzen erwähnen, die erst vor kurzem durch reisende Botaniker in Europa eingeführt wurden und beide die Aufmerksamkeit der Gartenfreunde in verschiedener Beziehung namentlich in Paris in Anspruch nahmen. Die eine nennt sich Paulownia imperialis, die andere Daubentonia Tripetiana. Beide scheinen bestimmt, mit der Zeit unter den schönsten Ziersträuchern in den Pariser Boskets zu glänzen; sie haben die letzten Winter dort im Freien ausgehalten. Mit ersterer hat man auch bei uns wiewol nicht mit so günstigem Erfolge Acclimatisations-Versuche gemacht. Vielleicht gelingt es mit der einen und der andern künftig besser, in welchem Falle wir zwei der prachtvollsten Sträucher für unsere Anlagen mehr gewinnen würden. Wir wollen versuchen von der Wichtigkeit ihrer Acquisition eine kleine Idee zu geben.
Paulownia imperialis. (Sieb. et Zuccar.) ist in Japan einheimisch, wo man sie unter dem Namen Kiri kennt. Sie hat vor unsern bekannten Ziersträuchern das Angenehme voraus, daß ihre Blätter groß, üppig und von glänzendem Grün sind, und ihre graziösen Blüthen einen süßen Wohlgeruch verbreiten. Keines andern Gewächses Laub hält einen Vergleich mit dem der Paulownia aus, selbst das Blatt der Bignonia Catalpa, mit welcher Pflanze sie noch die meiste Analogie hat, ist nicht so lebhaft grün. Wie fast alle neuen Gewächse aus fremden Zonen wird ihr Laub wahrscheinlich noch lange von inländischen Insekten verschont bleiben, ein Umstand, der Berücksichtigung verdient, weil er die Integrität der Blätter sichert, und folglich erquicklichen Schatten verspricht. Die Blumen der Paulownia reihen sich an einen Thyrsus, ähnlich dem der Roßkastanie, nur weniger gedrängt und symmetrisch, und gleichen im Bau denen des purpurfarbenen Fingerhutes; sie sind von einer unbestimmten mehr blauen als violeten Farbe; ihr Geruch ist weniger stark und betäubend als vielmehr süß und lieblich. Die über die dichte Belaubung ragenden Blüthensträußer machen einen eben so graziösen als malerischen Effekt. Die Paulownia imperialis wird künftig als Hauptschmuck unserer Gärten gelten und wir dürfen hoffen, sie werde sich eben so leicht wie die im vorigen Jahrhundert aus den Wäldern von Amerika eingewanderte Catalpa acclimatisiren lassen.
Bis wir in Europa mit der Cultur der Paulownia so weit gekommen sein werden, daß sie Samen liefert, kann sie durch die Wurzel vermehrt werden, von welcher das kleinste Theilchen in Heideerde gepflanzt und in warmem Hause sorglich gepflegt, eine Menge junger Sprößlinge treibt. Sie wächst mit unglaublicher Schnelligkeit. Die Erfahrung hat noch nicht gelehrt, welche Höhe sie in Europa erreichen dürfte; in Japan ist sie ein 40 bis 50 Fuß hoher Baum. Der Name des Kunstgärtners Neumann, der die Paulownia imperialis zuerst in Frankreich eingeführt und sich mit ihrer Cultur und Vermehrung beschäftigt, wird stets bei allen Gartenfreunden in gutem Andenken bleiben. Jetzt ist sie in mehren Handelsgärten zu haben und wird in den Katalogen zu 2 bis 20 Franks ausgeboten.
Die Daubentonia Tripetiana, zuerst durch Herrn Tripet-Leblane aus Samen gezogen, ist am La Platastrome zu Hause, wo sie die Höhe von 20–24 Fuß erreicht. In Paris dürfte sie kaum höher als ein gewöhnlicher Strauch werden. Sie macht hängende Blüthentrauben wie der Cytisus oder die Robinie, aber von schönstem Roth. Auch ihr gefiedertes Blatt gleicht dem der Robinie. Da Herr Tripet-Leblanc wünscht, daß diese Pflanze vor der Hand blos französische Gärten besitzen, und die brillantesten Anerbietungen englischer Gärtner aus patriotischem Gefühl zurückgewiesen hat, so wird sie noch einige Zeit ein wenig bekannter Strauch bleiben.
Doch kehren wir zu den Varietätengruppen zurück. Der stärkste Band würde nicht hinreichen nur eine summarische Uebersicht aller in den Katalogen aufgeführten durch Form und Farbe verschiedenen Spielarten beliebter Schmuckpflanzen zu geben. Seit man nach Knight’s Beispiel angefangen, vegetabilische Geschlechter durch Uebertragen des Blumenstaubs auf verwandte Arten zu befruchten, haben sich die Hybridenpflanzen ins Unendliche vermehrt. Man denke nur an die jetzt in allen Gärten so beliebten Dahlien mit regelmäßig gereihten tutenförmigen Blumen; an die auf tausendfache Weise lebhaft brodirten Pelargonien; an die Calceolarien, deren Corollen mit dem Pinsel gemalt scheinen; an die von ihrem frühern einfachen Typus so sehr abweichenden, in schönstem Farbenwechsel prangenden Camellien! Alle diese und tausend andere Vegetabilien sind durch die Kunst des Hybridirens, durch das Kreuzen der Racen, entstanden. Wie weit diese künstliche Befruchtung noch gehen kann, läßt sich gar nicht bestimmen. So verdrängen z. B. in den Dahlien schon die neuern Spielarten alle früher gekannten, letztere sinken im Werth, man hat nicht Raum mehr für sie; man hat sie sich satt gesehen und wirft sie weg, um vollkommenere an ihre Stelle zu setzen. Dies ist der Fall auch mit vielen sonst als schön gepriesenen Rosen; wollte man sie alle beibehalten, so könnten sie nicht mehr nach Hunderten, sie müßten nach Tausenden gezählt werden.
Zu den Lieblingspflanzen gehören in neuerer Zeit die aus der Familie der Orchideen. Es sind Schmarozerpflanzen, sie leben in ihrer Heimath, dem südlichen Amerika, meistens auf den Baumstämmen der Urwälder. Wenn sie gedeihen und ihre wunderbar geformten prächtig gefärbten Blüthen entfalten sollen, müssen sie nicht allein einer ähnlichen Temperatur genießen, sondern man muß ihnen auch einen ihres Naturlebens analogen Standort geben, was in unsern beschränkten Treibhäusern eben keine leichte Sache ist. Anfänglich pflanzte man sie in Körbchen von Kork, die mit Moos gefüllt und mit Oeffnungen versehen waren, durch welche sich Wurzeln und Blüthenzweige Ausgänge bilden konnten. Jetzt ist man von dieser Methode abgekommen. An die Stelle der Korkbehältnisse sind alte Baumäste getreten, die ihrer Natur besser zuzusagen scheinen. Auf ihnen heften sie sich an, treiben die bald geschmeidigen bald fleischigen Blätter und entfalten mit Leichtigkeit die schönen oft bizarr geformten, prächtigen Blumen, durch Luftwurzeln und Blätter ihre Nahrung saugend. Am beliebtesten sind jetzt die Arten aus den Geschlechtern Dendrobium, Oncidium und Stanhopea.
Das Oncidium, von welchem wir hier eine Abbildung geben, ist unter dem Namen Oncidium Papilio bekannt; die Form der Blume erinnert an die Gestalt eines Schmetterlings, ihre scharf getrennten Farben, karmosinroth, schwarzbraun und strohgelb, blenden das Auge des Beschauers durch Glanz und Frische.
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Die französischen Operncomponisten haben in jüngster Zeit manches Misgeschick gehabt, indem sie entweder an sich oder am Texte erlahmt sind.
Begierig greifen die deutschen Bühnen nach diesen neuen flitter- und flatterhaft glänzenden Erscheinungen, aber selbst die Deutschen haben die letzten Opern von Adam, Auber und Halévy nicht mit dem andauernden Beifall aufgenommen, wie ihre früheren. Möglich, daß dieser Fall immer bei Componisten eintreten muß, die mehr nach pikanten Effekten haschen, als die nachhaltige Wirkung des klassischen Geschmacks erstreben. Selbst die neuern Operntexte, worin die Franzosen im Allgemeinen so ausgezeichnet sind, kommen an Interesse den früheren nicht gleich. Dies muß man auch von der Oper Karl VI. sagen, von der man so große Dinge erwartete. Eine fünfaktige Oper! Ja, man läßt sich fünf Akte gefallen, wenn der Text von so steigendem Interesse, wie der zur Stummen von Portici und die Musik von so hinreißender Gewalt ist, wie die zur letztgenannten Oper. An wen haben die Herren Delavigne wol gedacht, als sie ihren Text zu fünf Akten ausdehnten? Gewiß an die pariser Banquiers, Seidenfabrikanten, Strumpfwirker und Gewürzkrämer, welche Muße haben, für ihr Eintrittsgeld möglichst viel sehen wollen und die Quantität der Qualität vorziehen. Doch blicken wir dieser Oper näher ins Auge! Die Hauptperson ist, wie auch der Titel anzeigt, Karl VI., dieser so unglückliche König des unter ihm so unglücklichen Frankreichs. Die Engländer herrschen zu Paris und in einem großen Theile des Reiches; der Herzog von Bedfort commandirt die französische Armee, gebietet im Namen Heinrich’s VI., und nur wenige Franzosen haben noch Muth, zu hoffen. Einer von ihnen ist der alte Raymond, der einen Meierhof bewohnt, früher Soldat war und lieber spricht, als handelt. Ja, er singt sogar, und der Schluß eines seiner Lieder lautet:
Und schlägt die Stunde der Befreiung,
Stimmt Alles in den Schlachtruf ein:
Krieg den Tyrannen! denn in Frankreich
Soll nie der Britte Herrscher sein!
Seine Tochter Odette, die ihn oft ermuthigt, zu handeln statt zu raisonniren, liebt einen Unbekannten, der oft um den Meierhof herumstreicht, ihr seine Liebe gestanden, ja sogar von Heirath gesprochen hat. Letzteres ist merkwürdig genug, da wir später erfahren, dieser Unbekannte sei kein Anderer, als der Dauphin, der spätere Karl VII. Odette wird in die Nähe des Königs gerufen, und jetzt singt Karl von der Ehrfurcht, in die sich seine Liebe verwandelt [29] habe; Odette solle ja rein bleiben und der Engel der Herrscher und des Vaterlandes sein u. s. w.
Im zweiten Akte erblicken wir die Königin Isabeau und den Herzog von Bedfort, welche unter festlichem Pomp
den Act vorbereiten, wodurch Frankreich für immer zu Englands Sklaven gemacht, und die Krone Karl’s VI. auf Heinrich’s VI. Stirn verpflanzt werden soll. Hierbei findet ein Concert, dann ein Ball, endlich ein Abendschmaus statt. Drei Pforten öffnen sich im Hintergrunde, ein Ceremonienmeister nähert sich, die Königin erhebt sich, reicht dem Herzog von Bedfort die Hand und singt:
Mylords und Herrn! die Tafel wartet unser!
Alle gehen hinaus, der Saal ist leer, da nähert sich ein Mann wankenden, langsamen Schrittes, sein Antlitz bleich. Vor der Pforte des Zimmers, wo das Banquet stattfindet, steht er still und ruft aus: Ich habe Hunger! Dieser Mann, welcher mit seinem Magen wie mit seinem Kopfe in Zwiespalt ist, ist der König von Frankreich selbst! Odette läßt ihn nicht lange allein; sie sucht ihn durch das Spiel zu zerstreuen, welches für diesen wahnsinnigen König erfunden ist, durch das Kartenspiel, spricht dabei mit ihm von seinem Sohne und erweckt dadurch nach und nach in ihm den Wunsch, seinen Sohn wiederzusehen. Dies hat sie allerdings dem Dauphin versprochen; aber sie schadet ihm, statt, wie sie glaubt, ihm zu nützen. Bald treten die Königin und Bedfort wieder ein. Karl zittert vor ihr und wird bleich. Die Königin begehrt, er solle den zwischen ihr und Bedford geschlossenen Vertrag unterzeichnen, vermöge dessen Heinrich VI. zum einzigen Erben des Königs von Frankreich erklärt wird. Er weigert sich, obgleich er von dem, was man von ihm fordert, nicht viel weiß; aber die Königin veranlaßt, daß Odette das Zimmer verläßt, und bemächtigt sich der Karten, die sie auf dem Tische bemerkt. Da verzweifelt das greise Kind, fängt an, von Freiheit zu singen und unterzeichnet, als Isabeau ihm sagt, er werde Odette und sein Spielzeug wieder erhalten. Dann setzt er sich, mit stumpfem Lächeln, wieder zum Spiel, während Bedfort ihm zur Seite mit lauter Stimme die Acte liest, wodurch der Dauphin enterbt wird.
Am folgenden Morgen wird Karl zu dem alten Raymond gebracht, sieht seinen Sohn wieder und erkennt ihn kaum. Ein Abgesandter der Königin ruft ihn aber eiligst zu einer feierlichen Ceremonie zurück. Angesichts von Paris, welches sich im Hintergrunde ausbreitet, wird für Karl und Isabeau ein Thron errichtet, zu dessen Füßen das Volk mürrisch, düster, unwillig sich drängt. Heute sollen die angemaßten Rechte Heinrich’s VI. proclamirt werden. Ein glänzender Zug nähert sich, Bedfort an der Spitze, der junge Heinrich vom Gefolge umgeben. „Wie schön ist doch das Kind!“ ruft Isabeau. „Aber ein Engländer,“ erwidert der König, der trotz seiner Verrücktheit doch manchmal ganz gute Einfälle hat. Isabeau verlangt weiter, er solle ihm, dem er schon das Diadem aufgedrückt, auch den Friedenskuß geben. „Ich? ich?“ ruft Karl. Er sei der Erbe, fällt ihm Bedfort ins Wort, welcher einst regieren soll. „Niemals!“ schreit der König. Das kommt freilich unerwartet. Isabeau kann nun nichts weiter thun, als den König in einen ganz Tollen verwandeln.
Der König ist allein und erwartet seinen Sohn, welcher sich in Paris eingeschlichen und Karl’s Befreiung vorbereitet hat, indem er auf ein gegebenes Zeichen durch ein Fenster in das Hotel Saint-Paul eindringen und den alten König entführen will. Plötzlich vernimmt er dumpfe, traurige, schreckhafte Töne! Er schaudert, er entsetzt sich. Ein halbnackter Mann, furchtbaren Ansehens, erscheint, derselbe, dessen Anblick im Walde von Mons seine Vernunft verwirrte. Auf dessen Wink erscheinen drei Gespenster, welche Clisson, Ludwig, des Königs Onkel, und Johann ohne Furcht darstellen sollen. Beiläufig bemerkt war aber Ludwig nicht, wie es im Texte heißt, sein Oheim, sondern sein Bruder; doch das thut nichts, der König ist zu erschüttert, um auf diesen historischen Irrthum zu merken, oder gar ihn zu widerlegen. Sie singen einen schrecklichen Rundgesang und rufen zuletzt aus, daß er wie sie durch Meuchelmord fallen werde und zwar von der Hand seines Sohnes. Nun ist der alte König vollständig wahnsinnig, und in einem Anfalle von Wuth liefert er seinen Sohn seinen Feinden aus. Doch um kurz zu sein! In dem entscheidenden Augenblicke, als, im Angesichte des Hofes, der Engländer und des Volkes, Karl VI. verlangt, daß sein Sohn verzichten solle, dringen Geharnischte aus der unterirdischen Kirche von Saint-Denis, befreien den Dauphin, und verschaffen dem alten Karl das Vergnügen, nicht blos als König, sondern auch als Troubadour zu sterben, indem er den schon citirten Refrain singt:
Der König lebe! denn in Frankreich
Soll nie der Britte Herrscher sein!
Diese von französischem Standpunkte aus patriotische Oper hat, wie man aus unserer Skizze sieht, einzelne pikante Situationen und sinnreiche Wendungen, ist aber dünn und unbefriedigend in der Intrigue, die einen zu schwachen Pfeiler abgibt, um das mächtige Dachwerk von fünf Akten stützen und tragen zu können. Der Musik von Halévy wirft man Einförmigkeit und Mangel an Melodien vor. Dagegen waren Costüme und Decorationen überaus pracht- und geschmackvoll. Besonders ist der große Zug im dritten Akte hervorzuheben, indem es dabei weder an Reiterei, noch Fußvolk und Artillerie fehlte. Die goldenen oder stählernen Rüstungen, auch der Pferde, verblendeten fast die Augen. Eine Ansicht von Paris und eine andere, welche das Innere der Kathedrale von Saint-Denis darstellt und von uns oben mitgetheilt wird, können beinahe als Kunstwerke gelten.
[30] Weniger als die Costüme und Decorationen, die nichts zu wünschen übrig ließen, befriedigte die Musik; man fand dieselben Mittel zu oft angewendet, die Rhythmen zu einförmig, die Melodie zu häufig der Declamation geopfert. Gesang und Recitativ ähneln einander zu sehr, so daß man, so viele einzelne Piècen Karl VI. auch enthält, fast nur eine einzige Pièce zu hören glaubt. Diesen Fehler konnte man schon der „Jüdin“ desselben Componisten vorwerfen, in Karl VI. aber tritt er viel störender hervor, und zwar bis zur Ermüdung und Abspannung, so daß die einzelnen trefflich ausgedrückten Empfindungen, zierlichen Melodien und sinnreichen Anwendungen der Instrumente im Allgemeinen keine Wirkung machen. Halévy versammelt seine Gäste um eine immer sehr reich ausgestatte Tafel, aber auf jeder Schüssel befindet sich dasselbe Gericht, und nicht immer hat der Koch sich auch nur die Mühe genommen, die Würze daran zu ändern.
Zu den anziehendsten Piècen der Oper gehört unter andern das Duett zwischen der Königin und Odette, welches freilich auch bald erlahmt, um sich erst am Schlusse wieder zu steigern; ferner das Duett zwischen Odette und dem Dauphin, welches neu und pikant und eins der gelungensten Stücke in der Oper ist; dann das Duett beim Kartenspiel, welches jedoch seine Wirkung vielleicht mehr der Sängerin, Mad. Stoltz, und der Scene selbst, als der Composition verdankt. Im dritten Akt zeichnet sich fast nur das Quatuor:
Dieu puissant! favorise
Notre sainte entreprise u. s. w.
durch Harmonie und Neuheit aus. Es ist ohne Orchesterbegleitung. Im vierten Akte ist vorzüglich die Arie der Odette zu nennen. Die Worte der drei Spukerscheinungen:
Ils tombirent tous trois assassinés jadis;
Tu périras de mème.
machen durch ihre treffliche contrapunktistische Behandlung eine gute Wirkung. Die originellste Pièce der Oper ist wol die kriegerische Arie Poultiers im Anfange des fünften Akts, die durch ihre pikante Lebhaftigkeit ungemein ansprach. Dagegen ist die Nationalhymne: „In Frankreich wird nie der Brite Herscher sein“, trivial und fast ohne Melodie. Nur der Chor, der die letzten Worte wiederholt, macht Wirkung durch die Masse der Stimmen, die den Refrain wenigstens zu einem gewissermaßen materiellen Leben steigern.
Hier siehst du ihn, lieber Leser, wie er Franz Hut und Stock reicht.
Der alte Major von Horn war ein sonderbarer, eigenthümlicher Mann. Wer ihn so sah, in seiner steifen militairischen Haltung, mit der Frisur, wie sie in den letzten Lebensjahren Friedrich’s des Großen bei manchen deutschen Truppen üblich war, der mußte glauben, er sei im Garnisondienste irgend eines kleinen deutschen Reichsfürsten ergraut, und habe in seinem ganzen Leben weiter Nichts gethan, als die Wache vor dem Pallaste Serenissimi bezogen und Bauerlümmel zu Vaterlandsvertheidigern dressirt. Und doch war dem nicht so. – Dieses starre, eingetrocknete mumienartige Gesicht war von der heißen indischen Sonne so ausgedörrt, von den eisigen Winden des Nordens so verhärtet worden; einst aber hatten tiefe, warme Empfindungen es beseelt und belebt. Diese lange, steife, magere Gestalt, unverwüstlich, wie von Eisen, war in ihrer Jugend berühmt durch ihre Gewandheit, denn der Major hatte, als er noch Leutnant hieß, für den kühnsten und sichersten Reiter, den unverwundlichsten Fechter und den besten Schwimmer gegolten. – Und unter dem alten altmodischen Dienstrocke schlug ein noch älteres und ein noch altmodischeres Herz, ein Herz voll echter Liebe und Menschenfreundlichkeit, ein Herz voll Treue und Wahrheit, kurz ein Herz, wie man es jetzt nur selten findet.
Es war ein sehr bewegtes Leben, das er geführt, der gute Major. Aus einem alten adeligen, reichsunmittelbaren Geschlechte abstammend, aber ein jüngerer Sohn, hatte er allerdings seine Jugend als Page im Dienst eines kleinen Fürsten zubringen müssen, und war, da dieser sehr auf eine Garde von großen Leuten hielt, sobald sich seine Figur so vortheilhaft in der Länge entwickelte, schnell zum Leutnant in besagter Garde avancirt. Der Erbprinz war darauf sein genauer Freund geworden, so weit nämlich Erbprinzen überhaupt genaue Freunde werden können, und hatte sich ihn als Begleiter und Adjutant bei einer Reise nach Paris von seinem durchlauchtigsten Papa ausgebeten. In Paris ging es dem Prinzen, wie es so manchem Prinzen schon daselbst gegangen ist: er verwickelte sich in viele gefährliche Verhältnisse, aus denen ihn Horn durch seine Klugheit und seinen Muth jedes Mal rettete. Eines Tages aber war es ihm unmöglich geworden, ein Duell von dem Prinzen, dem es auch keinesweges an Bravheit fehlte, abzuwenden oder für denselben auszufechten; der Prinz fiel von einem Degenstoße durchbohrt und Horn, dem allein die Schuld beigemessen wurde, fiel auch, aber nur in Ungnade, und wurde auf der Stelle verabschiedet. Dadurch zerschlug sich seine bevorstehende Vermählung mit einer Hofdame der Fürstin, welche er auf das Innigste liebte, und die schwach genug war, ihren vornehmen Zofendienst der Verbindung mit einem redlichen, aber gekränkten Manne vorzuziehen. Er trat nun unter das holländische Militair und verließ Europa mit seinem Regiment. Lange Jahre brachte er auf den überseeischen holländischen Besitzungen zu, bald mit den Engländern, bald mit den Eingebornen im Kampfe. Als er endlich zurückkehrte, war die französische Revolution schon bis zum Consulate Bonaparte’s vorgerückt, und die Niederlande standen bereits, wenn auch nicht öffentlich, unter französischer Botmäßigkeit. Horn fand nun, daß er, obwol so eben aus einer strengen Schule der Erfahrung entlassen, doch Vieles aus dem Buche des Lebens zu lernen versäumt habe, und beschloß daher, als ein fleißiger Schüler der lebendigen Weltgeschichte dies emsig nachzuholen. Die neuen Ideen, die sich damals so gewaltsam Bahn gebrochen, ergriffen ihn und erschütterten sein innerstes Wesen, allein er hatte zu viel zu lernen, so daß
es ihm nie gelang, die Gegenwart einzuholen, und er immer ungefähr eine Stunde hinter dem Heute zurückblieb. Dies war die Ursache, daß er sich durchaus nicht in die Welt finden konnte und mit Allem unzufrieden ward, am Meisten mit Napoleon, der ihm immer zu rasch vorwärts eilte. Er kämpfte aber doch unter dessen Fahnen treulich mit, bis sich des Eroberers Stern zu senken begann. Schwer verwundet bei Smolensk, erhielt er seinen Abschied und ging nach Deutschland. Am Befreiungskriege nahm er, obwol wieder hergestellt und gegen Napoleon heftig erzürnt, weil er ihn nicht begriff, keinen Antheil. Er meinte, er wolle nun auch einmal vom Parterre aus ansehen, wie sich das neue Trauerspiel da oben entwickelte, wo er so lange und so oft als Statist mitgespielt.
Napoleon’s Sturz wunderte ihn nicht, freute ihn nicht, ärgerte ihn nicht. Er sah ganz gelassen zu und wartete ungläubig, ob die Verheißungen jener Tage in Erfüllung gingen. Er war überhaupt durch seine praktischen Studien der Weltgeschichte ungläubig geworden, und hielt nicht viel von den Menschen; gar nichts eigentlich von den Männern und nur wenig von den Frauen; die letzteren hatte er nämlich nicht so genau kennen lernen, wie die ersteren; auch meinte er, er sei ihnen gegenüber befangen, weil er seine untreue Hofdame noch immer nicht ganz vergessen konnte. – Nachdem er lange bald hier bald dort gelebt, und es ihm nirgends recht hatte gefallen wollen, ließ er sich endlich, durch einen seltsamen Einfall dazu bewogen, für immer in dem kleinen Städtchen nieder, wo Maria mit ihrer Mutter wohnte. Als er nämlich einst im Buche seines Lebens blätterte, fiel ihm eine Seite in die Augen, die er lange nicht gelesen, und auf welcher etwas geschrieben stand, das ihm angenehme Erinnerungen weckte. In seinen Pagenjahren hatte er einmal im Gefolge des Fürsten einen Ausflug auf das Land gemacht und war durch das kleine Städtchen am frühen Morgen gekommen, wo noch Alles im festem Morgenschlaf gelegen. Serenissimus, der nur ausnahmsweise in der Nacht zu reisen pflegte, war im Wagen geblieben und setzte selbst einen anmuthigen Traum – ich glaube, er träumte, die Kurfürsten hätten ihn zum deutschen Kaiser gewählt – behaglich fort. Unser armer Page hatte aber absteigen müssen, um das Umspannen zu besorgen, und schritt nun nüchtern und frierend, denn es war im Spätherbste, auf dem Markte auf und ab. Da gewahrte er plötzlich in einem Häuschen gegenüber eine Familie, die traulich um den von einer Lampe erhellten Tisch bei dem Frühstück saß. Sie bestand aus Vater, Mutter und Tochter. An das Fenster klopfen und um eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot bitten, war bei dem kecken Pagen das Werk eines Augenblicks, und nicht ohne Gefahr, denn hätten der gnädigste Herr oder dessen ungnädiger Begleiter, der Hof- und Reisemarschall, gesehen, daß einer ihrer hochadeligen Pagen sich so weit vergessen könne, bei der Roture um einen Morgentrunk zu betteln, während Durchlaucht selber noch nichts genossen, er wäre für immer verloren gewesen. Unser Freund hatte aber nur der Stimme seines Inneren gehorcht, d. h. seines Magens, der wir Menschen überhaupt weit öfter Gehör schenken, als wir selbst glauben, und das kühne Wagniß war ihm gelungen. Freundlich hatte man ihm das Fenster geöffnet und ihm das Erbetene zugesagt, aber zugleich ihn eingeladen, in das Haus zu kommen, um so mehr, da der kühle Morgenwind unheimlich durch die Oeffnung eindrang. Das hatte er jedoch nicht gewagt. Da war aber die Tochter, ein sanftes, hübsches Kind von sechzehn Jahren, mit dem Nöthigen zu ihm vor die Hausthür gekommen, ihn mit dem warmen Trank und einem Imbiß bewirthend, und im dünnen Morgenanzuge draußen freundlich wartend, bis des armen jungen Herrn Hunger und Durst gestillt war. Einen Kuß, um den er keck gebeten, schlug sie ihm mit freundlichem Ernst ab. Gleich darauf bliesen die Postillone, und die Reise ging weiter, so daß ihm nur eben die Zeit blieb, ihr auf das Lebhafteste zu danken und sich in den Wagen zu schwingen.
Verliebt hatte sich unser Page eben nicht in die barmherzige Samariterin, aber ihr freundliches Bild sich doch fest eingeprägt und im Anfang oft an sie gedacht. Später stieg bei seinem bewegten Leben die Erinnerung an dies anmuthige Abenteuer zwar seltener in ihm auf, allein die [31] Farben ihres Portraits wurden darum nicht schwächer, sondern standen eben so lebhaft vor seiner Seele selbst noch in Java, wo er gern wachend von der deutschen Heimath träumte. Nie war er indessen wieder in jenes Städtchen gekommen. Als er nun nach Deutschland zurückkehrte, und es ihm weder in Berlin noch in Dresden, weder in Frankfurt am Main noch in Hamburg, kurz in keiner großen Stadt unseres lieben Vaterlandes recht behagen wollte, kam es ihm in den Sinn, es einmal in einem kleinen Städtchen zu versuchen, und bei dieser Gelegenheit fiel ihm jene artige Begebenheit wieder ein. Augenblicklich machte er sich auf und reiste hin, ohne recht zu wissen, was er dort eigentlich wolle; denn sich dort auf immer niederzulassen, daran dachte er am Wenigsten.
Als er dort anlangte, hatte er merkwürdiger Weise ganz vergessen, daß er der alte Major von Horn sei und ihm war völlig zu Muthe, wie wenn er noch der siebzehnjährige Page wäre. Dazu trug nun auch wol der Umstand, daß er in dem kleinen Städtchen nichts verändert und dasselbe, vorzüglich den ihm wohlbekannten Marktplatz, noch ganz so fand, wie er ihn vor mehr als funfzig Jahren an jenem Morgen gesehen. Ohne sich weiter zu bedenken, ging er daher auch, sowie er aus dem Wagen gestiegen war, nach dem Häuschen gegenüber, wo man ihn einst so freundlich bewirthet. In dem Häuschen wohnten aber jetzt Frau Forster und ihre Tochter. Maria öffnete ihm die Thür und war ganz verwundert, als er ihr ohne Weiteres sagte, er komme sich nochmals für den Kaffee zu bedanken, den sie ihm an jenem Morgen kredenzt. Sie verstand ihn natürlich nicht, und glaubte erst, dem alten Herrn Offizier habe entweder die heiße Sonne Spaniens oder das Eis der Beresina den Verstand verwirrt. Als aber ihre Mutter dazu kam und diese sich erinnerte, daß ihre Mutter ihr einst erzählt, wie sie als blutjunges Mädchen einmal einem hübschen Pagen ihren eigenen Kaffee gegeben, weil er im Dienste des damaligen Fürsten, der seitdem mitsammt seinem Fürstenthum längst zu seinen Vätern versammelt, so sehr gefroren, da löste sich das Räthsel und da es gerade wieder Kaffeezeit, obwol des Nachmittags war, so luden sie den alten Herrn freundlich ein mit ihnen vorlieb zu nehmen. Das that denn der Major auch und siehe da! es gefiel ihm so wohl bei den beiden Frauen und die beiden Frauen selbst gefielen ihm noch weit besser, daß er eine wahre väterliche Zuneigung zu ihnen faßte und beschloß, seine letzten Lebenstage in dem Städtchen zuzubringen und sie zu seinen Erben zu machen, wovon er ihnen aber noch nichts sagte. Als ein alter erprobter Soldat war er gewohnt stets rasch zu handeln und so machte er es auch hier. Noch an demselben Tage hatte er sich ein Logis in der Nähe gemiethet und sich die Kost bei der Frau Forster ausbedungen. Am folgenden Morgen bezog er die neue Wohnung und nun war Alles in Ordnung und ging seinen alten regelmäßigen Gang fort.
Den beiden Frauen wurde das neue Verhältniß sehr angenehm; sie hatten bisher einförmig, wie eine Raupe ihr Blatt, einen Tag nach dem andern von ihrem stillen Leben abgezehrt, denn ein Tag war gleich dem andern. Nun brachte die Sorge für ihren neuen Tischgenossen doch etwas Abänderung hinein und Frauen sind immer glücklich, wenn sie nur etwas haben, für das sie sorgen können; es ist eine so liebenswürdige Eigenschaft an ihnen. Mit Unrecht wirft man alten Mädchen ihre Leidenschaft für Thiere vor; sie entspringt aus derselben Quelle; wenn solche arme Stieftöchter des Himmels Menschen hätten, für die sie sorgen könnten, so würden sie die Thiere Thiere sein lassen. Marie und ihre Mutter gewöhnten sich nicht allein bald an den Major, sie liebten ihn auch eben so schnell und er verdiente es; denn er war wirklich ein liebenswürdiger Greis, der unermüdlich ihnen das Dasein erfreulich zu machen suchte, ohne ihnen unbequem zu werden. Er kam zur Mittagszeit, das einfache Mahl mit ihnen zu verzehren, ging dann bei schönem Wetter mit ihnen spazieren oder spielte Schach mit Marien, das er ihr lehrte und begab sich darauf, wenn sie zusammen, im häuslichen Kreise den Thee getrunken, gegen Abend wieder nach seiner Wohnung, nachdem Marie ihm noch einige seiner Lieblingslieder vorgesungen. Sie hatte eine schöne, tiefe, glockenreine Altstimme, so eine Stimme, die man, möge man wollen oder nicht, immer mit dem Herzen hören muß und Alles, was sie sang, kam ihr aus der Seele. War es daher ein Wunder, daß der Major von Horn eine Neigung zu ihr faßte, als ob sie seine Tochter sei? Obendrein sah sie ja auch ihrer Großmutter ähnlich, wie wenn diese es selbst wäre und das Bild der Großmutter hatte der alte Herr funfzig Jahre mit sich herumgetragen, ohne in das Original verliebt zu sein; da ist es doch wol ganz natürlich, daß er es ein Bischen in die lebendige Kopie wurde.
Für Maria trug übrigens sein Umgang den größten Nutzen. Sie war, obwol lieb und gut, in einer kleinen einsamen deutschen Stadt aufgewachsen; solchen Chrysaliden wird es doppelt schwer durch ihre Hülle zu brechen und sich frei und ganz zu entwickeln. Der Major aber erweiterte der Jungfrau engen Gesichtskreis ohne die Heiligthümer ihrer Seele anzutasten und zu verrücken.
So lebten sie mehre Jahre sehr ruhig und glücklich mit einander. Da kam Franz von einer langen Reise zurück, sah Maria seine Jugendgespielin wieder, verliebte sich von Neuem in sie und hielt um ihre Hand an. Dem alten Horn gefiel er eigentlich nicht, denn der junge Mann schien ihm noch zu unreif und unsicher, und es war ihm bedenklich. Aber Frau Forster und Maria hatten Nichts als das Häuschen und eine kleine Pension, von der sie lebten und die mit der Mutter Tode aufhörte; des Majors Vermögen war auch nicht bedeutend. Ob sich in dem Städtchen ein zweiter Bewerber finden würde, der für die Jungfrau passe, war auch noch sehr zu bezweifeln. Am Meisten wog jedoch bei dem alten Herrn die Ueberzeugung, daß es des Weibes Bestimmung sei, Gattin und Mutter zu werden und daß ein Unberufener da nicht müsse das Schicksal spielen wollen. Er verhielt sich also ganz passiv bei der Verlobung, aber beobachtete Franz und je länger er ihn beobachtete, destoweniger behagte ihm derselbe, obwol er wiederum keineswegs an ihm verzweifelte.
Nun weiß der Leser, wer der alte Major ist.
Dieser erstere umfangreichere Roman Carl Bernhard’s wurde mit noch höher gesteigertem Beifall aufgenommen, als seine früheren Arbeiten schon gewonnen hatten. Kaum drei Wochen nach dem Erscheinen war eine neue Auflage nöthig. Das Werk umfaßt die interessanteste, theilweise bisher noch verhüllt gewesene Periode der dänischen Geschichte. Mit meisterhaften Zügen schildert er die Lüsternheit und Pracht des hierin unübertroffenen Hofes Christian VII., das Unglück der liebenswürdigen Caroline Mathilde, die Intriguen der ränkesüchtigen Königin Wittwe, den Sturz und das tragische Ende des Ministers Struensee, wie seines Freundes, des Grafen Brandt.
Die Hospital-Verlobung | 1 | Thlr. |
Eine Familie auf dem Lande | 1 | „ |
Der Eilwagen. – Ein Sprichwort | 1 | „ |
Die Declaration | 3/4 | „ |
Der Kommissionär. – Tante Franziska | 11/4 | „ |
Der Kinderball | 1 | „ |
Schooßsünden | 3/4 | „ |
Enthalten: | I. | Band: | Richard Savage. – Werner. | 12/3 | Thlr. |
II. | „ | Patkul. – Die Schule der Reichen | 12/3 | „ |
II. Band. Vermittelungen. Kritiken und Charakteristiken. – Inhalt: I. Pressfragen. Ueber Preisherabsetzungen im Buchhandel. – In Sachen des Nachdrucks. – Hitzig über die Existenz der Schriftsteller. – II. Ausland. Abhängigkeit vom Auslande. Friederike Bremer. – H. Koenig’s literarische Bilder aus Rußland. – V. Hugo’s Ruy Blas. – III. Literaturhistorie. Goethe’s Briefwechsel mit der Schwester der Stolberge. – Leisewitz. – Franz Hern. – Bettina. – IV. Romane. Verirrungen auf diesem Gebiet. – Strickstrumpf-Kritiken. – H. Koenig, William’s Dichten und Trachten. – Psyche, von A. von Sternberg. – V. Gedichte. Franz Dingelstedt’s Gedichte. – An Usso Horn über N. Lenau’s Savonarola. – J. Mosen’s Ahasver I. II. – Nachträge. – Der Musenalmanach auf 1839. – Deutscher Musenalmanach auf 1841. – VI. Drama und Musik. Ueber Tantièmen. – Immermann’s Ghismonda. – Klein’s Maria von Medicis. – Oper und Drama. – Der Fabrikant, von E. Devrient. – Noch ist es Zeit, von A. P. – Marschner’s Vampyr. – Etwas für Pesth. – Liszt in Hamburg. – VII. Vermischtes. Die Gebrüder Grimm. – K. Rosenkranz – Fr. Dav. Strauß. – Kölle über Diplomatie. – Theresen’s Briefe aus dem Süden. – Autorberuf der Frauen.
III. Band. Mosaik. Novellen und Skizzen. – Inhalt: Aus Fluch wird nimmer Segen. Erzählung. – Das Stelldichein. Novelle. – Die Schauspielerin vom Hamburger Berge. Lebensbild. – Lenz, eine Reliquie von Georg Büchner. – Leonce und Lena, ein Lustspiel von Georg Büchner. – Ein Besuch bei Bettina. – Erinnerung an Rosa Maria Assling, geborne Varnhagen von Ense. – Karl Immermann in Hamburg. – Professor Meyer, die Königin Victoria und ihre Papagaien. – Die Subscribenten auf Klopstock’s Gelehrtenrepublik. – Meidinger’s französische Grammatik. – Soll sich die Theaterkritik bestechen lassen? Eine Zeitfrage. – Reiseerinnerungen. Stuttgart. Carlsruhe. – Kleine Reisebilder. Naumburg, Weißenfels, Merseburg, Halle, Magdeburg. – Ein diplomatischer Roman. – Die Statuten der „Freien“. – Reiseeindrücke. Stift Neuburg bei Heidelberg, Burg Rheinstein, Schloß Johannisberg – Bernadotte.
Dieser durch seinen Inhalt wie durch die Darstellung höchst bedeutende Roman reiht sich dem Besten dieser Gattung, was seit Walter Scott’s herrlichen Leistungen erschienen ist, auf das Würdigste an. Er schildert die merkwürdigen Kämpfe des Bischofs von Utrecht, David von Burgund, mit den gegen ihn empörten Städten, und weiß zugleich durch die genaue, anmuthige und lebendige Darstellung des holländischen Lebens jener Zeit, welche ihm eine eigenthümliche aber höchst anziehende Färbung verleibt, auch in den geringsten, mit großem Talent durch das Ganze verwebten Einzelheiten, den Leser in steter Spannung bis zum Schlusse zu erhalten. – Wir dürfen daher wol behaupten, daß wir in ihm ein Meisterwerk im vollsten Sinne des Wortes dem deutschen Publikum darbieten.
Jack Brag, 4 Theile | 11/3 | Thlr. |
Gilbert Gurney, 4 Theile | 11/3 | „ |
Braut und Gattin, 4 Theile | 11/3 | „ |
Des Pfarrers Tochter, 4 Theile | 11/3 | „ |
Theodor Hook’s Romane werden hier zum ersten Male und zwar nach dem Tode des Verfassers in deutscher Uebersetzung dem Publikum vorgelegt, während sie in seinem Vaterlande schon längst große Anerkennung genießen. Seine elegante aber spitzige Feder malt und geißelt das Leben der fashionablen Welt und ihre Thorheiten auf die treffendste Weise. Nicht so viel raisonnirend wie Bulwer, nicht so emsig in die obscuren Winkel niederen Lebens herabsteigend, wie Dickens, vereinigt er den hohen socialen Standpunkt des Ersteren mit der lebendigen Frische des Letzteren. Jeder Roman ist in 4 elegant und zugleich ökonomisch gedruckten Bänden vollendet. Dem ersten Theile ist Hook’s Portrait in Stahlstich und eine Skizze seines vielbewegten Lebens beigegeben.
[32]
Es ist als entschieden anzunehmen, daß die Taille der Damenkleider für diesen Sommer lang sein und bis auf die Hüften herabgehen wird. Vorn wird sie weniger spitz sein, als an den Ballkleidern; für die Länge des Leibchens aber hat man kein anderes Maß zu nehmen, als die wirkliche Taillenlänge der betreffenden Person.
Die Röcke der Damenkleider bleiben lang und weit, das übertriebene Aufbauschen aber fällt weg, weshalb man zu garnirten Kleidern vorzugsweise geschmeidige Stoffe zu wählen hat, die sich leicht zusammenlegen.
Die nachstehende
zeigt uns ein Kleid von gestreiftem Argantin mit Tunique und mit Spitzen garnirt, nach einem Originale von Beer; der Hut, Clementine genannt, ist von Gros de Naples und von Madame Louise Polborn erfunden.
Der Kaschemirshawl ist durch die Mäntelchen, Venitiens genannt, verdrängt worden, welche vorn abgerundete Ecken haben, einen großen umgeschlagenen Kragen von weißer oder schwarzer Farbe und lilas oder rosa Futter; einige davon haben auch eine kleine Capuze, welche die Stelle eines Schleiers vertritt.
Man spricht davon, die Kleider an der Seite zu garniren, ein Vorschlag, der in Folge der herrschend gewesenen Wintermode höchstwahrscheinlich angenommen wird, da er eine Eleganz darbietet, die durch glatte Kleider nimmermehr erreicht werden kann. In Bezug auf Aermel und Leibchen läßt sich nichts Bestimmtes sagen. Abends, bei der Halbtoilette, werden gewöhnlich kurze Aermel getragen; sie sind mehrentheils eng, und die, welche oben und unten gleiche Weite haben, werden an der Handwurzel nicht geschlossen und zeigen doppelte Musselin-Puffen, die in einer Art von Spitzenmanschette anliegen. Zu solchen Kleidern, von welchem Stoffe sie auch sein mögen, paßt ein ganz einfaches Tuch und ein kleines Tüllhäubchen mit Gacebändern, da die kurzen Aermel jetzt durchaus keine Ansprüche mehr machen können.
Die Fichus gehören ausschließlich der kleinen Abendtoilette, in welche sie sich mit einer Art um den Hals herum gefältelter, ziemlich bizarr aussehender Pelerinen theilen.
Dem seit langer Zeit im Exile lebenden Gürtel mit Schnallen und Schlössern scheint man neuerdings die Rückkehr zu gestatten.
Anstatt der Pelerines sieht man häufig auch Shawls oder sehr große Echarpes von Sammet oder Seide, größtentheils schwarz, mit weißem Altasfutter.
Man fängt an, italienische Strohhüte zu tragen, von denen die mit Federn verzierten die elegantesten sind. – Die kleinen, zur Morgentoilette gehörigen Strohhüte sind mit schmalem gefälteten Band besetzt. Diese Garnitur macht sich einfach, kokett und geschmackvoll. – Das Band auf den Strohhüten wählt man mit gutem Erfolge von entgegengesetzten Farben. Man sieht Grün und Kirschroth, Grün und Violett, Blau und Grün; auch zuweilen verschiedene Nuancen einer und derselben Farbe, wie Rosa und Roth, Paille und Orange, Himmelblau und Haïtiblau. Glattes Taffetband, grün oder orange, sieht sehr einfach und gewählt aus.
Eben so sieht man auch viele Reisstrohhüte von sehr gefälliger Form.
Die kleinen Crêphüte mit einer hängenden Feder zeichnen sich durch die Eleganz aus, die man von einer gewählten Toilette verlangen kann. Sie eignen sich ganz für den Sommer und nehmen sich vorzüglich im offenen Wagen wunderschön aus.
Man sieht jetzt sehr viele Kapoten von zarter Farbe, welche sehr elegant und leicht sind und den Kopf von dem Tragen der schweren, lästigen Winterhüte ausruhen lassen. Sie sind größtentheils leicht ausgeschweift und nehmen nach unten ein Wenig an Weite zu, so daß die Haare frei bleiben.
Noch gedenken wir der türkischen Coiffüren, welche man mit Tüchern oder Schärpen von orientalischem Gewebe trägt. Es dürfte schwer sein, die Eleganz reicher und geschmackvoller als in dieser künstlichen Form zu erblicken.
Einen Turban kann man diesen Kopfputz nicht nennen, denn dazu ist er nicht streng genug, aber doch bleibt er ein Charakterputz, den man nicht zu den Ausgeburten der Pariser Phantasie zählen darf.
Ein Unternehmen, wie das unsrige, kann den vorgesetzten Zweck nach seinem ganzen Umfange nur dann erreichen, wenn es gewissermaßen die gesammte Menge von Einsicht und gutem Willen in der Nation zu Mitarbeitern hat, denn auch die Bestellung von zahlreichen Correspondenten gewährt uns keine Bürgschaft, daß nicht in irgend einem Orte von Deutschland Etwas geschieht, was von allgemeinem Interesse und für Alle zu wissen nützlich oder nöthig ist, oder ob nicht irgendwo ein Wunsch nach einer Anschauung oder Belehrung auftaucht, den wir zu errathen außer Stande sind. Aus diesem Grunde fordern wir Alle diejenigen auf, die von unserm Blatte sich Nutzen oder Vergnügen versprechen, unsere Mitarbeiter zu werden, uns ihre Wünsche, Bedenken, und Bemerkungen offen mitzutheilen, und es uns nicht zu verschweigen, wenn sie etwas besser wissen, als wir es zu geben vermocht haben. Sie dürfen der sorgfältigsten Berücksichtigung und der promptesten Antwort in diesem Blatte selbst – dem wir deshalb einen Briefwechsel mit Allen für Alle hinzufügen – versichert sein, und wir hoffen, wenn wir alle Bedürfnisse erfahren und dadurch in den Stand gesetzt werden, denselben zu genügen, unser Ziel nur um so sicherer zu erreichen. Wir vertragen auch Tadel, und bitten denselben nicht zurückzuhalten, damit wir uns verantworten oder unsere Fehler verbessern können. Insonderheit aber ersuchen wir Schriftsteller und Künstler im ganzen lieben Vaterlande, uns auch unaufgefordert Mittheilungen von Dem zu machen, was etwa, in ihrer Nähe sich zutragend, für allgemein ansprechend gehalten werden kann. Ton und Haltung sind aus unserm einleitenden Artikel und aus der ganzen Ausführung des Blattes zu entnehmen; wir haben in dieser Beziehung keine Vorschriften zu machen, wenn wir auch den Wunsch aussprechen, soweit als möglich Vollständigkeit mit Kürze, Einfachheit mit Eleganz, und Gediegenheit mit populairer Darstellung zu verbinden. Alle Eingänge, denen wir einen Platz einräumen, werden anständig honorirt, die übrigen sofort zurückgesendet, und nur bei solchen, die etwa größere Vorarbeiten erforderlich machen könnten, bitten wir um eine vorläufige Anfrage, die ungesäutme Beantwortung finden wird.
Gelingt es uns, auf diese Weise die besten Kräfte des ganzen Vaterlandes in einen Brennpunkt zu vereinigen, dann dürfen wir auch nicht zweifeln, in dem Wettstreite, in den wir mit England und Frankreich einzutreten im Begriff stehen, wenn nicht den Sieg, doch einen ehrenvollen Platz zu behaupten und den Thatbeweis zu liefern, daß Deutschland in Kunst und Wissenschaft keinem Lande der Erde nachsteht.
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