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Das Glückskind

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Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Das Glückskind
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 3–16
Herausgeber: {{{HERAUSGEBER}}}
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[3]
1. Das Glückskind.

Ein armer Bauersmann, welcher Martin hieß, hatte zwei Kinder, die er gar herzinnig liebte. Es waren ein Sohn und eine Tochter.

Als er nun auf seinem Todtenbette lag, da rufte er sie Beide zu sich und sagte:

„Ihr herzlieben Kinder, ich muß nun von Euch scheiden; aber obgleich ich sterben muß, so lebt doch der liebe Gott immerfort, und wenn Ihr Euch recht lieb haben werdet, und Du Wanst recht ordentlich wirst arbeiten lernen, so wird Alles schon gut gehen!“ Wanst aber war sein Sohn.

Der Vater sagte weiter: „Daß ich Euch nicht viel hinterlaßen kann, wißt Ihr ja. Als ich Eure seelige Mutter heirathete, brachte sie mir ein Paar alte Holz-Schemel und einen Strohsack mit ins Haus. So hab ich auch noch meine Henne, meinen Nelkenstock, und diesen Silberring hier. Den Topf aber mit dem schönen Nelkenstock und den Silberring, die ich beide schon so manche Jahre aufbewahrt habe, hat mir eine vornehme Frau geschenkt, welche in meiner Hütte einmal zur Nacht blieb, und von welcher ich heutiges [4] Tags nicht weiß, wer sie war, oder woher sie kam, und wohin sie zog. Denn es schickte sich nicht darnach zu fragen.

Sie sagte, ich möchte des Nelkenstocks gar fleißig warten und ihn begießen, den Ring aber aufs beste bewahren; sie sollten aber alle beide Dir, liebe Tochter, zugehören, und Dich einmal trösten, wenn Du recht arm und verlassen sein würdest. Dennoch sollte ich Dich „Glückskindchen“ nennen, welches ich auch gethan habe. – Da hier! Glückskind, nimm was dein ist, Ring und Nelkenstock; das Uebrige gehört dem Wanst.

Der Vater starb nach einigen Tagen; die Kinder nahmen, Jedes was ihm gehörte, und blieben beisammen.

Glückskindchen hatte den Bruder Wanst gar sehr lieb, und dachte er würde sie auch recht lieb haben, welches aber nicht geschahe, denn, als sie sich einmal auf einen von Wanstens zwei Schemeln setzen wollte, jagte er sie davon weg, setzte sich selbst ganz hochmüthig auf den Einen Schemel, und auf dem andern strakelte er tölpisch seine Strampel- und Pampelfüße aus, die gar dick und stämmig waren.

„Die Schemel sind mein“, sagte er übermüthig und vornehm; Du kannst Deinen Ring behalten und Deine Nelken!“

Das Glückskind weinte im Stillen seine bitterlichen Thränen, und wußte nun nicht einmal, wo es sich hinsetzen sollte. Ach! daß der Wanst so garstig sein könnte, das hätte sie ja nimmerdar geglaubt; um desto weher that es ihr denn.

Stehend hatte sie bis zum Abendeßen ein wenig genäht, aber Wanst hatte großthuig[1] und nichtsthuig auf seinen Schemeln geruht, und als Abendeßenszeit kam, holte er sich ein Paar Eier von denen, welche die Henne seit einigen Tagen gelegt hatte, kochte sie, und aß sie nebst einem großen Stück Brodt, wovon noch etwas Vorrath da war. Aber der Schwester gab er weder Brodt noch Ei.

[5] „Das ist für mich, sagte er, und ist mein. Du magst zusehen, woher Du etwas zu eßen willst nehmen. Versuche das hier, sagte er, indem er ihr die Eierschalen zuwarf; ich habe nicht mehr für Dich. Doch gibt es noch Frösche im Sumpfe genug, die magst Du dir holen.“

Da ging das arme Kind still weinend in sein Kämmerlein und klagte dem lieben Gott seine Noth. Im Kämmerlein aber düftete es mit gar lieblichem Geruch. Das thaten die Nelken, die frisch und herrlich da standen, und über welche das Mädchen sich so herzinnig freute, daß es den Bruder und den Hunger vergaß und aufhörte zu weinen.

Da sah es nun seinen Nelkenstock an. Der aber war ziemlich trocken. Da sagte Glückskindchen:

„Ihr lieben, süßen, holden Nelkenblumen, wie sollt ich denn Euer vergeßen. So schön riecht ihr, und habt so prächtige Farben! Nein ihr sollt mir nicht dürsten!“

Drauf nahm sie den Krug und eilte im Mondenschein zum Brunnen, Waßer zu schöpfen, und die Blumen zu erfrischen. Der Brunnen war aber weit, und sie hatte sich müde gelaufen, als sie hinkam, und setzte sich an dem kühligen Brunnen nieder, um erst ein wenig auszuruhen. Sie hatte ja daheim ohnedieß nichts zu schaffen und zu eßen.

Als sie so da saß, da kam ein großes Wesen und Gethue daher, mit großer Pracht und Herrlichkeit, und eine vornehme Frau war darunter, mit einer Krone auf dem Haupte, die glänzte im Silberlicht des Mondenscheins gar wunderherrlich, wie Diamanten und Perlen, aus welchen denn eben die Krone bestand, und viele hochgeputzte Frauen und Herren begleiteten die vornehme Frau mit großer Ehrfurcht.

[6] Die Vornehme ließ sich an der Quelle des Brunnens nieder, wo liebliche und lustige Bäume standen. Ein Armstuhl wurde ihr hingesetzt, mit weichen Kißen belegt und überzogen mit Goldbrokat; ein Schenktisch wurde ihr hingestellt mit goldenen und krystallhellen Gefäßen und auf einem andern Tische, unfern davon, ward eine köstliche Mahlzeit aufgetragen, und eine Musik von Hörnern und Saitenspiel begann sanft und süß.

Das war aber Alles in einem einzigen Augenblicke da, so als ob es schon längst dagewesen wäre.

Das Glückskind hatte sich während das Alles vorging, blöde und schüchtern und gleichsam wie vor Angst, hinter einen Fliederstrauch versteckt, indem es dachte, es gehöre nicht zu den vornehmen und glänzenden Leuten. Da ging es ihm wie vielen erwachsenen Leuten, welche sich auch vor den Vornehmen und Glänzenden gern verbergen, oder wenn sie hervor müßen, vor ihnen kriechen, als wären sie Würmer und keine Menschen, jene aber wären es, und müßten Alles allein gelten. So etwa mocht es dem armen Kinde sein.

Glückskind hatte sich versteckt, aber die vornehme Frau, welche eine Königin war, und daher wie die Königinnen meistentheils, ein recht[2] scharfes Auge für kleine Dinge hatte, – die Königin sahe sie doch, und ließ sie durch einen ihrer vornehmen Diener heran rufen.

Dehmüthig und sanft und sittig schämig stand das schüchterne Mägdlein mit gesenkten Augen vor der Königin, der es gar aus dermaßen gefiel.

„Was machst Du denn hier, Du liebes holdes Kind? fragte die Königin gütig, weil sie selbst recht sehr gut war; fürchtest Du Dich denn nicht, so allein am Abend?“

[7] „Fürchten? antwortete das holde Kind; gar nicht! Ist doch der liebe Gott bei mir und seine heiligen Engel sind auch da. Und ich habe ja auch nichts, was mir Einer nehmen könnte. Ich habe nur diese Kleidchen von Leinwand, und einen Nelkenstock und einen Silberring, die sind aber zu Hause, und den Nelkenstock, der so gar schön riecht, den wollt ich begießen und mir Waßer dazu aus dem Brunnen holen.“

„Hast Du denn schon Abendbrod geßen?“ fragte die Königin. Ach nein, noch nicht, antwortete Glückskind. Es war nicht viel da – nur zwei Eier und ein Stück Brodt, das hat der Bruder gegeßen.“

Da mußte sich Glückskind an der Königin Tisch setzen, und wurde ihm das beste aufgetragen, und mußte es eßen. Es aß aber nur ein wenig, denn es war so blöde.

„Worin denn, fragte die Königin nun, wolltest Du das Waßer schöpfen, die Nelken zu tränken? Du hast ja keinen Krug mit Dir?“

„O doch! sagte das Mädchen; ich hab ihn hier unten auf die Erde heimlich hingesetzt.“ Da griff es darnach und wollt ihn der Königin zeigen. Da war wohl ein Krug da, aber der war von Gold und so schwer, daß er sich kaum ließ erheben, und war besetzt mit funkelnden Edelsteinen.

„So einen schönen Krug hast du?“ fragte die Königin: „Ach nein! antwortete das Mädchen betrübt, der ist nicht mein; meiner war nur ein irdener Krug, und der ist nun fort und ich habe keinen andern. O! meine armen Nelken; sie dürsteten so sehr.

„Nun, sagte die Königin, so nimm diesen da, und sei nur getrost. Schöpfe Du nun!“ Aber als das Mädchen schöpfen wollte, war der Krug schon voll von Waßer, welches köstlich und erquickend roch.

[8] „Daraus sollst du Deine Blumen begießen, sagte die Königin freundlich, so werden sie recht wunderschön blühen und riechen. Geh hin und komm wieder, ich werde hier noch eine kleine Weile bleiben.“

Da lief das Mädchen eiligst nach Haus und wollte der gütigen Königin den schönen Nelkenstock aus Dankbarkeit bringen, wenn es ihn erst würde getränkt haben.

Als das arme Kind aber in sein Kämmerlein kam, wo der Nelkenstock im Fenster gestanden, da war er fort, denn der garstige Wanst hatte ihn fortgenommen und versteckt, und statt desselben einen Kohlkopf hingestellt. Da wurde das Mädchen recht tief betrübt, denn es hatte sich so recht herzinnig drauf gefreut der gütigen Königin auch Etwas zu schenken.

Da es nun nichts Besseres hatte, nahm es den Silberring, und sagte der Königin, wie es mit dem Nelkenstock so gar übel ergangen sei.

Die Königin nahm den Ring an, und steckte denselben an ihren Finger, indem sie sagte: „Ich nehme den Ring von Dir, Du gutes Kind; und bleibe Du nur so sanft und fromm, und habe Geduld, nur noch eine kleine Weile, so wird schon Alles gut werden!“ Hierauf setzte sich die Königin in ihren prächtigen Wagen, und sechs schneeweiße Pferde flogen mit ihr so schnell davon, als ob sie Vögel wären.

Als nun das Mädchen wieder in sein Kämmerchen kam und den Kohlkopf noch im Fenster sahe, wurde sie auch einmal böse, weil ihm der garstige Wanst die Freude mit dem Nelkenstocke verderbt hatte, und warf recht unwillig den Kopf zum Fenster hinaus.

Da schrie es mit kläglicher Stimme: „Ach mir sind ja alle Ribben im Leibe zerbrochen – Ich bin ein Kind des Todes!“

[9] Glückskindchen dachte nicht, daß es der Kohlkopf sein könne, von dem die Wehklage käme, sondern ging hinaus zu sehen, wer es denn wäre? da war ihm der Kohlkopf im Wege und es stieß denselben mit dem Fuße fort und sagte: „Geh, Du garstiges Ding, das die Stelle meines lieben Nelkenstocks vertreten wollte!“

„Thue mir doch nicht unrecht, antwortete der Kopf; Du solltest mich nicht an der Stelle gefunden haben, hätte mich nicht Jemand ins Fenster gestellt. Setze mich nur wieder zu meinen Kameraden hinaus, so will ich Dir auch sagen, daß der hämische Wanst Deine Nelken in seinen Strohsack versteckt hat.“

Das Mädchen erschrak anfangs ein bißchen über den sprechenden Kohlkopf, denn es wußte noch nicht, daß es der Kohlköpfe recht viel in der Welt gibt, welchen die Sprache gar nicht fehlt, wohl aber fehlen die Gedanken; aber bald hatte es sich von dem Schrecken erholt und trug mitleidig den Kohlkopf an seine Stelle. Aber dann trauerte es wieder, weil es nicht wußte, wie es den Nelkenstock aus dem Strohsack bekäme, denn der garstige Wanst würde es doch nicht erlauben, denselben hervorzuholen.

Indem das Glückskind so trauerte, sahe es die Henne des Bruders so eifrig auf dem Hofe kratzen, daß der Staub davon weit umherflog. „Das Mädchen griff nach der Henne und erhaschte sie und sagte: Wart! du sollst mir den Nelkenstock bezahlen!“

„Sei doch barmherzig, flehte die Henne; ich bin ja nicht schuld; wie kann ich denn für den Nelkenstock büßen?“ – Da war des Glückskindes Aerger gleich verflogen und es ließ die Henne frei.

Zur Dankbarkeit, sagte nun diese, will ich Dir Etwas offenbaren, zumal ich das Kakkern und Pappern gar zu sehr lieb habe. Du denkst, Du seist des alten Martins, des gestorbenen Bauers, Kind und Wanst sei Dein Bruder, dem ist aber gar nicht also, sondern [10] Du bist eine Prinzeßin und Deine Mutter ist eine Königin. Die hatte schon sechs schöne Töchter geboren, aber der König war wunderlich und sehr schlimm und vermaß sich hoch und sehr, wenn die Königin wieder in die Wochen käme und brächte ihm keinen Prinzen, so wolle er sie erstechen, und da die Königin eben wieder schwanger war, so ließ er sie sogleich in einen festen Thurm stecken und gab ihr Wächter und befahl denselben im grimmigen Zorn, die Königin und ihr Kind gleich umzubringen, wenn sie eine Prinzeßin brächte.“

Die unglückliche Königin ängstete sich fast halb todt, ehe sie noch niederkam, und als sie nun niederkam, da hatte sie eine Prinzeßin, und das warst Du. Sie entfloh mit Dir aus dem Thurm, denn sie hatte sich schon lange vorher eine Strickleiter gemacht. Sie lief so weit als sie nur Kraft hatte, und kam zu uns in dieses kleine Häuschen, wo sie nicht weiter konnte. Sie erzählte uns ihr grausames Unglück, und bat mich ihr Kind groß zu säugen, nämlich Dich. Ich aber war damals Martins Frau, und that das gern und bin also Deine Amme. Deine Mutter starb wenige Tage nachher, denn sie hatte gar zu viel ausgestanden; wir aber, Martin und ich, behielten Dich bei uns, und hatten Dich so lieb, als ob Du unsere leibliche Tochter wärst.“

Da ich nun immer gern schwatzte und plauderte, so erzählte ich auch einmal diese ganze Geschichte einer schönen Frau, die prächtig gekleidet war, und wohl etwas Großes sein mochte. Diese aber berührte mich mit einer kleinen Gerte und da wurde ich auf einmal zur Henne. „Nun, sagte sie, plaudere und schwatze so viel du willst!“ „Das hab ich denn auch ordentlich gethan und unaufhörlich gekrikelkrakelt und gegackert.“

[11] „Als nun der arme Martin von seiner Arbeit nach Hause kam, fand er mich nicht. Er suchte mich mehrere Tage lang, aber das war ja alles vergeblich. Da dacht er denn endlich, ich möchte vielleicht in den Wald gegangen sein und wäre von den Wölfen gefreßen worden, oder sei im Fluße ertrunken und von dem Strome fortgeführt worden.“

„Nach einiger Zeit kam die vornehme Frau noch einmal und gab Deinem Pflegevater den Ring und den Nelkenstock, da ich eben auf dem Hofe war und Würmerchen suchte; sie befahl ihm auch, wie Du heißen solltest. Indem sie aber noch da war, kamen zwanzig grimmige Trabanten, die hatte Dein wirklicher Vater, der König, ausgesendet, Dich zu suchen und umzubringen. Das ist aber gar nicht geschehen, wie Du wohl weißt, sondern die vornehme Frau sagte leise nur ein Paar Worte, da waren die Trabanten allzumal in Kohlköpfe verwandelt. – Siehe, nun weißst Du, daß Du eine Prinzeßin bist.“ „Ich wundere mich nur, daß ich auf einmal wieder sprechen kann, was ich vorher gar nicht gekonnt habe, und der Kohlkopf, den Du aus dem Fenster warfest, konnte es auch. Ich denke das hat Etwas zu bedeuten.“

Also plauderte die Henne, und zwar froh, daß sie es konnte, weil sie so lange den Sprechschnabel hatte halten müßen.

Glückskind sann allen diesen Wunderdingen nach, aber es konnte sich nicht daraus finden. „Wenn ich nun auch eine Prinzeßin wäre, wäre ich denn nun glücklich? Wenns allen Prinzeßinnen so zu Muthe ist, wie mir, so steht es mit ihnen sehr übel. Ich wollt, ich wäre das Gänsemädchen im Dorfe, das hat doch sein Stück Brodt, springt lustig auf der Wiese herum, sucht Blumen, windet Kränze daraus, und singt sich sein fröhliches Liedchen.“

Jetzt fiel dem Glückskinde der Nelkenstock wieder ein, und als [12] es in die Stube trat, war zum Glücke Wanst nicht da, sondern war in den Wald gegangen. So wollte es denn den Strohsack aufmachen und den Nelkenstock herausholen; aber da kam ein großes Heer von großen garstigen Ratten mit häßlichen langen Schwänzen aus dem Sacke hervorgeschoßen, grimmig und bößig auf Glückskind zu.

„Ach, ihr lieben, lieben Nelken, rief es, wie soll ich euch nun erretten!“

Als aber die Ratten nicht aufhörten auf das Mädchen zuzufahren, verfolgten es in der Stube und wollten in sein Gesicht hinaufspringen, lief es in der Angst zu dem Kruge von Gold und sprengte Waßer auf die Ratten, die alsbald mit hastiger Angst davon liefen und sich in ihre Löcher verkrochen.

Jetzt holte Glückskind seine lieben Nelken aus dem Strohsack, aber die trauerten mit hängenden Köpfchen und waren beinahe verschmachtet.

„O ihr lieben schönen Blumen, sagte Glückskind, indem es den Stock mit dem Waßer aus dem Goldkruge begoß, erholt euch doch wieder!“ Das thaten die Blumen, sobald sie begoßen waren, und richteten die Köpfchen frisch in die Höhe und dufteten einen wunderlieblichen Geruch, und das Mädchen freuete sich sehr. Und aus dem Nelkenstock kam eine angenehme Stimme, die sprach ganz leise.

„O Glückskindchen, wie bist Du so sanft und so gut und auch so schön; und ich bin Dir auch so gut, so sehr gut!“ Mehr sagte die Stimme des Nelkenstocks nicht, aber das war schon genug, um das Glückskind beinahe in Ohnmacht zu bringen. Es hatte zwar den Kohlkopf und die Henne sprechen gehört, aber die Stimme aus dem Nelkenstock kam ihm zu bedenklich und wunderlich vor.

[13] Indem es darüber noch nachsann, kam Wanst aus dem Walde nach Hause, und wurde wild und grimmig, da er sahe, daß der Nelkenstock gefunden war und wieder so schön blühete und so herrlich roch. Er packte mit seinen Fäusten die Schwester beim Arm, riß sie in der Stube umher, gab ihr einige Püffe, und schleppte sie mit Schimpfen zum Hüttchen hinaus, bis fast an den Wald: Da! sagte er, siehe zu, wie du durchkommst, oder laß dich von den Bären auffreßen, aber zu mir komm nicht wieder, sonst schlag ich dich todt auf dem Flecke!“

Das arme Glückskind war recht unglücklich und hatte beinahe alle Besinnung verloren. Erst hatte es so hübsche Worte vom Nelkenstock gehört, und nun so fürchterliche von Wanst, und sollte nun in den wilden Wald voll wilder reißender Thiere.

Als Glückskind aus der Betäubung zu sich selbst kam, stand die hohe schöne Frau wieder da, die ihm den goldenen Krug geschenkt hatte. Sie sprach:

„Ich bin die Königin dieser Wälder, und weiß Alles, was vorgegangen ist, denn ich bin eine Fee. Ich habe gesehen, wie übel dich Wanst hat behandelt, der doch dein Bruder sein will. Soll ich ihn dafür züchtigen?“

„Ach nein! antwortete Glückskind, das kann mir ja nichts helfen, und er wird drum wohl nicht anders, als er nun einmal ist, und ist doch immer mein Bruder. Wenn ich nur wüßte wohin? so verlangte mich gar nie mehr nach dem Hüttchen, wo doch keine Liebe ist und kein Friede.“

„Dein Bruder sollte er sein, sagte die Waldkönigin, dein wirklicher Bruder? der tölpische rohe Mensch, der dir so übel thun konnte? Das glaub ich nimmermehr.“ Hat man denn dir nicht gesagt, wer du bist?“

[14] „Eine Henne, antwortete es, hat mir davon Etwas gesagt, aber das war so wunderliches Zeug. Wer weiß daraus klug zu werden? Was ich nach ihrem Gekrakel sein soll, ist viel zu hoch für ein armes Bauernkind, als daß ich mirs einbilden sollte? Wanst ist doch wohl mein Bruder!“

„Er ist es nicht, du liebes bescheidenes Mädchen, sagte die Königin, und du bist wirklich eine Prinzeßin; und bist das Kind meiner eigenen lieben Schwester. Ich hätte dir auch gern eher geholfen, aber ich hatte noch nicht die Macht dazu; dir aber ist es vielleicht gut gewesen, daß du so niedrig und arm bist erzogen worden, so bist du bescheiden und dehmüthig geblieben, und weißst wie Armuth und Noth thue. Könnt ich es machen, so sollten mir alle Prinzen und Prinzeßinnen also erzogen werden – die Zeit deiner Prüfung ist aber vorüber.“

Indem sie noch also sprachen, trat ein Jüngling daher, heiter und schön wie ein Engel, einen Kranz von schönen Nelken auf dem goldenen Lockenhaar; der grüßte die Königin sittig und lieblich, indem er sich auf die Kniee vor ihr niederließ, und ihre Hand küßte.

„Willkommen, mein Sohn, mein geliebter Sohn! sagte die Königin liebreich; jetzt ist deine Bezauberung vorüber! und du und das Glückskind, dem du deine Erlösung verdankst, werdet von nun an recht glücklich sein.“

„Meine Leute, fuhr sie fort, die dich in deiner ersten Kindheit warten sollten, hatten dich an eine Stelle gebracht, welche ich ihnen zu betreten verboten hatte, und hatten dich außer Acht gelaßen, um mit einander zu schäkern und zu scherzen. Da erhielt ein gewaltiger Zauberer Macht über dich, welcher immer mein Feind war, und verwandelte dich in einen Nelkenstock. Den Nelkenstock erlangte ich durch meine Macht wieder, und brachte ihn in die Hütte, wo Glückskind [15] war; und gab ihn dem Bauer und einen Silberring dazu. Wie der wieder in meine Hand zurückkehrte, so wußt ich daran, daß die Bezauberung ein Ende hatte; und du, liebes Mädchen, hast ihn mir aus Erkenntlichkeit gebracht, weil der garstige Wanst dir deinen Nelkenstock gestohlen hatte, den du mir schenken wolltest. Das Waßer, womit du die wiedergefundenen Nelken begoßest, ist aus dem Wunderbrunnen, und treibt alles Unheil ab, und gibt den verwandelten Dingen die vorige Gestalt wieder. – Kommt nun, und zieht mit mir in mein Reich!“

„O! meine Königin, meiner Mutter Schwester, darf ich nicht eine Bitte thun?“ sagte bescheiden das Glückskind mit niedergeschlagenen Augen.

„Sage mir deine Bitte, mein liebes Kind, du bist ja die Tochter meiner Schwester, und jetzt bin ich ja auch deine Mutter!“

Da bat Glückskind die Fee, sie möchte doch die Henne wieder zum Menschen machen, denn sie sei doch ihre Amme gewesen, und die Kohlköpfe auch, und den Wanst möchte sie auch zum Menschen machen, nämlich zu einem solchen, der recht sanftmüthig und liebreich würde, und möchte ihm viel Geld schenken; denn sein Vater habe es doch, nämlich das Glückskind, auch mit erzogen und ernährt.

„Du gutes Kind,“ sagte die Fee, und ging mit ihrem Sohn und mit Glückskind zu Wansts Hütte, und berührte mit der Zauberruthe die Henne und die Kohlköpfe, da wurden sie wieder, was sie gewesen waren. Aber Wansten, sagte sie, könne kein Geist und keine Fee zu einem rechten Menschen machen; dazu müße ein Jeglicher sich selbst machen. Zu viel Geld würde ihn vollends verderben. Sie ließ ihm aber, nachdem sie ihm seine schlechte Art und Natur recht hatte verwiesen, auf Glückskinds Fürbitte den Goldkrug mit den Juweelen; die solle er verkaufen und sich dafür ein Haus [16] bauen und Garten und Feld dazu kaufen, damit er zu thun habe und dabey auch glücklich werde. Wanst hörte das in dem Winkel, in welchen er sich hingestellt hatte, und sperrte das Maul auf.

Es kam der Wagen der Fee mit den sechs schneeweißen Pferden, die sie mit ihrem Sohn und mit Glückskind in ihr Reich brachten.


  1. Verbeßerungen S. 471: st. großthuisch l. großthuig
  2. Verbeßerungen S. 471: st. rechtes großes l. recht