Der 2. Glaubensartikel/Ich glaube, daß Jesus Christus in Ewigkeit geboren

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Der 2. Glaubensartikel
Wahrhaftiger Gott von der Jungfrau Maria geboren »
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Joh. 1, 18.
 Ich glaube an Jesum Christum, Gottes eingebornen Sohn.
 Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren.







 Gemeinde des Herrn! Mit dem zweiten Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses tritt die Kirche nicht erst in das Heiligtum ein; denn heilig ist alles, was sie von Gott auszusagen und zu bekennen weiß, aber mit dem zweiten Glaubensartikel naht sie den allergrößten Geheimnissen, die Gott mit der Menschenseele hat, Geheimnissen, um die nur einer weiß, der sie erweckte und der sie gewann. Denn nicht das ist das größte Geheimnis, daß Gott sich um mein von ihm abgewandtes Leben bemühte, es aus lauter Güte umworben und für dieses Leben einen ewigen Preis bezahlt hat. Das ist das Geheimnis, daß er die allergewisseste Habe, den ihm wesens- und willensgleichen Sohn in die Fremde schickte, um die Leute aus der Fremde zurückzurufen, daß er die Treue an die Untreue, die Heiligkeit an die Sünde, die Größe der ihm zu eigen gegebenen Andacht und Innigkeit an die Gottesfernen wagte und setzte. Das ist das Geheimnis, daß er, wie der Apostel schreibt, seines eigenen Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für uns alle hat dahingegeben (Rm. 8, 32), sein Eigentum, das nichts anderes als sein eigen sein wollte, für ein verlorenes, verschwendetes, vergeudetes Gut. Darum sagt Luther im großen Katechismus im Eingang zur Erklärung des zweiten Glaubensartikels: „Hier sehen wir, was wir über die vorigen zeitlichen Güter von Gott haben, nämlich wie er sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe.“ So, wie es dort in Jesaia heißt, setzen wir hinzu: „Ihr Bürger zu Jerusalem und ihr| Männer Judas richtet zwischen mir und meinem Weinberge. Was sollte man doch mehr tun an meinem Weinberge, das ich nicht getan habe an ihm?“ (Jes. 5, 3 u. 4.) Und damit fährt Luther weiter: „Dieser Artikel ist nun sehr reich und weit; aber daß wirs auch kurz und kindlich handeln, wollen wir ein Wort vor uns nehmen, und darinnen die ganze Summe davon fassen, nämlich, daß man hieraus lerne, wie wir erlöst sind, und soll stehen auf diesen Worten: An Jesum Christum, unsern Herrn.“

 Laßt mich heute über die Worte sprechen: „Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren sei.“


I.
Der Name: Jesus Christus.

 Sechsmal kommt im Alten Testament der Name Jesus vor, von dem Jesus an, dem Sohn Nuns, der ,ein Nachfolger‘ Moses das Volk Israel aus der Wüstenwanderung in das Land der Verheißung führte, bis auf den Jesus, einen Enkel des Sirach, von dem wir das geheimnisvolle Spruchbuch in den Apokryphen besitzen. So kommt der Name Jesus da und dort vor, wie eine Hindeutung auf den, der allein diesen Namen zu tragen würdig und geschickt ist, wie eine Ausstrahlung von dem, der allein, was der Name sagt, ist und bedeutet. Denn Jesus heißt auf deutsch: „Jehova – Gott ist meine Hilfe, Gott ist Hilfe.“

 „Gott ist Hilfe“ – das ist der Name deines Heilandes, den er hatte, ehe die Welt gegründet und ehe die Erde geschaffen und ehe die Zeit geworden und die Sünde eingetreten ist, ehe die Strafe kam und der Tod in die Welt eingekehrt ist. Das ist der Name, der ihm vor aller Zeit von seinem Vater gegönnt und gegeben ward: „Gott ist Hilfe.“

 Gott wollte in einem Wesen, das ihm gleich ist, in einer Persönlichkeit,| die ihm ganz wesensverwandt, aber doch nicht persönlich gleich ist, in einer Größe, die ganz seine Züge trägt und doch nicht er selbst ist, seines Wesens Fülle darlegen. So, wie die Sonne ihr Wesen im Glanz, das Feuer sein Wesen in der Wärme, und wie das Wasser seine Kraft in der Erquicklichkeit darstellt, so hat Gott in diesem einzigartigen Wesen, das ihm selbst gleicht, doch von ihm verschieden ist, seiner ganzen Herrlichkeit Fülle, seiner ganzen Lebensgröße Kraft, seiner ganzen allumschließenden Bedeutung Majestät dargelegt. „Gott ist Hilfe“; denn das ist das Wesen Gottes, daß er hilft; nicht, daß er verwirft, nicht, daß er vergißt, noch, daß er versäumt, nicht, daß er Menschen zum Spiel auf die Welt wirft, und dann, ihrer müde, sich von der Welt und dem äußeren Menschen abkehrt; sondern das ist sein Wesen, daß, wenn er eine Kreatur auf die Erde gestellt hat, er ihr auch helfen will. Hilfe ist es, daß er sie schafft, Hilfe ist es, daß er sie schützt, Hilfe ist es, daß er sie heilt, Hilfe endlich ist es, daß er, wenn sie sich müde gearbeitet und matt geworden ist, sie heimnimmt und bei sich ruhen läßt ohne Ende. Gott ist Hilfe. Wenn das Leben auf dich mit tausend Fragen, von denen du keine einzige auch nur verstehst, geschweige lösen kannst, eindringt, wenn das Dasein eine unentwirrbare Kette von Geheimnissen darstellt, wenn du vor deinem eigenen Leben wie vor einer großen Frage, die durch deine Schuld so schwer geworden ist, hilflos stehst, so tönt als eine ewige, wandellose, unumstößliche Wahrheit, klar, weithin vernehmbar und doch so traulich und köstlich dir die Gewißheit ins Herz: „Gott ist Hilfe.“ Größeres wünsche ich nicht, Kleineres darf ich nicht wünschen, als das eine Wort: „Gott ist Hilfe.“ – Und diese wesentliche Größe Gottes, in der er alles beschlossen hat, was in ihm ist, diese wundersame Bereitung Gottes, in die er alles beschlossen hat, was er hat, diese Fülle von Gottes Gnade, Gabe und Güte, hat er an den Tag gestellt, da sein Name genannt ward: „Jesus.“ „Und als acht Tage um waren, daß das Kind beschnitten| würde, da ward sein Name genannt Jesus“ (Luc. 2, 21). So verkündet uns das Evangelium mit hohen, herrlichen Klängen: „Gott ist Hilfe.“ Und wenn dein Leben längst die ersten Tage hinterlegt hat und du in den Kampf mit dem Feinde und in die Angst der Sünde und in den Streit, wie Luther sagt, mit dem alten Schadenfroh gelangt bist, und wenn du spürst, wie viele Wunden dir dieser alte, trotzige Feind geschlagen hat, so bleibt unter all den Lebenswandlungen, Lebensführungen und Lebensgängen das eine Wort stehen: „Gott ist Hilfe.“ Und wenn du durch einen Kirchhof gehst und die verwitterten Kreuze ansiehst und die verfallenen Steine betrachtest und kannst die Namen, die auf den mit Moos und Flechten überwucherten Steinen stehen, kaum mehr entziffern, und es erscheint dir der ganze Friedhof wie ein furchtbarer Akkord der Vergänglichkeit, wie der Hohn auf alles Bleibende und wie der Widerhall des furchtbaren, alle Ironie in sich schließenden Bekenntnisses von Eitelkeit und Vergänglichkeit, so steigt über diese verwitterten, kaum lesbaren und kaum deutbaren Zeichen der Name Jesus empor und statt des dich höhnenden Wortes der Nichtigkeit: „Es ist alles eitel!“ hört deine Seele die majestätische, ewige Wirklichkeit: „Jesus lebt, mit ihm auch ich. Tod, wo sind nun deine Schrecken?“ Das ist es: der Name heißt Jesus. Und wenn wir ihm andere, ja die höchsten Namen geben würden: Genie ohnegleichen, Talent ohne Grenzen, Heros allerhöchster Lobpreisung würdig, Märtyrer der Überzeugung – wenn wir alles, was wir an Huldigung, an Heeresfolge, an Anerkennung, an Lobpreis besitzen, auftürmen wollten, es würde das alles nicht an das eine schlichte Bekenntnis hinanreichen: „Gott ist Hilfe.“
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 Dieser Jesus, so fahren wir weiter, heißt Christus. Jesus hieß er, ehe die Welt ward; so wurde er genannt von den Lippen der Heiligen, den Chören der Seraphin; aber als er in die Menschheit hernieder kam, sein sorgenvolles, mit Dornen umzäuntes Wanderleben auf rauhem Pfade antrat, da nannten ihn etliche| Christus: „Du bist der Christ, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Matth. 16, 16). Denn Christus heißt, wie ihr alle von Kindheit auf wißt, der Gesalbte. Daß die ewige Gotteshilfe auf die Welt niederstieg, mit dem Geist der Willigkeit gesalbt, mit dem Geist der Beständigkeit begabt, mit der Kraft der Treue begrünt, das ist mein Glaube. „Gott ist Hilfe“, das weiß ich; aber dieser, der „Gottes Hilfe“ heißt, hat sich mit dem Geist des völligen Gehorsams salben lassen, so daß er keinen Raum für zu eng und zu tief, und keine Zeit für zu dunkel, zu einsam und zu düster erachtet, in die er sich nicht hineinbegibt, wenn es der Vater ihn heißt. Es war, weil er mit dem Geiste des Gehorsams gesalbt war, für jede Menschenseele zur großen Gewißheit geworden, daß er ihr Heiland allein sei, daß er nicht ins Allgemeine geht, nicht der Gemeindeheiland ist, nicht etlicher Frommen Arzt, sondern daß er mit jedem einzelnen sich ganz besonders beschäftigt, weil der Geist der Willigkeit, der Geist des Herrn auf ihm thronte, der ihn geschickt und gehorsam machte, in das einzelne Leid zu gehen. Ich traue euch zu, daß ihr alle Tage für die Kranken betet. Ob man nun für die Kranken im allgemeinen betet oder dabei einer einzelnen kranken Persönlichkeit, eines bestimmten leidenden Mitbruders gedenkt, ist doch ein wesentlicher Unterschied. Im letzteren Falle versenkt man sich ganz in sein Leiden, schließt sich mit dem Kranken zusammen, man erleidet sein Kranksein und erlebt seine Not. So hat der Herr Christus, mit dem Geist der Willigkeit gesalbt, einem jeden Menschen sich genähert; darum lebt in jeder Menschenseele ein eigener Christus, der sich an dem Heiligen Gottes messen muß, ob er recht oder falsch ist; darum muß sich deine Christuserfahrung mit dem Bekenntnis der Kirche vergleichen. Vielleicht hast du mehr erfahren, als die Kirche lehrt, wahrscheinlich aber weniger. Sorge dafür, daß der Kirche Gemeinbekenntnis und dein Einzelbekenntnis in wahrem Einklang stehen. Er war gesalbt mit dem willigen Gehorsam und war gekrönt mit dem Geist der Treue. „Denn| bleiben wir nicht treu, so bleibt er doch treu, er kann sich selber nicht leugnen“ (2. Tim. 2, 13). Ob du die Laden deines Gemaches schließest, damit kein Sonnenstrahl hereinreicht, deswegen bleibt die Sonne doch am Himmel. Und wenn du all deine Fenster öffnest, die sonnenwärts gehen, so kommt sie deswegen doch nicht reicher und größer. Also ist Jesu Treue. Er hat in deine Kindheit geleuchtet, da du das Herz ihm auftatest, da die Fenster deiner Seele gen Jerusalem gingen. Er hat dir aber auch geschienen, als du im späteren Leben dich von ihm abwandtest und alle deine Lebensanschauungen vor ihm versperrtest. Deswegen schien und glänzte er doch. Und wenn du nach langer, vergeblicher Irrfahrt und nach einem oft verdunkelten Leben endlich, zu guterletzt deine Fenster auftust, ob die Sonne nicht beim Abschiede noch hereinleuchte, so ist es nicht die scheidende Sonne, die zu dir kommt, sondern die völlige Sonne kommt zu deinem Scheiden. Das ist Jesu Treue. Er heißt Christus, weil er mit dem Geiste der beharrlichen Geduld gesalbt ist.
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 Seht, wenn wir einen Menschen haben, an dem wir schwer tragen, den wir zuerst stürmisch erfaßten und leidenschaftlich liebten, an den wir etwas wagten und wollten, und derselbige Mensch entzieht sich uns und weist uns zuerst freundlich, dann ernstlich und endlich im Überdruß und wie im Abscheu zurück, so empört sich unser Selbstgefühl, daß wir ihm so wenig sein konnten, und unser gekränkter Stolz zieht sich widerwillig zurück, und wir lassen denselbigen Menschen gehen. Und wenn er noch einmal bei uns anklopft, weil er inne ward, daß wir es doch am treuesten mit ihm meinten, so machen wir ihm den Preis, um den wir uns wieder finden lassen, schwer, und der Gang, den er zu uns tut, muß ein sauerer sein. Nicht also Jesus. Deswegen heißt er der mit dem Geiste der Treue Gesalbte, weil er, in der letzten Stunde gerufen, vergißt, wie viel Zeit zwischen der ersten Stunde, da er mich rief, und der letzten, da ich ihn rufe, ohne ihn vergangen ist, weil| er nicht mehr daran denkt um der Freude willen, daß ein Mensch noch einmal, ehe er scheidet, seine Gnade sucht.

 Das sind nicht fromme Lehren, das sind die in seinem Namen verankerten, in seiner Größe beschlossenen und dieselbe ausmachenden Herrlichkeiten des Herrn, der da mit dem Geiste der Beständigkeit gesalbt und gekrönt ist mit dem Geiste der Geduld.

 Nicht falsche Salbung, die mich abschreckt, nicht übergeistliche Weisheit, die mich verletzt, sondern rein menschliches Erbarmen, rein menschlich, weil echt göttlich; die Unmittelbarkeit ist es, die ihn sprechen läßt: „Darum bricht mir das Herz gegen ihn, daß ich mich sein erbarmen muß.“ (Jer. 31, 20.) Das hat ihm den Namen Christus erworben und verdient. Viele wahrhaft geistig Gesalbte sind über die Erde gegangen, aber in ihrer Größe lag etwas Fernendes, in ihrer Majestät etwas, was meine Seele erschreckt. „Da bist du, mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht.“ Das ist die Salbung, die nur Eines in unseren Herzen erweckt: „Ach, daß ich dir näher wäre!“ Das ist die Majestät, die den Abstand vergessen und den Unterschied nicht achten läßt, denn er ward wie wir. Das ist die Salbung von oben, die sich nicht etwas vergab, da sie im Schmutz der Erde die verlorene Königsmünze suchte und unter Dornen den Verirrten fand.


II.
Wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren.
 Wir wissen nicht, wir verstehen es nicht, was das heißt: Vom Vater in Ewigkeit geboren. Aber vielleicht darf, nicht, damit wir das Geheimnis ausdrücken, sondern nur, damit es nicht verschwiegen wird, eine Hilfslinie gezogen werden. Wenn du recht klar und scharf und ernst denkst, so ist der aus deinem Haupte geborene, in deinem Herzen bewegte, in deinem Innern langsam ausgereifte Gedanke ein Teil von dir. Und je mehr ein Mensch| in Gedanken arbeitet, desto mehr wird auch sein Gesicht durchgeistigt. Leute, deren Leben nur für Essen und Trinken bestimmt ist, haben noch nie ein durchgeistigtes Antlitz gehabt: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.“ (Joh. 3, 6.) Aber wenn ein Mensch mit hohen, ernsten Gedanken umgeht, diese in sich trägt und sich von ihnen tragen läßt, dann prägen sie sich in ihm aus; seine Augen strahlen sie wieder, von seinem Munde kann man die Gedanken lesen, auf seiner Stirne thront ihre Majestät. Wenn das von einem sündigen, leicht fallenden Menschen möglich ist, was will es dann heißen, daß Gott von aller Ewigkeit her einen Gedanken gefaßt hat, ganz seiner würdig, ganz ihm angemessen, ganz von ihm erfüllt und ganz von ihm beseelt, und daß er diesem Gedanken ein Wort verleiht, und dieses Wort ist sein Sohn. Ich weiß, damit ist nichts erklärt, aber vielleicht denkst du darüber nach. Gott hat von Ewigkeit her sich selbst schauen müssen, damit er nicht in einsamer Starrheit und in starrer Einsamkeit vergehe, und da er sich selbst schaute, schaute er sich in seinem Sohn, und indem er sich schaute, ward sein Sohn, vom Vater vor aller Ewigkeit geboren, eines Wesens mit dem Vater. Wie das Licht sich in der Flamme und die Flamme sich in der Wärme darstellt, so hat Gott – es sind zwar nur armselige Bilder dafür – in der Ewigkeit seinen Sohn geboren. Das ist die glorreiche Herkunft Jesu Christi. „Du hast mich geliebet, ehe der Welt Grund gelegt ward“, spricht der Herr vor seinem Scheiden aus dieser Welt (Joh. 17, 24). Wenn Gott liebt, so hat er im letzten nur das ihm Wesensgleiche lieb, und indem er liebt, hat er das Wesensgleiche geboren.
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 „Vom Vater geboren.“ Ich weiß es, das Wort „geboren“ trifft nicht zu; es ist nur stückweise erklärt, droben werden wir es anders erkennen. Auch das Wort ewiger Gedanke und ewiges Wort trifft nicht ganz. Aber solange wir es nicht besser wissen, bekennen wir| dankbar: „Vom Vater vor aller Zeit geboren.“ „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, geboren, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“ Denn wenn er geschaffen wäre, so wäre er der Sünde verfallen. Und wenn er in der Zeit geboren wäre, so wäre er mit der Zeit vergangen. Und wenn er in den Rahmen der Zeit hineingeboren wäre, so wäre er in die Sünde dieser Zeit hineinverkettet. Er ist höher denn alle Himmel und reiner denn alle Sterne und heller als aller Glanz der Erde und größer als alle Größen der Geschichte. Er ist einzigartig, denn er ist Gott. Und dabei ist er doch, aber versteht mich recht, unter Gott. Er ist gleichen Wesens mit Gott, anderes gibt es nicht, und doch ist’s seine Größe, daß er dem Vater sich untergibt, nicht weil er muß, sondern weil er will. Und doch ist es seine Majestät, daß er dem Vater einst alles untergebe, um dann sich selber unter den Vater zu stellen, nicht, weil es so gesetzt ist, sondern weil es ihm Freude ist.


III.
Und zum Dritten seine Herrlichkeit.
 Seine Herrlichkeit besteht nicht zunächst darin, daß er eines Wesens mit dem Vater ist, sondern daß er des Vaters Lieblings- und Liebesgedanken ausführen darf. Daß ich es kurz sage: Die Herrlichkeit des Sohnes ist Dienen. Ihr sagt – und ihr sagt es nicht bloß, sondern ihr übt es: die höchste Herrlichkeit sei Herrschen. Und es ist kein Mensch so klein, kein Kreis so eng und keine Beziehung so dünn, in der nicht ein Mensch herrschen möchte. Ach, wir sehen es manchmal mit einem gewissen, wehmütigen Spott, wie sich schon im Kinde die Herrschsucht regt, und wie der Greis die Herrschsucht nur aufgibt, weil er zu schwach ist, sie zu behaupten. Ihr werdet merken, daß von oben nach unten die Herrschsucht wie eine eherne Kette, mit der alle gebunden sind, geht, und der Geringste unter uns sucht sich jemand, der noch geringer als er sei,| damit er ihm gebiete. Und die Seele wird erst dann froh, wenn sie gebieten kann und die meisten Menschen, die sich noch gar nicht bemüht haben, zu gehorchen, wollen am liebsten befehlen.

 Aber seine Herrlichkeit, ob er gleich ein Herr ist aller Dinge, besteht nicht darin, daß er dich und mich beherrsche, sondern daß er das Gewand des Dieners anlegte, um, mit dem Kleid des Sklaven geschmückt, sagen zu können: „Ich bin unter euch wie ein Diener.“ (Luc. 22, 27.)

 Von der Stunde an, da Gottes Ebenbild und einzig wahres Abbild zum Dienen sich anschickte, gibt es kein herrlicheres Wort für den Glauben und kein ärgerlicheres Wort für den Teufel, als das Wort: Ich diene. Nun stehen die Könige der Erde und legen ihre Kronen nieder und wollen dienen. Nun streifen die Fürstinnen ihre Diademe vom Haupte und schürzen das Gewand zur mühseligen Pilgerfahrt und sprechen: „Ich diene.“ Nun geht ein großer Strom der dienenden Arbeit durch die Welt. Und dieser Strom dienender Arbeit ist Christi Ehr und Verherrlichung. Nun sind nicht mehr die Menschen, die stark sind im Gebieten, die Herren, sondern die Menschen, die im Dienen wetteifern, erobern die Welt. Nun stehen zwei Reihen einander gegenüber: Herrschsucht und Dienstwilligkeit, Könige, die es zu sein wähnen, Könige, die es sind; all die, die von Jesu her das Dienen, Gehorsam bis zum Tode, gelernt haben und von ihm übertragen erhielten, und die, welche mit dem Feinde sprechen: „Alle Reiche und ihre Herrlichkeit gehören dem Herrscher.“

 Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren sei, damit er diene. Wenn in seinem allerheiligsten Leben ein einzigesmal das Herrschen über das Dienen gesiegt hätte, hätte er aufgehört Gott zu sein.

 Seht, Geliebte, das ist der Advent Jesu Christi, das ist die größte Weisheit: Gott dient. Er dient, indem er Regen und Sonnenschein uns gibt, er dient, indem er vor den Gefahren der| Nacht uns behütet, wenn er in den Schrecken des Tages uns umgibt, wenn er unsere armseligen Seufzer hört. Er dient, wenn er dem Sünder sorgend, bittend, werbend nachgeht, er dient, wenn er eine Seele heimbringt.

 Nun wollen wir uns das eine Wort in die Seele schreiben: Wer dir dient, der regiert! Er aber, der sich aufgemacht hat, in ewiger Treue den Sündern zu dienen, und ihnen so diente, daß er ihnen gleich ward, gebe uns allen den Mut und die Freudigkeit, all denen und überall da zu dienen, wo er uns dienen heißt. Dienen ist Kraft, Adel, Ehre und Würde. Solcher Würde mache du, o Herr, uns teilhaftig und solche Würde übe du bei uns!

Amen.



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