Der 3. Glaubensartikel/Ps. 51, 14. Ich glaube an den Heiligen Geist

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Der 3. Glaubensartikel
Eph. 4, 13–15. Ich glaube eine heilige christliche Kirche »
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Ps. 51, 14. 
Ich glaube an den Heiligen Geist.


 Mit vielen, von denen nicht bloß die Apostelgeschichte, sondern die gesamte Geschichte der Kirche erzählt und berichtet, teilen vielleicht etliche unter euch die Frage: „Wer ist der Heilige Geist? wir haben nie gehört, daß ein Heiliger Geist sei.“ (Ap. 19, 2.)

 In der Frühlingszeit der Natur, da alles wieder mit neuem Leben erfüllt ist, da für die Christenseele dieses neue Leben eine Vordeutung ist für ein ewiges, unvergängliches und unverwelkliches Leben, wo der Frühling als Freudenbringer für die ganze Natur sich wieder eingestellt hat, ist diese Frage, an der die Kirche so reichlich getragen und zu deren Lösung sie so gehorsam beigetragen hat, auch für eure Seelen hoch bedeutsam. Denn wenn es keinen Heiligen Geist gibt, ist der Frühling der Kirche nimmer zu erwarten und die Zukunft der Kirche nimmer zu erbitten und die Vollendung der Kirche nimmer zu erhoffen. Wenn es keinen Heiligen Geist gibt, hat niemand unter uns im Innersten seines Herzens ein Zeugnis, daß er Gottes Kind sei, niemand kann aus der Tiefe seiner Seele rufen: Abba, mein Vater! Die Verheißungen Gottes, die Taten Jesu Christi, alles, was man Heilsgeschichte heißt, Geschichte des Heiles mit der einzelnen Seele und der ganzen Welt, ermangelt des abschließenden Siegels und hat das Zeugnis, daß es wahr sei, zu vermissen. Wenn es keinen Heiligen Geist gibt, dann wissen wir nicht, ob uns die Sünden in seinem Namen vergeben sind und vergeben werden; wir sind darüber nicht gewiß, ob wir einmal selig sterben können; wir gehen, umgeben von herrlichen Verheißungen, in der Irre, und sind, getröstet von herrlichen Taten, gleichwohl trostlos. Wir brauchen Einen, der uns ins Herz sagt, ins Herz| einbrennt und einprägt: das gilt auch dir! Wir bedürfen eines Zeugen, der mit Verpfändung seiner persönlichen Ehre uns verbürgt und zuschwört, daß wir Gottes Kinder sind. Es tut uns in dieser Welt der Ungewißheit und des Zweifels, wo eine Meinung die andere ablöst und keine Bestand hat, bitter not, daß jemand zu uns hintrete und bei jedem Gebete, das wir sprechen, bei jedem Worte, das wir hören, bei jedem Wunsche nach der Heimat, den wir hegen, uns zusprechen: das ist gewißlich wahr. Denke dir ein Gebet ohne Amen! – wie eine Perlenschnur ohne Schluß. Die Perlen rollen auf die Erde und in den Sand, wer möchte ihrer achten? Die Gebete verklingen, denn das Amen fehlt, der Schluß gebricht. Denke dir den Gnadenwunsch der Kirche, wie du ihn so oft hörst: „Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor. 13, 13.) Denke dir diesen Gnadenwunsch ohne ein Amen, dann sind es eben Steine zu einem seligen Bau, aber niemand fügt sie ineinander und niemand vereint sie mit dem Schluß. Wenn wir keinen Heiligen Geist haben, dann gehört Jesu Werk der Vergangenheit an, aber wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern wir leben in dem „Jetzt“ für ein „Einst“; wir stehen jetzt in der entscheidenden Stunde gegenüber der letzten. Denkt euch, es würde die ganze Heilige Schrift ohne das Zeugnis des Heiligen Geistes, daß sie Wahrheit ist, bestehen, so wäre eben die Heilige Schrift ein interessantes Literaturdenkmal, eine bedeutsame Sammlung geistvoller Schriften, eine ganz achtenswerte Sammlung von allerlei religiösen Gedanken, aber sie wäre nicht euer Leben, die Quelle eures Glückes. Ihr ahnt, wohin wir euch führen wollen. Wir möchten zunächst, so weit ein Mensch den andern überreden und überzeugen kann, euch dahin führen, daß ihr sagt: der Heilige Geist, wenn Er ist, muß eine Person sein; denn Geist, der nicht Person ist, ist Trug. Du sprichst von dem Geist der Bosheit;| woher kennst du ihn? – Von Personen. Du sprichst von dem Geist des Ungehorsams; woher kennst du ihn? – Von ungehorsamen Leuten. Du redest von einem gehässigen Geiste, der dir begegnet sei. Wenn er dir nicht in Personen begegnete, dann hast du ihn nie gesehen. Es ist überhaupt lächerlich, von einem Geiste zu reden, der nicht Person ist; der Geist bildet die Person, der Geist ist die Person. Darum: Allererst lehrt die Kirche und sie lehrt es, weil sie so gelehrt ist, und sie lehrt es, weil sie es braucht: Der Geist, der Heilige Geist ist Person. Ich muß zu Ihm reden können, wie ein Kind zu seinem Vater; ich muß zu Ihm sagen können: „Komm, Heiliger Geist, kehr bei mir ein und laß mich Deine Wohnung sein!“ Ich muß Ihn betrüben können, damit ich weiß, wie Er unter mir leidet; ich muß Ihn erfreuen dürfen, damit ich sehe, wie gerne Er sich freut; ich muß Ihn bitten können: Führe Du die Sache meiner Seele und erlöse mein armes Leben! Ich kann aber nur zu einem „du“ sagen, der mein Gebet hört und meine Wünsche vernimmt und auf meine Person persönlich wirkt. Ich weiß wohl, heutzutage leugnet man gern alles Persönliche. Die Schwärmerei unserer Tage, auch die im frommen Gewande, denkt unpersönlich. – Doch in Wirklichkeit kann man das gar nicht, man kann sich gar nichts Unpersönliches denken. Mache selbst die Probe! Du vertiefst dich in das Wesen des Neides, wie er das Herz vergiftet, das Leben vergällt, alle Blumen am Wege welken läßt, dem Nächsten die Ehre zerreißt, andere beraubt und selbst nicht reich wird, andere schädigt und selbst nicht froh wird. Wie vertiefst du dich in das Wesen des Neides? Wie willst du es tun? Nicht anders, als indem du dir einen neidischen Menschen, hoffentlich zunächst dich selbst, dir vorstellst. Man kann dies nur von einer Person ausgehend denken.
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 Gott sei Dank, daß wir es nicht bloß durch Denken erraten und ersinnen müssen, daß der Heilige Geist Person sei, sondern daß| wir es wissen aus den Worten des Herrn Jesu selbst, wenn Er spricht: „Ich will euch einen anderen Tröster senden, daß Er bei euch bleibe ewiglich.“ (Joh. 14, 16.) Er will an Seiner Statt Seinen Freund, Seinen Genossen, Seinen Gefährten senden, die Persönlichkeit des Heiligen Geistes. Gott sei Dank, daß der uralte, ewig sich und die Welt verneuende Taufbefehl hin durch die Weiten der Erde, in die Tiefen der Sünde, zu den Höhen des Erbarmens führt und fährt: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. (Matth. 28, 29.) Gott sei Dank, daß der Heilige Geist ausgegossen wurde. Ein alter Vater sagt, das sei der beste Beweis Seiner Persönlichkeit. – Nur die Person wirkt auf dich, nur die Person begeistert dich. Du kannst keine Wirksamkeit von einer Stimmung, von einer Kraft, von einer Regung ableiten; es geht alles nur von Person zu Person. Als Ananias und Sapphira mit der Erstlingsgabe ihrer Liebe den Petrus betrogen und in das leuchtende Bild der werkfreudigen Kirche den häßlichen Zug der Unwahrheit hineinfügten, hat der Apostel ihnen entgegengehalten: „Ihr habt nicht Menschen, sondern Gott gelogen.“ (Ap. 5, 4.) Warum hat der Satan dein Herz erfüllet, daß du dem Heiligen Geist lögest?“ (Ap. 5, 3.) Anlügen aber kann man nur eine Person. Und wenn der Apostel Paulus an die Epheser schreibt: „Betrübet nicht den Heiligen Geist, damit ihr versiegelt seid!“ (Eph. 4, 30) so will er damit der Gemeinde mitteilen: Betrübt kann nur die göttliche Persönlichkeit werden. Genug, der Verstand sagt dir’s, – die Offenbarung beweist dir’s, deine Seele bezeugt dir’s; denn sie verlangt es: Der Heilige Geist ist Person. Und wenn ihr jetzt in dieser Pfingstzeit zum Heiligen Geist betet – nicht bloß um den Heiligen Geist, sondern zu ihm – wenn ihr ruft: „Zeuch ein zu meinen Toren, sei meines Herzens Gast,“ und wenn ihr dieses Gebet ernstlich treibt, dann werdet ihr inne werden, ohne meine| Predigt, ohne Versicherung der Kirche, an euch selbst inne werden, daß ihr an eine Persönlichkeit euch wendet.

 Darum sagt die Kirche: „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Ja, wenn der Heilige Geist Persönlichkeit ist, was ist denn Sein Werk? Sein Werk ist in der Schöpfung, in der Erlösung und in der Vollendung der Welt das Mittlerwerk. Wie Luther sagt: „Zwar der Herr Jesus bleibt der Mittler, aber der Vermittler ist der Heilige Geist.“ Wir schlagen das erste Blatt der Heiligen Schrift auf und lesen: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüste und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ (1. Mos. 1, 1 und 2.) Ihr seht, während Gott der Vater durch Sein heiliges Wort, Jesum Christum, die Welt aus dem Nichts heraus in das Etwas stellt, schwebt vermittelnd, den Schöpfergedanken ausstreuend, die Schöpferkraft austeilend, den Schöpferwillen allerwärts bezeugend, der Heilige Geist über der ungestalteten Tiefe. Er hat das Wort erfüllt: „Der da ist Herr und macht lebendig.“ Er hat die ganze Welt, in dem Er Gottes Willen zu Gottes Wort, und Gottes Wort zu Gottes Werk erhob, geschaffen. Er hat den Schöpferwillen des Vaters mit dem Schöpferwort des Sohnes zur Schöpfertat der Dreieinigkeit vermittelnd ausgestaltet und wir wissen: Weltschöpfung ist ein Werk des dreieinigen Gottes. Und so ist Er, nachdem die Welt geschaffen war, durch sie hindurchgezogen, in ihr waltend, auf ihr wirkend, in ihr wohnend.

 In ihr waltend – auch in der Welt der Sünde und Schande, in der Welt der Lüge und des Hasses. Wo Welt ist, da ist Heiliger Geist. Heiliger Geist verstockt das Herz des Pharao und erschließt das Herz des Moses. Heiliger Geist läßt Ägypten trauern und im Lande Gosen Freude herrschen. Heiliger Geist führt das Volk im Gehorsam durch die Wüste, straft den Ungehorsam in der Wüste, vermittelt das Gesetz für die Wüste – Heiliger Geist waltet durch| die Welt. Er waltet im Heidentum, indem Er das Heimweh nach dem unbekannten Gott erweckt, die Altäre der heidnischen Götter als große Fragezeichen ringsum errichten läßt, die Gebete zu den falschen Götzen als schließlich dem wahren Gotte vermeinte bezeugt. Er waltet in der Heidenwelt, indem Er die Trauer über den Tod erregt und die Reue über die Sünde, und das Verlangen in den Herzen erweckt, das zu stillen Jesus Christus auf die Erde kommen soll.

 Und Er wirkt in der Welt. Er wirkt das Wollen und das Vollbringen und die Verstockung. Bei denen, die Heimweh haben, wirkt Er die stille Flamme der Liebe zu einer Glut himmelanstrebenden Gebetes: ach, daß Du den Himmel zerrissest und führest hernieder, daß die Unwahrheit vor dir zerflösse.

 Lest die Psalmen, geht durch die Propheten und ihr werdet merken, wie der Heilige Geist hier wirkt. Wenn der Psalmist betet: „Laß mich nicht, und tue Deine Hand nicht ab von mir, mein Gott!“ – (Ps. 27, 9) –, wenn er ruft: „Wende Dich zu mir und sei mir gnädig, ich bin einsam und elend!“ (Ps. 25, 16) – und wenn er bekennt: „An mir ist nichts Gutes!“ – wenn er gelobt, daß er Dank opfern, und Gelübde bezahlen will! (Ps. 50, 15) – das wirkt alles der Heilige Geist. Er wirkt Davids Tränen der Buße und Sauls Tränen der Verzweiflung; Er wirkt Davids Halleluja und den Selbstmord des menschlich größeren Mannes Saul. Er wirkt Absaloms Abfall und Hiobs Geduld und des Satans Hohn über Hiob und Hiobs Sieg alles derselbige Geist. Er wirkt in jeder Seele, in jeder, auch in der deinen, eine ganz bestimmte Stellung zu Gott: entweder ein Verlangen: ach, daß ich wüßte, wo Er zu finden ist und vor Seinem Thron stünde! oder einen tiefinnerlichen Abscheu: ich will es nicht, daß dieser über mir herrsche! Er weckt in der einen Seele den Wunsch: ach, daß es wahr wäre! und in der anderen den Willen, es nie wahr sein zu lassen. Die Sonne, die das Wachs flüssig macht, daß es| mit seinem Wohlduft das Haus erfülle, und die Salbe hinströmen läßt, daß von ihrem Geruch das Gemach durchzogen werde, dieselbe Sonne macht den Schmutz auf der Straße hart und versteint. Sie macht das Herz froh in Kraft des Heiligen Geistes, und macht es hart; sie schließt es auf, daß der Frühling einkehren kann, und sie schließt es zu ewiger Erstarrung. Der Heilige Geist waltet und wirkt und wohnt. Er wohnt freilich nur bei den Seinen. Das ist das Werk des Heiligen Geistes: Er wohnt bei den Seinen. Wo zwei oder drei in der Kraft des Heiligen Geistes beisammen sind, da brennen die Herzen, und die Zungen werden feurig, und die Lippen werden froh, und das Bekenntnis: Jesus ist mein Herr! wird echt. Wo drei Menschen, auf verschiedenen Wegen und in sehr verschiedener Weise geführt, einander ins Auge blicken und im Auge eine Welt von Gnadenerfahrungen lesen, da wohnt der Heilige Geist und bringt drei unbekannte Personen zu einer Gemeinschaft, die Zeit und Welt und Grab überdauert; denn diese drei haben ihren Heiland gesehen und erlebt. – Wo der Heilige Geist waltet, da gibt es auch keine Trennung.
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 Wir gedenken am heutigen Tage, am 4. Mai, daran, daß vor 19 Jahren mein seliger Vorgänger, Adolf von Stählin, von dieser Zeitlichkeit abgerufen wurde. Den wenigsten unter euch wird er bekannt sein; denn wir leben rasch und wir werden nicht bloß rasch vergessen, sondern wir vergessen selber sehr schnell; und gar in der Großstadt hat der Lebende nur Recht, und der nicht immer. Aber wenn eine Gemeinschaft des einwohnenden Heiligen Geistes gegründet war, so können doch nicht einige Schaufeln voll Erde die Gemeinschaft stören, trennen, scheiden. Weil ich in dem Glauben meiner Väter, Gott sei ewig Dank dafür, zu stehen hoffe und in dem Bekenntnis lehren, leben und sterben will, das meine Väter zu so auserlesenen Zeugen hat werden lassen, darum sind mir die Heimgegangenen weit näher, als manche noch Lebende, und die in Frieden von hinnen Gezogenen stehen vor meiner| Seele in Lebenskraft, nicht vor einer erhitzten Phantasie, nicht vor einer süßlichen Reminiszenz, sondern in Kraft der Gemeinschaft der Heiligen, in der Gewißheit, „daß uns auch kein Todesbann ewig von Ihm trennen kann“. Ich habe in diesen Tagen, weit über das Grab des teueren Vaters, an einen andern gedacht, an einen Mann, der für mein Leben viel bezeichnend gewesen ist: Joh. Alb. Bengel, der Württemberger Theologe, von dem jemand gesagt hat, er habe Württemberg zum Augapfel Gottes gemacht. Warum ist mir der Mann so nahe, als ob er eben hereintreten könnte zur Türe? Warum lebe ich gleichsam mit ihm, warum lese ich aus seinen Worten so unmittelbare Liebe, als ob er sie zu mir spräche? Weil der Heilige Geist zwischen ihm und seinen Freunden und Nachfolgern und dankbaren Jüngern wohnt und lebt. Das ist das Werk des Heiligen Geistes. – Seht, manche Menschen sind einige Jahre tot und dann vergessen, und andere Menschen sind Jahrhunderte tot und leben; manche Menschen erhalten leuchtende Nachrufe und sind doch gestorben, und andere Menschen bleiben in den Herzen der Nachwelt, der dankbarsten Einrichtung auf Erden, ewig bewahrt. Warum? Weil der Heilige Geist in den Bedankten wie in den Dankenden gleichermaßen wohnt.
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 Und wenn ich so zurückblicke auf die Geschichte meiner geliebten Kirche, was macht sie mir dann so über die Maßen teuer, der ich doch ihre Schwächen kenne und sie teile, der ich doch ihre Schmach täglich wahrhaft erfahre? Was macht mir meine Kirche so teuer, die Kirche, von der die meisten gar nicht wissen, was sie eigentlich ist? Weil der Heilige Geist in ihr wohnt, weil keine Kirche so einfach zum Worte steht, so herzlich singt, so treulich betet, so einfach leidet, so selbstverständlich verzichtet, so kindlich hofft, so männlich kämpft, wie meine Kirche. – Ich höre dich reden: ich bin lutherisch, weil es auch meine Eltern waren. Wer so sagt, dem würde ich dringend raten, heute noch römisch zu werden. Wenn einer unter| euch sagt, er sei nur deshalb evangelisch, weil er unter alten, vergilbten Papieren seinen vom evangelischen Pfarramt ausgestellten Taufschein gefunden hat, dem wäre weit besser, er würde alle Maiandachten besuchen. – Aber ich hoffe, daß ihr alle deswegen Glieder eurer Kirche seid, weil ihr keine Kirche kennt, in welcher der Heilige Geist so unmittelbar wohnt, wirkt und waltet, wie in der Kirche der Reformation.
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 Seht, das ist das Werk des Heiligen Geistes: Er wirkt, Er waltet und Er wohnt in der Welt, in der Schöpfung, in der Erlösung und in der Vollendung. Er hat in die Welt der Sünde und des Fluches Jesum eingesenkt: empfangen von dem Heiligen Geiste. – Er hat des Herrn Jesu armes Werden, geringes Wachsen, unscheinbares Reden und seine Wunder gewirkt. Als der Herr Jesus dort in der Schule den Propheten aufschlug: „Der Geist des Herrn, Herrn ist bei Mir, darum daß Er Mich gesalbet hat“ (Luc. 4, 18), spricht er: „Heute ist diese Schrift erfüllet“ (Luc. 4, 21). Jedes Wort auf den Lippen des Herrn Jesus, jedes Wunder in den Händen des Herrn, jeder Abschiedsgruß und jedes tröstende und freundliche Gespräch Jesu hat der Heilige Geist gewirkt. Und so wirkt Er auch den Verrat des Judas und die Verleugnung des Petrus, nicht weil sie mußten, sondern weil sie wollten. Und so wirkte Er die Schmach der Passion und den Schmerz des Kreuzes und die Schande der Gottverlassenheit und den Charfreitagsjammer und die Charfreitagsnot. Und dann wirkte Er Ostersonne und Osterlicht und Osterfrieden, wirkte die Begegnung des Herrn mit Seinen Jüngern. Und dann geleitete Er den Herrn heimwärts; wie Er Ihm auf Erden die Stätte bereitet hat, daß die Knechtsgestalt des Heilandes wirken, leiden, sterben und erlösen möge, so hat Er ihm die Heimat bereitet. „Der Herr wird aufgenommen, der ganze Himmel lacht.“ Und der Heilige Geist ist dann auf die Erde niedergestiegen, die Kirche glaubt es, daß jetzt auf Erden das Zeitalter des Heiligen Geistes| ist, des Heiligen Geistes, der unablässig ruft: „Komm, Herr Jesu!“ (Off. 22, 20) der seit 1870 Jahren immer wieder, immer wieder mit dem Flehen der wartenden Brautgemeinde, mit dem Ausblick von einer Morgenwache bis zur andern bis an den Abend, immer Sein Wort und Seinen Blick vermählt: „Kommst Du, Herr Jesu? Wo bleibst Du so lange?“ Es ist etwas unaussäglich Tröstliches, daß wir in der Erdennot und im Lebensleid, in der Angst unserer Sünde und im Schrecken unseres Nichtvermögens nicht allein gelassen sind, sondern daß der Heiland Sein Wort einlöst: „Ich will euch nicht Waisen lassen. Ich komme zu euch“ (Joh. 14, 18) und Seinen Heiligen Geist uns gesandt hat. Der Heilige Geist webt, während die Kirche hier müde die Hände sinken läßt, an ihrem Brautschmuck und Hochzeitsgewand; während die Kirche manchmal ganz verzagt auf den Abfall der Menge, auf die Untreue ihrer Bekenner, auf die Leugnung ihrer Diener blickt, tröstet sie der Heilige Geist und spricht: „Über ein Kleines und Er will dich Wiedersehen und dein Herz soll sich freuen und diese Freude soll niemand von dir nehmen.“ (Joh. 10, 22.)

 Sind das Sprüche oder sind das Kräfte? Sind das fromme Einfälle oder ist das ewige Gnade? Nein, das sind die großen, seligen Worte und Werke, von denen die Seele spricht: „Darum bleib’ ich unverzagt, weil es mein Erlöser sagt.“ Seht, mitten in dieser Unvollkommenheit, die immer größer wird, in dem flammenden Riß der Meinungen und Parteiungen, steht tröstend und trauernd, heilend und klagend, mitleidsvoll und trostreich der Heilige Geist und spricht: „Über ein Kleines!“

 Und so ist der Heilige Geist bei der Weltvollendung tätig. Ob die letzte Stunde für die Welt bereits gekommen ist, weiß ich nicht. Daß eine letzte Stunde durch den Krieg begonnen hat, bezweifle ich nicht. Daß dieser Weltkrieg, dessen Ende nicht abzusehen ist und dessen Folge neue Kriege sein werden, ein mächtiges, wundersam| dröhnendes Signal von der Nähe des Ehrenkönigs ist, darf euch nicht zweifelhaft sein.

 Während hier auf Erden alles in Waffen starrt, die schauerlich dämonischen Künste und Kräfte ihr wildes, teuflisches Spiel treiben, macht sich der Herr Jesus auf – vielleicht steht Er bereits ganz hart an der Türe der Weltzeit –, Er macht Sich auf, um Sein Volk zu erlösen. „Demselbigen macht der Türhüter auf“, sagt der Herr im Evangelium des Sonntags Misericordias Domini, des nächsten Sonntages. Und der Türhüter, der die Türe der Kirche nur Einem aufschließen will, dem rechten Christen, dem ewigen Priester, dem wahren Seelsorger, will, wenn die Zeit vollendet ist, die Herde dem Hirten und den Hirten der Herde zuführen, auf daß sie alle Eines werden und seien. (Joh. 17, 22.) So, meine Christen, so glaube ich an den Heiligen Geist. Und nun fasse ich in ganz kurze Worte das heute Vernommene zum Nutzen etlicher Seelen zusammen: Erstens: Der Heilige Geist ist eine heilige, selige, göttliche Persönlichkeit. Darum kann man Ihn lieben und betrüben, darum zu Ihm beten und Ihn hassen, Ihm vertrauen und Ihn meiden.

 Zweitens: Der Heilige Geist waltet, wirkt und wohnt in der Weltschöpfung, Welterlösung und in der Weltvollendung.

 Drittens: Die große Frage nimm in dein Herz und in dein Haus: Hast du dich je um den Heiligen Geist gekümmert?

 Wenn ihr in die Kirche geht, steht ihr wohl, ehe ihr euch auf eueren Kirchplatz begebt, eine kleine Weile sinnend und betrachtend still. O, betet in solchen Minuten nicht bloß um eine andächtige Stunde, sondern betet auch zu dem Heiligen Geist.

 Ich weiß, es geht euch, wie es mir manchmal ging; man bedenkt, ob es nicht der Vater, ob es nicht der Sohn übel empfinde, wenn man eine Zeitlang zum Heiligen Geist betet. Weil der Mensch leicht verletzt ist, überträgt er seine kindische Empfindlichkeit auf den dreieinigen Gott, dem solche Gefühle fremd sind.| Glaubt mir, wenn ihr zu dem Heiligen Geist betet, so geht das Gebet zum Vater und zum Sohne hin, und wenn ihr zum Heiligen Geist betet, wird euer Herz frei, eure Seele froh und euer Glaube gewiß.

 Möge, wie es jetzt draußen mit Macht und Pracht Frühling geworden ist, es auch in eurer Seele Frühling werden!

 Denn sie glaubt an den Heiligen Geist, der da ist Herr und macht lebendig; der von dem Vater und dem Sohne ausgeht, der mit dem Vater und dem Sohne gleich geehrt und gepriesen wird, der durch die Propheten geredet hat, der durch jedes Blatt draußen am Baum und an der Blume zu euch spricht und durch jedes Blatt eurer Bibel zu euch redet.

 Glaubet an den Heiligen Geist und Er wird euch dafür mit Schauen der Herrlichkeit vergelten!

Amen.



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