Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl I/Zweites Capitel

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Erstes Capitel Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band (1875)
von Charles Darwin
Drittes Capitel


[33]
Zweites Capitel.
Ueber die Art der Entwickelung des Menschen aus einer niederen Form.
Variabilität des Körpers und Geistes beim Menschen. — Vererbung. — Ursachen der Variabilität. — Gesetze der Abänderung sind dieselben beim Menschen und den niederen Thieren. — Directe Wirkung der Lebensbedingungen. — Wirkungen des vermehrten Gebrauchs und des Nichtgebrauchs von Theilen. — Entwickelungshemmungen. — Rückschlag. — Correlative Abänderung. — Verhältniss der Zunahme. — Hindernisse der Zunahme. — Natürliche Zuchtwahl. — Der Mensch das herrschendste Thier auf der Erde. — Bedeutung seines Körperbaues.— Ursachen, welche zu seiner aufrechten Stellung führten; — von dieser abhängende Aenderungen des Baues. — Grössenabnahme der Eckzähne. — Grössenzunahme und veränderte Gestalt des Schädels. — Nacktheit. — Fehlen eines Schwanzes. — Vertheidigungsloser Zustand des Menschen.

Offenbar unterliegt der Mensch gegenwärtig einer bedeutenden Variabilität. Nicht zwei Individuen einer und derselben Rasse sind völlig gleich. Wir mögen Millionen Gesichter unter einander vergleichen, jedes wird vom andern verschieden sein. Ein gleich grosser Betrag von Verschiedenheit besteht in den Proportionen und Dimensionen der verschiedenen Theile seines Körpers. Die Länge der Beine ist einer der variabelsten Punkte.[1] Wenn auch in einigen Theilen der Erde ein langer Schädel, in anderen Theilen ein kurzer Schädel vorherrscht, so besteht doch eine grosse Verschiedenheit der Form selbst innerhalb der Grenzen einer und derselben Rasse, wie bei den Ureinwohnern von Amerika und Australien — und die letzteren bilden „wahrscheinlich dem Blut, den Gewohnheiten und der Sprache nach eine so homogene Rasse, als irgend eine existirende“ — und selbst bei den Einwohnern [34] eines so beschränkten Gebiets wie der Sandwichsinseln.[2] Ein ausgezeichneter Zahnarzt versicherte mich, dass die Zähne fast ebenso viele Verschiedenheiten darbieten als die Gesichtszüge. Die Hauptarterien haben so häufig einen abnormen Verlauf, dass man es zu chirurgischen Zwecken für nützlich erkannt hat, aus 1040 Leichen zu berechnen, wie oft jede Verlaufsart vorkommt.[3] Die Muskeln sind ausserordentlich variabel; so fand Professor Turner,[4] dass die des Fusses in zwei unter 50 Leichen nicht einander genau gleich sind, und bei einigen waren die Abweichungen beträchtlich. Professor Turner fügt noch hinzu, dass die Fähigkeit, die passenden Bewegungen auszuführen, in Uebereinstimmung mit den verschiedenen Abweichungen modificirt sein muss. Mr. J. Wood hat das Vorkommen von 295 Muskel-Varietäten an sechsunddreissig Leichen mitgetheilt[5] und bei einer andern Reihe von derselben Zahl nicht weniger als 558 Varietäten, die an beiden Seiten des Körpers vorkommenden für eine gerechnet. Bei der letzten Reihe fehlen nicht an einem einzigen Körper unter den sechsunddreissig „Abweichungen von den gültigen Beschreibungen des Muskelsystems, welche die anatomischen Handbücher geben, vollständig." Eine einzige Leiche bot die ausserordentliche Zahl von fünfundzwanzig verschiedenen Abnormitäten dar. Derselbe Muskel variirt zuweilen auf vielerlei Weise: so beschreibt Professor Macalister[6] nicht weniger als zwanzig verschiedene Abweichungen an dem Palmaris accessorius.

Der alte berühmte Anatom Wolff[7] hebt hervor, dass die inneren Eingeweide variabler sind als die äusseren Theile: „Nulla particula est, quae non aliter et aliter in aliis se habeat hominibus“. Er hat selbst eine Abhandlung über die Auswahl typischer Exemplare der Eingeweide zu deren Darstellung geschrieben. Eine Erörterung über das ideal Schöne der Leber, Lungen, Nieren u. s. w., als wenn es über das des [35] göttlich schönen menschlichen Antlitzes sei, klingt für unsere Ohren wohl fremdartig.

Die Variabilität oder Verschiedenartigkeit der geistigen Fähigkeiten bei Menschen einer und derselben Rasse, der noch grösseren Verschiedenheiten zwischen Menschen verschiedener Rassen gar nicht zu gedenken, ist so notorisch, dass es nicht nöthig ist, hier noch ein Wort darüber zu sagen. Dasselbe gilt für die niederen Thiere. Alle die Leute, welche Menagerien geleitet haben, geben diese Thatsache zu, und wir sehen dieselbe auch deutlich bei unseren Hunden und anderen domesticirten Thieren. Besonders Brehm legt auf die Thatsache Nachdruck, dass jeder individuelle Affe unter denen, welche er in Afrika in Gefangenschaft hielt, seine eignen ihm eigenthümlichen Anlagen und Launen gehabt habe; er erwähnt vorzugsweise einen Pavian wegen seiner hohen Intelligenz; und die Wärter im zoologischen Garten zeigten mir einen zu der Abtheilung der Affen der neuen Welt gehörigen, der gleichfalls wegen seiner Intelligenz merkwürdig war. Auch Rengger betont die Verschiedenheit der einzelnen geistigen Charactere bei Affen derselben Species, die er in Paraguay hielt, und fügt hinzu, dass diese Verschiedenheit zum Theil angeboren, zum Theil das Resultat der Art und Weise sei, in welcher die Thiere behandelt oder erzogen wären.[8]

Ich habe an einem andern Orte[9] das Thema der Vererbung so ausführlich erörtert, dass ich hier kaum irgend etwas hinzuzufügen nöthig habe. Eine grosse Anzahl von Thatsachen sind in Bezug auf die Ueberlieferung sowohl der äusserst unbedeutenden, als der bedeutungsvollsten Charactere gesammelt worden, und zwar eine viel grössere Anzahl in Bezug auf den Menschen als in Bezug auf irgend eines der niederen Thiere; doch sind in Bezug auf die letzteren die Thatsachen immer noch reichlich genug. Was z. B. die Ueberlieferung geistiger Eigenschaften betrifft, so ist dieselbe bei unseren Hunden, Pferden und anderen domesticirten Thieren offenbar. Ausser den speciellen Neigungen und Gewohnheiten werden ein allgemein intelligentes Wesen, Muth, schlechtes und gutes Temperament u. s. w. sicher überliefert. In Bezug auf den Menschen sehen wir ähnliche Thatsachen fast in jeder Familie; und wir wissen jetzt durch die ausgezeichneten Arbeiten Mr. [36] Galton's,[10] dass das Genie, welches eine wunderbar complicirte Combination höherer Fähigkeiten umfasst, zur Erblichkeit neigt; andererseits ist es nur zu gewiss, dass Verrücktheit und beschränkte geistige Kräfte gleichfalls durch ganze Familien gehen.

Was die Ursachen der Variabilität betrifft, so sind wir in allen Fällen in grosser Unwissenheit; wir sehen nur, dass dieselbe beim Menschen wie bei den niederen Thieren in irgend einer Beziehung zu den Lebensbedingungen stehen, welchen eine jede Art mehrere Generationen hinter einander ausgesetzt gewesen ist. Domesticirte Thiere variiren mehr als Thiere im Naturzustand; und dies ist offenbar Folge der verschiedenartigen und wechselnden Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt gewesen sind. Die verschiedenen Menschenrassen gleichen in dieser Hinsicht domesticirten Thieren, und dasselbe gilt von den Individuen einer und derselben Rasse, sobald sie einen sehr grossen Bezirk, wie z. B. Amerika bewohnen. Den Einfluss verschiedenartiger Bedingungen sehen wir an den civilisirteren Nationen; denn deren Glieder gehören verschiedenen Rangclassen an und haben verschiedene Beschäftigungen, wodurch sie eine grössere Verschiedenartigkeit der Charactere darbieten als die Glieder barbarischer Nationen. Doch ist andererseits die Gleichförmigkeit unter den Wilden bedeutend übertrieben worden, und in manchen Fällen kann man kaum sagen, dass sie überhaupt existire.[11] Nichtsdestoweniger ist es ein Irrthum, selbst wenn wir nur auf die Lebensbedingungen sehen, denen er unterworfen gewesen ist, vom Menschen so zu sprechen, als sei er „weit mehr domesticirt“[12] als irgend ein anderes Thier. Einige wilde Rassen, z. B. die Australier, sind keinen mannichfaltigeren Bedingungen ausgesetzt gewesen als viele Species, welche sehr weite Verbreitungsbezirke haben. In einer andern und noch bedeutungsvolleren Beziehung weicht der Mensch sehr weit von jedem im strengen Sinn domesticirten Thier ab; die Nachzucht ist nämlich bei ihm weder durch methodische noch durch unbewusste Zuchtwahl controlirt worden. Keine Rasse oder grössere Zahl von Menschen [37] ist von anderen Menschen so vollständig unterworfen worden, dass gewisse Individuen, weil sie in irgendwelcher Weise ihren Herren von grösserem Nutzen gewesen wären, erhalten und so unbewusst zur Nachzucht gelangt wären. Auch sind sicherlich nicht gewisse männliche und weibliche Individuen absichtlich ausgewählt und mit einander verbunden worden mit Ausnahme des bekannten Falles der preussischen Grenadiere, und in diesem Falle folgte, wie man von vornherein erwarten konnte, der Mensch dem Gesetze methodischer Zuchtwahl; denn es wird ausdrücklich angeführt, dass in den Dörfern, welche die Grenadiere mit ihren grossen Weibern bewohnten, viele ebenso grosse Leute aufgezogen worden sind. Auch in Sparta wurde eine Art Zuchtwahl ausgeübt; denn es war vorgeschrieben, dass alle Kinder bald nach der Geburt untersucht wurden; die wohlgebildeten und kräftigen wurden erhalten, die andern dem Tode überlassen.[13]

Betrachten wir alle Menschenrassen als eine einzige Art bildend, so ist ihre Verbreitung ganz enorm; aber schon einzelne verschiedene Rassen, wie die Amerikaner und Polynesier, haben sehr weite Verbreitungsbezirke. Es ist ein bekanntes Gesetz, dass weitverbreitete Species [38] viel variabler sind als Species mit beschränkter Verbreitung; und man kann weit zutreffender die Variabilität des Menschen mit der weitverbreiteter Species als mit der domesticirter Thiere vergleichen.

Die Variabilität scheint nicht bloss beim Menschen und den niederen Thieren durch die nämlichen allgemeinen Ursachen veranlasst worden zu sein, sondern in beiden Fällen werden auch dieselben Merkmale in einer streng analogen Weise afficirt. Dies ist mit so ausführlichen Details von Godron und Quatrefages erwiesen worden, dass ich hier nur auf deren Werke zu verweisen habe.[14] Auch die Monstrositäten, welche allmählich in unbedeutende Varietäten übergehen, sind beim Menschen und den niederen Thieren einander so ähnlich, dass für beide dieselbe Classification und dieselben Bezeichnungen gebraucht werden können, wie man aus Isidore Geoffroy St. Hilaire's grossem Werk sehen kann.[15] In meinem Buche über das Variiren domesticirter Thiere habe ich den Versuch gemacht, in einer flüchtigen Weise die Gesetze des Variirens unter die folgenden Punkte zu ordnen: Die directe und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen, wie sich dieselben bei allen oder fast allen Individuen einer und derselben Species zeigt, welche unter denselben Umständen in einer und derselben Art und Weise abändern; — die Wirkungen lange fortgesetzten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs von Theilen; — die Verwachsung homologer Theile; — die Variabilität in Mehrzahl vorhandener Theile; — Compensation des Wachsthums, doch habe ich von diesem Gesetz beim Menschen kein entscheidendes Beispiel gefunden; — die Wirkungen des mechanischen Drucks eines Theils auf einen andern, wie der Druck des Beckens auf den Schädel des Kindes im Mutterleibe; — Entwickelungshemmungen, welche zur Verkleinerung oder Unterdrückung von Theilen führen; — das Wiedererscheinen lange verlorener Charactere durch Rückschlag; — und endlich correlative Abänderung. Alle diese sogenannten Gesetze gelten in gleicher Weise für den Menschen, wie für die niederen Thiere, und die meisten derselben sogar für Pflanzen. Es wäre hier überflüssig, sie alle zu erörtern;[16] mehrere sind aber für [39] uns von solcher Bedeutung, dass sie mit ziemlicher Ausführlichkeit behandelt werden müssen.

Die directe und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen. — Dies ist ein äusserst verwickelter Gegenstand. Es lässt sich nicht läugnen, dass veränderte Bedingungen irgendwelchen Einfluss und gelegentlich sogar eine beträchtliche Wirkung auf die Organismen aller Arten äussern; auch scheint es auf den ersten Blick wahrscheinlich, dass, wenn man hinreichend Zeit gestattete, ein solches Resultat unabänderlich eintreten würde. Doch ist mir's nicht gelungen, deutliche Beweise zu Gunsten dieser Folgerung zu erhalten; es lassen sich auch auf der andern Seite gültige Gründe für das Gegentheil anführen, mindestens soweit die zahllosen Bildungs-Eigenthümlichkeiten in Betracht kommen, welche speciellen Zwecken angepasst sind. Es kann indessen kein Zweifel sein, dass veränderte Bedingungen fluctuirende Variabilität in fast endloser Ausdehnung veranlassen, wodurch die ganze Organisation in gewissem Grade plastisch gemacht wird.

In den Vereinigten Staaten wurde über eine Million Soldaten, welche während des letzten Kriegs dienten, gemessen und die Staaten, in denen sie geboren und erzogen waren, notirt.[17] Aus dieser staunenswerthen Zahl von Beobachtungen ergibt sich der Beweis, dass locale Einflüsse irgendwelcher Art direct auf die Grösse wirken; und wir lernen ferner, „dass der Staat, in dem das Wachsthum zum grossen Theil stattgehabt hat, und der Staat der Geburt, welcher die Abstammung ergibt, gleichfalls einen ausgesprochenen Einfluss auf die Grösse auszuüben scheinen“. So ist z. B. als feststehend ermittelt, dass „ein Aufenthalt in den westlichen Staaten während der Jahre des Wachsthums eine Zunahme der Grösse hervorzubringen neigt“. Andrerseits ist es sicher, dass bei Matrosen die Lebensweise das Wachsthum hemmt, wie sich „aus der bedeutenden Verschiedenheit der Grösse von Soldaten und Matrosen im Alter von 17 und 18 Jahren ergibt"“ Mr. B. A. Gould versuchte die Ursachen dieser Einflüsse festzustellen, welche hiernach auf die Grösse einwirken; er gelangte indess nur zu negativen [40] Resultaten, nämlich dass sie weder im Clima noch in der Bodenerhebung des Landes, noch selbst „in irgendwelchem controlirbarem Grade“ in der Reichlichkeit oder dem Mangel der Lebensannehmlichkeiten liegen. Diese letzte Schlussfolgerung steht im directen Gegensatz zu der, zu welcher Villermé nach der Statistik der Körpergrösse der in verschiedenen Theilen Frankreichs Conscribirten gelangte. Wenn wir die Verschiedenheit in der Körpergrösse zwischen den polynesischen Häuptlingen und den niedrigeren Volksstämmen derselben Inselgruppen, oder zwischen den Einwohnern der fruchtbaren vulkanischen und der niedrigen unfruchtbaren Koralleninseln desselben Oceans,[18] oder ferner zwischen den Feuerländern der östlichen und westlichen Küsten ihres Heimatlandes, wo die Subsistenzmittel sehr verschieden sind, mit einander vergleichen, so ist es kaum möglich, den Schluss zu umgehen, dass bessere Nahrung und grösserer Comfort die Körpergrösse beeinflussen. Die voranstehenden Angaben zeigen aber, wie schwierig es ist, zu irgend einem präcisen Resultate zu gelangen. Dr. Beddoe hat vor Kurzem nachgewiesen, dass bei den Einwohnern Grossbritanniens der Aufenthalt in Städten und gewisse Beschäftigungen einen die Körpergrösse beeinträchtigenden Einfluss haben; und er schliesst ferner, dass das Resultat in einer gewissen Ausdehnung vererbt wird, wie es auch in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Weiter glaubt auch Dr. Beddoe, dass, wo nur immer „eine Rasse das Maximum ihrer physischen Entwickelung erlangt, sie auch an Energie und moralischer Kraft sich am höchsten erhebt“.[19]

Ob äussere Bedingungen irgend eine andre directe Wirkung auf den Menschen äussern, ist nicht bekannt. Es hätte sich erwarten lassen, dass Verschiedenheiten des Clima einen ausgesprochenen Einfluss haben würden, da bei einer niederen Temperatur die Lungen und Nieren zu grösserer Thätigkeit und bei einer höheren Temperatur die Leber und die Haut zu einer solchen herangezogen werden.[20] Man meinte früher, dass die Hautfarbe und die Beschaffenheit des Haares durch Licht [41] oder Wärme bestimmt würden; und obgleich sich kaum läugnen lässt, dass eine gewisse Wirkung hierdurch ausgeübt wird, so stimmen fast alle Beobachter jetzt darin überein, dass die Wirkung nur sehr gering gewesen ist, selbst nach viele Generationen dauernder Einwirkung. Doch wird dieser Gegenstand besser noch dann erörtert werden, wenn wir von den verschiedenen Rassen der Menschen reden. In Bezug auf unsere domesticirten Thiere haben wir Gründe zu der Annahme, dass Kälte und Feuchtigkeit direct das Wachsthum der Haare afficiren; für den Menschen ist mir aber kein entscheidender Beweis hierfür begegnet.

Wirkung des vermehrten Gebrauchs und Nichtgebrauchs von Theilen. — Es ist allgemein bekannt, dass der Gebrauch die Muskeln des Individuums kräftigt und dass völliger Nichtgebrauch oder die Zerstörung des betreffenden Nerven sie schwächt. Wird das Auge zerstört, so wird der Sehnerv häufig atrophisch; wenn eine Arterie unterbunden wird, so nehmen die seitlichen Blutgefässe nicht bloss an Durchmesser, sondern auch an Dicke und Kraft ihrer Wandungen zu. Hört in Folge von Krankheit die eine Niere auf zu wirken, so nimmt die andere an Grösse zu und verrichtet doppelte Arbeit. Knochen nehmen nicht bloss an Dicke, sondern auch an Länge zu, wenn sie grössere Gewichte zu tragen haben.[21] Verschiedene gewohnheitsgemäss ausgeübte Beschäftigungen bringen veränderte Verhältnisse zwischen verschiedenen Theilen des Körpers hervor. So wurde durch die Commission der Vereinigten Staaten mit Bestimmtheit festgestellt,[22] dass die Beine der im letzten Kriege verwendeten Matrosen um 0,217 Zoll länger waren, als die der Soldaten, trotzdem dass die Matrosen im Mittel kleiner waren; dagegen waren ihre Arme um 1,09 kürzer und daher ausser Verhältniss kürzer in Bezug auf ihre geringere Grösse. Diese Kürze der Arme ist offenbar Folge ihres stärkeren Gebrauchs und ist ein ganz unerwartetes Resultat; doch benutzen Matrosen ihre Arme hauptsächlich zum Ziehen und nicht zum Tragen von Lasten. Der Umfang des Nackens und die Höhe des Spanns sind bei Matrosen grösser, [42] während der Umfang der Brust, der Taille und der Hüften geringer ist als bei Soldaten.

Ob die verschiedenen hier angeführten Modificationen erblich werden würden, wenn dieselbe Lebensweise während vieler Generationen befolgt würde, ist unbekannt, aber wahrscheinlich. Rengger[23] schreibt die dünnen Beine und die dicken Arme der Payaguas-Indianer dem Umstande zu, dass sie Generationen hindurch fast ihr ganzes Leben in Booten zugebracht haben, wobei ihre unteren Gliedmassen bewegungslos waren. Andere Schriftsteller sind in Bezug auf andere analoge Fälle zu einem ähnlichen Schlusse gelangt. Nach Cranz,[24] welcher lange Zeit unter den Eskimos lebte, „glauben die Eingeborenen, dass der Scharfsinn und das Geschick zum Robbenfangen (ihre höchste Kunst und Tugend) erblich sind, und jedenfalls ist etwas Wahres hieran; denn der Sohn eines berühmten Robbenfängers wird sich auszeichnen, auch wenn er seinen Vater in der Kindheit schon verloren hat“. Doch ist es in diesem Falle die geistige Anlage, welche ebenso wie die körperliche Bildung offenbar vererbt wird. Es wird angeführt, dass die Hände englischer Arbeiter schon bei der Geburt grösser sind als die der besitzenden Classen.[25] Nach der Correlation, welche wenigstens in manchen Fällen[26] zwischen der Entwickelung der Gliedmaassen und der Kiefer besteht, ist es möglich, dass bei den Classen, welche nicht viel mit ihren Händen und Füssen arbeiten, die Kiefer schon aus diesem Grunde an Grösse abnehmen. Dass sie allgemein bei veredelten und civilisirten Menschen kleiner sind als bei harte Arbeit verrichtenden oder Wilden, ist sicher. Doch wird, wie Mr. Herbert Spencer[27] bemerkt hat, bei Wilden der bedeutendere Gebrauch der Kiefer zum Kauen grober, ungekochter Nahrung in einer directen Weise auf die Kaumuskeln und auf die Knochen, an welchen diese befestigt sind, einwirken. Bei Kindern ist schon lange vor der Geburt die Haut an den Fusssohlen dicker als an irgend einem andern Theile des Körpers;[28] und es lässt sich kaum zweifeln, dass dies eine Folge der vererbten Wirkungen des eine lange Reihe von Generationen hindurch stattgefundenen Drucks ist.

[43] Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass Uhrmacher und Kupferstecher sehr leicht kurzsichtig werden, während Leute, die viel im Freien leben, und besonders Wilde meist weitsichtig sind.[29] Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit neigen sicher zur Vererbung.[30] Die Inferiorität der Europäer in Bezug auf das Gesicht und die anderen Sinne im Vergleich mit Wilden ist ohne Zweifel die gehäufte und vererbte Wirkung eines viele Generationen hindurch verminderten Gebrauchs; denn Rengger führt an,[31] dass er wiederholt Europäer beobachtet hat, welche unter wilden Indianern aufgezogen waren und ihr ganzes Leben dort verbracht hatten, und welche nichtsdestoweniger es ihnen an Schärfe ihrer Sinne nicht gleichthun konnten. Derselbe Naturforscher macht die Bemerkung, dass die zur Aufnahme der verschiedenen Sinnesorgane am Schädel vorhandenen Höhlen bei den amerikanischen Ureinwohnern grösser sind als bei Europäern; und dies weist ohne Zweifel auf eine entsprechende Verschiedenheit in den Dimensionen der Organe selbst hin. Auch Blumenbach hat über die bedeutende Grösse der Nasenhöhlen in den Schädeln amerikanischer Eingeborener Bemerkungen gemacht und bringt diese Thatsache mit ihrem merkwürdig scharfen Geruchsinn in Beziehung. Die Mongolen der weiten Ebenen von Nordasien haben Pallas zufolge wunderbar vollkommene Sinne; und Prichard glaubt, dass die grosse Breite ihrer Schädel, von einem Backenknochen zum andern, Folge ihrer höchst entwickelten Sinnesorgane sei.[32]

Die Quechua-Indianer bewohnen die Hochplateaux von Peru; und [44] Alcide d'Orbigny führt an,[33] dass sie in Folge des Umstands, dass sie beständig eine sehr verdünnte Luft einathmen, Brustkasten und Lungen von ausserordentlichen Durchmessern erlangt haben. Auch sind die Lungenzellen grösser und zahlreicher als bei Europäern. Diese Beobachtungen sind in Zweifel gezogen worden; aber Mr. D. Forbes hat sorgfältig viele Aymaras, von einer verwandten Rasse, gemessen, welche in der Höhe von zehn und fünfzehntausend Fuss leben; er theilt mir mit,[34] dass sie von den Menschen aller andern Rassen, welche er gesehen habe, auffällig in dem Umfang und der Länge ihrer Körper abweichen. In seiner Tabelle von Maassen wird die Grösse jedes Menschen zu tausend genommen und die andern Maassangaben auf diese Zahl bezogen. Es zeigt sich hier, dass die ausgestreckten Arme der Aymaras kürzer als die der Europäer und viel kürzer als die der Neger sind. Die Beine sind gleichfalls kürzer und sie bieten die merkwürdige Eigenthümlichkeit dar, dass bei jedem durchgemessenen Aymara der Oberschenkel factisch kürzer als das Schienbein ist. Im Mittel verhält sich die Länge des Oberschenkels zu der des Schienbeins wie 211 : 252, während bei zwei zu derselben Zeit gemessenen Europäern die Oberschenkel zu den Schienbeinen sich wie 244 : 230 und bei drei Negern wie 258 : 241 verhielten. Auch der Oberarm ist im Verhältniss zum Unterarm kürzer. Diese Verkürzung des Theils der Gliedmaassen, welcher dem Körper am nächsten ist, scheint mir, wie Mr. Forbes vermuthungsweise andeutet, ein Fall von Compensation im Verhältniss zu der bedeutend vergrösserten Länge des Rumpfs zu sein. Die Aymaras bieten noch einige andre eigenthümliche Punkte in ihrem Körperbau dar, so z. B. das sehr geringe Vorspringen ihrer Fersen.

Diese Leute sind so vollständig an ihren kalten und hohen Aufenthaltsort acclimatisirt, dass sie sowohl früher, als sie von den Spaniern in die niedrigeren östlichen Ebenen hinabgeführt, als auch später, wo sie durch die hohen Lohnsätze versucht wurden, die Goldwäschereien aufzusuchen, eine schreckenerregende Sterblichkeitsziffer darboten. Nichtsdestoweniger fand Mr. Forbes ein paar rein im Blut erhaltene Familien, welche zwei Generationen hindurch leben geblieben waren, und machte die Beobachtung, dass sie noch immer ihre characteristischen [45] Eigentümlichkeiten vererbten. Aber selbst ohne Messung fiel es auf, dass diese Eigenthümlichkeiten sich alle vermindert hatten, und nach der Messung zeigte sich, dass ihre Körper nicht in dem Maasse verlängert waren, wie die der Leute auf dem Hochplateau, während ihre Oberschenkel sich etwas verlängert hatten, ebenso wie ihre Schienbeine, wenn auch in geringerem Grade. Die Maassangaben selbst kann man in Mr. Forbes’ Abhandlung nachsehen. Nach diesen werthvollen Beobachtungen lässt sich, wie ich meine, nicht zweifeln, dass ein viele Generationen lange dauernder Aufenthalt in einer sehr hoch gelegenen Gegend sowohl direct als indirect erbliche Modifikationen in den Körperproportionen herbeizuführen neigt.[35]

Mag auch der Mensch während der späteren Zeiten seiner Existenz in Folge des vermehrten oder verminderten Gebrauchs von Theilen nicht sehr modificirt worden sein, so zeigen doch die hier gegebenen Thatsachen, dass er die Eigenschaft, hierdurch beeinflusst zu werden, nicht verloren hat, und wir wissen positiv, dass dasselbe Gesetz für die Thiere Gültigkeit hat. In Folge hiervon können wir schliessen, dass, als zu einer sehr frühen Epoche die Urerzeuger des Menschen sich in einem Uebergangszustand befanden und sich aus Vierfüssern zu Zweifüssern umwandelten, die natürliche Zuchtwahl wahrscheinlich in hohem Maasse durch die vererbten Wirkungen des vermehrten oder verminderten Gebrauchs der verschiedenen Theile des Körpers unterstützt worden sein mag.

Entwickelungshemmungen. — Entwickelungshemmungen sind verschieden von Wachsthumshemmungen; denn Theile in dem ersteren Zustand fahren zu wachsen fort, während sie noch immer ihre frühere Beschaffenheit beibehalten. Verschiedene Monstrositäten fallen unter diese Kategorie und einige sind bekanntlich gelegentlich vererbt worden, wie z. B. die Gaumenspalte. Für unsern Zweck wird es genügen, auf die Entwickelungshemmung des Gehirns bei mikrocephalen Idioten hinzuweisen, wie sie Vogt in seiner grösseren Abhandlung beschrieben hat.[36] Ihre Schädel sind kleiner und ihre Hirnwindungen weniger complicirt als beim normalen Menschen. Die Stirnhöhlen oder die Vorsprünge [46] über den Augenbrauen sind bedeutend entwickelt und die Kiefer sind prognath in einem „effrayanten“ Grade, so dass diese Idioten gewissermassen den niederen Typen des Menschen ähnlich sind. Ihre Intelligenz und die meisten ihrer geistigen Fähigkeiten sind äusserst schwach. Sie sind nicht im Stande, die Fähigkeit der Sprache zu erlangen, und sind einer fortgesetzten Aufmerksamkeit völlig unfähig, aber sehr geneigt, nachzuahmen. Sie sind kräftig und merkwürdig lebendig, beständig herumtanzend und springend und Grimassen schneidend. Sie kriechen oft Treppen auf allen Vieren hinauf und klettern merkwürdig gern an Möbeln oder Bäumen in die Höhe. Wir werden hierdurch an das Entzücken erinnert, mit welchem alle Knaben Bäume erklettern; und dies wiederum erinnert uns an junge Lämmer und Ziegen, welche, ursprünglich alpine Thiere, sich daran ergötzen, auf jeden Hügel, wie klein er auch sein mag, zu springen. Blödsinnige ähneln niederen Thieren noch in andern Beziehungen; so hat man mehrere Fälle berichtet, wo sie jeden Bissen Nahrung erst sorgfältig berochen, ehe sie ihn in den Mund steckten. Einen Idioten hat man beschrieben, der zur Unterstützung der Hände oft seinen Mund gebrauchte, wenn er Läuse suchte. Sie sind oft schmutzig in ihrem Benehmen und haben kein Gefühl für Anstand; mehrere Fälle sind endlich beschrieben worden, wo ihr Körper merkwürdig haarig war.[37]

Rückschlag. — Viele der nun mitzutheilenden Fälle hätten unter der letzten Ueberschrift schon gegeben werden können. Sobald irgend eine Bildung in ihrer Entwickelung gehemmt ist, aber noch fortwächst, bis sie einer entsprechenden Bildung bei einem niedrigeren und erwachsenen Mitglied derselben Gruppe streng ähnlich wird, können wir sie in gewissem Sinne als einen Fall von Rückschlag betrachten. Die niederen Mitglieder einer Gruppe geben uns eine Idee, wie der gemeinsame Urerzeuger der Gruppe wahrscheinlich gebildet war; und es ist kaum glaublich, dass ein auf einer früheren Stufe der embryonalen Entwickelung stehen gebliebener Theil im Stande sein sollte, in seinem [47] Wachsthum so weit fortzuschreiten, dass er schliesslich seine besondere Function verrichten kann, wenn er nicht diese Fähigkeit des Fortwachsens während eines früheren Zustandes seiner Existenz, wo der ausnahmsweise oder gehemmte Bildungszustand normal war, erlangt hätte. Das einfache Gehirn eines mikrocephalen Idioten kann, insoweit es dem eines Affen gleicht, in diesem Sinne wohl als ein Fall von Rückschlag bezeichnet werden.[38] Es gibt aber andere Fälle, welche noch strenger [48] in das vorliegende Capitel des Rückschlags gehören. Gewisse Bildungen, welche regelmässig bei den niederen Thieren der Gruppe, zu welcher der Mensch gehört, vorkommen, treten gelegentlich auch bei ihm auf, wenn sie sich auch nicht an dem normalen menschlichen Embryo vorfinden, oder sie entwickeln sich, wenn sie normal am menschlichen Embryo vorhanden sind, in einer abnormen Weise, obschon diese Entwickelungsweise für die niedrigeren Glieder derselben Gruppe normal ist. Diese Bemerkungen werden durch die folgenden Erläuterungen noch deutlicher werden.

Bei verschiedenen Säugethieren geht der Uterus allmählich aus der Form eines doppelten Organs mit zwei getrennten Oeffnungen und zwei Canälen, wie bei den Beutelthieren, in die Form eines einzigen Organes über, welches mit Ausnahme einer kleinen inneren Falte kein weiteres Zeichen der Verdoppelung zeigt; so bei den höheren Affen und dem Menschen. Die Nagethiere bieten eine vollständige Reihe von Abstufungen zwischen diesen beiden äussersten Zuständen dar. Bei allen Säugethieren entwickelt sich der Uterus aus zwei primitiven Tuben, deren untere Theile die Hörner bilden, und mit den Worten des Dr. Farre: „der Körper des Uterus bildet sich beim Menschen durch die Verwachsung der beiden Hörner an ihren unteren Enden, während bei denjenigen Thieren, bei welchen kein mittlerer Theil oder Körper [49] existirt, die Hörner unvereint bleiben. In dem Maasse, als die Entwickelung des Uterus fortschreitet, werden die beiden Hörner allmählich kürzer, bis sie zuletzt verloren oder gleichsam in den Körper des Uterus absorbirt werden“. Die Winkel des Uterus sind noch immer, selbst so hoch in der Stufenreihe wie bei den niederen Affen und ihren Verwandten, den Lemuren, in Hörner ausgezogen.

Nun finden sich nicht selten bei Frauen anomale Fälle vor, wo der reife Uterus mit Hörnern versehen oder theilweise in zwei Organe gespalten ist; und derartige Fälle wiederholen nach Owen die Entwickelungsstufe „der allmählichen Concentration“, welche gewisse Nagethiere erreichen. Wir haben vermuthlich hier ein Beispiel einer einfachen Hemmung der embryonalen Entwickelung vor uns mit nachfolgendem Wachsthum und völliger functioneller Entwickelung; denn beide Seiten des theilweise doppelten Uterus sind fähig, die ihm eigenen Leistungen während der Trächtigkeit zu vollziehen. In noch andern und selteneren Fällen sind zwei getrennte Uterinhöhlen gebildet, von denen jede ihre eigene Oeffnung und ihren Canal besitzt.[39] Während der gewöhnlichen Entwickelung des Embryo wird kein derartiger Zustand durchlaufen und es ist schwer, wenn auch vielleicht nicht unmöglich, anzunehmen, dass die beiden einfachen kleinen primitiven Tuben (wenn der Ausdruck gestattet ist) wissen sollten, wie sie in zwei getrennte Uteri auszuwachsen haben, — jeder mit einer wohlgebildeten Oeffnung und einem Canal und jeder mit zahlreichen Muskeln, Nerven, Drüsen und Gefässen versehen, — wenn sie nicht früher einmal einen ähnlichen Verlauf der Entwickelung, wie bei den noch jetzt lebenden Beutelthieren, durchschritten hätten. Niemand wird behaupten mögen, dass eine so vollkommene Bildung wie der abnorme doppelte Uterus bei Frauen das Resultat blossen Zufalls sein könne. Aber das Princip des Rückschlags, durch welches lange verloren gewesene Bildungen von Neuem in’s Leben gerufen werden, mag als Führer für die volle Entwickelung des Organs dienen, selbst nach dem Verlauf einer enorm langen Zeit.

Professor Canestrini kommt nach Erörterung der vorstehenden und noch anderer analoger Fälle zu demselben Schluss, wie der eben mitgetheilte. Er führt als ferneres Beispiel noch das Wangenbein [50] an,[40] welches bei einigen Quadrumanen und andern Säugethieren normal aus zwei Theilen besteht. Dies ist sein Zustand im zweimonatlichen menschlichen Fötus; und so bleibt es zuweilen in Folge von Entwickelungshemmung beim erwachsenen Menschen und besonders bei den niederen prognathen Rassen. Hieraus schliesst Canestrini, dass bei irgend einem frühern Urerzeuger des Menschen dieser Knochen normal in zwei Theile getheilt gewesen sein muss, welche später mit einander verschmolzen sind. Beim Menschen besteht das Stirnbein aus einem einzigen Stück, aber im Embryo und bei Kindern und bei fast allen niederen Säugethieren besteht es aus zwei durch eine deutliche Naht getrennten Stücken. Diese Naht bleibt gelegentlich mehr oder weniger deutlich beim Menschen noch nach der Reifeperiode bestehen und findet sich häufiger bei alten als bei neuen Schädeln und besonders, wie Canestrini beobachtet hat, bei den aus der Driftformation ausgegrabenen und zum brachycephalen Typus gehörigen Schädeln. Auch hier gelangt er wieder zu demselben Schluss, wie bei dem analogen Falle vom Wangenbein. Bei diesen und andern sofort zu gebenden Beispielen scheint die Ursache der Thatsache, dass ältere Rassen niederen Thieren in gewissen Merkmalen sich häufiger annähern, als es neuere Rassen thun, die zu sein, dass die letzteren durch einen etwas grösseren Abstand in der langen Descendenzreihe von ihren früheren halbmenschlichen Vorfahren getrennt sind.

Verschiedene andere Anomalien beim Menschen, welche den vorstehenden mehr oder weniger analog sind, sind von verschiedenen Schriftstellern als Fälle von Rückschlag aufgeführt worden; doch scheinen [51] dieselben ziemlich zweifelhaft zu sein; denn wir müssen ausserordentlich tief in der Säugethierreihe hinabsteigen, ehe wir derartige Verhältnisse normal vorhanden finden.[41]

Beim Menschen sind die Eckzähne vollständig fungirende Kauwerkzeuge; aber ihr eigentlicher Character als Eckzähne wird, wie Owen bemerkt,[42] „durch die conische Form ihrer Krone angedeutet, welche in einer stumpfen Spitze endet, nach aussen convex, nach innen eben oder subconvex ist und an der Basis der innern Fläche einen schwachen Vorsprung zeigt. Die conische Form ist am besten bei den melanischen Rassen, besonders bei den Australiern ausgedrückt. Der Eckzahn ist tiefer und mit einer stärkeren Wurzel als die Schneidezähne eingepflanzt“. Und doch dient dieser Eckzahn beim Menschen nicht mehr als eine specielle Waffe zum Zerreissen seiner Feinde oder seiner Beute; er kann daher, soweit es seine eigentliche Function betrifft, als rudimentär betrachtet werden. In jeder grösseren Sammlung menschlicher Schädel können einige gefunden werden, wie Häckel[43] bemerkt, bei denen der Eckzahn beträchtlich, in derselben Weise aber in einem geringeren Grade wie bei den anthropomorphen Affen, über die andern Zähne vorspringt. In diesen Fällen bleiben zwischen den Zähnen der einen Kinnlade offene Stellen zur Aufnahme der Eckzähne des entgegengesetzten Kiefers. Ein Zwischenraum dieser Art an einem Kaffernschädel, den Wagner abbildete, ist überraschend gross.[44] Bedenkt man, wie wenig alte Schädel im Vergleich mit neueren untersucht [52] worden sind, so ist es eine interessante Thatsache, dass in mindestens drei Fällen die Eckzähne bedeutend vorspringen, und in dem Kiefer von Naulette sind sie, wie man sagt, enorm.[45]

Nur die Männchen der anthropomorphen Affen haben völlig entwickelte Eckzähne; aber beim weiblichen Gorilla und in einem geringeren Grade beim weiblichen Orang springen diese Zähne beträchtlich über die andern vor; die Thatsache also, dass, wie man mir versichert hat, Frauen zuweilen beträchtlich vorspringende Eckzähne besitzen, bietet keinen ernstlichen Einwand gegen die Annahme dar, dass ihre gelegentlich bedeutende Entwickelung beim Menschen ein Fall von Rückschlag auf die Form des affenähnlichen Urerzeugers sei. Wer die Ansicht verlacht, dass die Form seiner eigenen Eckzähne und deren gelegentliche bedeutende Entwickelung bei andern Menschen Folge des Umstands ist, dass unsere frühen Urerzeuger mit diesen furchtbaren Waffen versehen gewesen sind, wird doch wahrscheinlich im Acte des Verhöhnens seine Abstammung offenbaren. Denn obschon er nicht mehr diese Zähne als Waffen zu gebrauchen geneigt ist und nicht einmal die Kraft dazu hat, so wird er doch unbewusster Weise seine Fletschmuskeln (wie sie Sir C. Bell[46] nennt) zusammenziehen und dadurch jene Zähne ebenso zur Action bereit exponiren, wie ein Hund, der zum Kampfe gerüstet ist.

Gelegentlich entwickeln sich viele Muskeln beim Menschen, welche andern Vierhändern oder andern Säugethieren eigen sind. Professor Vlacovich[47] untersuchte vierzig männliche Leichen und fand bei neunzehn unter ihnen einen Muskel, den er den ischiopubicus nennt; bei drei andern war ein Band vorhanden, welches diesen Muskel ersetzte, und bei den übrigen achtzehn fand sich keine Spur davon. Unter dreissig weiblichen Leichen war dieser Muskel auf beiden Seiten nur bei zweien entwickelt, aber bei drei andern fand sich das rudimentäre Band. Es scheint daher dieser Muskel beim männlichen Geschlecht viel häufiger zu sein als beim weiblichen, und aus dem Princip, nach welchem der Mensch von einer niederen Form abstammt, lässt sich diese Thatsache wohl verstehen. Denn bei mehreren niederen Thieren ist er [53] nachgewiesen worden und dient bei allen ausschliesslich nur den Männchen beim Reproductionsgeschäft.

Mr. J. Wood hat in einer Reihe werthvoller Aufsätze[48] eine ungeheure Anzahl von Muskelvarietäten beim Menschen ausführlich beschrieben, welche normalen Bildungen bei niederen Thieren gleichen. Betrachtet man nur die Muskeln, welche denen gleichen, die bei unsern nächsten Verwandten, den Vierhändern, regelmässig vorhanden sind, so sind diese schon zu zahlreich, um hier auch nur angeführt zu werden. Bei einem einzigen männlichen Leichnam, welcher eine kräftige körperliche Entwickelung und einen wohlgebildeten Schädel besass, wurden nicht weniger als sieben Muskelabweichungen beobachtet, welche sämmtlich deutlich Muskeln repräsentirten, welche verschiedenen Arten von Affen eigen sind. So hatte dieser Mensch z. B. auf beiden Seiten des Halses einen echten und kräftigen Levator claviculae, so wie er sich bei allen Arten von Affen findet und von dem man sagt, dass er bei ungefähr einer unter sechzig menschlichen Leichen vorkommt.[49] Ferner hatte dieser Mensch „einen speciellen Abductor des Metatarsalknochens der fünften Zehe, einen solchen wie er nach den Demonstrationen von Professor Huxley und Mr. Flower gleichförmig bei den höheren und niederen Affen existirt". Ich will nur noch zwei weitere Fälle anführen. Der Acromio-basilaris findet sich bei allen Säugethieren und scheint zu dem Gang auf allen Vieren in Beziehung zu stehen;[50] beim Menschen erscheint er an einer von ungefähr sechzig Leichen. Von den Muskeln der unteren Gliedmassen fand Mr. Bradley[51] einen Abductor ossis metatarsi quinti an beiden Füssen beim Menschen; bis [54] dahin war kein Bericht bekannt von seinem Vorkommen beim Menschen; er findet sich aber stets bei den anthropomorphen Affen. Die Hände und Arme des Menschen sind ausserordentlich characteristische Bildungen, doch sind ihre Muskeln äusserst geneigt, zu variiren, so dass sie dann den entsprechenden Muskeln bei niederen Thieren gleichen.[52] Derartige Aehnlichkeiten sind entweder vollständig und vollkommen oder unvollkommen, im letzteren Fall aber offenbar von einer Uebergangsbeschaffenheit. Gewisse Abweichungen sind häufiger beim Mann, andere häufiger bei der Frau, ohne dass wir im Stande wären, irgend einen Grund hierfür anzuführen. Nach der Beschreibung zahlreicher Abänderungen macht Mr. Wood die folgende bezeichnende Bemerkung: „bemerkenswerthe Abweichungen von dem gewöhnlichen Typus der Muskelbildungen laufen in gewissen Richtungen, welche für Andeutungen irgend eines unbekannten Factors gehalten werden müssen, der für eine umfassende Kenntniss der allgemeinen und wissenschaftlichen Anatomie von hoher Bedeutung ist“.[53]

Dass dieser unbekannte Factor Rückschlag auf einen früheren Zustand der Existenz ist, kann als im höchsten Grade wahrscheinlich angenommen werden.[54] Es ist völlig unglaublich, dass ein Mensch nur [55] in Folge eines blossen Zufalls abnormer Weise in nicht weniger als sieben seiner Muskeln gewissen Affen gleichen sollte, wenn nicht ein genetischer Zusammenhang zwischen ihnen bestände. Stammt auf der andern Seite der Mensch von irgend einer affenähnlichen Form ab, so lässt sich kein triftiger Grund beibringen, warum gewisse Muskeln nach einem Verlauf von vielen tausend Generationen nicht plötzlich in derselben Weise wiedererscheinen sollten, wie bei Pferden, Eseln und Maulthieren dunkelfarbige Streifen auf den Beinen und Schultern nach einem Verlauf von Hunderten oder wahrscheinlich Tausenden von Generationen plötzlich wieder erscheinen.

Diese verschiedenen Fälle von Rückschlag sind denen von rudimentären Organen, wie sie im ersten Capitel mitgetheilt wurden, so nahe verwandt, dass viele von ihnen mit gleichem Recht in jedem der beiden Capitel hätten untergebracht werden können. So kann man sagen, dass ein menschlicher Uterus, welcher Hörner besitzt, in einem rudimentären Zustande das Organ repräsentirt, wie es gewisse Säugethiere im normalen Zustande besitzen. Manche Theile, welche beim Menschen rudimentär sind, wie das Schwanzbein bei beiden Geschlechtern und die Brustdrüsen beim männlichen Geschlecht, sind immer vorhanden, während andere, wie das supracondyloide Loch, nur gelegentlich erscheinen und daher in die Kategorie der Rückschlagsfälle hätten aufgenommen werden können. Diese verschiedenen auf Rückschlag ebenso wie auf Verkümmerung im strengen Sinne zu beziehenden Bildungen, decken die Abstammung des Menschen von irgend einer niederen Form in einer nicht miszuverstehenden Weise auf.

Correlative Variationen. — Beim Menschen stehen wie bei den niederen Thieren viele Bildungen in einer so intimen Beziehung zu einander, dass, wenn der eine Theil abweicht, ein anderer es gleichfalls thut, ohne dass wir in den meisten Fällen im Stande wären, irgend einen Grund beizubringen. Wir können nicht sagen, ob der eine Theil den andern beherrscht oder ob beide von irgend einem früher entwickelten Theile beherrscht werden. Wie Isid. Geoffroy wiederholt betont [56] hat, sind in dieser Weise verschiedene Monstrositäten ganz eng mit einander verknüpft. Ganz besonders sind homologe Bildungen geneigt, gemeinsam abzuändern, wie wir es an den beiden Seiten des Körpers und an den oberen und unteren Gliedmaassen sehen. Meckel hat schon vor langer Zeit die Bemerkung gemacht, dass, wenn die Armmuskeln von ihrem eigentlichen Typus abweichen, sie fast immer die Verhältnisse der Muskeln des Beins wiederholen; und so umgekehrt mit den Beinmuskeln. Die Organe des Gesichts und Gehörs, die Zähne und Haare, die Farbe der Haut und der Haare, Farbe und Constitution stehen mehr oder weniger in Correlation.[55] Professor Schaaffhausen hat zuerst die Aufmerksamkeit auf die Beziehung gelenkt, welche offenbar zwischen einem muskulösen Bau und den stark ausgesprochenen Oberaugenhöhlenleisten existirt, wie sie für die niederen Menschenrassen so characteristisch sind.

Ausser den Abänderungen, welche mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit unter die vorgenannte Kategorie gruppirt werden können, gibt es noch eine grosse Classe von Variationen, welche provisorisch als spontane bezeichnet werden können; in Folge unserer Unwissenheit scheinen sie nämlich ohne irgendwelche anregende Ursache zu entstehen. Es kann indess gezeigt werden, dass derartige Variationen, mögen sie nun in unbedeutenden individuellen Verschiedenheiten oder in stark markirten und plötzlichen Abweichungen des Baues bestehen, viel mehr von der Constitution des Organismus abhängen als von der Natur der Bedingungen, welchen derselbe ausgesetzt war.[56]

Verhältniss der Zunahme. — Man weiss, dass civilisirte Völker unter günstigen Bedingungen, wie in den Vereinigten Staaten, ihre Zahl in fünfundzwanzig Jahren verdoppeln, und nach einer Berechnung von Euler kann dies in wenig über zwölf Jahren eintreten.[57] Nach dem ersterwähnten Verhältniss würde die jetzige Bevölkerung der Vereinigten Staaten, nämlich dreissig Millionen, in 657 Jahren die ganze Erdoberfläche, Wasser und Land, so dicht bevölkern, dass auf einem [57] Quadratyard vier Menschen zu stehen haben würden. Das primäre und fundamentale Hinderniss für die fortgesetzte Zunahme des Menschen ist die Schwierigkeit, Existenzmittel zu erlangen und mit Leichtigkeit leben zu können. Dass dies der Fall ist, können wir aus dem schliessen, was wir z. B. in den Vereinigten Staaten sehen, wo die Existenz leicht und Raum für Viele vorhanden ist. Würden diese Mittel plötzlich in Grossbritannien verdoppelt, so würde sich auch unsere Einwohnerzahl schnell verdoppeln. Bei civilisirten Nationen wirkt das oben erwähnte primäre Hinderniss hauptsächlich durch das Erschweren der Heirathen. Auch ist das Sterblichkeitsverhältniss der Kinder in den ärmsten Classen von grosser Bedeutung, ebenso die grössere Sterblichkeit auf allen Altersstufen, in Folge verschiedener Krankheiten, bei den Bewohnern dicht bevölkerter und elender Häuser. Die Wirkungen schwerer Epidemien und Kriege werden bald bei Nationen ausgeglichen, welche unter günstigen Bedingungen leben, und sogar mehr als ausgeglichen. Auch hilft Auswanderung als ein zeitweises Hinderniss, aber bei den äusserst armen Classen in keiner grossen Ausdehnung.

Wie Malthus bemerkt hat, haben wir Grund zu vermuthen, dass die Reproductionskraft bei barbarischen Rassen thatsächlich geringer ist als bei civilisirten. Positives wissen wir über diesen Gegenstand nicht, denn bei Wilden ist eine Volkszählung nie vorgenommen worden; aber nach den übereinstimmenden Zeugnissen der Missionäre und Anderer, welche lange mit solchen Völkern gelebt haben, scheint es, dass ihre Familien gewöhnlich klein, dass grosse Familien dagegen im Ganzen selten sind. Zum Theil wird dies, wie man annimmt, dadurch zu erklären sein, dass die Frauen ihre Kinder eine sehr lange Zeit hindurch stillen; aber es ist doch auch äusserst wahrscheinlich, dass Wilde, welche oft viel Noth leiden und welche keine so reichliche und nahrhafte Kost erhalten als civilisirte Menschen, factisch weniger fruchtbar sind. In einem früheren Werke[58] habe ich gezeigt, dass alle unsere domesticirten Vierfüsser und Vögel und alle unsere cultivirten Pflanzen fruchtbarer sind als die entsprechenden Species im Naturzustand. Die Thatsachen bieten keinen triftigen Einwand gegen diesen Schluss dar, dass plötzlich mit einem Excess von Nahrung versorgte oder sehr fett gemachte Thiere und dass plötzlich aus einem sehr armen in einen sehr [58] reichen Boden versetzte Pflanzen mehr oder weniger steril gemacht werden. Wir dürfen daher erwarten, dass civilisirte Menschen, welche in einem gewissen Sinne hoch domesticirt sind, fruchtbarer als wilde Menschen seien. Es ist auch wahrscheinlich, dass die erhöhte Fruchtbarkeit civilisirter Nationen, wie es bei unsern domesticirten Thieren der Fall ist, ein erblicher Character wird; es ist wenigstens bekannt, dass beim Menschen eine Neigung zu Zwillingsgeburten durch Familien läuft.[59]

Trotzdem, dass Wilde weniger fruchtbar erscheinen als civilisirte Völker, so würden sie doch an Zahl reissend zunehmen, wenn nicht ihre Menge durch gewisse Einflüsse stark niedergehalten würde. Die Santali oder Bergstämme von Indien haben in neuerer Zeit für diese Thatsache eine gute Erläuterung gegeben; sie haben nämlich, wie Mr. Hunter[60] gezeigt hat, seitdem die Vaccination eingeführt ist, andere Seuchen gemildert sind und der Krieg rücksichtslos unterdrückt worden ist, sich in einem ausserordentlichen Maasse vermehrt. Diese Zunahme hätte indess nicht möglich sein können, wenn dieses rohe Volk sich nicht in die benachbarten Districte verbreitet und dort um Lohn gearbeitet hätte. Wilde heirathen fast immer; es tritt aber irgend eine kluge Rückhaltung doch ein, denn sie heirathen gewöhnlich nicht in dem Alter, in welchem das Heirathen am frühesten möglich ist. Häufig verlangt man von den jungen Männern den Nachweis, dass sie ein Weib erhalten können, und sie haben gewöhnlich zunächst die Summe zu verdienen, um welche sie die Frau von ihren Eltern kaufen. Bei Wilden beschränkt die Schwierigkeit, eine Subsistenz zu finden, ihre Zahl gelegentlich in viel directerer Weise als bei civilisirteren Völkern; denn alle Stämme leiden periodisch von schweren Hungersnöthen. Zu solchen Zeiten sind die Wilden gezwungen, viel schlechte Nahrung zu verzehren, und es kann nicht ausbleiben, dass ihre Gesundheit hierdurch geschädigt wird. Viele Berichte sind über ihre geschwollenen Bäuche und abgemagerten Gliedmaassen nach und während der Hungersnoth veröffentlicht worden. Ferner sind sie auch dann gezwungen viel umherzuwandern und, wie man mir in Australien versicherte, kommen ihre Kinder in grossen Zahlen um. Da die Zeiten der Hungersnoth periodisch wiederkehren und hauptsächlich von extremen Verhältnissen der [59] Jahreszeiten abhängen, so müssen alle Stämme in ihrer Zahl schwanken, sie können nicht stätig und regelmässig zunehmen, da für die Versorgung mit Nahrung keine künstliche Zufuhr eintritt. Gelangen Wilde in Noth, so greifen sie gegenseitig in ihre Territorien über und das Resultat ist Krieg; doch sind sie in der That fast immer mit ihren Nachbarn in Krieg. Zu Wasser und zu Lande sind sie bei ihren Bemühungen um Nahrung vielen Zufällen ausgesetzt, und in manchen Ländern müssen sie auch von den grösseren Raubthieren viel leiden. Selbst in Indien sind manche Districte durch die Räubereien der Tiger geradezu entvölkert worden.

Malthus hat diese verschiedenen Hindernisse erörtert; er betont aber dasjenige nicht stark genug, welches wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen ist, nämlich Kindesmord, und besonders die Tödtung weiblicher Kinder, und die Gewohnheit, Fehlgeburten zu veranlassen. Diese Gebräuche herrschen jetzt in vielen Theilen der Erde, und früher scheint Kindesmord, wie Mr. M'Lennan[61] gezeigt hat, in einem noch ausgedehnteren Grade geherrscht zu haben. Diese Gebräuche scheinen bei Wilden dadurch entstanden zu sein, dass sie die Schwierigkeit oder vielmehr die Unmöglichkeit eingesehen haben, alle Kinder, welche geboren werden, zu erhalten. Zügelloses Leben kann auch noch zu den obenerwähnten Hindernissen hinzugerechnet werden; doch ist dies keine Folge des Mangels an Subsistenzmitteln, obschon Grund zu der Annahme vorhanden ist, dass es in manchen Fällen (wie z. B. in Japan) absichtlich ermuntert worden ist, als ein Mittel, die Bevölkerung niedrig zu erhalten.

Wenn wir auf eine äusserst frühe Zeit zurückblicken, ehe der Mensch die Würde der Menschlichkeit erreicht hatte, so sehen wir, dass er mehr durch Instinct und weniger durch Vernunft geleitet worden sein wird als die Wilden zur jetzigen Zeit. Unsere frühen halbmenschlichen Vorfahren werden den Gebrauch des Kindesmords nicht ausgeübt haben; denn die Instincte der niederen Thiere sind nie so verkehrt,[62] dass sie dieselben regelmässig zur Zerstörung ihrer eigenen [60] Nachkommenschaft führten, oder dass sie völlig frei von Eifersucht wären. Es wird auch keine kluge Zurückhaltung vom Heirathen stattgefunden haben und die Geschlechter werden sich im frühen Älter reichlich verbunden haben. Daher wird zur Zeit der Urerzeuger des Menschen deren Zahl zu einer rapiden Zunahme geneigt gewesen sein, aber Hindernisse irgendwelcher Art, entweder periodische oder beständige, müssen dieselbe niedrig erhalten haben und zwar selbst noch stärker als bei den jetzt lebenden Wilden. Was die genaue Beschaffenheit dieser Hindernisse gewesen sein mag, können wir ebensowenig für unsere Vorfahren wie für die meisten andern Thiere sagen. Wir wissen, dass Pferde und Rinder, welche keine sehr stark fruchtbaren Thiere sind, sich, seit sie zuerst in Südamerika dem Verwildern überlassen wurden, in einem enormen Verhältniss vermehrt haben. Das Thier, bei welchem die Entwickelung die meiste Zeit erfordert, nämlich der Elephant, würde in wenigen Tausend Jahren die ganze Erde bevölkern. Die Zunahme jeder Species von Affen muss durch irgendwelches Mittel gehindert worden sein, aber nicht, wie Brehm bemerkt, durch die Angriffe von Raubthieren. Niemand wird annehmen, dass das factische Reproductionsvermögen der wilden Pferde und Rinder in Amerika anfangs in irgend einem merkbaren Grade vermehrt gewesen wäre, oder dass dieses Vermögen, nachdem jedesmal ein Bezirk vollständig bevölkert war, abgenommen hätte. Ohne Zweifel wirken in diesem Falle, wie in allen andern, viele Hindernisse zusammen und verschiedene Hindernisse unter verschiedenen Umständen. Zeiten periodischen Mangels, die von ungünstigen Jahreszeiten abhängen, sind wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen, und dasselbe wird bei den frühesten Erzeugern des Menschen der Fall gewesen sein.

Natürliche Zuchtwahl. — Wir haben nun gesehen, dass der Mensch an Körper und Geist variabel ist und dass die Abänderungen entweder direct oder indirect durch dieselben allgemeinen Ursachen veranlasst [61] werden und denselben allgemeinen Gesetzen folgen, wie bei den niederen Thieren. Der Mensch hat sich weit über die Oberfläche der Erde verbreitet und muss während seiner unaufhörlichen Wanderungen[63] den verschiedenartigsten Bedingungen ausgesetzt gewesen sein. Die Einwohner des Feuerlandes, des Caps der guten Hoffnung und Tasmaniens in der einen Hemisphäre und der arctischen Gegenden in der andern müssen durch verschiedene Climate hindurchgegangen sein und ihre Lebensweise viele Male verändert haben, ehe sie ihre jetzigen Wohnstätten erreichten.[64] Die frühen Urerzeuger des Menschen müssen auch wie alle andern Thiere die Neigung gehabt haben, über das Maass ihrer Subsistenzmittel hinaus sich zu vermehren; sie müssen daher gelegentlich einem Kampfe um die Existenz ausgesetzt gewesen und in Folge dessen dem starren Gesetze der natürlichen Zuchtwahl unterlegen sein. Wohlthätige Abänderungen aller Arten werden daher entweder gelegentlich oder gewöhnlich erhalten, schädliche beseitigt worden sein. Ich beziehe mich hierbei nicht auf stark markirte Abweichungen des Baues, welche nur in langen Zeitintervallen auftreten, sondern auf lediglich individuelle Verschiedenheiten. Wir wissen z. B., dass die Muskeln unserer Hände und Füsse, welche unser Bewegungsvermögen bestimmen, wie die der niederen Thiere,[65] unaufhörlicher Variabilität unterliegen. Wenn nun die Urerzeuger des Menschen, welche irgend einen District, besonders einen solchen bewohnten, der in seinen Bedingungen eine gewisse Veränderung erfuhr, in zwei gleiche Massen getheilt würden, so würde die eine Hälfte, welche alle die Individuen umfasste, welche durch ihr Bewegungsvermögen am besten dazu ausgerüstet wären, ihre Subsistenz zu erlangen oder sich zu verteidigen, im Mittel in einer grösseren Zahl überleben bleiben und mehr Nachkommen erzeugen als die andere und weniger gut ausgerüstete Hälfte.

Der Mensch ist in dem rohesten Zustand, in welchem er jetzt existirt, das dominirendste Thier, was je auf der Erde erschienen ist. [62] Er hat sich weiter verbreitet als irgend eine andere hoch organisirte Form und alle andern sind vor ihm zurückgewichen. Offenbar verdankt er diese unendliche Ueberlegenheit seinen intellectuellen Fähigkeiten, seinen socialen Gewohnheiten, welche ihn dazu führten, seine Genossen zu unterstützen und zu vertheidigen, und seiner körperlichen Bildung. Die äusserst hohe Bedeutung dieser Charactere ist durch die endgültige Entscheidung des Kampfes um’s Dasein bewiesen worden. Durch seine intellectuellen Kräfte ist die articulirte Sprache entwickelt worden, und von dieser haben seine wundervollen Fortschritte im Wesentlichen abgehangen. Wie Mr. Chauncey Wright bemerkt:[66] „eine psychologische Analyse des Vermögens der Sprache zeigt, dass selbst der geringste Fortschritt dabei mehr Gehirnkraft erfordern dürfte, als der grösste Fortschritt in irgend einer andern Richtung“. Er hat verschiedene Waffen, Werkzeuge, Fallen u. s. w. erfunden und ist fähig, sie zu gebrauchen; und damit vertheidigt er sich, tödtet oder fängt er seine Beute und vermag sich auf andere Weise Nahrung zu verschaffen. Er hat Flösse oder Boote gemacht, auf denen er fischen oder zu benachbarten fruchtbaren Inseln übersetzen kann. Er hat die Kunst, Feuer zu machen, entdeckt, durch welches harte, holzige Wurzeln verdaulich und giftige Wurzeln oder Kräuter unschädlich gemacht werden können. Die Entdeckung des Feuers, wahrscheinlich die grösste mit Ausnahme der Sprache, die je vom Menschen gemacht worden ist, rührt aus der Zeit vor dem Dämmern der Geschichte her. Diese verschiedenen Erfindungen, durch welche der Mensch im rohesten Zustand ein solches Uebergewicht erhalten hat, sind das directe Resultat der Entwickelung seiner Beobachtungskräfte, seines Gedächtnisses, seiner Neugierde, Einbildungskraft und seines Verstandes. Ich kann daher nicht verstehen, wie Mr. Wallace behaupten kann,[67] dass „natürliche Zuchtwahl den [63] Wilden nur hätte mit einem Gehirn versehen können, was dem eines Affen ein wenig überlegen wäre".

Obgleich die intellectuellen Kräfte und socialen Gewohnheiten von der äussersten Bedeutung für den Menschen sind, so dürfen wir doch die Bedeutung seines körperlichen Zustands, welchem Gegenstand der noch übrige Theil dieses Capitels gewidmet sein wird, nicht unterschätzen. Die Entwickelung der intellectuellen und socialen oder moralischen Fähigkeiten wird in einem späteren Capitel erörtert werden.

Selbst mit Präcision zu hämmern ist keine leichte Sache, wie Jeder, der das Tischlern zu erlernen versucht hat, zugeben wird. Einen Stein so genau nach einem Ziele zu werfen, wie es ein Feuerländer kann, wenn es gilt, sich zu vertheidigen oder Vögel zu tödten, erfordert die höchste Vollendung der in Correlation stehenden Wirkungen der Muskeln der Hand, des Arms und der Schultern, einen feinen Gefühlssinn dabei gar nicht zu erwähnen. Um einen Stein oder einen Speer zu werfen, und zu vielen andern Handlungen, muss der Mensch fest auf seinen Füssen stehen, und dies wiederum erfordert die vollkommene Anpassung zahlreicher Muskeln. Um einen Feuerstein in das roheste Werkzeug zu verwandeln, um einen Knochen zu einer pfeilförmigen Lanzenspitze oder zu einem Haken zu verarbeiten, bedarf es des Gebrauchs einer vollkommenen Hand. Denn, wie ein äusserst fähiger Richter, Mr. Schoolcraft bemerkt,[68] das Formen von Steinfragmenten zu Messern, Lanzen oder Pfeilspitzen beweist „ausserordentliche Geschicklichkeit und lange Uebung“. Einen Beweis hierfür haben wir zum grossen Theile darin, dass die Urmenschen eine Theilung der Arbeit ausführten; es fabricirte nicht Jeder seine eigenen Feuersteinwerkzeuge oder rohe Töpferei für sich, sondern gewisse Individuen scheinen sich solcher Arbeit gewidmet zu haben und erhielten ohne Zweifel im Tausch hierfür die Erträge der Jagd. Archäologen sind überzeugt, dass eine enorme Zeit verflossen sein muss, ehe unsere Voreltern daran dachten, [64] abgesprungene Feuersteinstücke zu glatten Werkzeugen zu poliren. Ein menschenähnliches Thier, welches eine Hand und einen Arm besass, hinreichend vollkommen, um einen Stein mit Genauigkeit zu werfen oder einen Feuerstein in ein rohes Werkzeug zu formen, konnte bei hinreichender Uebung, wie sich wohl kaum zweifeln lässt, fast Alles machen, soweit nur mechanische Geschicklichkeit in Betracht kommt, was ein civilisirter Mensch machen kann. Die Structur der Hand lässt sich in dieser Beziehung mit der der Stimmorgane vergleichen, welche bei den Affen zum Ausstossen verschiedener Signalrufe oder, wie in einer Species, musikalischer Cadenzen gebraucht werden. Aber beim Menschen sind völlig ähnliche Stimmorgane, in Folge der vererbten Wirkungen des Gebrauchs, der Aeusserung articulirter Sprache angepasst worden.

Wenden wir uns nun zu den nächsten Verwandten des Menschen und daher auch zu den besten Repräsentanten unserer früheren Urerzeuger, so finden wir, dass die Hände bei den Vierhändern nach demselben allgemeinen Plane wie bei uns gebaut sind, aber viel weniger vollkommen verschiedenartigen Gebräuchen angepasst. Ihre Hände dienen nicht so gut wie die Füsse eines Hundes zur Locomotion, wie wir bei denjenigen Affen sehen können, welche auf den äusseren Rändern der Sohlen oder auf dem Rücken ihrer gebogenen Finger gehen, wie der Schimpanse und Orang.[69] Indessen sind ihre Hände für das Erklimmen von Bäumen wunderbar geeignet. Affen ergreifen dünne Zweige oder Taue mit dem Daumen auf der einen und den Fingern und der Handfläche auf der andern Seite, in derselben Weise wie wir es thun. Sie können auch ziemlich grosse Gegenstände, wie den Hals einer Flasche, zu ihrem Munde führen. Paviane wenden Steine um und scharren Wurzeln mit ihren Händen aus. Sie ergreifen Nüsse, Insecten oder andere kleine Gegenstände so, dass dabei der Daumen den übrigen Fingern gegenübergestellt wird, und ohne Zweifel ziehen sie in dieser Weise Eier und junge Vögel aus den Nestern. Amerikanische Affen schlagen die wilden Orangen auf Zweige auf bis die Rinde geborsten ist und zerren diese dann mit den Fingern ihrer beiden Hände ab. Sie schlagen im wilden Zustande harte Früchte mit Steinen auf. Andere Affen öffnen Muschelschalen mit den beiden Daumen. Mit ihren Fingern ziehen sie Dornen und Grannen aus und suchen einander die [65] Schmarotzer ab. Sie rollen Steine herab oder werfen sie nach ihren Feinden. Nichtsdestoweniger führen sie aber diese verschiedenen Handlungen ungeschickt aus, und wie ich selbst gesehen habe, sind sie vollständig ausser Stande, einen Stein mit Präsision zu werfen.

Es scheint mir durchaus nicht wahr zu sein, dass, weil „Gegenstände nur ungeschickt von Affen erfasst“ werden, ein viel weniger „specialisirtes Greiforgan“ ihnen ebensogut gedient haben würde,[70] als ihre gegenwärtigen Hände. Im Gegentheil, ich sehe keinen Grund zu zweifeln, dass eine noch vollkommener construirte Hand für sie ein Vortheil gewesen wäre, vorausgesetzt, und es ist von Wichtigkeit, dies hervorzuheben, dass ihre Hände damit für das Erklettern von Bäumen nicht weniger geschickt geworden wären. Wir dürfen vermuthen, dass eine so vollkommene Hand wie die des Menschen von Nachtheil für das Klettern gewesen wäre, da die am meisten auf Bäumen lebenden Affen in der Welt, nämlich Ateles in America, Colobus in Africa und Hylobates in Asien, entweder keine Daumen oder ihre Finger zum Theil mit einander verwachsen haben, so dass ihre Hände in blosse Greifhaken verwandelt worden sind.[71]

Sobald irgend ein frühes Glied in der grossen Reihe der Primaten in Folge einer Veränderung der Art und Weise seine Subsistenz zu erlangen oder einer Veränderung in den Bedingungen seines Heimathlandes dazu gelangte, etwas weniger auf Bäumen und mehr auf dem Boden zu leben, würde seine Art, sich fortzubewegen, modificirt worden sein; und in diesem Falle wird die Form entweder noch eigentlicher vierfüssig oder strenger zweifüssig haben werden müssen. Paviane bewohnen bergige oder felsige Districte und klettern nur nothgedrungen auf hohe Bäume,[72] sie haben daher auch fast die Gangart eines Hundes angenommen. Nur der Mensch ist ein Zweifüsser geworden; und wir können, wie ich glaube, zum Theil sehen, wie er dazu gekommen ist, die aufrechte Stellung zu erhalten, welche eines seiner auffallendsten [66] Merkmale bildet. Der Mensch hätte seine jetzige herrschende Stellung in der Welt nicht ohne den Gebrauch seiner Hände erreichen können, welche so wunderbar geeignet sind, seinem Willen folgend thätig zu sein. Wie Sir C. Bell betont:[73] „die Hand ersetzt alle Instrumente und durch ihre Uebereinstimmung mit dem Intellect verleiht sie ihm universelle Herrschaft“. Die Hände und Arme hätten aber kaum hinreichend vollkommen werden können, Waffen zu fabriciren oder Steine und Speere nach einem bestimmten Ziele zu werfen, solange sie gewohnheitsgemäss zur Locomotion benutzt worden wären, wobei sie das ganze Gewicht des Körpers zu tragen hätten, oder solange sie speciell, wie vorher schon bemerkt wurde, zum Erklettern von Bäumen angepasst wären. Eine derartige rohe Behandlung würde auch den Gefühlssinn abgestumpft haben, von dem ihr fernerer Gebrauch zum grossen Theil abhängt. Schon aus diesen Ursachen allein wird es ein Vortheil für den Menschen gewesen sein, dass er ein Zweifüsser geworden ist; aber für viele Handlungen ist es unentbehrlich, dass beide Arme und der ganze obere Theil des Körpers frei seien, und zu diesem Zweck musste er fest auf seinen Füssen stehen. Um diesen grossen Vortheil zu erlangen, sind die Füsse platt geworden und ist die grosse Zehe eigenthümlich modificirt, obgleich dies den Verlust der Fähigkeit zum Greifen mit sich gebracht hat. Es ist in Uebereinstimmung mit dem Princip der physiologischen Arbeitstheilung, welches durch das ganze Thierreich herrscht, dass in dem Maasse, als die Hände zum Greifen vervollkommnet wurden, die Füsse sich mehr zum Tragen und zur Locomotion ausbildeten. Doch haben bei einigen Wilden die Füsse ihr Greifvermögen nicht vollständig verloren, wie durch die Art des Erkletterns von Bäumen und durch den Gebrauch, der in verschiedener Weise von ihnen gemacht wird, bewiesen wird.[74] War es ein Vortheil für den Menschen, seine Hände und Arme frei zu haben und fest auf seinen Füssen zu stehen, woran sich nach seinem so ausgezeichneten Erfolge in dem Kampfe um's Dasein nicht [67] zweifeln lässt, dann kann ich keinen Grund sehen, warum es für die Urerzeuger des Menschen nicht hätte vortheilhaft gewesen sein sollen, immer mehr und mehr aufrecht oder zweifüssig zu werden. Sie würden dadurch besser im Stande gewesen sein, sich mit Steinen und Keulen zu vertheidigen oder ihre Beute anzugreifen oder auf andere Weise Nahrung zu erlangen. Die am besten gebauten Individuen werden in der Länge der Zeit am besten Erfolg gehabt haben und in grösserer Zahl am Leben geblieben sein. Wenn der Gorilla und einige wenige verwandte Formen ausgestorben wären, würde man mit grosser Ueberzeugungskraft und scheinbar mit sehr viel Recht zu dem Schlusse getrieben werden, dass ein Thier nicht allmählich aus einem Vierfüsser in einen Zweifüsser umgewandelt worden sein könnte, da alle Individuen in einem Zwischenzustand erbärmlich schlecht zum Gehen angelegt gewesen wären. Aber wir wissen (und dies ist wohl der Ueberlegung werth), dass mehrere Affen jetzt factisch sich in diesem Zwischenzustand befinden, und Niemand zweifelt, dass sie einen im Ganzen ihren Lebensbedingungen gut angepassten Bau haben. So läuft der Gorilla mit einem seitlich watschelnden Gang, schreitet aber gewöhnlich so fort, dass er sich auf seine gebeugten Hände stützt. Die langarmigen Affen gebrauchen gelegentlich ihre Arme wie Krücken, indem sie ihren Körper zwischen denselben nach vorwärts schwingen, und einige Arten von Hylobates können, ohne dass es ihnen gelehrt worden wäre, mit ziemlicher Schnelligkeit aufrecht gehen oder laufen. Doch bewegen sie sich ungeschickt und viel weniger sicher als der Mensch. Kurz, wir sehen bei den jetzt lebenden Affen verschiedene Abstufungen zwischen einer Form der Bewegung, welche streng der eines Vierfüssers gleicht, und der eines Zweifüssers oder des Menschen; doch nähern sich, wie ein unparteiischer Beurtheiler betont,[75] die anthropomorphen Affen in ihrem Bau mehr dem zweifüssigen als dem vierfüssigen Typus.

In dem Maasse, als die Urerzeuger des Menschen mehr und mehr aufrecht wurden, ihre Hände und Arme mehr und mehr zum Greifen und zu andern Zwecken, und ihre Beine und Füsse gleichzeitig zur sichern Stütze und zur Ortsbewegung modificirt wurden, werden auch endlose andere Veränderungen im Bau nothwendig geworden sein. Das Becken muss breiter, das Rückgrat eigenthümlich gebogen und der [68] Kopf in einer veränderten Stellung befestigt worden sein; und alle diese Veränderungen sind vom Menschen erlangt worden. Professor Schaaffhausen[76] behauptet, dass „die kräftigen Zitzenfortsätze des menschlichen Schädels das Resultat seiner aufrechten Stellung sind“, und diese Fortsätze fehlen beim Orang, Schimpanse u. s. w. und sind beim Gorilla kleiner als beim Menschen. Es liessen sich noch verschiedene andere Bildungen hier speciell anführen, welche mit der aufrechten Stellung des Menschen in Zusammenhang stehend erscheinen. Es ist sehr schwer zu entscheiden, wie weit alle diese in Correlation stehenden Modificationen das Resultat natürlicher Zuchtwahl und wie weit sie das Resultat der vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs gewisser Theile oder der Wirkung eines Theils auf einen andern sind. Ohne Zweifel wirken diese Mittel der Veränderung gegenseitig auf einander ein; wenn z. B. gewisse Muskeln und die Knochenleisten, an welche sie befestigt sind, durch beständigen Gebrauch vergrössert werden, so zeigt dies, dass gewisse Handlungen gewohnheitsgemäss ausgeführt werden und von Nutzen sein müssen. Es werden daher diejenigen Individuen, welche sie am besten ausführten, in grösserer Zahl leben zu bleiben neigen.

Der freie Gebrauch der Hände und Arme, welcher zum Theil die Ursache, zum Theil das Resultat der aufrechten Stellung des Menschen ist, scheint auf indirecte Weise noch zu andern Modificationen des Baus geführt zu haben. Wie vorhin angegeben wurde, waren die früheren männlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich mit grossen Eckzähnen versehen; in dem Maasse aber, als sie allmählich die Fertigkeit erlangten, Steine, Keulen, oder andere Waffen im Kampfe mit ihren Feinden zu gebrauchen, werden sie auch ihre Kinnladen und Zähne immer weniger und weniger gebraucht haben. In diesem Falle werden die Kinnladen in Verbindung mit den Zähnen an Grösse reducirt worden sein, wie wir nach zahllosen analogen Fällen wohl ganz sicher annehmen können. In einem späteren Capitel werden wir einen streng parallelen Fall anführen, nämlich die Verkümmerung oder das vollständige Verschwinden der Eckzähne bei männlichen Wiederkäuern, welches allem Anscheine nach zu der Entwickelung ihrer Hörner in Beziehung steht, ebenso bei Pferden, wo jene Verkümmerung mit dem [69] Gebrauch in Bezug steht, mit den Schneidezähnen und Hufen zu kämpfen.

Wie Rütimeier[77] und Andere behauptet haben, ist bei den erwachsenen Männchen der anthropomorphen Affen entschieden die Wirkung der Kiefermuskeln, welche bei ihrer bedeutenden Entwickelung auf den Schädel derselben ausgeübt worden ist, die Ursache gewesen, weshalb dieser letztere in so vielen Beziehungen so beträchtlich von dem des Menschen abweicht und „eine wirklich schreckenerregende Physiognomie“ erhalten hat. In dem Maasse also, als die Kinnladen und Zähne bei den Vorfahren des Menschen allmählich an Grösse reducirt wurden, wird auch der erwachsene Schädel nahezu dieselben Charactere dargeboten haben, welche er bei den Jungen der anthropomorphen Affen darbietet, und wird hierdurch sich immer mehr dem des jetzt lebenden Menschen ähnlich gestaltet haben. Eine bedeutende Verkümmerung der Eckzähne bei den Männchen wird fast sicher, wie wir später noch sehen werden, in Folge der Vererbung auch die Zähne der Weibchen beeinflusst haben.

Wie die verschiedenen geistigen Fähigkeiten nach und nach sich entwickelt haben, wird auch das Gehirn beinahe mit Sicherheit grösser geworden sein. Ich denke, wohl Niemand zweifelt daran, dass die bedeutende Grösse des Gehirns des Menschen im Verhältniss zu seinem Körper und im Vergleich mit dem Gehirn des Gorilla oder Orang, in enger Beziehung zu seinen höheren geistigen Kräften steht. Streng analogen Thatsachen begegnen wir bei Insecten; so sind unter Anderem die Kopfganglien bei den Ameisen von ausserordentlichen Dimensionen, während diese Ganglien überhaupt bei allen Hymenoptern viele Male grösser sind als bei den weniger intelligenten Ordnungen, wie z. B. bei den Käfern.[78] Auf der andern Seite denkt Niemand daran, dass der Intellect irgend zweier Thiere oder irgend zweier Menschen genau durch den cubischen Inhalt ihrer Schädel gemessen werden kann. Es ist sogar sicher, dass eine ausserordentliche geistige Thätigkeit bei einer äusserst kleinen absoluten Masse von Nervensubstanz existiren kann. [70] So sind ja die wunderbaren verschiedenen Instincte, geistigen Kräfte und Affecte der Ameisen allgemein bekannt, und doch sind ihre Kopfganglien nicht so gross als das Viertel eines kleinen Stecknadelkopfs. Von diesem letzteren Gesichtspunkte aus ist das Gehirn einer Ameise das wunderbarste Substanzatom in der Welt und vielleicht noch wunderbarer als das Gehirn des Menschen.

Die Annahme, dass beim Menschen irgend eine enge Beziehung zwischen der Grösse des Gehirns und der Entwickelung der intellectuellen Fähigkeiten besteht, wird durch die Vergleichung von Schädeln wilder und civilisirter Rassen, alter und moderner Völker und durch die Analogie der ganzen Wirbelthierreihe unterstützt. Dr. J. Barnard Davis hat durch viele sorgfältige Messungen nachgewiesen,[79] dass die mittlere Schädelcapacität bei Europäern 92,3 Cubikzoll, bei Americanern 87,5, bei Asiaten 87,1 und bei Australiern nur 81,9 beträgt. Professor Broca[80] hat gefunden, dass Schädel aus Gräbern in Paris vom neunzehnten Jahrhundert gegen solche aus Gräbern des zwölften Jahrhunderts in dem Verhältniss von 1484 : 1426 grösser waren, und dass die durch Messungen ermittelte Zunahme der Grösse ausschliesslich den Stirntheil des Schädels betraf, — den Sitz der intellectuellen Fähigkeiten. Auch Prichard ist überzeugt, dass die jetzigen Bewohner Grossbritanniens „viel geräumigere Hirnkapseln“ haben als die alten Einwohner. Nichtsdestoweniger muss zugegeben werden, dass einige Schädel von sehr hohem Alter, wie z. B. der berühmte Neanderthalschädel, sehr gut entwickelt und geräumig sind.[81] In Bezug auf die niederen Thiere ist Mr. Lartet[82] durch Vergleichung der Schädel tertiärer und jetzt lebender Säugethiere, welche zu denselben Gruppen [71] gehören, zu dem merkwürdigen Schlusse gelangt, dass in den neueren Formen das Gehirn allgemein grösser und die Windungen complicirter sind. Auf der andern Seite habe ich gezeigt, [83] dass die Gehirne domesticirter Kaninchen an Grösse beträchtlich reducirt sind, verglichen mit denen des wilden Kaninchens oder des Hasen; und dies mag dem Umstand zugeschrieben werden, dass sie viele Generationen hindurch in enger Gefangenschaft gehalten wurden, so dass sie ihren Intellect, ihren Instinct, ihre Sinne und ihre willkührlichen Bewegungen nur wenig ausgeübt haben.

Die allmähliche Gewichtszunahme des Gehirns und Schädels beim Menschen muss die Entwickelung der jene tragenden Wirbelsäule, und ganz besonders zu der Zeit beeinflusst haben, als er anfieng, aufrecht zu gehen. Und in dem Maasse, als diese Veränderung der Lage allmählich zu Stande kam, wird auch der innere Druck des Gehirns einen Einfluss auf die Form des Schädels geäussert haben; denn viele Thatsachen weisen nach, wie leicht der Schädel auf diese Weise afficirt wird. Ethnologen glauben, dass er durch die Form der Wiege modificirt wird, in welcher die kleinen Kinder schlafen. Habituelle Contractionen von Muskeln und eine Narbe nach einer schweren Verbrennung haben die Gesichtsknochen dauernd modificirt. Bei jungen Individuen, deren Köpfe in Folge einer Krankheit entweder nach der Seite oder nach rückwärts fixirt wurden, hat das eine Auge seine Stellung verändert und ist die Form des Schädels modificirt worden, und dies ist, wie es scheint, das Resultat davon, dass das Gehirn nun in einer andern Richtung drückte.[84] Ich habe gezeigt, dass bei langohrigen Kaninchen selbst eine so unbedeutende Ursache wie das Vorwärtshängen des einen Ohrs auf dieser Seite fast jeden einzelnen Knochen des Schädels nach vorn zieht, so dass die Knochen der beiden sich gegenüberliegenden Seiten sich nicht länger mehr genau entsprechen. Sollte endlich irgend ein Thier an allgemeiner Körpergrösse beträchtlich zu- oder abnehmen, ohne dass [72] die geistigen Kräfte sich irgendwie veränderten, oder sollten die geistigen Kräfte bedeutend vergrössert oder verringert werden, ohne dass irgend eine beträchtliche Aenderung in der Körpergrösse einträte, so würde beinahe gewiss die Form des Schädels verändert werden. Ich komme zu dieser Folgerung nach meinen Beobachtungen an domesticirten Kaninchen, von denen einige Arten sehr viel grösser geworden sind als das wilde Thier, während andere nahezu dieselbe Grösse behalten haben; in beiden Fällen aber ist das Gehirn im Verhältniss zur Grösse des Körpers beträchtlich kleiner geworden. Ich war nun anfangs sehr erstaunt, als ich fand, dass bei allen diesen Kaninchen der Schädel verlängert oder dolichocephal geworden war; so war z. B. von zwei Schädeln ziemlich derselben Breite, — der eine von einem wilden Kaninchen, der andere von einer grossen domesticirten Form, — der erstere nur 3,15, der letztere 4,3 Zoll lang.[85] Eine der ausgesprochensten Verschiedenheiten bei den verschiedenen Menschenrassen ist die, dass der Schädel bei den einen verlängert, bei den andern abgerundet ist; und hier mag die aus dem Falle mit dem Kaninchen sich ergebende Erklärung zum Theil wohl gelten; denn Welcker findet, dass „kleine Menschen mehr zur Brachycephalie, grosse mehr zur Dolichocephalie neigen“;[86] und grosse Leute lassen sich wohl mit den grösseren Kaninchen mit längerem Kopfe vergleichen, welche sämmtlich verlängerte Schädel haben oder dolichocephal sind.

Nach diesen verschiedenen Thatsachen können wir bis zu einem gewissen Punkte die Mittel erkennen, durch welche der Mensch die beträchtliche Grösse und die mehr oder weniger abgerundete Form seines Schädels erlangt hat; und dies sind gerade Merkmale, welche ihm in einer ausgezeichneten Weise, zum Unterschiede von den niederen Thieren, eigen sind.

Eine andere äusserst auffällige Verschiedenheit zwischen dem Menschen und den niederen Thieren ist die Nacktheit seiner Haut. Walfische und Delphine (Cetacea), Dugongs (Sirenia) und der Hippopotamus sind nackt. Dies mag für dieselben beim Gleiten durch das Wasser von Vortheil sein; auch wird es kaum wegen des Wärmeverlusts von Nachtheil für sie sein, da diejenigen Arten unter ihnen, welche kältere [73] Gegenden bewohnen, von einer dicken Schicht von Thran umgeben sind, welche demselben Zwecke dient, wie der Pelz der Seehunde und Ottern. Elephanten und Rhinocerosse sind fast haarlos, und da gewisse ausgestorbene Arten, welche einstmals unter einem arctischen Clima lebten, mit langen Haaren oder Wolle bedeckt waren, so dürfte es fast scheinen, als wenn die jetzt lebenden Arten beider Gattungen ihre Haarbedeckung dadurch verloren hätten, dass sie lange Zeit der Hitze ausgesetzt waren. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als diejenigen Elephanten in Indien, welche in höher gelegenen und kälteren Districten leben, mehr Haare haben[87] als die in den Niederungen. Dürfen wir dann wohl schliessen, dass der Mensch von Haaren entblösst wurde, weil er ursprünglich irgend ein tropisches Land bewohnt hat? Die Thatsache, dass er Haare hauptsächlich im männlichen Geschlecht an der Brust und im Gesicht, und in beiden Geschlechtern an der Verbindung aller vier Gliedmaassen mit dem Rumpfe behalten hat, begünstigt jene Folgerung, unter der Annahme freilich, dass das Haar verloren wurde, ehe der Mensch die aufrechte Stellung erlangt hatte; denn die Theile, welche jetzt die meisten Haare behalten haben, würden dann am meisten gegen die Hitze der Sonne geschützt gewesen sein. Die Schädelhöhe bildet indess eine merkwürdige Ausnahme dar; denn zu allen Zeiten muss sie einer der am meisten exponirten Theile gewesen sein, und doch ist sie dicht mit Haaren bedeckt. Die Thatsache indessen, dass die andern Glieder der Ordnung der Primaten, zu welcher der Mensch gehört, trotzdem sie verschiedene heisse Gegenden bewohnen, doch mit Haaren, und zwar im Allgemeinen auf der oberen Fläche am dichtesten,[88] bekleidet sind, steht mit der Annahme in Widerspruch, dass der Mensch in Folge der Einwirkung der Sonne nackt wurde. Mr. Belt ist der Ansicht,[89] dass es innerhalb der Tropen [74] für den Menschen ein Vortheil sei, von Haaren entblösst zu sein, da er dadurch in den Stand gesetzt wird, sich von der Menge Zecken (Acari) und andren Parasiten zu befreien, von denen er oft heimgesucht wird und welche häufig Verschwärungen veranlassen. Ob aber dieser Nachtheil hinreichend gross ist, um zum Nacktwerden des Körpers durch natürliche Zuchtwahl zu führen, dürfte bezweifelt werden, da keines der vielen die Tropen bewohnenden Säugethiere, so viel mir bekannt ist, irgend ein specielles Erleichterungsmittel erlangt hat. Die Ansicht, welche mir die wahrscheinlichste zu sein scheint, ist die, dass der Mensch oder vielmehr ursprünglich die Frau, wie ich in den Capiteln über geschlechtliche Zuchtwahl noch weiter zeigen werde, ihr Haarkleid zu ornamentalen Zwecken verlor; und nach dieser Annahme ist es durchaus nicht überraschend, dass der Mensch in Bezug auf das Behaartsein von allen übrigen Primaten so beträchtlich abweicht. Denn durch die geschlechtliche Zuchtwahl erlangte Charactere weichen oft bei nahe mit einander verwandten Formen in einem ausserordentlichen Grade von einander ab.

Nach einer populären Ansicht ist die Abwesenheit des Schwanzes ein vorwiegend unterscheidendes Merkmal des Menschen; da aber diejenigen Affen, welche dem Menschen am nächsten stehen, gleichfalls dies Organ nicht besitzen, so betrifft dessen Verschwinden nicht den Menschen allein. Seine Länge ist zuweilen bei Species einer und derselben Gattung merkwürdig verschieden; so ist er bei einigen Arten von Macacus länger als der ganze Körper und besteht aus vierundzwanzig Wirbeln; bei anderen existirt er nur als ein kaum sichtbarer Stumpf und enthält nur drei oder vier Wirbel. Bei einigen Arten von Pavianen sind fünfundzwanzig Schwanzwirbel vorhanden, während beim Mandrill nur zehn sehr kleine abgestutzte Wirbel und nach Cuvier's Angabe[90] zuweilen nur fünf solche vorhanden sind. Der Schwanz läuft beinahe immer nach dem Ende hin spitz zu, mag er nun kurz oder lang sein, und ich vermuthe, dass dies ein Resultat der durch Nichtgebrauch eintretenden Atrophie der terminalen Muskeln in Verbindung [75] mit der der Arterien und Nerven ist, welche zuletzt zu einer Atrophie der endständigen Knochen führt. Für jetzt kann aber die häufig vorkommende grosse Verschiedenheit in der Länge des Schwanzes nicht erklärt werden. Es handelt sich indessen hier specieller um das völlige äusserliche Verschwinden des Schwanzes. Prof. Broca hat vor Kurzem gezeigt,[91] dass der Schwanz bei allen Säugethieren aus zwei, meist plötzlich von einander abgesetzten Theilen besteht; der basale Theil besteht aus mehr oder weniger vollkommen mit Canälen versehenen und Fortsätze gleich gewöhnlichen Wirbeln besitzenden Wirbeln, während die des terminalen Theils keine Canäle haben, beinahe glatt und echten Wirbeln kaum ähnlich sind. Ein, wenn auch nicht äusserlich sichtbarer Schwanz ist beim Menschen und den anthropomorphen Affen wirklich vorhanden und ist bei beiden nach demselben Typus gebaut. Im terminalen Theil sind die das Os coccygis bildenden Wirbel völlig rudimentär, an Grösse und Zahl verkümmert. In dem basalen Theil finden sich auch nur wenig Wirbel, sie sind fest mit einander verbunden und in ihrer Entwickelung gehemmt; sie sind aber viel breiter und platter geworden als die entsprechenden Wirbel im Schwanze anderer Thiere; sie bilden das, was Broca die accessorischen Kreuzbeinwirbel nennt. Diese sind von functioneller Bedeutung, sie haben gewisse innere Theile zu stützen und so fort; ihre Modification steht in directem Zusammenhange mit der aufrechten oder halbaufrechten Stellung des Menschen und der anthropomorphen Affen. Diese Folgerung ist um so vertrauenswürdiger, als Broca früher einer andern Ansicht war, die er jetzt aufgegeben hat. Die Modification der basalen Schwanzwirbel beim Menschen und bei den höheren Affen dürfte daher direct oder indirect durch natürliche Zuchtwahl bewirkt worden sein.

Was sollen wir aber von den rudimentären und variabeln Wirbeln des terminalen Theils des Schwanzes sagen, welche das Os coccygis bilden? Eine Idee, welche schon oft lächerlich gemacht worden ist und es ohne Zweifel wieder werden wird, dass nämlich Reibung mit dem Verschwinden des äusseren Theils des Schwanzes etwas zu thun gehabt hat, ist doch nicht so lächerlich, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Dr. Anderson gibt an,[92] dass der ausserordentlich kurze Schwanz des Macacus brunneus von elf Wirbeln, mit Einschluss der [76] eingesenkten basalen, gebildet wird. Das Ende ist sehnig und enthält keine Wirbel; auf dies folgen fünf rudimentäre und so kleine Wirbel, dass sie zusammengenommen nur anderthalb Linien lang sind; sie sind beständig in der Form eines Hakens nach einer Seite gebogen. Der nur ein wenig mehr als einen Zoll lange freie Theil des Schwanzes enthält nur vier weitere kleine Wirbel. Dieser kurze Schwanz wird aufrecht getragen; aber ungefähr ein Viertel der Gesammtlänge ist nach links hin auf sich zurückgebogen; dieser terminale Theil, welcher die hakenförmige Partie enthält, dient dazu, „die Lücke zwischen dem obern auseinanderweichenden Theil der Gesässschwielen auszufüllen“, das Thier sitzt daher auf ihm und macht ihn rauh und schwielig. Dr. Anderson fasst seine Beobachtungen folgendermassen zusammen: „Diese „Thatsachen scheinen mir nur eine Erklärung zuzulassen. Wegen seiner geringen Länge ist dieser Schwanz dem Affen im Wege, wenn er sich niedersetzt, und wird in dieser Stellung häufig unter das Thier gesteckt. Wegen des Umstandes, dass er nicht bis über das Ende der Sitzhöcker reicht, scheint es, als wäre der Schwanz mit Willen des Thieres in den Zwischenraum zwischen den Gesässschwielen hineingebogen worden, um zu vermeiden, zwischen diesen und dem Boden gedrückt zu werden, und als wäre die Krümmung mit der Zeit bleibend geworden, sich von selbst einfügend, wenn das Thier zufällig auf den Schwanz zu sitzen kam“. Unter diesen Umständen ist es nicht überraschend, dass die Oberfläche des Schwanzes rauh und schwielig geworden ist; Dr. Murie,[93] welcher diese Art und drei andre, nahe verwandte Arten mit unbedeutend längerem Schwanze im zoologischen Garten sorgfältig beobachtet hat, sagt, dass wenn sich das Thier setzt, „der Schwanz nothwendigerweise auf eine Seite des Gesässes gesteckt wird; und mag er kurz oder lang sein, die Wurzel ist immer dem ausgesetzt, abgerieben oder gestutzt zu werden“. Da wir nun dafür »Beweise haben, dass Verstümmelungen gelegentlich vererbt werden,[94] [77] so ist es nicht sehr unwahrscheinlich, dass bei kurzschwänzigen Affen der vorspringende, functionell nutzlose Theil des Schwanzes nach vielen Generationen rudimentär und verdreht worden ist, weil er beständig gerieben und verdrückt wurde. Wir sehen beim Macacus brunneus den vorspringenden Theil in diesem Zustand und beim M. ecaudatus und mehreren höheren Affen vollständig abortirt. So weit wir es beurtheilen können, ist dann schliesslich der Schwanz beim Menschen und bei den anthropomorphen Affen in Folge davon verschwunden, dass der terminale Theil eine sehr lange Zeit hindurch durch Reibung beschädigt wurde, während der basale, in der Haut eingebettete Theil reducirt und modificirt wurde, um sich der aufrechten oder halbaufrechten Stellung anzupassen.

Ich habe nun zu zeigen versucht, dass einige der unterscheidendsten Merkmale des Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach entweder direct oder, und zwar häufiger, indirect durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Wir müssen im Auge behalten, dass Modificationen in der Bildung oder der Constitution, welche für einen Organismus zur Anpassung an Lebensgewohnheiten oder an die von ihm verzehrte Nahrung oder passiv an die ihn umgebenden Bedingungen von keinem Nutzen sind, auf diese Weise nicht erlangt werden können. Wir dürfen indessen bei der Entscheidung, welche Modificationen für jedes Wesen von Nutzen sind, nicht zu sicher sein; wir müssen uns daran erinnern, wie wenig wir über den Gebrauch vieler Theile wissen oder was für Veränderungen im Blute oder den Geweben einen Organismus für ein neues Clima oder irgend eine neue Art von Nahrung geeignet zu machen dienen können. Auch dürfen wir das Princip der Correlation nicht vergessen, durch welches, wie Isidore Geoffroy in Bezug auf den Menschen gezeigt hat, viele fremdartige Bildungsabweichungen unter einander verbunden werden. Unabhängig von der Correlation führt eine Veränderung in einem Theile oft in Folge des vermehrten oder verminderten Gebrauchs andrer Theile zu andern Veränderungen einer vollständig unerwarteten Art. Auch ist es gut sich solcher Thatsachen zu erinnern wie des wunderbaren Wachsthums von Gallen auf Pflanzen, welches das Gift eines Insects veranlasste, und der merkwürdigen Farbenveränderungen im Gefieder von Papageien, wenn sie sich von gewissen

[78] Fischen ernähren oder wenn ihnen das Gift von Kröten eingeimpft wird.[95] Denn wir sehen hieraus, dass die Körperflüssigkeiten, wenn sie zu irgend einem bestimmten Zweck geändert werden, andre merkwürdige Veränderungen herbeiführen können. Ganz besonders müssen wir im Auge behalten, dass Modifikationen, welche im Verlaufe vergangener Zeiten zu irgend einem nützlichen Zweck erlangt und beständig gebraucht worden sind, wahrscheinlich sicher fixirt und schon lange vererbt worden sind.

Man kann daher den directen und indirecten Resultaten natürlicher Zuchtwahl eine sehr beträchtliche, wennschon unbestimmte, Ausdehnung geben; doch gebe ich jetzt, nachdem ich die Abhandlung von Nägeli über die Pflanzen und die Bemerkungen verschiedener Schriftsteller, besonders die neuerdings von Prof. Broca in Bezug auf die Thiere geäusserten, gelesen habe, zu, dass ich in den früheren Ausgaben meiner Entstehung der Arten wahrscheinlich der Wirkung der natürlichen Zuchtwahl oder des Ueberlebens des Passendsten zu viel zugeschrieben habe. Ich habe die fünfte Ausgabe der „Entstehung“ dahin geändert, dass ich meine Bemerkungen nur auf die adaptiven Veränderungen des Körperbaus beschränkte; ich bin aber nach den Aufklärungen, die wir selbst in den letzten wenigen Jahren erhalten haben, überzeugt, dass sehr viele Bildungen, die uns jetzt nutzlos zu sein scheinen, sich später als nützlich erweisen und daher unter die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl fallen werden. Nichtsdestoweniger hatte ich früher die Existenz vieler Structurverhältnisse nicht hinreichend beachtet, welche, soweit wir es für jetzt beurtheilen können, weder wohlthätig noch schädlich zu sein scheinen; und ich glaube, dies ist eines der grössten Versehen, welches ich bis jetzt in meinem Werke entdeckt habe. Es mag mir als Entschuldigung zu sagen gestattet sein, dass ich zwei bestimmte Absichten vor Augen hatte, erstlich, zu zeigen, dass Species nicht einzeln geschaffen worden sind, und zweitens, dass natürliche Zuchtwahl das bei der Veränderung hauptsächlich Wirksame war, wenn sie auch in grossem Maasse durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs und in geringerem Maasse durch die directe Wirkung der umgebenden Bedingungen unterstützt würde. Indessen bin ich nicht im Stande gewesen, den Einfluss meines früheren und damals sehr verbreiteten Glaubens, dass jede Species absichtlich [79] erschaffen worden sei, vollständig zu beseitigen, und dies führte mich zu der stillschweigenden Annahme, dass jedes einzelne Structurdetail, mit Ausnahme der Rudimente, von irgendwelchem speciellen, wenn auch unerkannten Nutzen sei. Mit dieser Annahme im Sinne würde wohl ganz natürlich Jedermann die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl, sei es während früherer oder jetziger Zeiten, zu hoch anschlagen. Einige von Denen, welche das Princip der Evolution annehmen, aber natürliche Zuchtwahl verwerfen, scheinen zu vergessen, während sie mein Buch kritisiren, dass ich die beiden eben erwähnten Absichten vor Augen hatte. Wenn ich daher auch darin geirrt haben sollte, dass ich der natürlichen Zuchtwahl eine grosse Kraft zuschrieb, was ich aber durchaus nicht zugebe, oder dass ich ihren Einfluss übertrieben hätte, was an sich wahrscheinlich ist, so habe ich, wie ich hoffe, wenigstens dadurch etwas Gutes gestiftet, dass ich beigetragen habe, das Dogma einzelner Schöpfungen umzustossen.

Dass alle organischen Wesen mit Einschluss des Menschen viele Modifikationen des Körperbaus darbieten, welche für dieselben weder jetzt von irgend einem Nutzen sind, noch es früher gewesen sind und daher keine physiologische Bedeutung haben, ist, soviel ich jetzt erkennen kann, wahrscheinlich. Wir wissen nicht, was die zahllosen unbedeutenden Verschiedenheiten zwischen den Individuen einer jeden Species hervorbringt; denn der Rückschlag verlegt das Problem nur wenige Schritte rückwärts; und doch muss jede Eigenthümlichkeit ihre eigene wirksame Ursache gehabt haben. Sollten diese Ursachen, welcher Art sie auch gewesen sein mögen, gleichförmiger und energischer längere Zeit hindurch wirken (und es lässt sich kein Grund dafür annehmen, warum dies nicht zuweilen eintreten sollte), so würde das Resultat das Auftreten nicht bloss einer unbedeutenden individuellen Verschiedenheit, sondern einer scharf markirten, constanten Modifikation sein, wenn auch eine Modifikation ohne physiologische Bedeutung. Structurveränderungen nun, welche in keiner Weise wohlthätig sind, können durch natürliche Zuchtwahl nicht gleichförmig gehalten werden, wennschon alle solche, welche nachtheilig sind, durch dieselbe werden beseitigt werden. Indessen würde Gleichförmigkeit der Charactere natürliche Folge der angenommenen Gleichförmigkeit der anregenden Ursachen sein, wie auch in gleicher Weise Folge der ungehinderten Kreuzung vieler Individuen. Derselbe Organismus kann daher auf diese Weise im Verlauf aufeinanderfolgender Zeiträume nach [80] einander mehrere Modifikationen erlangen, und diese werden in einem nahezu gleichförmigen Zustande überliefert werden, so lange die anregenden Ursachen dieselben bleiben und freie Kreuzung eintreten kann. In Bezug auf diese anregenden Ursachen können wir hier, ebenso wie bei Besprechung der sogenannten spontanen Abänderungen, nur sagen, dass sie in einer viel innigeren Beziehung zu der Constitution des abändernden Organismus als zu den Naturbedingungen, denen jener ausgesetzt war, stehen.

Schluss. — Wir haben in diesem Capitel gesehen, dass in derselben Weise, wie der Mensch heutzutage so wie jedes andere Thier verschiedenartigen individuellen Verschiedenheiten oder unbedeutenden Abänderungen ausgesetzt ist, auch ohne Zweifel die früheren Urerzeuger des Menschen es waren. Die Abänderungen waren damals, wie sie es jetzt sind, Folgen derselben allgemeinen Ursachen und unterlagen denselben allgemeinen und complicirten Gesetzen. Wie alle Thiere sich über die Grenzen ihrer Subsistenzmittel hinaus zu vervielfältigen streben, so muss dies auch mit den Urerzeugern des Menschen der Fall gewesen sein, und dies wird unvermeidlich zu einem Kampfe um's Dasein und zu natürlicher Zuchtwahl geführt haben. Dieser letztere Vorgang wird in grossem Maasse durch die vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs der Theile unterstützt worden sein, und beide Vorgänge werden unablässig gegenseitig auf einander zurückwirken. Es scheint auch, wie wir hernach noch sehen werden, dass verschiedene bedeutungslose Charactere vom Menschen durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Ein noch unerklärter Rest von Veränderungen muss der Annahme einer gleichförmigen Wirkung jener unbekannten Einflüsse überlassen bleiben, welche gelegentlich scharf gezeichnete und plötzlich auftretende Abweichungen des Baus bei unsern domesticirten Erzeugnissen hervorbringen.

Nach den Gewohnheiten der Wilden und der grösseren Zahl der Quadrumanen zu urtheilen, lebte der Urmensch und selbst die affenähnlichen Urerzeuger des Menschen wahrscheinlich gesellig. Bei im strengen Sinne socialen Thieren wirkt natürliche Zuchtwahl zuweilen indirect auf das Individuum durch die Erhaltung von Abänderungen, welche der Genossenschaft wohlthätig sind. Eine Genossenschaft, welche eine grosse Anzahl gut angelegter Individuen umfasst, nimmt an Zahl zu und besiegt andere und weniger gut begabte Gesellschaften, wennschon [81] jedes einzelne Glied über die anderen Glieder derselben Gesellschaft keinen Vortheil erlangen mag. Bei gesellig lebenden Insecten sind viele merkwürdige Bildungs-Eigenthümlichkeiten, welche dem Individuum von geringem oder gar keinem Nutzen sind, wie z. B. der pollensammelnde Apparat oder der Stachel der Arbeiterbienen oder die grossen Kiefer der Soldatenameisen, erlangt worden. Von den höheren gesellig lebenden Thieren ist mir nicht bekannt, dass irgendwelche Bildungs-Eigenthümlichkeit nur zum Besten der ganzen Gesellschaft modificirt worden wäre, wenn auch einige für dieselbe von secundärem Nutzen sind. So scheinen z. B. die Hörner der Wiederkäuer und die grossen Eckzähne der Paviane von den Männchen als Waffen für den geschlechtlichen Kampf erlangt worden zu sein, sie werden aber auch zur Vertheidigung der Heerde oder Truppe benutzt. Was gewisse geistige Fähigkeiten betrifft, so liegt der Fall, wie wir im fünften Capitel sehen werden, gänzlich verschieden; denn diese Fähigkeiten sind hauptsächlich oder selbst ausschliesslich zum Nutzen der Gesellschaft erlangt worden, wobei die Individuen, welche die Gesellschaft zusammensetzen, zu derselben Zeit indirect eine Begünstigung erfahren haben.

Den im Vorstehenden entwickelten Ansichten ist oft entgegengehalten worden, dass der Mensch eines der hülflosesten und vertheidigungslosesten Geschöpfe in der Welt ist, und dass er während seines frühen und weniger gut entwickelten Zustandes noch hülfloser gewesen sein wird. Der Herzog von Argyll[96] behauptet z. B., „dass der menschliche Körperbau von der Bildung der Thiere in einer Richtung grosser physischer Hülflosigkeit und Schwäche abgewichen ist; d. h. es ist eine Divergenz eingetreten, welche von allen Uebrigen am unmöglichsten blosser natürlicher Zuchtwahl zugeschrieben werden kann“. Er führt an: den nackten und unbeschützten Zustand des Körpers, das Fehlen grosser Zähne oder Krallen zur Vertheidigung, die geringe Körperkraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit im Rennen und seine geringe Fähigkeit, durch den Geruchssinn Nahrung zu finden oder Gefahren zu vermeiden. Diesen Mangelhaftigkeiten hätte sich noch der noch bedenklichere Verlust der Fähigkeit, schnell Bäume zu erklettern und dadurch vor Feinden zu entfliehen, hinzufügen lassen. Der Verlust des Haarkleides wird für die Bewohner eines warmen Landes keine grosse [82] Schädigung gewesen sein. Wir sehn ja, dass die unbekleideten Feuerländer in ihrem schauerlichen Clima existiren können. Wenn man den vertheidigungslosen Zustand des Menschen mit dem der Affen vergleicht, von denen viele mit fürchterlichen Eckzähnen ausgerüstet sind, so müssen wir uns daran erinnern, dass im völlig entwickelten Zustande nur die Männchen solche besitzen, indem sie sie hauptsächlich zum Kampf mit ihren Nebenbuhlern brauchen; und doch sind die Weibchen, welche nicht damit versehen sind, völlig im Stande, leben zu bleiben.

In Bezug auf die körperliche Grösse oder Kraft wissen wir nicht, ob der Mensch von irgend einer vergleichsweise kleinen Art, wie der Schimpanse, abstammt oder von einer so mächtigen wie der Gorilla, und wir können daher auch nicht sagen, ob der Mensch grösser und stärker oder kleiner und schwächer im Vergleich zu seinen Urerzeugern geworden ist. Wir müssen indess im Auge behalten, dass ein Thier, welches bedeutende Grösse, Kraft und Wildheit besitzt und welches, wie der Gorilla, sich gegen alle Feinde vertheidigen kann, wahrscheinlich nicht social geworden sein wird, und dies würde in äusserst wirksamer Weise die Entwickelung jener höheren geistigen Eigenschaften beim Menschen, wie Sympathie und Liebe zu seinen Mitgeschöpfen, gehemmt haben. Es dürfte daher von einem unendlichen Vortheil für den Menschen gewesen sein, von irgend einer verhältnissmässig schwachen Form abgestammt zu sein.

Die geringe körperliche Kraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit, der Mangel natürlicher Waffen u. s. w. werden mehr als ausgeglichen erstens durch seine intellectuellen Kräfte, durch welche er sich, während er noch im Zustande der Barbarei verblieb, Waffen, Werkzeuge u. s. w. formen lernte, und zweitens durch seine socialen Eigenschaften, welche ihn dazu führten, seinen Mitmenschen Hülfe angedeihen zu lassen und solche wiederum von ihnen zu empfangen. Kein Land auf der Erde ist in einem grösseren Grade so dicht mit gefährlichen Thieren erfüllt als Südafrica, kein Land bietet fürchterlichere Leidensquellen dar als die arctischen Gegenden, und doch behauptet sich eine der schwächsten Rassen, nämlich die Buschmänner, in Südafrica ebenso wie es die zwergischen Eskimo's in den arctischen Gegenden thun. Die Vorfahren des Menschen kamen ohne Zweifel an Intellect und wahrscheinlich an socialen Anlagen den niedrigsten jetzt existirenden Wilden nicht gleich; es ist aber völlig gut einzusehen, dass sie existirt und sogar geblüht haben können, wenn sie an intellectueller Ausbildung [83] gewannen, zu derselben Zeit als sie allmählich ihre thierähnlichen Fähigkeiten, wie die des Kletterns auf Bäumen u. s. w. verloren. Aber selbst wenn diese Vorfahren des Menschen bei Weitem hülfloser und vertheidigungsloser waren als irgendwelche jetzt existirende Wilde: sobald sie irgend einen warmen Continent oder eine grosse Insel, wie Australien oder Neuguinea oder Borneo bewohnten (die letztere Insel bewohnt jetzt der Orang), so würden sie keiner besonderen Gefahr ausgesetzt gewesen sein. Auf einem Bezirk, welcher so gross wie einer der genannten ist, würde die aus der Concurrenz zwischen den einzelnen Stämmen folgende natürliche Zuchtwahl in Verbindung mit den vererbten Wirkungen der Gewohnheit hinreichend gewesen sein, um unter günstigen Bedingungen den Menschen auf seine jetzige hohe Stellung in der Reihe der Organismen zu erheben.


  1. Investigations in Military and Anthropological Statistics of American Soldiers by B. A. Gould. 1869, p. 256.
  2. In Bezug auf die Schädelform der Eingeborenen von Nord-Amerika s. Dr. Aitken Meigs in: Proceed. Acad. Natur. Sc. Philadelphia. May 1866. Ueber die Australier s. Huxley in Lyell, Alter des Menschengeschlechts. 1863, S. 51. Ueber die Sandwichsinsulaner: Prof. J. Wyman, Observations on Crania. Boston, 1868, p. 18.
  3. Anatomy of the Arteries von R. Quain. Vorrede, Vol. I. 1844.
  4. Transact. Roy. Soc. Edinburgh. Vol. XXIV. p. 175, 189.
  5. Proceed. Roy. Soc. 1867, p. 544, auch 1868, p. 483, 524; ebenso ein früherer Aufsatz 1866. p. 229.
  6. Proceed. Roy. Irish Academy. Vol. X. 1868, p. 141.
  7. Acta Acad. Petropolit. 1778. Ps. II. p. 217.
  8. Brehm, Thierleben, Bd. 1, S. 58, 78. Rengger, Säugethiere von Paraguay. S. 57.
  9. Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, Cap. 12.
  10. Hereditary Genius; an Inquiry into its Laws and Consequences. 1869.
  11. Mr. Bates bemerkt (The Naturalist on the Amazons. 1863. Vol. II, p. 159) in Bezug auf die Indianer eines und desselben südamerikanischen Stammes: „nicht zwei von ihnen waren in der Form des Kopfes einander überhaupt ähnlich; der eine hatte ein ovales Gesicht mit schönen Zügen, ein anderer war völlig mongolisch in der Breite und dem Vorspringen der Backen, der Oeffnung der Nasenlöcher und der Schiefheit der Augen.“
  12. Blumenbach, Treatises on Anthropology, engl. Uebers. 1865, p. 205.
  13. Mitford, History of Greece, Vol. I, p. 282. Aus einer Stelle in Xenophon's Memorabilien 2. Buch, 4., (auf welche mich Mr. J. N. Hoare aufmerksam gemacht hat) scheint hervorzugehen, dass es ein bei den Griechen geltender Grundsatz war, die Frauen mit Rücksicht auf die Gesundheit und Kraft ihrer Kinder zu wählen. Der griechische Dichter Theognis, welcher 500 v. Chr. lebte, erkannte deutlich, wie bedeutungsvoll die Zuchtwahl, wenn sie sorgfältig angewandt würde, für die Veredelung der Menschheit sein würde. Er sah auch, dass Reichthum häufig die gehörige Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl störte. Er schreibt so:
    Widder zur Zucht und Esel erspäh'n wir, Kyrnos, und edle
    Ross', und ein Jeglicher will solche von wack'rem Geschlecht
    Aufzieh'n; aber zu freien die schuftige Tochter des Schuftes.
    Kümmert den Edelen nicht, bringt sie nur Schätze zu ihm.
    Auch nicht weigert ein Weib sich, des Schufts Ehgattin zu werden,
    Ist er nur reich; weit vor zieht sie der Tugend das Geld.
    Schätze nur achtet man hoch. Mit dem Schufte versippt sich der Edle
    Und mit dem Edeln der Schuft: Habe vermischt das Geschlecht.
    (Darum wundre dich nicht, Polypädes, wenn in's Gemeine
    Sinket der Bürger Geschlecht, Edles mit Schuft'gem sich mengt.)
    Ob er nun selbst wohl weiss, dass ein Schurke von Vater sie zeugte,
    Führt er sie gleichwohl heim, weil der Besitz ihn verlockt:
    Er, der erlaucht, die Verrufne, dieweil die gewaltige Noth ihn
    Antreibt, welche des Manns Sinn, sich zu schicken, gewöhnt.
    (The Works of J. Hookham Frere, Vol. II, 1872. p. 334.)
  14. Godron, De l'espèce. 1859. Tom. II. Buch 3. Quatrefages, Unité de l'espèce humaine. 1861; auch die Vorlesungen über Anthropologie, mitgetheilt in der Revue des Cours Scientifique, 1866—68.
  15. Histoire génér. et partic. des Anomalies de l'Organisation. Tom. I. 1832.
  16. Ich habe diese Gesetze ausführlich in dem Buche „Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 2. Cap. 22 u.23 erörtert. J. P. Durand hat vor nicht langer Zeit (1868) eine werthvolle Abhandlung veröffentlicht: De l'Influence des Milieus etc. Er legt auf die Beschaffenheit des Bodens grosses Gewicht.
  17. Investigations in Military and Anthropological Statistics by B. A. Gould. 1869. p. 93, 107, 126, 131. 134.
  18. In Bezug auf Polynesier siehe Prichard, Physical History of Mankind. Vol. V. 1847, p. 145, 283; auch Godron, De l'espèce, Tom. II, p. 289. Es besteht auch eine merkwürdige Verschiedenheit in der äusseren Erscheinung zwischen den nahe verwandten Hindus des oberen Ganges und Bengalens, s. Elphinstone, History of India. Vol. I, p. 324.
  19. Memoirs Anthropolog. Soc. Vol. III. 1867—69, p. 561, 565, 567.
  20. Dr. Brakenridge, Theory of Diathesis, in: Medical Times, June, 19, und Juli, 17, 1869.
  21. Ich habe Gewährsmänner für diese verschiedenen Angaben angeführt in meinem „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 2, S. 340, 341. Dr. Jäger, über das Längenwachsthum der Knochen in der Jenaischen Zeitschrift. Bd. 5, Heft 1.
  22. Investigations etc. von B. A. Gould 1869, p. 288.
  23. Säugethiere von Paraguay. 1830, S. 4.
  24. History of Groenland. 1767, Vol. I, p. 230.
  25. Intermarriage by Alex. Walker. 1838, p. 377.
  26. Variiren der Thiere und Pflanzen. 2. Aufl. Bd. 1, S. 193.
  27. Principles of Biology. Vol. I. p. 455.
  28. Paget, Lectures on Surgical Pathology. Vol. I. 1853, p. 209
  29. Es ist eine eigenthümliche und unerwartete Thatsache, dass Seeleute den Festländern in Bezug auf die mittlere Grösse der deutlichen Sehweite nachstehen, Dr. B. A. Gould hat nachgewiesen, dass dies der Fall ist (Sanitary Memoire of the War of the Rebellion, 1869, p. 530); er erklärt es dadurch, dass bei Seeleuten die gewöhnliche Entfernung des Sehens „auf die Länge des Schiffes und die Höhe der Masten beschränkt ist“.
  30. Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 9.
  31. Säugethiere von Paraguay, S. 8, 10. Ich habe reichlich Gelegenheit gehabt, das ausserordentliche Sehvermögen der Feuerländer zu beobachten, s. auch Lawrence (Lectures on Physiology etc. 1822, p. 404) über denselben Gegenstand. Mr. Giraud-Teulon hat neuerdings (Revue des Cours scientifiques, 1870, p. 625) eine grosse und werthvolle Zahl von Beweisen gesammelt, welche zeigen, dass die Ursache der Kurzsichtigkeit „c'est le travail assidu, de près“.
  32. Prichard, Physic. Hist. of Mankind (nach der Autorität von Blumenbach). Vol. I. 1851, p. 311; die Angabe von Pallas ebenda. Vol. IV. 1844, p. 407.
  33. Citirt von Prichard, Researches into the phys. hist. of Mankind. Vol. V, p. 463.
  34. Mr. Forbes’ werthvolle Arbeit ist jetzt publicirt in: Journal of the Ethnological Soc. of London. New Ser. Vol. II. 1870, p. 193.
  35. Dr. Wilckens (Landwirthschaftliches Wochenblatt, No. 10, 1869) hat vor Kurzem eine interessante Abhandlung veröffentlicht, worin er zeigt, wie domesticirte Thiere, welche in bergigen Gegenden leben, einen modificirten Körperbau haben.
  36. Mémoire sur les Microcéphales. 1867, p. 50, 125, 169, 171, 184-198.
  37. Professor Laycock fasst die Charactere der thierähnlichen Idioten in der Art zusammen, dass er sie theroid nennt; Journal of Mental Science, July 1863. Dr. Scott (The Deaf and Dumb, 2. ed. 1870, p. 10) hat oft beobachtet, wie Geistesschwache ihre Nahrung beriechen s. über denselben Gegenstand und über das Behaartsein der Idioten: Dr. Maudsley, Body and Mind, 1870, p. 46—51. Auch Pinet hat ein auffallendes Beispiel von Behaartsein bei einem Blödsinnigen mitgetheilt.
  38. In meinem „Variiren der Thiere u. Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 2, S. 65 schrieb ich den nicht seltnen Fall von überzähligen Brustdrüsen bei Frauen dem Rückschlage zu. Ich war hierzu, als zu einem wahrscheinlichen Schlusse, dadurch geführt, dass die überzähligen Drüsen meist symmetrisch auf der Brust stehen, und besonders noch dadurch, dass in einem Falle, bei der Tochter einer Frau mit überzähligen Brustdrüsen, eine einzelne fungirende Milchdrüse in der Weichengegend vorhanden war. Ich bemerke aber jetzt (s. z. B. Preyer, Der Kampf um’s Dasein, 1869, p. 45), dass mammae erraticae auch an andern Stellen vorkommen, so am Rücken, in der Achselhöhle und am Schenkel; die Drüsen gaben im letztern Falle so viel Milch, dass das Kind damit ernährt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass die überzähligen Milchdrüsen in Folge von Rückschlag erschienen, wird hierdurch bedeutend vermindert; nichtsdestoweniger erscheint mir dies noch immer wahrscheinlich, weil häufig zwei Paar symmetrisch auf der Brust gefunden werden: von mehreren Fällen dieser Art ist mir selbst Mittheilung geworden. Es ist bekannt, dass mehrere Lemure normal zwei Paar Milchdrüsen an der Brust haben. Es sind fünf Fälle vom Vorhandensein von mehr als einem Paare Brustdrüsen (natürlich rudimentären) beim männlichen Geschlecht (Mensch) mitgetheilt worden; s. Journal of Anat. and Physiology, 1872, p. 56, in Bezug auf einen von Dr. Handyside angeführten Fall von zwei Brüdern, welche diese Eigenthümlichkeit darboten; s. auch einen Aufsatz von Dr. Bartels in Reichert u. Dubois-Reymond’s Archiv, 1872, p. 304. In einem der von Dr. Bartels erwähnten Fälle besass ein Mann fünf Milchdrüsen, eine davon in der Mittellinie oberhalb des Nabels; Meckel von Hemsbach glaubt, dass dies durch das Vorkommen einer medianen Mamma bei gewissen Fledermäusen illustrirt wird. Im Ganzen dürfen wir wohl bezweifeln, ob sich in beiden Geschlechtern beim Menschen jemals überzählige Brustdrüsen überhaupt hätten entwickeln können, wenn nicht seine frühern Urerzeuger mit mehr als einem einzigen Paare versehen gewesen wären.
    In dem oben angeführten Werke (Bd. 2. S. 14) schrieb ich auch, wennschon mit grosser Zögerung, die häufigen Fälle von Polydactylismus beim Menschen dem Rückschlag zu. Zum Theil wurde ich durch die Angabe Prof. Owen’s, dass einige Ichthyopterygier mehr als fünf Finger haben und daher, wie ich annahm, einen ursprünglichen Zustand beibehalten haben, zu dieser Erklärung veranlasst; Prof. Gegenbaur bestreitet indess Owen’s Folgerungen (Jenaische Zeitschrift Bd. 5, Hft. 3, S. 341). Es scheint aber andrerseits nach der vor Kurzem von Dr. Günther über die Flosse des Ceratodus vorgetragenen Ansicht (welche Flosse zu beiden Seiten einer centralen Reihe von Knochenstücken mit gegliederten knöchernen Strahlen versehen ist) nicht besonders schwierig, anzunehmen, dass sechs oder mehr Finger an der einen Seite, oder die doppelte Zahl an beiden Seiten, durch Rückschlag wiedererscheinen können. Dr. Zouteveen hat mir mitgetheilt, dass ein Fall bekannt ist, wo ein Mann vierundzwanzig Finger und vierundzwanzig Zehen hatte! Zu der Folgerung, dass das Vorhandensein überzähliger Finger eine Folge des Rückschlags sei, wurde ich vorzüglich durch die Thatsache geführt, dass derartige Finger nicht bloss streng vererbt wurden, sondern auch, wie die normalen Finger niederer Wirbelthiere, das Vermögen haben, nach Amputationen wieder zu wachsen. Diese Thatsache des Wiederwachsens bleibt unerklärlich, wenn die Annahme eines Rückschlags zur Form eines äusserst weit zurückliegenden Vorfahren verworfen wird. Gehemmte Entwickelung und Rückschlag hängen innig mit einander zusammen; es wird daher der Glaube an Rückschlag im vorliegenden Falle durch das häufige, oder beinahe constante gleichzeitige Auftreten andrer Entwickelungshemmungen mit den überzähligen Fingern bestärkt, was Meckel und J. Geoffroy St. Hilaire betonen, so des gespaltnen Gaumens, zweihörnigen Uterus, des Cyklopenauges u. s. w. (s. hierüber M. A. Roujou, Types Primitifs des Mammifères, p. 61; und Bertillon, Valeur Phil. Hyp. du Transformisme). Andrerseits bietet die Thatsache, dass überzählige Finger häufig vorkommen, ohne dass irgend ein andres Organ afficirt ist, keinen gültigen Einwurf gegen die hier vertretene Ansicht dar; denn zahlreiche Fälle könnten angeführt werden, wo nur einzelne Charactere durch Rückschlag erscheinen. Im Ganzen kann ich nur glauben, dass die ursprünglich von mir vorgebrachte Ansicht schliesslich angenommen werden wird.
  39. s. Dr. A. Farre’s bekannten Artikel in der Cyclopaedia of Anatomy and Phys. Vol. V. 1859, p. 642. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III. 1868, p. 687. Prof. Turner, in: Edinburgh Medical Journal. Febr. 1865.
  40. Annuario della Soc. dei Naturalisti in Modena. 1867, p. 83. Prof. Canestrini gibt Auszüge aus verschiedenen Autoren über diesen Gegenstand. Laurillard bemerkt, dass er in der Form, den Proportionen und der Verbindung der beiden Wangenbeine bei mehreren menschlichen Körpern und gewissen Affen eine vollständige Aehnlichkeit gefunden habe und dass er diese Anordnung der Theile nicht als einen blossen Zufall zu betrachten vermöge. Einen andern Aufsatz über dieselbe Anomalie hat Dr. Saviotti in der „Gazetta delle Cliniche“, Turin, 1871, veröffentlicht, wo er angibt, dass sich Spuren der Theilung in ungefähr 2 % erwachsener Schädel nachweisen lassen; er bemerkt auch, dass sie häufiger in prognathen, nicht-arischen Schädeln vorkomme als in anderen, s. auch G. Delorenzi über denselben Gegenstand: „Tre nuovi casi d’anomalia dell’ osso malare", Torino, 1872. Auch E. Morselli, Sopra una rara anomalia dell’ osso malare. Modena, 1872. Noch neuerlicher hat Gruber eine Brochure über die Theilung dieses Knochens geschrieben. Ich führe diese Citate hier an, weil ein Kritiker ohne Grund und ohne Bedenken meine Angaben bezweifelt hat.
  41. Eine ganze Reihe von Fällen hat Isid. Geoffroy St. Hilaire mitgetheilt (Hist. des Anomalies, Tom. III, p. 437). Ein Kritiker (Journal of Anatomy and Physiology, 1871, p. 366) tadelt mich deshalb sehr, weil ich die zahlreichen in der Litteratur mitgetheilten Fälle von in ihrer Entwickelung gehemmten Organen nicht erörtert habe. Er sagt, dass meiner Theorie zufolge „jeder während der Entwickelung eines Organs durchlaufene Zustand nicht bloss Mittel zu einem Zwecke sei, sondern früher einmal selbst ein Zweck gewesen sei“. Dies scheint mir nicht nothwendig richtig zu sein. Warum sollen nicht während einer früheren Entwickelungsperiode Abänderungen auftreten können, welche zu Rückschlag in keiner Beziehung stehen? und doch können solche Abänderungen erhalten und gehäuft werden, wenn sie von irgend welchem Nutzen sind, z. B. wenn sie den Entwickelungsverlauf abkürzen und vereinfachen. Warum sollen nicht ferner nachtheilige Abnormitäten, wie atrophirte oder hypertrophirte Theile, welche in keinem Bezug zu einem früheren Existenzzustande stehen, ebenso gut zu einer früheren Entwickelungsperiode wie während der Reife auftreten können?
  42. Anatomy of Vertebrates. Vol. III. 1868, p. 323.
  43. Generelle Morphologie 1866. Bd. 2, S. CLV.
  44. C. Vogt, Vorlesungen über den Menschen. 1863. Bd. 1, S. 189, 190.
  45. C. Carter Blake, on a jaw from La Naulette. Anthropolog. Review, 1867, p. 295. Schaaffhausen, ibid. 1868, p. 426.
  46. The Anatomy of Expression. 1844, p. 110, 131.
  47. Citirt von Prof. Canestrini in dem Annuario etc. 1867, p. 90.
  48. Diese Aufsätze verdienen sämmtlich von allen denen sorgfältig studirt zu werden, welche kennen zu lernen wünschen, wie häufig unsere Muskeln variiren und wie sie bei diesen Abweichungen denen der Quadrumanen ähnlich werden. Die folgenden Citate beziehen sich auf die wenigen oben im Texte mitgetheilten Punkte: Proceed. Royal Soc. Vol. XIV. 1865, p. 379—384. Vol. XV. 1866, p. 241, 242. Vol. XV. 1867, p. 544. Vol. XVI. 1868, p. 524. Ich will hier noch hinzufügen, dass Murie und St. George Mivart in ihrer Arbeit über die Lemuriden gezeigt haben, wie ausserordentlich variabel einige Muskeln bei diesen Thieren, den niedersten Formen der Primaten, sind (Transact. Zoolog. Soc. Vol. VII. 1869, p. 96). Auch gradweise Abänderungen an den Muskeln, welche zu Bildungseigenthümlichkeiten führen, die noch niedriger stehenden Thieren eigen sind, finden sich zahlreich bei den Lemuriden.
  49. Prof. Macalister in: Proceed. Roy. Irish Academy. Vol. X, 1868, p. 124.
  50. Champneys in: Journal of Anatomy and Physiology. Nov. 1871. p. 178.
  51. Journal of Anat. and Physiol., May, 1872, p. 421.
  52. Macalister (ebend. p. 121) hat diese Beobachtungen in Tabellen gebracht und findet, dass Muskelvarietäten am allerhäufigsten am Vorderarm sind, dann kommt das Gesicht, dann der Fuss u. s. w.
  53. Dr. Haugthon theilt einen merkwürdigen Fall von Abweichung am menschlichen Flexor pollicis longus mit (Proceed. Roy. Irish Academy, June, 27; 1864, p. 715) und fügt hinzu: „Dieses merkwürdige Beispiel zeigt, dass der Mensch zuweilen diejenige Anordnung der Sehnen des Daumens und der übrigen Finger besitzen kann, welche für den Macacus characteristisch ist; ob man aber einen solchen Fall so beurtheilen solle, dass hier ein Macacus aufwärts in die menschliche Form, oder dass ein Mensch abwärts in die Macacus-Form übergehe, oder ob man darin ein angeborenes Naturspiel sehen darf, vermag ich nicht zu entscheiden". Es gewährt wohl Genugthuung, von einem so tüchtigen Anatomen und einem so erbitterten Gegner des Evolutionismus auch nur die Möglichkeit erwähnen zu hören, dass einer der beiden ersten Annahmen zugestimmt werde. Auch Prof. Macalister hat (Proceed. Roy. Irish Academy Vol. X. 1864, p. 138) Abweichungen am Flexor pollicis longus beschrieben, welche wegen ihrer Beziehungen zu den Muskeln der Quadrumanen merkwürdig sind.
  54. Seit der ersten Auflage dieses Buchs hat Mr. Wood in den Philos. Transact. 1870, p. 83 eine andre Abhandlung erscheinen lassen über die Muskelvarietäten am Halse, an der Schulter und der Brust des Menschen. Er weist hier nach, wie äusserst variabel diese Muskeln sind und wie oft und wie bedeutend die Abweichungen den normalen Muskeln der niedern Thiere ähneln. Er fasst es in der folgenden Weise zusammen: „Es wird für meinen Zweck genügen, wenn es mir gelungen ist, die wichtigsten Formen nachzuweisen, welche, sobald sie am menschlichen Körper als Varietäten auftreten, in einer hinreichend characteristischen Weise das darbieten, was man in diesem Zweige der wissenschaftlichen Anatomie als Beweise und Beispiele für das Darwinsche Princip des Rückschlags oder das Gesetz der Vererbung betrachten kann“.
  55. Die Autoritäten für diese verschiedenen Angaben sind aufgeführt in meinem Buche „Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl Bd. 2, S. 365—382.
  56. Dieser ganze Gegenstand ist in dem 23. Capitel des 2. Bdes. meines Buchs „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“ erörtert worden.
  57. s. das für immer merkwürdige „Essay on the principle of Population, by The Rev. T. Malthus“. Vol. I. 1826, p. 6. 517.
  58. Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 127—130, 187.
  59. Sedgwick, British and Foreign Medico-Chirurg. Review, July, 1863, p. 170.
  60. The Annals of Rural Bengal, by W. W. Hunter. 1868, p. 259.
  61. Primitive Marriage. 1865.
  62. Der Verfasser eines Artikels im „Spectator“ (12. March, 1871, p. 320) macht über diese Stelle die folgenden Bemerkungen: — „Darwin sieht sich gezwungen, eine neue Theorie über den Sündenfall des Menschen einzuführen. Er weist nach, dass die Instincte der höheren Thiere viel edler sind, als die Gewohnheiten wilder Menschenrassen, und sieht sich daher dazu getrieben, die Theorie wieder hervorzuholen — und zwar in einer Form, deren wesentliche Orthodoxie ihm vollständig entgangen zu sein scheint — und als wissenschaftliche Hypothese einzuführen, dass der Gewinn des Menschen an Erkenntniss die Ursache einer zeitweiligen, jedoch lange anhaltenden moralischen Verschlechterung war, wie sie sich in den vielen, besonders bei Heirathen bestehenden, sündlichen Gebräuchen wilder Stämme zeigt. Was weiter als dies behauptet denn die jüdische Ueberlieferung von der moralischen Entartung des Menschen in Folge seines Haschens nach einer ihm durch seine höchsten Instincte verbotenen Erkenntniss?"
  63. s. einige gute Bemerkungen hierüber von W. Stanley Jevons, A deduction from Darwin’s Theory. „Nature“, 1869. p. 231.
  64. Latham, Man and his Migrations. 1851, p. 135.
  65. Murie und St. George Mivart sagen in ihrer Anatomie der Lemuriden (Transact. Zoolog. Soc. Vol. VII. 1869, p. 96—98): „einige Muskeln sind so unregelmässig, dass sie keiner der erwähnten Gruppen irgendwie eingeordnet werden „können“. Diese Muskeln weichen selbst in den beiden Seiten eines und desselben Individuum von einander ab.
  66. Limits of Natural Selection; in: North American Review, Oct. 1870, p. 295.
  67. Quarterly Review. April, 1869, p. 392. Es ist dieser Gegenstand in Mr. Wallace’s Contributions to the Theory of Natural Selection, 1870, in welchem alle hier angezogenen Aufsätze wieder veröffentlicht sind, ausführlicher erörtert worden. Der „Essay on Man“ ist sehr gut kritisirt worden von Prof. Claparède, einem der ausgezeichnetsten [jetzt leider verstorbenen] Zoologen in Europa, in einem Artikel der Bibliothèque Universelle, Juni 1870. Die oben im Texte citirte Bemerkung wird Jeden überraschen, welcher Wallace’s berühmten Aufsatz: On the Origin of Human Races deduced from the theory of Natural Selection gelesen hat, ursprünglich publicirt in der Anthropological Review, May, 1864, p. CLVIII. Ich kann mir nicht versagen, hier eine äusserst treffende Bemerkung Sir J. Lubbock’s in Bezug auf diesen Aufsatz (Prehistoric Times. 1865, p. 479) zu citiren, wo er nämlich sagt, dass Mr. Wallace „mit characteristischer Selbstlosigkeit dieselbe (nämlich die Idee der natürlichen Zuchtwahl) ohne Rückhalt Hrn. Darwin zuschreibt, trotzdem es bekannt ist, dass er diese Idee ganz selbständig erfasste und sie, wenn auch nicht in gleich durcharbeiteter Fülle, zu derselben Zeit veröffentlichte".
  68. Citirt von Mr. Lawson Tait in seinem „Law of Natural Selection“, in: Dublin Quarterly Journal of Medical Science. Febr. 1869. Auch Dr. Keller wird als weitere Bestätigung citirt.
  69. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 71.
  70. Quarterly Review. April, 1869, p. 392.
  71. Bei Hylobates syndactylus sind, wie der Name es bezeichnet, zwei Finger regelmässig verwachsen; dasselbe ist, wie mir Mr. Blyth mittheilt, gelegentlich mit den Fingern von H. agilis, lar und leuciscus der Fall. Colobus ist im strengsten Sinne Baumthier und ausserordentlich lebhaft (Brehm, Thierleben. Bd. 1. S. 50); ob er aber ein besserer Kletterer als die Arten der verwandten Gattungen ist, weiss ich nicht. Es verdient Erwähnung, dass die Füsse der Faulthiere, der vollständigsten Baumthiere der Welt, wunderbar hakenförmig sind.
  72. Brehm, Thierleben. Bd. 1. S. 80.
  73. The Hand, its mechanism etc. „Bridgewater Treatise“. 1833, p. 38.
  74. Häckel erörtert in ausgezeichneter Weise die Schritte, durch welche der Mensch ein Zweifüsser wurde: Natürliche Schöpfungsgeschichte, 1868, p. 507. Dr. Büchner (Vorlesungen über die Darwinsche Theorie. 1868, S. 195) hat eine Anzahl von Fällen, wo der Fuss vom Menschen als Greiforgan gebraucht wird, gegeben; ebenso über die Bewegungsweise der höheren Affen, welche ich im nächstfolgenden Satze erwähne. Ueber den letzten Punkt s. auch Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III. p. 71.
  75. Prof. Broca, La Constitution des Vertèbres caudales, in: La Revue d'Anthropologie, 1872. p. 26 (Separatabdruck).
  76. „Ueber die Urform des Schädels“ (auch übers, in der Anthropological Review. Oct. 1868, p. 428). Owen (Anatomy of Vertebrates. Vol. II. 1866, p. 551), über den Mastoidfortsatz bei den höheren Affen.
  77. Die Grenzen der Thierwelt, eine Betrachtung zu Darwin's Lehre. 1868. S. 51.
  78. Dujardin. Annal. d. scienc. natur.. 3. Sér. Zoolog. Tom. XIV. 1850. p. 203. s. auch Mr. Lowne, Anatomy and Physiology of the Musca vomitoria. 1870, p. 14. Mein Sohn, Mr. F. Darwin, hat mir die Cerebralganglien der Formica rufa präparirt.
  79. Philosoph. Transact. 1869, p. 513.
  80. Les Sélections, par P. Broca, in: Revue d'Anthropologie, 1873, s. auch das Citat in C. Vogt's Vorlesungen über den Menschen. Bd. 1, S. 104-108. Prichard, Physic. Hist. of Mankind. Vol. I. 1838, p. 305.
  81. In dem eben citirten interessanten Artikel macht Broca die gute Bemerkung, dass bei civilisirten Nationen die mittlere Schädelcapacität dadurch herabgedrückt werden muss, als eine beträchtliche Anzahl von an Geist und Körper schwachen Individuen, die im Zustande der Wildheit sicher beseitigt worden wären, erhalten wird. Andrerseits enthält bei Wilden das Mittel nur die fähigeren Individuen, die unter äusserst harten Bedingungen leben zu bleiben fähig waren. Broca erklärt hierdurch die sonst unerklärliche Thatsache, dass die mittlere Schädelcapacität der alten Troglodyten von Lozère grösser ist als die der modernen Franzosen.
  82. Comptes rendus de l'Acad. d. Sciences. Paris, Juni, 1, 1868.
  83. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1, S. 137.
  84. Schaaffhausen führt die Fälle von krampfhafter Contraction und der Narbe nach Blumenbach und Busch an (Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 420). Dr. Jarrold (Anthropologia, 1808, p. 115, 116) führt nach Camper’s und seinen eigenen Beobachtungen Fälle von Modification des Schädels an in Folge einer Fixirung des Kopfes in einer unnatürlichen Stellung. Er glaubt, dass gewisse Handwerke, wie das der Schuhmacher, die Stirn runder und vorspringender machen, weil sie den Kopf beständig vorgebeugt halten lassen.
  85. Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1, S. 127 über die Verlängerung des Schädels, S. 130 über die Wirkung des Hängens der Ohren.
  86. Citirt von Schaaffhausen in: Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 419.
  87. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 619.
  88. Isidore Geoffroy St. Hilaire gibt in der Histoire natur. génér. Tom. II. 1859, p. 216—217 Bemerkungen über das Behaartsein des Kopfes beim Menschen, ebenso über den Umstand, dass die obere Körperfläche bei Affen und anderen Säugethieren dichter mit Haaren bekleidet ist, als die untere. Dies ist auch von verschiedenen anderen Autoren erwähnt worden. Doch führt Prof. Gervais (Hist. natur. des Mammifères. Tom. I. 1854, p. 28) an, dass beim Gorilla das Haar am Rücken dünner sei, als an der unteren Fläche, da es oben theilweise abgerieben werde.
  89. The Naturalist in Nicaragua. 1874, p. 209. Als eine Bestätigung der Ansicht Mr. Belt's will ich eine Stelle aus Sir W. Denison's Varieties of Vice-Regal Life, Vol. I. 1870. p. 440, citiren: „Man sagt, es bestehe bei den Australiern der Gebrauch, wenn das Ungeziefer lästig wird, die Haut zu sengen“.
  90. St. George Mivart in Proceed. Zoolog. Soc. 1865, p. 562, 583. J. E. Gray, Catalogue Brit. Mus. „Skeletons“. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. II. p. 517. Isid. Geoffroy Saint-Hilaire, Hist. natur. gener. Tom. II p. 244.
  91. Revue d'Anthropologie. 1872. „La constitution des Vertèbres caudales“.
  92. Proceed. Zoolog. Soc. 1872. p. 210.
  93. Proceed. Zoolog. Soc 1872. p. 786.
  94. Ich beziehe mich hier auf Dr. Brown-Séquard's Beobachtungen über die vererbten Wirkungen einer, bei Meerschweinchen Epilepsie verursachenden Operation, und auf die noch kürzlicher bekannt gemachten analogen Wirkungen der Durchschneidung des Sympathicus am Halse. Ich werde hernach Veranlassung haben, Salvin's interessanten Fall von den allem Anscheine nach vererbten Wirkungen der Gewohnheit der Mot-mots anzuführen, wonach sich diese Vögel die Fahnen ihrer eigenen Schwanzfedern abbeissen. s. auch über den Gegenstand im Allgemeinen: Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 26—28.
  95. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 320. 322.
  96. Primeval man 1869, p. 66.
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